Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) The Story of How Same-Sex Marriage Went From Fringe to Mainstream (Interview mit Jesse Eisenberg)
I wrote about how, in 2005, a group of lawyers and representatives of the big gay-rights organizations met in Jersey City to set a national strategy. And they laid out a plan where they thought that they could win marriage nationwide by 2025. But at that point, they were already catching up to the emergence of this as an issue. In 2005, gay couples were already marrying in Massachusetts. The president of the United States had already campaigned for re-election supporting a constitutional amendment to ban same-sex marriage. Nearly 20 states had already banned it in their constitutions. So the strategy followed, rather than catalyzed this movement. [...] One thing is understanding the intersection of political and legal activity. The early victories were won through the courts, and in the case of Hawaii and Vermont were lost through the political process [in Hawaii, a court decision on marriage was over turned via referendum, and in Vermont, the legislature passed civil-unions legislation] , because there hadn’t been the political organizing and lobbying ahead of time to keep politicians out of a constitutional process. For gay marriage activists, they have to fight really hard at the legislature to basically just keep politicians from amending the state’s constitution to ban something after the top court has ruled. So I think that there are areas where — because of the structure of interest groups — the people who do lawsuits and the people who do campaigns are fairly far apart from one another. And I think this is just a really instructive lesson that strategies need to take both those things into consideration and anticipate. A big thing that happened was the development of a single-issue group called Freedom to Marry whose only objective was marriage equality. One of the critiques of existing LGBT groups — most notably the Human Rights Campaign — was that they hadn’t fought hard enough for marriage. I don’t think it was that they necessarily were wimping out. I think the issue was that they had defined a very broad coalition whose interests they served, and that forces them to be concerned about long-term relationship building. [...] Cannabis legalization feels pretty similar to me. I think 20 years ago, there wasn’t a politician in the United States that was in favor of legalizing any drugs. (Ben Jacobs, New York Magazine)
Ich sag's immer wieder, der einzige Grund, dass Marijuana nicht legal ist, ist dass niemand das politische Kapital investieren will. Von allen demokratischen Parteien ist nur die CDU dagegen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die ernsthaft dagegen kämpfen würde, wenn die FDP das zu einer Koalitionsbedingung machen würde. Nur macht sie das natürlich nicht, genausowenig wie die SPD das tat oder die Grünen tun werden, obwohl alle drei Parteien die Legalisierung im Wahlprogramm stehen haben. Das Thema kommt mit schöner Regelmäßigkeit im Unterricht hoch, und ich sage den Schüler*innen immer dasselbe: mir persönlich ist das völlig Hupe. Wenn man mich zwingt, bin ich dafür, dass es illegal bleibt, aber wenn es legalisiert wird, fine by me. Ich denke, die breite Mehrheit der Deutschen fühlt recht ähnlich, was die Wichtigkeit des Themas angeht. Da die junge Generation sehr für die Legalisierung ist, und die alte kaum großen Widerstand leisten wird, ist die Legalisierung nur eine Frage der Zeit. Eine ähnliche Dynamik trieb auch die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe: erst wurde es für eine Mehrheit akzeptabel (und Homophobie mit verblüffender Geschwindigkeit inakzeptabel, siehe etwa in Bullys Umschwung bezüglich "Schuh des Manitu"), dann immer mehr zu einem Bürgerrechts-/Freiheitsthema, und dann abgeräumt. Die Dynamik in den USA war, die Eisenberg das oben beschreibt, teils eine andere, aber diese Grundlage war ähnlich.
