Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Merkels Eingeständnis: Klimapolitik wider besseres Wissen
Was heute passiert, ist aber harmlos gegen das, was kommt. Die Hitzesommer von heute sind die kühlen Sommer von morgen. Die dürren Jahre werden als wasserreich in Erinnerung sein. Alles, was uns heute extrem vorkommt, wird sich zu einer brutalen “Normalität” verwandeln, der viele Menschen, Tiere, die Pflanzen auf den Feldern, ganze Städte, Infrastrukturen und Ökosysteme nicht gewachsen sein werden. Aus der Klimakrise wird die Klimakatastrophe, sofern nicht endlich das Nötige geschieht: Die weltweiten Emissionen innerhalb der Budgetgrenzen zu halten, die die besten und schlauesten Klimaexpertinnen und -experten definiert haben. [...] Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Berechnungen, wie viel CO2 die Erde noch verträgt, mit ihrer hohen Intelligenz und naturwissenschaftlichen Ausbildung immer schon intuitiv verstanden, mit einer ähnlichen Präzision, mit der sie im Herbst 2020 den Anstieg der Corona-Infektionen vorhergesagt hat. Schon 2007 thematisierte sie bei der Jahrestagung des Rats für Nachhaltige Entwicklung den entscheidenden Messwert: Wie viel CO2 darf rechnerisch jeder einzelne Mensch auf der Erde pro Jahr bis 2050 noch verursachen, damit wir unter der kritischen Temperaturschwelle von 1,5 Grad Celsius Erhitzung oder wenigstens unter 2 Grad Celsius Erhitzung bleiben? [...] Als Physikerin hat Merkel das verstanden – aber nicht ausreichend danach gehandelt. [...] Für eine Kanzlerin, die nicht nur auf ihre Glaubwürdigkeit beim Klima pocht, sondern in der Diskussion um Euro-Rettung und Schuldenpolitik mit dem Titel der “schwäbischen Hausfrau” kokettiert hat, ist dies kein guter Wert. Angela Merkel, der die “schwarze Null” immer so wichtig war, hinterlässt ein Deutschland mit einer CO2-Überschuldung riesigen Ausmaßes. Das kann nur ausgeglichen werden, wenn das Budget in den kommenden Jahren radikal weniger beansprucht wird. Es hat schon immer zwei Angela Merkels gegeben: Die eine Angela Merkel ist eine Physikerin, die alle diese Berechnungen der Klimaforscher versteht, die sich erste klimapolitische Meriten schon in den 1990ern bei den Weltklimagipfel von Berlin (1995) und Kyoto (1997) verdient hat, die zum Ortstermin in die Arktis reiste, die vor dem Klimagipfel von Kopenhagen gegen die versammelten Blockierer ihr ganzes politisches Gewicht in die Waage warf. Es ist die Merkel, die mehrfach Greta Thunberg traf und die viele nachdenkliche Reden hielt. Die andere Angela Merkel ist Machtpolitikerin, deren Position davon abhing, im Netzwerk der Mächtigen Interessen zu bedienen. Diese zweite Merkel hat das Verkehrs- und Infrastrukturministerium ebenso wie das Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerium durchgängig Politikern anvertraut, die Politik fast ausschließlich für große Autos, große Konzerne und große Bauernhöfe gemacht haben und für die Klimaschutz eine lästige Sache war, ein Feld des politischen Gegners, das man eben nicht ganz ignorieren durfte. (Christian Schwägerl, Riffreporter)
Merkel konnte sich stets in einem ganzen Netz an Ausreden verstecken, das von zig verschiedenen Stellen gesponnen wurde und wird. Dabei ist es eigentlich hinreichend widerlegt. Nur Mythos ist der geringe Anteil Deutschlands/des Westens am Klimaschutz. Auch der beständige Versuch, Wetter und Klima miteinander zu verwechseln, wie er gerade massiv von der Obernebelkerze Laschet gefahren wird, ist u.a. durch eine Bestätigung des Umweltministeriums selbst (!) widerlegt.
