Sonntag, 29. August 2021

Triell 1: Im Westen nichts Neues

 

Das erste Triell ist vorbei. Ich will eine kurze Nachlese bieten. Zuerst die Ausgangssituation: Die SPD führt in den Umfragen, zum ersten Mal seit 2006. Stand heute (alles im Fluss, wie wir wissen) hat Scholz eine realistische Chance, den Regierungsbildungsauftrag für sich reklamieren zu können. Seine persönlichen Umfragewerte sind noch besser. Im Gegenzug dazu stehen Baerbock und Laschet desaströs da; 70% der Wähler*innen finden beide nicht tauglich für das Spitzenamt; Laschet hat dazu noch miese Sympathiewerte (und Baerbock unterdurchschnittliche). Scholz' Wahlkampfstrategie - die ich in der zweiten Ausgabe der Bohrleute genauer analysiert habe - als Merkel 2.0 zu agieren geht voll auf. Er muss daher auch "nur" nicht scheitern. Solange er souverän über den Dingen schwebt, gewinnt er. Baerbock und Laschet dagegen mussten beide den Trend brechen, egal wie. Unter diesen Voraussetzungen ist der Gewinner des Triells klar: Scholz.

Der SPD-Kandidat wehrte alle Attacken Baerbocks (einige sanfte am Anfang) und Laschets (einige heftige vor allem in der Mitte und am Ende) souverän ab. Besonders auffällig war, wie wenig die traditionellen CDU-Angriffslinien gegen ihn funktionierten. Der Versuch, die SPD (und Grünen) als Hochsteuerparteien darzustellen, ging in die Leere. Die technischen Debatten über den Solidaritätszuschlag, in denen Laschet sich verhedderte, wurden sogar gegen ihn gedreht, was vor allem Baerbocks Verdienst war, doch dazu später mehr. Scholz gelang es wie Merkel 2013 und 2017, eher leicht genervt bis amüsiert über die Angriffe des kleinformatigen Laschet zu wirken und alles wegzulächeln. Das sagt nichts über die Substanz der Argumente aus, aber die Substanz der Argumente ist das Letzte, was bei diesen Fernsehduellen relevant ist.

Dass Scholz das so gut gelang ist, das sei erneut betont, auch eine Folge des hervorragenden SPD-Wahlkampfs. Nicht nur gab es keinerlei Vorlagen etwa Eskens oder Kühnerts, an denen sich Laschet aufhängen hätte können, sondern die Partei besitzt auch ein neues Selbstbewusstsein. In der Steuerfrage ging sie direkt zum Angriff über, worauf wir noch genauer zu sprechen kommen, und die seit 2005 stets so gut funktionierende Beschwörung der LINKEn ging völlig daneben. Sowohl Baerbock als auch Scholz schafften es, die Koalition nicht explizit auszuschließen und trotzdem die Attacke abzuwehren. Mission erfüllt.

Damit kommen wir zu Steuern. Wir haben hier etwas gesehen, das es seit Schröders Tagen nicht mehr gab: die CDU ist in der Defensive. Und das ist kein Problem Laschets, das ist ein Problem der Partei. Es passierte Söder gegen Habeck, Ziemack gegen Kühnert und nun Laschet gegen Scholz und Baerbock (die hier wie einstudiert abwechselnd rechte und linke Haken setzten). Und erneut, es geht nicht um die Inhalte. Die verstehen die meisten Wähler*innen eh nicht. Die Tatsache, dass SPD und Grüne der Union vorwerfen, nichts von Wirtschaft zu verstehen, und dass die Unionsleute darauf defensiv agieren, ist bemerkenswert. Das hatten wir 20 Jahre lang nicht (und, erneut, abseits von dem was wir sachlich davon halten mögen).