2) Leftists and Liberals Are Still Fighting Over the Cold War
This divide between anti-communists and anti-anti-communists is sufficiently profound that, even 30 years after the end of the Cold War, it continues to animate bitter debates among progressive intellectuals. “Cold War liberalism is now a zombie ideology,” Michael Brenes and Daniel Steinmetz-Jenkins argued in a Dissent essay earlier this year. “It offers preparedness as politics: a desire to inculcate a wartime urgency in the body politic, demanding sacrifice without solidarity and individual introspection as a path to freedom.” [...] There is a tendency on the center-left to dismiss these sorts of critiques from the left as simply unserious — to mock them as idealists with politically unrealistic demands, or perhaps they haven’t gotten over the 2016 Democratic primary. But the belief system undergirding these critiques is completely serious. The left is making a profound accusation: that liberalism remains deformed by anti-communism, and only by expurgating this fear of left-wing authoritarianism can it become worthy of progressive ideals. That charge needs to be answered on its own terms. [...] Today’s left-wing intellectuals have revived the Cold War–era critique of liberals, who stand accused of glorifying existing political and economic institutions in general and the security state in particular. [...] While the critics of Cold War liberalism exaggerate its hostility to aggressive government action, and minimize the authoritarian danger against which it defines itself, they do correctly identify its definitional core. The Cold War liberals (or their heirs) place more value on democracy than on advancing the progressive agenda. Liberals respect their opponents’ political rights and are not willing to cast them aside in pursuit of power. As a result of this commitment, they consider it necessary to criticize political allies, especially on questions of democracy and liberal values. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ich finde die Tankies (der Internet-Fachbegriff für die pro-kommunistischen Linken, keine Ahnung wo der herkommt) ja unglaublich bescheuert. Mir ist völlig unklar, wie man heutzutage noch kommunistische Diktaturen wie Nordkorea, Kuba oder Venezuela verteidigen kann. Aber offensichtlich ist dieses "Feind meines Feindes ist mein Freund"-Denken recht weit verbreitet.
Ein Superbeispiel für diese Übertragung von Mustern aus dem Kalten Krieg ist die Positionierung der Linken gegenüber Israel und das ständige Problem damit. Weil in den Frontstellungen des Kalten Krieges Israel ein Verbündeter der USA und die Sowjetunion ein Verbündeter der mit ihm verfeindeten arabischen Staaten war, landeten viele Linke automatisch auf der israelfeindlichen Seite, eine Haltung, die sich auch mit dem Untergang der Sowjetunion nicht mehr geändert hat. Es ist faszinierend und erschreckend zugleich, wie sich solche Muster reproduzieren.
Die Grünen und ihre Kanzlerkandidatin sind zwei Monate vor der Bundestagswahl das mit Abstand beliebteste Angriffsziel in- wie ausländischer Akteure, belegen SPIEGEL-Recherchen. Autoritäre Staaten wie Russland und China, die Desinformationskampagnen gern einsetzen, haben die Grünen wegen ihrer Außenpolitik und der Kritik an Menschenrechtsverstößen womöglich im Visier. Extreme Rechte und Verschwörungsideologen versuchen, den Wahlkampf zu torpedieren und zu verhindern, dass die Grünen ihre Themen setzen können. [...] Die Akteure haben dabei eines gemeinsam. Es geht ihnen nicht nur darum, die Bundestagswahl zu beeinflussen. Sie wollen das Vertrauen in demokratische