Was Merkels krasse Untätigkeit auf so vielen Feldern so viel schwieriger zu ertragen macht ist das "wider besseren Wissens". Eine Gurke wie Armin Laschet, die ständig blockiert und nicht handelt, ist ja eine Sache. Dem traue ich nicht mal zu, dass er es grundsätzlich besser weiß. Aber Merkel? Die weiß es absolut besser. Aber ihr fehlt jeder Wille dazu, das anzugehen. Der wird leider auch Laschet fehlen. Wir steuern auf vier weitere verlorene Jahre zu, was umso schlimmer ist, als dass es nach 16 Jahren Merkel mutwillig verloren sein wird.
2) Die bürokratische Verhöhnung des 21. Jahrhunderts
3) Tschentscher plädiert für Deal mit Chinesen
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher ist der Kritik an einer Beteiligung des chinesischen Terminalbetreibers Cosco Shipping Ports am Hamburger Containerterminal Tollerort (CTT) entgegengetreten. "Es gibt dazu keine politischen Vorgaben, aber was unternehmerisch sinnvoll ist, muss auch praktisch möglich sein und gemacht werden", sagte der SPD-Politiker auf Anfrage. Hamburg müsse bei der Wettbewerbsfähigkeit der nordeuropäischen Seehäfen auf der Höhe der Zeit bleiben. China ist für den drittgrößten europäischen Seehafen als mit Abstand wichtigster Handelspartner Hamburgs eminent wichtig. Schiffe der Reederei Cosco Shipping laufen bereits seit fast 40 Jahren das HHLA-Terminal Tollerort an. Kritiker fürchten durch den Einstieg von Cosco jedoch einen zu großen Einfluss Chinas auf den Hamburger Hafen. "Es hat gute Gründe, weswegen Cosco und andere Reedereien Interesse haben an einer Terminalbeteiligung", sagte Tschentscher. Stimmten die Konditionen, könnten Terminalbeteiligungen wirtschaftlich für beide Partner sinnvoll sein. "Die Terminalbetreiber können ihre Auslastung verbessern, die Reedereien sichern sich zuverlässige Anlaufpunkte und nehmen über den Seeweg hinaus an der gesamten Wertschöpfungskette teil." (dpa, NTV)
Ein weiteres Beispiel für die Blödheit deutscher Außenpolitik. Es ist so erschreckend zu sehen, wie wenig strategische Weitsicht hier existiert. Klar bringen die chinesischen Anleger ordentlich Geld in den Hafen. Und wenn man seine ganze strategische Infrastruktur den Rivalen ausliefern will, dann sollte man genauso weitermachen. Die EU genauso wie Deutschland hat keinerlei Konzept dafür, wie sie der chinesischen Herausforderung - die explizit ausgesprochen ist - gegenübertreten sollen. Das Schlimme ist, dass man immer noch in einer Verleugnungshaltung feststeckt, dass es überhaupt eine Notwendigkeit dafür gibt. Man tut einfach weiter so, als wäre noch 2004 und die ganze Welt weiterhin auf dem Weg zu einer immer engeren ökonomischen Integration, Liberalisierung und Globalisierung.
4) Tweets
#Merz hofft im @wiwo-Interview auf Wirtschaftswunder und hält #Potenzialwachstum(!) in Deutschland von 3-4% für möglich😳. Damit widerspricht er allen volkswirtschaftlichen Analysen,die ich dazu kenne,denn da ist von künftigem Potenzialwachstum von ca. 1% die Rede.🤔#Demografie🤷🏽♀️ pic.twitter.com/7tn0tzOKEO
— Thomas Wüst (@Thomas_Wuest) July 17, 2021
Wahnsinn https://t.co/hg6ArXl1za
— Stefan Sasse 🇪🇺 (@StefanSasse) August 2, 2021
Mal wieder zwei hervorragende Beispiele dafür, wie lächerlich es ist, diese Leute von CDU und FDP Wirtschaftsexperten zu sehen. Auf die Art, wie Friedrich Merz da Analysen raushaut, könnte ich auch grandiose Wirtschaftspolitik machen. Mir einem angenommenen Wachstum von 3-4% kann ich ne ganze Menge Schuldenaufnahme rechtfertigen. Nur würde niemand einem Linken so was durchgehen lassen. Aber Merz ist ja "Wirtschaftsexperte", da geht so was problemlos.
