Montag, 23. Oktober 2023

Rezension: Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future (Teil 1)

 

Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future (Kim Stanley Robinson - Das Ministerium für die Zukunft) (Hörbuch)

Der Klimawandel eignet sich nur eingeschränkt für spannende Geschichten. Er vollzieht sich über einen langen Zeitraum, lässt sich von einzelnen heldenhaften Akteuren nicht effektiv bekämpfen und kennt keine leicht personalisierbaren Antagonisten. Entsprechend muss der Versuch, eine Geschichte über den Klimawandel und seine Bekämpfung zu schreiben, eine umfassende, Institutionelle und mosaikartige Erzählung darstellen. Genau eine solche hat Kim Stanley Robinson mit seinem Buch „The Ministry for the Future“ vorgelegt. Über einen Zeitraum von über zwei Jahrzehnten erzählt es eine mögliche Zukunft, deren Absprungpunkt im Jahr 2024 liegt. Bei der jährlichen Sitzung des COP, der Versammlung aller Nationen, die die Pariser Klimaverträge von 2014 unterschrieben haben, wird angesichts des mangelnden Fortschritts eine neue internationale Institution geschaffen, die den Spitznamen „Ministerium für die Zukunft“ erhält und von der ehemaligen irischen Diplomatin Mary Murphy geleitet wird. Auf diesem Ministerium und der Person Mary liegt der Fokus der Erzählung, sofern diese überhaupt so etwas wie einen Fokus hat.

Der Roman öffnet in Indien, mit dem Entwicklungshelfer Frank, der zusammen mit der Bevölkerung in einer nie dagewesenen Hitzewelle gefangen ist. Über mehrere Tage geht langsam das Wasser zur Neige und der Strom fällt aus, so dass die Klimaanlagen nicht mehr laufen. Die Menschen sterben in ihren Wohnungen ebenso wie auf den Straßen. Am Ende überlebt Frank nur durch eine Laune des Schicksals, indem er komplett in einem See untergetaucht und nur mit dem Gesicht an der Wasseroberfläche die Hitze übersteht - Zufall deswegen, weil praktisch niemand anderes dies überlebt hat. Rund 20 Millionen Inder*innen fallen dieser Hitzewelle zum Opfer.

Diese gigantische humanitäre Katastrophe erzeugt einen großen Handlungsdruck in Indien. Eine Terrororganisation, die sich die „Kinder Khalis“ nennt, nimmt ihre Tätigkeit auf. Sie wird im späteren Romanverlauf noch eine größere Rolle spielen; an dieser Stelle hören wir vor allem ihr Gründungsmanifest. Die Wut Indiens hat auf der Weltbühne erst einmal nur wenig Widerhall. Innerhalb des Landes allerdings stößt sie Veränderungen an, die sich noch als bedeutsam erweisen werden.

Der erste ist der Entschluss der indischen Regierung, durch das Versprühen von Chemikalien in der Stratosphäre Geo-Engineering zu betreiben: in Hunderten von Flügen wird eine Chemikalie ausgebracht, die einen Bruchteil des Sonnenlichts reflektiert und so eine Abkühlung erwirken soll. International wird diese Maßnahme wegen ihrer unabsehbaren Konsequenzen und globalen Auswirkungen scharf kritisiert, doch Indien akzeptiert die Sanktionen und führt die Operation trotzdem durch. Tatsächlich verhindert dies in den nächsten Jahren eine weitere Hitzewelle und scheint keine dramatischen Konsequenzen zu haben. Die Drohung, die Operation jederzeit zu wiederholen, wird zum Standardrepertoire indischer Außenpolitik.

Robinson beschreibt hierbei auch die Konturen der politischen Debatte, in denen Indien sich auf seine koloniale Vergangenheit beruft und auf dieser Grundlage jegliche Einmischung der westlichen Mächte ablehnt, die es für den Klimawandel verantwortlich macht. Zwar wird ihm diese Debatte der Heuchelei Indiens, dem es wahrlich nicht an Kohlekraftwerken mangelt, durchaus Raum gegeben; es bleibt aber offensichtlich, dass das Land hier einen Punkt hat. Das moralische Dilemma, einerseits global wirksames Geoengineering auf nationaler Ebene zu betreiben, andererseits aber zu versuchen die eigene Bevölkerung zu beschützen, weist bereits auf viele weitere solche Fragestellungen im Verlauf des Romanes hin.

Die Romanhandlung kehrt nun zu Frank zurück, der durch seine Erlebnisse schwer traumatisiert ist und versucht, den Kindern Khalis beizutreten, die ihn allerdings nicht haben wollen. Solcherart zurückgewiesen, versucht er durch Arbeit in Kühlhäusern und zuletzt sogar in der Antarktis sein Trauma zu bekämpfen, scheitert aber damit genauso wie mit psychiatrischer Behandlung. Schließlich verschlägt es ihn in die Schweiz, wo auch das Ministerium für die Zukunft in Zürich seinen Sitz hat. In einem zufälligen Zusammenstoß mit einigen jungen reichen Klimasündern tötet er aus Versehen einen von ihnen im Streit. Ein moralisches Problem hat er damit nicht.