Institutionen zerstören, die Gesellschaft polarisieren und letztendlich spalten. Sicherheitsbehörden und Fachleute beobachten die Entwicklungen mit großer Sorge. Die Attacken gegen die Grünen mehrten sich auffällig, als für eine Weile das Kanzleramt in greifbarer Nähe schien. [...] Aus den Kommentaren wurden mithilfe künstlicher Intelligenz diejenigen 50.000 herausgefiltert, die potenziell strafbaren Hass beinhalten. Davon beziehen sich 174 auf die SPD, 265 auf die CDU und 1535 auf die Grünen. Die kleinste der drei Parteien bekommt also sechsmal so viel Hass ab wie die Volkspartei CDU und fast zehnmal so viel wie die Sozialdemokraten. Schaut man auf die Kandidatin und die Kandidaten fürs Kanzleramt, wird der Unterschied noch deutlicher. Hierfür wurden rund 75.000 Beiträge aus besagten Facebook-Gruppen ausgewertet. Da das Teilen die Reichweite am meisten erhöht und somit am aussagekräftigsten ist, wurde dann analysiert, bei welchen Shares die Kandidierenden erwähnt werden. Baerbock liegt mit mehr als 63.000 weit vorn, vor ihr sind nur noch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn. Unionskandidat Armin Laschet wird dagegen nur bei gut 21.000 Beiträgen erwähnt, für Olaf Scholz interessieren sich die extrem Rechten und Verschwörungsideologen noch weniger, er wird lediglich in etwas mehr als 4000 Shares benannt. [...] Von den 50 Facebook-Profilen, die am meisten Hass verbreiten, sind nach SPIEGEL-Recherchen mindestens zehn offenbar Fake, mit unklaren Hintermännern. Zu den echten Profilen zählen ein erfolgreicher Selbstheilungscoach, eine pensionierte Opernsängerin, eine Sozialberaterin. Fünf Accounts sind aus dem Milieu der AfD und Querdenker. Die Erhebung ergibt auch, dass sich der Hass seit Corona besonders stark Bahn bricht. Zwischen April 2020 und März 2021 hat sich die Anzahl der toxischen Kommentare mehr als verdoppelt. Besonders häufig geteilt wurden die verschwörungsideologisch geprägten »Nachdenkseiten« sowie das neurechte Blog »Tichys Einblick«, aber auch Links der »Bild«-Zeitung und Storchs »Freier Welt«. (Maik Baumgärtner/Roman Höfner/Max Hoppenstedt/Ann-Katrin Müller/Jonas Schaible/Wolf Wiedmann-Schmidt, SpiegelOnline)
Mich wundert keine Sekunde, dass die Grünen die größten Opfer von russischer Agitation sind. Sie sind schließlich aktuell die Partei, die den Interessen des Kremls am ablehnendsten gegenübersteht, vor allem, was die Ukraine und Nordstream 2 anbelangt. Wir haben bereits im Wahlkampf in den USA 2016 und auch Frankreich 2017 gesehen, dass die Russen bereit sind, diejenigen Kandidat*innen, die sie als ihren Interessen am ehesten entgegengesetzt sehen, anzugreifen und die jeweiligen Gegner*innen zu stärken.
Auch dass die "normalen" Hasspostings in den sozialen Medien sich einerseits auf die Grünen und andererseits auf die einzige Kandidatin konzentrieren, ist wenig überraschend. Die entsprechenden Milieus sind ohnehin eher rechts orientiert (die in Fundstück 2 bereits angesprochenen Tankies sind glücklicherweise eine kleine Minderheit) und der große Überlapp zwischen Pegida, AfD-nahen Gruppen, den Querdenkern etc., aus deren Milieu dieser Hass überwiegend stammt, macht diese Gegnerschaft auch nicht eben verwunderlich.
Dazu kommt, dass weder Laschet noch Scholz Personen sind, die aktuell sonderlich viel Hass auf sich ziehen könnten. Das galt natürlich 11 Jahre lang auch für Angela Merkel, bevor sie plötzlich für die Rechten zum absoluten Magneten ihres Hasses wurde; man sollte nicht annehmen, dass Langeweile davor schützte. Aber verwunderlich ist wirklich nichts an den erschreckenden Zahlen, die der Spiegel recherchiert hat.