Das Gleiche gilt für den Unsinn, den Jörg Hoffmann erzählt. Er ist natürlich nicht so repräsentativ für seine Partei wie Merz das ist - der wurde immerhin zweimal fast Parteivorsitzender - aber als Professor der Betriebswirtschaftslehre steht er recht repräsentiv für den vebreiteten Realitätsverlust dieser Zunft. Keine "normalverdienende" Person hätte auch nur die geringsten Aussichten, einen Kredit für dieses Projekt zu bekommen.
Natürlich, wenn man entsprechende Anlagen hat und Vermögenswerte, die als Sicherheit dienen können - wie das bei Hoffmann sicherlich der Fall ist - dann kann man niemals einen Kredit bekommen, der nicht bis zur Rente abbezahlt ist. Das weiß Hoffmann natürlich nicht, weil er von der Alltagsrealität der Menschen so weit entfernt ist, wie man das als professoraler FDP-Stadtrat nur sein kann.
5) Warum das Humboldt-Forum ein steingewordener Schlussstrich ist
Die Schlossattrappe steht symbolisch für eine neue Meistererzählung, die eigentlich eine rückwärtsgewandte und alte ist: Deutschland als Volk der Dichter und Denker, mit Berlin als borussisch-deutscher Kultur- und Wissenschaftsmetropole von Weltgeltung. Es ist die Umkehrung der hart erkämpften Perspektive, die deutsche(n) Nachkriegsidentität(en) von den Verbrechen des 20. Jahrhunderts aus zu betrachten. Radikaler könnte der erinnerungspolitische Schnitt kaum sein. Seinen ursprünglichen Zweck hat das Humboldt-Forum damit bereits erfüllt: Der Ost-Berliner Palast der Republik ist verschwunden, die Brache in der Mitte der Stadt, die auch ein Mahnmal für die deutsche Teilung und den sie verursachenden Weltkrieg war, ist gefüllt. Die Fassade glänzt – ganz so, als hätte es Weltkrieg, Holocaust und Teilung nie gegeben. [...] An diesem Punkt geriet die Debatte über Deutschlands koloniales Erbe in Konflikt mit dem neuen Narrativ, der über die Frage des Umgangs mit kolonialen Sammlungsgütern weit hinausgeht. Es ist bezeichnend, dass keiner der Verantwortlichen an das koloniale Erbe auch nur ansatzweise gedacht hat, als beschlossen wurde, das rekonstruierte Stadtschloss mit den Objekten des ehemaligen Ethnologischen Museums zu füllen. Nach all der Mühe, ein weltoffenes Berlin und Deutschland zu zeichnen – ein Zentrum der Wissenschaft und der Weltaneignung –, schuf man in Berlin ein Denkmal der Engstirnigkeit. [...] Die Politik, kalt erwischt von der Debatte um Deutschlands koloniales Erbe, reklamiert diesen intensivierten Diskurs mittlerweile für sich. Wenn man jedoch, wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters anlässlich der Eröffnung sagte, in Anspruch nimmt, das Humboldt-Forum habe „schon vor seiner Eröffnung ganz wichtige Debatten über den Umgang zum Beispiel mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten angestoßen“, dann ist das ungefähr so, wie wenn man darauf hinwiese, Tschernobyl hätte die Debatte um Reaktorsicherheit vorangebracht. Es stimmt, war aber keineswegs beabsichtigt. Die Opfer und Kollateralschäden waren in beiden Fällen enorm. (Jürgen Zimmerer, Berliner Zeitung)
Unzweifelhaft hat die Debatte über das Humboldt-Forum tatsächlich einen fruchtbaren Historiker*innenstreit über das koloniale Erbe Deutschlands gestartet, genauso wie das 150jährige Jubiläum der Reichsgründung dieses Jahr (und besonders die Beiträge zur Debatte von Christoph Nonn, Hedwig Richter und Oliver Haardt). Aber die Zimmerer hier zurecht moniert hätte man diese Debatte vermutlich auch ohne das viele zerschlagene Porzellan haben können, das von einer unsensiblen und fehlgeleiteten Erinnerungspolitik ausging. Das "Hohenzollern-Disneyland" war sicherlich nicht der beste Wurf, der diesbezüglich je getätigt wurde.