Im Ministerium indessen werden wir Zeugen einer Besprechung unter den führenden Politiker*innen: das Ministerium hat natürlich nur ein sehr kleines Budget, so dass die Frage, wie man dieses am effektivsten einsetzen kann, eine entscheidende darstellt. Letztlich dreht sich die Debatte über den Bau und die Förderung von Infrastruktur auf der einen Seite oder den Versuch, die Gesetzgebung zu beeinflussen, auf der anderen Seite. Robinson und das Ministerium vertreten letztlich klar die Position, dass die wahre Macht immer bei der Legislative liegt und die rule of law letztlich über allem steht. Der erfolgversprechendste Ansatz ist daher, die Parlamente zu beeinflussen. In einem der vielen Exkurse, die in Art eines dialektischen Lerngesprächs geschrieben sind, ohne dass dessen Teilnehmende namentlich benannt wären und die sich anfühlen, als wären die Lesenden selbst Teil davon, untersuchte Robinson einige Ursachen für die Probleme, die aktuell vernünftige Gesetzgebung verhindern. Seine Antwort besteht in der großen Ungleichheit, die vor allem anhand des Gini-Koeffizienten deutlich gemacht wird. Die daraus zu ziehende Konsequenzen werden mit einer gewissen Ironie „as an exercice to the reader“ überlassen, ein Distanzierungsinstrument, das der Autor im Verlauf der Romanhandlungen immer wieder benutzen wird und das seine eigene Sicht auf die Dinge trotzdem keine Sekunde in Zweifel lässt, selbst wenn man nie ein Interview mit ihm gelesen hat.

Die Handlung kehrt nun zu Frank zurück, dessen Pfad sich erstmals mit dem Marys kreuzt. Er entführt sie und zwingt sie in einem Gespräch zu der Einsicht, dass sowohl sie als auch das Ministerium zu wenig tun. Auf ihre Frage, was sie mit Ihren beschränkten Mitteln denn noch mehr tun solle, erklärt er rundheraus, dass dies letztlich eine feige Verweigerungshaltung sei. Das Ministerium brauche eine Art „black wing“, der wie staatliche Geheimdienste Attentate und Sabotageakte vollführt. Mary ist von dieser Idee völlig geschockt und lehnen sie sofort instinktiv ab. Frank flüchtet schließlich und lässt Mary allein mit ihren Gedanken zurück, die mit ihrem Stabschef über genau diese Thematik spricht. Dabei stellt sich heraus, dass das Ministerium bereits eine solche Unterorganisation besitzt, von der Mary nichts weiß, damit im Falle eines Skandals das Ministerium und seine Spitze glaubhaft Unkenntnis versichern können. Was für Operationen diese geheime Flügel durchführt, bleibt allerdings unklar - was sich im gesamten Romanverlauf nicht ändern wird.

Die Schweiz wird indessen wie viele andere Länder der westlichen Welt von Klimaflüchtlingen geradezu überflutet. In seinem unkoordinierten Bestreben, irgendetwas zu tun, das ihn von der Antarktis zu dem Totschlag über Marys Entführung gebracht hat, beginnt Frank eine Beziehung mit einer Flüchtlingsfrau und ihren beiden Kindern und verschafft ihnen so ein besseres Leben. Diese Beziehung ist allerdings nicht von langer Dauer, zu volatil ist der traumatisierte Frank. Die Flüchtlinge indessen leben in Lagern ohne eine Zukunftsperspektive. Da sie in der Schweiz leben, bei einem rechtsstaatlichen Land, geht es ihnen materiell soweit gut, weil sie nicht existenziell gefährdet sind. Ein beneidenswerter Zustand allerdings ist ihr Dasein sicherlich nicht.

Damit wendet Robinson den Blick wieder zurück nach Indien. Das Land hat in den letzten Jahren eine eigene Methode entwickelt, mit dem Klimawandel umzugehen. Diese Methode beruht auf insgesamt drei Faktoren: einerseits die Lage Indiens, dessen Sonnenreichtum er ist zu einem prädestinierten Ort für einen möglichst schnellen Wandel hinzu Solarenergie macht, andererseits die Landwirtschaft, die wesentlich auf lokale Gegebenheiten, eine größere Diversität der angebauten Fruchtsorten und dadurch höhere Resilienz setzt sowie als letzten Faktor die Demographie des Landes, die durch die vielen Menschen die höhere Ineffizienz dieses Systems mit seinem wesentlich gestiegenen Arbeitskräftebedarf stemmen kann. Die relative Armut Indiens macht eine gestiegene Beschäftigung Millionen von Menschen im Landwirtschaftssektor zudem wesentlich unproblematischer, als dies in „höher entwickelten“ Ländern der Fall wäre.