4) FDP-Chef Lindner macht beim CO2-Preis einen Denkfehler
Doch das ist eine Milchmädchenrechnung oder, besser, eine SUV-Fahrer-Rechnung: Als Beweis von Wirtschaftskompetenz wird vor allem der „Markt“ ins Feld geführt. Doch Lindners Schlussfolgerung hat Denkfehler. Die CO2-Bepreisung ist nämlich gerade ein Instrument, um Marktgeschehen zu ermöglichen. Es handelt sich nicht um Mehrkosten, sondern um die Sichtbarmachung bereits anfallender Kosten. Die Kosten der klimaschädlichen CO2-Emissionen waren viele Jahre unbepreist und deswegen unsichtbar. Doch schon seit Jahrzehnten steigen die Folgekosten des Klimawandels. Wenn wir so weitermachen wie bisher, könnten sie in den kommenden Jahrzehnten in die Billionen gehen. [...] Wenn man das Budget schon 2030 aufgebraucht hat, mutet man den Menschen für die Jahre nach 2030 unzumutbare Lasten und – aufgemerkt, liebe FDP! – Freiheitsbeschneidungen zu. Damit Freiheit von heute nicht die Freiheiten von morgen kostet, ist es schlauer, die Kosten von morgen zu den Preisen von heute zu machen. [...] Wirklich freier Markt hieße: Wir berechnen Deutschlands Weltanteil am globalen CO2-Budget, welches bei einem „Weiter so“ in sieben Jahren aufgebraucht wäre. Da wir zu lange gezögert haben beim Klimaschutz, schmilzt das verfügbare CO2-Budget immer weiter ab. Damit wird CO2 marktwirtschaftlich schon heute eine Mangelware. Folge: Der Preis würde in die Höhe schießen. Und zwar sofort. [...] Wenn die FDP eine CO2-Preissteigerung verhindern will, widerspricht sie ihrem Markenkern doppelt: Statt freien Markt fordert sie einen Kostendeckel für fossile Energie, statt Freiheit beschert sie der nächsten Generation zwangsweise Einschränkungen. Lindners Taschenrechnerübung ist weder der Sorge um die bürgerliche Kleinfamilie geschuldet noch dem Mantra vom alles regelnden Markt. Die Liberalen zielen darauf, den Preis künstlich niedrig zu halten und so der eigenen Wählerschaft möglichst lange ihre Profite zu sichern, Klientelpolitik also. (Claudia Kemfert, Handelsblatt)
Ich komme immer wieder darauf zurück, aber wie sollte das jemals funktionieren? Wenn wir ein Cap einführen - und ich sehe nicht, wie das je passieren sollte - und Deutschland beim aktuellen Verbrauch 2030 seinen "Anteil" aufgebracht hat - was bei unserer aktuellen Debatte und Politik passieren wird - was genau soll dann passieren? Wird Deutschland dann zum 1.1.2031 kein CO2 mehr ausstoßen? Quatsch. Wir werden weitermachen, halt ohne CO2-Zertifikat. Wer sollte uns daran hindern? Wer glaubt, dass das so möglich ist, glaubt auch daran, dass der Vertrag von Maastricht die Fiskalpolitik der EU-Staaten verlässlich in Fesseln legt. Es sind ordoliberale Fantasien, die nichts mit der Realität zu tun hat und von denen zuerst gebrochen werden, die jetzt am lautesten ihre Einführung fordern, sobald sie sie selbst betreffen. Noch schlimmer sind dagegen Leute wie Österreichs Kanzler Kurz: Der stellt sich einfach hin und erklärt, dass wir nichts, aber auch gar nichts ändern müssen, um die Klimakrise zu bekämpfen. Stattdessen werden irgendwelche Technologien es richten. Na dann.