Das bedeutet in aller Kürze: Wer das Gendern der Sprache als Tool ansieht, Gleichberechtigung voranzutreiben, kann sich auf die Verfassung und die europäischen Grundrechte berufen. Und so haben sich die Bundesministerien grundsätzlich verpflichtet, die Gleichstellung von Männern und Frauen in Gesetzesentwürfen auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Gender-Mainstreaming ist auch in der Normsetzung erlaubt. Ist der Gesetzgeber dazu vielleicht sogar verpflichtet? Das ist eine andere Frage. [...] Gesetze, die ungewöhnlich, unklar oder irritierend sind, kommen allerdings in der Praxis immer wieder vor. In diesen Fällen hilft die juristische Methode der Auslegung, den wirklichen Inhalt des Gesetzes zu ermitteln. Das hätte auch hier geholfen. Eine realitätsnahe Auslegung ergibt, dass das Insolvenz- und Sanierungsgesetz für alle Betroffenen gelten soll, unabhängig vom Geschlecht. Welchen Sinn hätte ein Insolvenzgesetz nur für Frauen? Vor diesem Hintergrund wirkt das Argument des Innenministeriums doch vorgeschoben. Nicht alles, was man politisch nicht will, ist auch verfassungswidrig. Der langen Rede kurzer Sinn: Ob Gesetze gegendert werden sollen oder nicht, ist keine Frage des Verfassungsrechts. Es ist eine politische Entscheidung. (Volker Boehme-Neßler, ZEIT)
Abseits der konservativen Medienblase dürfte ziemlich klar sein, dass geschlechtergerechte Sprache grundgesetzkonfom ist. Ich finde Boehme-Neßlers Hinweis deswegen so wichtig: es ist eine rein politische Frage. Ich habe schon öfter in diesem Forum die deutsche Neigung beklagt, ständig politische Konflikte über die Bande des Verfassungsrechts lösen zu wollen. Dasselbe gilt auch hier, wie übrigens auch bei der Klimapolitik. Wir können nicht ständig das BVerfG bemühen, um Entscheidungen zu erzwingen, die politisch herbeizuführen wegen ihrer Schwierigkeiten und Erfordernisse an das politische Kapital nicht getätigt werden.
7) Klimakrise: Verantwortung nicht auf den Einzelnen abschieben
Nicht zufällig hat die Bewegung rund um Bernie Sanders in den USA ein radikales Programm für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen mit einem radikalen Programm für Klimapolitik verbunden. Denn diese Fragen gehören zusammen, und nur wenn der Kampf gegen die Klimakrise auch ein Kampf für soziale Gerechtigkeit ist, wird er Erfolg haben. [...] Um unsere Gesellschaft Richtung Ressourcenschonung zu bewegen, brauchen wir aber einen gesamtwirtschaftlichen Plan, einen "Green New Deal", der unsere Klimaziele mit der Schaffung von guter Arbeit für alle verbindet; der eine Kreislaufwirtschaft mit regionaler Produktion statt CO2-belasteter Importe forciert; es braucht ein Ende der industriellen Landwirtschaft und Viehzucht, für die der Regenwald brennt, und ein Ende der industriellen Fischerei, die unsere Ozeane regelrecht zerstört und dadurch unseren größten CO2-Speicher attackiert. Statt Scheindiskussionen in der Regierung zu führen, mit denen die Grünen und die ÖVP ihre jeweilige Klientel motivieren wollen, und statt individueller Konsumkritik brauchen wir einen kollektiven, staatlich vorangetriebenen Transformationsprozess. Nur wenn wir klimapolitische Maßnahmen mit einem Kampf für soziale Gerechtigkeit und mit einer grundlegenden Änderung unseres Wirtschaftssystems verbinden, haben wir eine reale Chance: einerseits um die enormen CO2-Einsparziele zu erreichen und andererseits um Mehrheiten für eine Politik zu schaffen, die Klimapolitik nicht in das Gewand eines moralischen Vorwurfs kleidet, sondern als Versprechen für ein gutes Leben für alle versteht. (Julia Herr, Standart)
Die Idee persönlichen Verzichts und persönlicher Konsumumstellungen als Mittel gegen die Klimakrise ist ein Irrweg, der leider von praktisch allen Seiten aus betrieben wurde. Er erlaubte es der ökologisch-progressiven Gruppe, sich gut zu fühlen und in dem Bewusstsein moralischer Überlegenheit zu sonnen, das sie so unnachahmlich beliebt bei allen anderen macht. Gleichzeitig erlaubte es Konservativen und Liberalen, mit ihrer ohnehin eingespielten Rhetorik von persönlicher Verantwortung und freien Konsumentscheidungen jede Tätigkeit abzulehnen und die Verantwortung von sich abzuladen.