Scholz kann also als klarer Gewinner ausgemacht werden. Baerbock auf der anderen Seite erreichte ihr Ziel, irgendwie eine Trendwende herbeizuführen, klar nicht. Ihre Präsentation war solide, aber das reicht nicht, um den aktuellen Trend umzukehren. Sie war die mitreißendste der drei, aber das sagt sehr wenig. Weder Scholz noch Laschet sind mitreißend, und Schulz war auch mitreißender als Merkel. Der Komparativ leistet in diesen Sätzen eine Menge Arbeit. Letztlich gab sie, wie Alexander Clarkson schrieb, ein gutes Vorstellungsgespräch als Vizekanzlerin ab. Dem Eindruck, dass die Grünen das Kanzleramt abgeschrieben haben, kann man sich aber kaum erwehren.

Am stärksten war Baerbock, als sie in die Offensive ging. Genauso wie Scholz ließ sie sich bei den grünen Schwachstellen nicht aufs Glatteis führen. Weder bei geschlechtergerechter Sprache noch bei Steuern landeten die Angriffe, gab sie sich eine Blöße. Nur, für Scholz war das genug. Sie aber brauchte die Wende. Eine Ahnung von dem, was eine kompetentere Wahlkampfführung hätte erreichen können, sah man beim Thema Innere Sicherheit und bei der Frage der Steuern, als sie die Grünen als Partei für Familien (als sie Laschets Versuch der Instrumentalisierung der Soli-Abschaffung gegen ihn wandte und ihn als kinderfeindlich darstellte) und Frauen zu etablieren. Ihr "ich als Frau" und "ich als Mutter" öffnete eine Perspektive, die in der deutschen Politik bisher unbekannt ist. So aber ist es vor allem eine verpasste Chance; ich sehe nicht, wie die Grünen das noch etablieren wollen.

Auffällig war, dass die drei Kandidat*innen sich alle weigerten, das Spiel der Moderator*innen zu spielen und sich zu unseriösem Blödsinn hinreißen zu lassen. An mehreren Stellen verbündeten sie sich und schossen Aufforderungen zu solchem Unfug ab. Hier wurden die Lektionen von 2017 offensichtlich gut gelernt, als man es den Moderator*innen erlaubte, 45 Minuten Werbung für die AfD zu machen. Auch die Moderator*innen fielen aber für deutsche Verhältnisse positiv auf; die Themen wurden nicht überreizt und besaßen eine gute Auswahl. Eine allgemeine Schwäche entbößte sich, als die Rede auf den Gegensatz von Ost und West kam: Laschet erklärte sich als "aus dem äußersten Westen kommend" für besonders gut geeignet, Ostdeutschlands Probleme zu lösen, und auch Baerbock und Scholz hatten hier wenig zu liefern. Im Westen nichts Neues, quasi. Der Osten kommt weiterhin nur als Objekt, nicht aber als Subjekt, vor.

Und damit kommen wir zu Laschet. Er musste den Abwärtstrend der CDU drehen, und das gelang offensichtlich nicht. Laschet verlor das Triell auf mehreren Ebenen. Einerseits wegen der gescheiterten Trendwende und der Unfähigkeit, seine schlechten Beliebtheitswerte aufzubessern. Seine Persona ist furchtbar. Besonders deutlich wurde das, als die Kandidat*innen gebeten wurden, etwas positives zu den jeweiligen beiden anderen zu sagen (tolle Frage übrigens) und er sowohl bei Scholz als auch Baerbock völlig scheiterte. Aber auch seine Körpersprache war eine Katastrophe. Die Defensive, in der er sich häufig befand, wurde durch sein ständiges schief auf dem Pult Lehnen und den Oberkörper gegenüber Scholz und Baerbock Zurücknehmen noch unterstrichen. Sein Schlussstatement geriet zum Desaster. Die 25% aus der ersten Umfrage am Abend sind da noch echt großzügig gerechnet.

Das Triell wird daher vermutlich nur wenig an der aktuellen Dynamik ändern. Baerbock und Laschet haben noch zwei Versuche, das zu drehen. Aber dieser hier ist gescheitert und verschafft Scholz einige weitere Tage positiver Presse, wo die Grünen und CDU für ihre Aussichten echt darauf angewiesen sind, dass er schlechte bekommt.

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