5) The Board Games That Ask You to Reenact Colonialism
In practice, that means the mechanics of “Puerto Rico” are centered around cultivation, exploitation, and plunder. Each turn, a player takes a role—the “settler,” the “builder,” the “trader,” the “craftsman,” the “captain,” and so on—and tries to slowly transform their tropical enclave into a tidy, 16th-century imperial settlement. Perhaps they uproot the wilds and replace them with tobacco pastures or corn acreage, or maybe they outfit the rocky reefs with fishing wharfs and harbors, in order to ship those goods back across the ocean. All of this is possible only with the help of a resource that the game calls “colonists,” —represented by small, brown discs in the game’s first edition, which was published by Rio Grande Games and is available in major retailers—who arrive by ship and are sent by players to work on their plantations. So that’s “Puerto Rico,” the game. In Puerto Rico, the real place, the Spanish empire started enslaving the indigenous Taíno people shortly after Columbus arrived on the island during his second voyage, in 1493. The first African slaves arrived in 1517. By 1560, the total population of captives numbered about 15,000, and in 1560, plantation holders started branding slaves’ foreheads with hot irons in order to adjudicate any potential kidnapping cases. It’s all a little uncanny when you set down a brown “colonist” marker, but the original instruction manual for “Puerto Rico” offers no commentary on the terror of human displacement that it echoes. The game’s animating principle—as much as it has one—is that this island was empty and dormant until the West arrived, bringing with it a golden age. And yet, “Puerto Rico” is still considered to be one of the greatest board games of all time. (Luke Winkie, The Atlantic)
Die Diskussion über den Kolonialismus in Brettspielen ist ziemlich überfällig. Das Motiv ist unglaublich beliebt. Der Grund dafür liegt im selben Prinzip das erklärt, warum so viele Videospiele sich damit befassen, eine Waffe auf etwas zu richten und abzudrücken: der Input bestimmt das Design. Die Verwendung von Tastatur und Maus beziehungsweise eines Controllers bei Videospielen fördert intuititv Designs, bei denen die Interaktion mit der Spielwelt durch Zielen erfolgt - wenig überraschend, dass da Waffen als häufigstes Problemlösungsmittel auftauchen.
Gleiches gilt bei Brettspielen. Hier wird üblicherweise, sofern wir nicht von primitiven Fortbewegungsspielen à la "Mensch ärgere dich nicht", "Monopoly" oder "Snakes and Ladders" sprechen, irgendetwas aufgebaut. Es existieren verschiedene Ressourcen, die miteinander kombiniert neue Ressourcen ergeben. Das kann man natürlich abstrakt machen, aber normalerweise werden die mit realen Ressourcen wie Holz, Lehm, Wolle, Getreide und Erz symbolisiert, die dann wiederum dem Bau von Infrastruktur dienen. Und da das Auge mitspielt und Spiele mehr Spaß machen, wenn sie eine auch noch so primitive Hintergrundgeschichte haben (denke: "Siedler von Catan"), drängt sich die Kolonialisierung scheinbar leerer Räume geradezu auf.
Nur waren diese Räume eben nicht leer. Diese Lüge haben die Kolonisierenden Nationen Jahrhunderte erzählt, und in ihrer Designstruktur reproduzieren die Brettspiele sie immer und immer wieder, weil die Spielmechanismen entweder gar nicht in der Lage sind, indigene Einwohner mit einzubeziehen (die werden ja von niemandem gespielt) oder das nicht wollen, weil "Puerto Rico" nicht der Familienspielhit wäre, der es ist, wenn man dort Sklaven unter Kontrolle halten müsste.
6) "Mehr Klimakrise zuzulassen, ist das Teuerste und Unsozialste"
Die Flutkatastrophe sei "nicht nur großes Unglück und dummer Zufall, sondern auch Konsequenz einer politischen Weigerung, wissenschaftliche Warnungen ernstzunehmen", meinte dann Luisa Neubauer. Die Aktivistin machte den Regierungen von Bund und Ländern scharfe Vorwürfe. Es sei "wahnsinnig zynisch und verlogen", jetzt zu sagen, man hilft den Leuten, um dann am Regierungstisch die gleiche Politik weiter zu betreiben. Das galt natürlich vor allem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Ihrer "Fridays for Future"-Bewegung werde von Politikern immer gesagt, man müsse vorsichtig sein beim Klimaschutz, weil er sich mit der Bewahrung des Wohlstands nicht vertrüge. Nun aber wurde durch Wassermassen "innerhalb von wenigen Stunden über Jahrzehnte erarbeiteter Wohlstand zerstört", lautete eines der besten ihrer scharf formulierten Argumente. (Christian Bartels, T-Online)
Das ist das mit Abstand beste Argument dieser ganzen Auseinandersetzung in meinen Augen. Ich bin nicht Politikexperte genug um abschätzen zu können, wie erfolgreich es hinsichtlich des politischen Marketings sein kann, aber zumindest für mich ist intuitiv überzeugend, vor allem angesichts der Schäden durch die Flutkatastrophe, dass Nicht-Handeln wesentlich teurer ist als Handeln. Dass damit Schwarze-Null-Fans nicht überzeugt werden können ist klar, aber die lassen sich wie alle Fundamentalisten auch von gar nichts überzeugen.