Insgesamt spielen die Konsumentscheidungen eine viel zu geringe Rolle; die Problematik ist die Produktionsweise selbst. Erst, wenn die sich ändert, werden wir massiv etwas am CO2-Ausstoß ändern, und wenn das passiert, dann wird sich notwendigerweise auch der Konsum der Menschen ändern - aller Menschen, nicht nur des BIO-Markt-Jetsets. Das heißt nicht, dass es falsch wäre, entsprechend zu leben und solche Entscheidungen zu treffen; jedes bisschen hilft, und man ist besser vorbereitet auf die notwendigen Umstellungen, die die Klimakrise so oder so erzwingen wird. Aber die Umstellung muss an der Wurzel beginnen, nicht in den Knospen der Wirtschaftspflanze.
Allerdings stufte das Appellationsgericht das Verschulden des Verurteilten nicht derart gravierend ein wie die Vorinstanz. Gerichtspräsidentin Liselotte Henz (FDP) sprach von einem «mittleren Verschulden» im Rahmen von Sexualstrafdelikten und führte mehrere Punkte an, weshalb das Strafmass des Strafgerichts zu hoch angesetzt war: So seien die Übergriffe relativ kurz gewesen und hätten zu keinen bleibenden physischen Verletzungen bei der Frau geführt. Juristisch heikel einzustufen ist dann ein weiterer Punkt der Urteilsbegründung: Das Vergehen werde relativiert durch «die Signale, die das Opfer auf Männer aussendet», so die Gerichtspräsidentin. Dabei bezog sie sich vor allem auf das «Verhalten im Club», wo die Frau offenbar im Laufe des Abends auf der Toilette ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem weiteren Mann hatte. «Man muss feststellen, dass sie mit dem Feuer spielt», so Henz. Auch sei unklar, wie sehr das Opfer heute noch unter den Übergriffen leide, da keine aktuellen Arztberichte vorlägen. In Therapie sei die Frau offenbar nicht. Für den Täter belastend zu werten sei, dass das Opfer es mit zwei Männern zu tun hatte und Gegenwehr so keinen Sinn gemacht habe. (Jonas Hoskyn, BZ)
Es ist immer wieder erschreckend, was für Bastionen alten patriarchalisch-mysogynen Denkens sich halten, besonders natürlich in eher konservativen Institutionen wie der Juristerei. Wie kommt jemand darau, dass ungeschützter Geschlechtsverkehr mit einer Person eine Aufforderung zur Vergewaltigung sein könnte? Das ist, als ob jemand sein Auto nicht abschließt und das mildernde Umstände beim Dieb bedeutet, weil man ja "mit dem Feuer gespielt" habe. Oder akzeptiert ein Gericht mildernde Umstände, wenn ich jemanden zusammenschlage, nur weil der vorher eine Runde Handball gespielt und dadurch offensichtliche Gewaltbereitschaft ausgedrückt hat? Meine Güte. Hoffentlich geht das in noch eine Appellationsinstanz.