7) China könnte die Welt ins Chaos stürzen
Letztlich lässt sich die Kriegsgefahr schwer einschätzen, dafür ist China unter Xi zu unberechenbar. Viel wird davon abhängen, wie viel Selbstvertrauen die chinesische Führung in die eigene Stärke hat. Rhetorisch läuft der chinesische Präsident allerdings immer weiter in eine Sackgasse. Zu oft wird die notfalls gewaltsame Wiedervereinigung zur entscheidenden Frage erklärt, so dass ein Rückzieher nur mit einem großen Gesichtsverlust möglich wäre. Außerdem könnte die chinesische Führung einen Krieg nutzen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Das hat China mit anderen Autokratien gemein. Eine entscheidende Frage wird sein, wie teuer ein Krieg für Peking wäre. Dabei spielt auch die internationale Gemeinschaft eine Rolle. Wenn die Verteidigung der demokratischen Idee ernst genommen wird, könnten viele EU-Staaten und auch die USA Taiwan aus der diplomatischen Isolation befreien. Denn das kleine Land verkörpert die Ideale der politischen Mitbestimmung der Bevölkerung, der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit. Einen mutigen Schritt ging in der vergangenen Woche Litauen: Taiwan durfte dort eine diplomatische Vertretung eröffnen. Damit geht das EU-Mitglied auf Konfrontationskurs zu China, Peking bezeichnete die Ankündigung als "Farce" und erinnerte an das Ein-China-Prinzip. Die Konfrontation mit China auf ideologischer Ebene erscheint für den demokratischen Westen unausweichlich. Die Regierungen in Europa und Nordamerika müssen sich entscheiden, zu wie vielen wirtschaftlichen Zugeständnissen sie in diesem Konflikt bereit sind. Nicht nur zur Verteidigung von Taiwan, sondern auch im Ringen für eine demokratische Weltordnung. Die Taiwan-Frage ist lediglich ein Brennglas eines viel größeren Kampfes. (Patrick Dieckmann, T-Online)
Es ist wirklich bedauerlich, dass sich alle Hoffnungen auf eine Liberalisierung Chinas durch die Einbindung in die weltweite Marktwirtschaft zerschlagen haben, wie sie noch in den 2000er Jahren vorgeherrscht haben. Inzwischen ist das Land unübersehbar ein aggressiver Rivale um Vorherrschaft, ein systemischer Konkurrent. Dieser Wettkampf beschränkt sich auch nicht auf die Wirtschaft und Technik. Anders als die Sowjetunion hat China in seiner Herausforderung Hollywoods und der massiven Beeinflussung der Unterhaltungsbranche sogar Aussichten, den Kulturkampf mit den USA zu gewinnen.
Ob China tatsächlich Krieg über Taiwan riskieren würde (oder Nepal), kann ich nicht beurteilen. Möglich ist es durchaus. Der einzige Silberstreif am Horizont diesbezüglich ist, dass es anders als im Kalten Krieg hinreichend Szenarien eines bewaffneten Konflikts zwischen der Volksrepublik und den USA gibt, die nicht in einem nuklearen Höllenfeuer enden. Das allerdings ist nur ein kleiner Trost. Die Aussichten in der Sicherheitspolitik sind für die nächste Dekade alles andere als rosig.
"The admissions in your letter corroborate and explain numerous credible accounts by individuals and firms that they had contacted the FBI with information 'highly relevant to ... allegations' of sexual misconduct by Justice Kavanaugh, only to be ignored," Whitehouse and Coons wrote in a Thursday response, signed by five other senators. "Your letter confirms that the FBI's tip line was a departure from past practice and that the FBI was politically constrained by the Trump White House," they added earlier, on Wednesday. The lawmakers called on the FBI to answer a "range of outstanding questions" regarding the tip line and "the relevant information it yielded." The Trump administration reportedly "carefully controlled" the inquiry into Kavanaugh's confirmation, writes the Times. Although it later allowed the FBI to "conduct a more open investigation," the White House initially tried to limit the number of people the agency could interview. Read more at The New York Times. (Brigid Kennedy, The Week)
Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen bei Kavanaugh. Wie viele damals für ihn in die Bresche gesprungen sind, weil über 20 Frauen, die ihm sexuelle Belästigung vorwerfen, und seine unglaubwürdigen Verteidigungen dazu ja nicht ausgereicht haben, um ihn als ungeeignet erscheinen zu lassen. Dass die Trump-Administration in einem solchen Ausmaß eingriff zeigt einmal mehr ihre Gesetzlosigkeit - und dass sich die gemäßigten Rechten am Nasenring durch die Manege führen und für widerwärtige Menschen wie Kavanaugh instrumentalisieren ließen.
9) Merkel: Germany has not done enough to hit Paris climate targets
The 67-year-old nonetheless conceded that “what has been achieved is not sufficient” when measured against the Paris agreement’s target to limit global warming to well below 2C, preferably to 1.5C, compared with pre-industrial levels. Not just Germany, but the whole world had failed to meet its targets, she said. [...] “I am equipped with sufficient sense for science to see that objective circumstances demand that we can’t continue at the current pace but have to up the tempo,” Merkel said. While Germany alone could not change the world climate, she argued, “the manner in which we do it can set an example that others follow”. Merkel, who was environment minister under Chancellor Helmut Kohl from 1994 to 1998, said the fight for joint global steps towards more efficient climate protection had “shaped my entire political work”. She defended her government’s 2011 decision to phase out nuclear power by 2022, which critics say has made the country more reliant on coal power. “For Germany, the die has been cast,” she said. “I don’t see a government of the future changing anything in that respect.” (Philipp Oltermann, The Guardian)
"Germany has not done enough", als ob Merkel nicht für 16 Jahre selbst Regierungschefin gewesen wäre. Es ist unglaublich wie sie es seit 16 Jahren schafft, sich selbst von dem Land, das sie regiert, abzusetzen und in der Lage ist, einen Aufruf an sich selbst zu starten, mehr zu tun. Es ist eine völlige Diffusion von Verantwortung, und aus unerfindlichen Gründen funktioniert es ein ums andere Mal.