Die Ergebnisse sind bemerkenswert – sie widersprechen der „Mutter-Natur-These“ diametral. Zwar entwickelten sich die Einkommen von Adoptivmüttern kurzfristig etwas besser als die von leiblichen Müttern, doch die langfristigen Auswirkungen sind den Forschern zufolge praktisch identisch. Die Einkommenseinbuße dänischer Adoptivmütter habe 18,1 Prozent betragen, was sich statistisch nicht von den 17 Prozent bei den leiblichen Müttern unterscheiden lasse. [...] „Unsere Ergebnisse sprechen gegen die Bedeutung der biologischen Verbindung zwischen Mutter und Kind zur Erklärung der Einkommensverluste“, schlussfolgern die drei Wissenschaftler. [...] Eine interessante Nebenerkenntnis der Studie besteht darin, dass die Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau mit Kindern auch nichts mit einer ökonomisch rationalen Spezialisierung innerhalb der Familie zu tun hatte. Oder anders gesagt: Frauen mit höheren Einkommen und besseren Berufsaussichten reduzierten Arbeitszeit und Einkommen genauso wie Frauen, die ohnehin schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hatten. [...] Bei der Ursachenforschung müsse man sich stärker darauf konzentrieren, wie die Wünsche von Müttern nach weniger Karriere entstehen, welche sozialen Normen vorherrschen und welche kulturellen Hintergründe es gibt, schreibt der Ökonom am Ende. In Deutschland scheinen diese weichen, aber dennoch nicht zu unterschätzenden Faktoren besonders ausgeprägt. Denn nach den Berechnungen des Forschers ist der Lohnrückstand von Müttern hierzulande etwa doppelt so groß wie in den Vereinigten Staaten und bis zu dreimal so groß wie in skandinavischen Ländern. (Johannes Pennenkamp, FAZ)
Bemerkenswert an dem Artikel ist weniger die Erkenntnis - es gibt natürlich kein Gen oder Hormon, das die wirtschaftliche Position der Frauen in der spätbürgerlichen Gesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts bestimmt - sondern wie sehr er um die offensichtliche Lösung des Konflikts herumhüpft. Es wird quasi jeder Aspekt der betreffenden Studie diskutiert, außer dem offensichtlichen: dass auch Frauen in besser bezahlten Jobs höheren Status Kinder üblicherweise in einer ehelichen Beziehung mit einem Mann bekommen (sogar mehr als in unteren Schichten), und dass diese Männer ja auch üblicherweise gut verdienend sind - die fragile männliche Psyche erlaubt nur sehr schwer, in einer Beziehung mit einer besser verdienenden Frau zu leben, das bestätigen ebenfalls zahlreiche Studien zur Genüge. Dafür können sie danach umso besser über deren persönlichen Entscheidungen schwadronieren.
Und genau das haben wir eben nicht; Frauen wählen nicht "natürlich" die Reduktion ihrer eigenen Karrierechancen, sondern sie werden dazu getrieben, weil die Erwartungen der Gesellschaft und bestehende Rollenmuster sie in diese Richtung drängen. Natürlich tun sie das überwiegend freiwillig, aber das hat soviel mit "Natur" zu tun wie die Vorliebe von Jurastudenten für rosa Hemden und braune Aktenkoffer.
10) How to Introduce a Wealth Tax
A wealth tax could follow this same concept. Every year, each person would have to disclose their assets and list a price at which they value each asset. They would have to specify private company holdings and their price-per-share, art, real estate, etc., all in one national registry, and then anyone could—at some interval—buy that asset at the listed price if they wanted—forcing the owner to sell at the price they indicated. This would force each person to accurately value the things they care about. If you like the home you live in, for instance, you would have to fully state its value for the purposes of taxes—lest someone else might buy it from you. [...] The upshot: The problem currently with any wealth tax concept is that most assets don’t have a clearly established market value. The incentive is to understate the value of assets, unless people are forced by some procedure to think fully about how much different things are worth to them. If you want to have a wealth tax, then basically everything has to be listed and put into the market in order to establish a price with which to calculate wealth. If the market is thin (which it will be for most assets), the owner will have a strong incentive to price the asset fully versus. under-marking it. [...] It is very difficult to set the rules of disclosure for such an open-ended market. Markets are information machines, and if you are creating some sort of market pricing mechanism for all assets, then the pressure falls to the information systems that support the markets. [...] But the reality we have to digest is that if people have an interest in moving toward a wealth tax, we have a very large information problem. The solution can either be introducing market forces and a public registry of all assets, or giving a central authority the power to value all assets rather than just objective income. (Sam Lessin, The Information)
Ich wäre interessiert an der Einschätzung von Leuten mit mehr Fachkenntnis als mir, inwiefern das ein Muster für eine Einführung der Vermögenssteuer sein könnte, vor allem vor dem Hintergrund, dass die letzte in Deutschland ja verfassungswidrig war (im Gegensatz zum Konzept einer Vermögenssteuer per se, auch wenn CDU und FDP es lieben, diesen zentralen Unterschied zu verwischen). Macht das Sinn? Ich finde das Konzept, zum Verkauf meines Besitzes gezwungen zu sein, ziemlich merkwürdig, aber ich sehe, dass es die Bepreisung deutlich transparenter und weniger von der Willkür einer riesigen Bürokratie abhängig machen und stattdessen dem Marktmechanismus übergeben würde. Aber ich bin gespannt, was die Experten hier im Blog dazu beitragen können.
11) Tucker Carlson Has Seen the Future, and It Is Fascist
The right’s entrancement with Orban has emerged fitfully over the last decade. One could find defenses of the Hungarian regime in places like the New York Post, the Federalist, the Heritage Foundation, and National Review. Yet, until recently, open support for Orban’s Hungary was an idiosyncratic minority position on the American right. [...] Hungary’s democratic backsliding was slow and gradual, without a single dramatic moment when its character flipped from democracy to dictatorship. Even now, it retains the surface trappings of a democracy without the liberal characteristics that make those processes meaningful. If America ceases to be a democracy, it will likely follow a path similar to Orban’s. The broad lesson of Trump’s presidency is that clumsy, violent efforts to seize power — such as the January 6 insurrection — will meet with intra-party resistance, but subtler power grabs will not. Republicans decided to shrug at abuses like Trump using American diplomacy as a lever to coerce Ukraine to smear his opponent, refusing to accept the election outcome, or using the presidency to line his own pockets. They have enthusiastically joined in state laws to restrict voting and hand power over elections to party hacks. What they seem to want is a leader who shares Trump’s contempt for democracy, but possesses a subtler touch. That is the vision Orban offers. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Auch in Deutschland ist offene Begeisterung für Orbans Regime noch wenig verbreitet. Zu schlecht ist zum Glück der Ruf des autoritären Herrschers, zu offen seine Verachtung für die Demokratie, als dass er in Deutschland damit reüssieren könnte - oder die AfD, Hans-Georg Maaßen, Gabor Steingart oder Friedrich Merz, die pars pro toto die Zielgruppe für so etwas repräsentieren würden, es als Folie nutzen könnten.
Ich halte es aber für zentral, was Chait oben eher nebenbei erwähnt: der Verfall der ungarischen Demokratie kennt keinen entscheidenden Entscheidungsmoment. Stattdessen ist es ein kontinuierlicher Verfall. Deswegen ist die ständige Meckerei von Mitte-Rechts, man übertreibe es mit seinen Warnungen, auch so verfehlt: es gibt nicht den einen Moment, der so herausragend ist, dass er die "apokalyptischen" Warnungen rechtfertigen würde. Stattdessen wird, Maßnahme um Maßnahme, der Maßstab verrückt. Man muss den Anfängen wehren.
In den USA ist es inzwischen so weit, dass die Rechte dort völlig problemlos Orban verherrlichen und eine solche Zerstörung der Demokratie fordern kann - unter anderem, weil die Warnungen vor diesem Trend der amerikanischen Rechten seit 2010 beständig als überzogen abgetan wurden. Dieses ständige In-Schutz-Nehmen der Demokratieverächter ist umso bemerkenswerter, als das mit einer an Hysterie grenzenden Apokalypsesucht der Untergang der Demokratie durch geschlechtergerechte Sprache oder ein neues Klimaministerium an die Wand gemalt wird, wie man es letzthin in Stefan Pietschs Fantasien lesen durfte.
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