10) The Real Source of America’s Rising Rage
So far there are a few things we can say with some confidence: Collectively, we are no more conspiracy-minded today than we have been in the past. Social media makes it harder to ignore this aspect of American society, and may have even accelerated it, but there’s little evidence that social media is the main driver. In general, people are about as satisfied with their jobs and their lives as they have been in the past. Adjusted for inflation, incomes of the working and middle classes haven’t gone up a lot over the past few decades, but they have gone up. This is true for all racial groups and all income groups. Quite a few social trends have gotten steadily better over the past three decades. Nonetheless, there are a few things that have notably changed for the worse. From a political standpoint, the critical one is trust in government. As we all know, trust in government plummeted during the ’60s and ’70s thanks to Vietnam and Watergate, and then flattened out for the next few decades. [...] To find an answer, then, we need to look for things that (a) are politically salient and (b) have changed dramatically over the past two to three decades. The most obvious one is Fox News. [...] A more recent study estimates that Fox News produced a Republican increase of 3.59 points in the 2004 share of the two-party presidential vote and 6.34 points in 2008. That’s impact. [...] For the past 20 years the fight between liberals and conservatives has been razor close, with neither side making more than minor and temporary progress in what’s been essentially trench warfare. We can only break free of this by staying clear-eyed about what really sustains this war. It is Fox News that has torched the American political system over the past two decades, and it is Fox News that we have to continue to fight. (Kevin Drum, Mother Jones)
Ich empfehle die komplette Lektüre dieses langen und ausführlichen Artikels, einerseits wegen Drums Widerlegung beliebter Narrative zur Quelle der tiefen Polarisierung - Internet und Verschwörungstheorien - und andererseits wegen seines wohl begründeten Fokus' auf die rechte Hetzpresse. Wir haben ein ähnliches Phänomen ja auch in Großbritannien. Auch hier gibt es eine ziemlich aggressive Rechts-Presse, und auch hier haben wir es mit Spaltung, Populismus und so weiter zu tun. Deutschland dagegen, in dem ein vergleichsweise objektiver öffentlich-rechtlicher Rundfunk immer noch dominant ist, hat dieses Problem nicht. Gerade deswegen ist es so gefährlich, dessen Legitimität zu untergraben.
11) Die Pandemie als Ausrede für leere Supermarktregale
Aber es ist nicht nur die Pingdemic, die in Großbritannien – trotz Öffnung – die Wirtschaft bremst, während das Wachstum in der EU wieder anzieht. Lieferengpässe gibt es bereits seit Beginn des Jahres. Und vieles von dem, was jetzt auf die neuerliche Infektionswelle geschoben wird, ist tatsächlich eine Folge des Brexits. Etwa der schmerzende Personalmangel: In zahlreichen Branchen fehlen die kontinentaleuropäischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sonst im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Landwirtschaft, der Fleischindustrie, den Schlachthöfen, den Lagerhäusern und Geschäften tätig waren. Während der Pandemie sind viele in ihre Heimat zurückgekehrt und kommen nun nicht wieder. Auch weil sie nach dem neuen Einwanderungsgesetz kein Visum mehr erhalten: Viele erfüllen die Qualifikationsstandards oder Einkommensanforderungen nicht. Solange die Restaurants geschlossen waren und große Teile der Wirtschaft im Lockdown auf Sparflamme liefen, fiel der Mangel an Arbeitskräften nicht so ins Gewicht. Jetzt ist er überall zu sehen. [...] Viele Unternehmen, die früher nach Großbritannien lieferten, haben sich mittlerweile zurückgezogen oder decken nur noch eine eingeschränkte Produktpalette ab. Der Grund: Es lohnt sich nicht. Die EU-Firmen müssen Rechnungen mit Zolltarifnummern für jedes einzelne Produkt im Laderaum vorbereiten. Das ist für viele Unternehmen zu viel Arbeit, zumal ihre bestehende Software oft auch gar nicht darauf ausgelegt ist. [...] Viele europäische Unternehmen wollen da nicht mitziehen; und britische Importeure streichen die Produktvielfalt für die Einfuhr zusammen. Die Corona-Lage ist also nicht die Ursache dafür, dass die Menschen vor leeren Regalen stehen. (Bettina Schulz, ZEIT)
Der Brexit kommt genau so, wie es die Kritiker*innen von Anfang an vorhergesagt hatten. Chaos, hohe Opportunitätskosten, Vernichtung von Werten. Wie hätte es auch anders sein sollen, wenn eine globalisierte, verflochtene Wirtschaft ohne Vorbereitung (trotz vier Jahre Vorbereitungszeit, ein Hurra auf populistische Regierungen und ihre generelle Inkompetenz) aus einem seit fünf Jahrzehnten bestehenden, zutiefst komplexen integrierten System herausgerissen wird?
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