Geoengineering indessen ist nicht auf Indien beschränkt. In der Antarktis versuchen diverse Forschungsgruppen, den rapiden Anstieg des Meeresspiegels dadurch aufzuhalten, das in irgendeiner Art und Weise das Abschmelzen der Gletscher verhindert wird. Der erfolgversprechendste Ansatz scheint zu sein, das durch die Klimaerwärmung stark angestiegene Wasser unter den Gletschern abzupumpen und dadurch deren Abrutschen ins Meer wieder auf sein natürliches Niveau zu verlangsamen. Dafür gibt es jedoch keine Mittel. Stattdessen werden fantastische Pläne diskutiert, vor allem von irgendwelchen Milliardären, die sich um das Abpumpen von Wasser aus dem Meer und das Verteilen über das Eis der Antarktis drehen. Dies ist bereits theoretisch so gut wie unmöglich, was gleichwohl niemanden davon abhält, diese fantastischen Pläne zu verfolgen, die wesentlich spannender klingen als das Verlangsamen von Gletschern. Die Arktis indessen schmilzt zum ersten Mal komplett ab und regeneriert sich durch einen Teufelskreis aus weiterer Erwärmung des Nordatlantiks auch nicht mehr – „a feedback loop with teeth“, wie Robinson das ausdrückt.

An dieser Stelle folgt die nächste Serie von Exkursen. Robinson erklärt die neoliberale Wirtschaftsordnung und den großen Einfluss der Reichen. Bei allen Erklärungen zur grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen haben sie offenkundig wesentlich mehr macht als der Großteil der Menschheit. Daraus resultiert für ihn die Notwendigkeit, ökonomische Anreize zu ändern. Der zukünftige Generationen in wirtschaftlichen Überlegungen praktisch keine Rolle spielen („going short on the future“), ist es notwendig, zukünftige Kosten greifbar zu machen und gleichzeitig eine Art Abschlusspunkt zu schaffen, damit Handlungsfähigkeit überhaupt gewahrt bleibt und nicht vor der immensen, uneinsehbaren Zukunft verloren geht. Er erklärt dies anhand eines Abschlags, der dazu führen müsse, dass eine Wette auf die Zukunft („going long on the future“) sich lohnen müsse. Diese Idee wird im späteren Romanverlauf für die Aktionen Marys noch zentral werden.

Ein weiterer Exkurs beschäftigt sich mit der Idee der Effizienz: diese ist eine Grundprämisse der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, sei aber nicht so selbstverständlich, wie dies oft erscheint. Robinson unterscheidet zwischen guter und schlechter Effizienz (so wie im Umkehrschluss guter und schlechter Ineffizienz). Dazu gehört auch das Paradox, dass größere Effizienz zu mehr Nutzung führt (neue Autobahnen mildern den Verkehrsstau nicht, effizientere Motoren senken nicht den Benzinverbrauch, etc.). Er sieht die Notwendigkeit, in bestimmten Sektoren weniger Effizienz zuzulassen, um so mehr Nachhaltigkeit zu erreichen und die Neigung des kapitalistischen Systems zur Selbstzerstörung einzuhegen. Dies geht nicht komplett in die Richtung von Degrowth, ist aber zumindest benachbart.

Weltweit nehmen indessen Katastrophen weiter zu. Langanhaltende Dürren und dazu ein Erdbeben machen exemplarisch klar, wie wichtig und gleichzeitig selbstverständlich die Gesellschaft ist: für Robinson ist dies eine weitere Zurückweisung neoliberaler Mantras, allen voran natürlich der plakativen Widerlegung von Margaret Thatchers „ there is no such thing as society“, das er in lyrischer Überhöhung durch die Opfer der Katastrophe in der dritten Welt ausstoßen lässt. Stattdessen bestätigt sich einmal mehr, dass die Menschen im Angesicht der Katastrophe zusammenrücken und sich gegenseitig helfen. Wir sind eine gemeinschaftliche Spezies, die, so die Moral dieser spezifischen Geschichte, sich nur lange Zeit eingeredet hat, aus egoistisch handelnden Individuen zu bestehen.

In der eigentlichen Handlung indessen wird die Welt durch eine Reihe koordinierter Terrorangriffe erschüttert: mit Schwärmen von Drohnen werden Flugzeuge zum Absturz gebracht, in denen ausschließlich oder vorrangig Geschäftsreisende untergebracht sind. Gleichzeitig werden mit ebenfalls Drohnen betriebenen Torpedos Containerschiffe versenkt. Als sich diese Anschläge in den folgenden Tagen und Wochen wiederholen, bricht der weltweite Verkehr ein und sorgt für einen tiefen Wirtschaftscrash. Der Tag der Anschläge ist von nun an als Crashday bekannt.

Im Ministerium für die Zukunft werden derweil zum ersten Mal Alternativen zum Wirtschaftssystem debattiert. Der erste Pfeiler hierfür ist der Anstieg an Leistungskraft von Künstlicher Intelligenz, die das alte Dilemma der sozialistischen Planwirtschaften, nicht und vor allem nicht rechtzeitig über die nötigen Datenmengen zu verfügen und diese auswerten zu können, potenziell lösen könnte. Da die „Tragik der Allmende“ ohnehin nicht existiert und ein Mythos ist, sind kommunale Reformen der Bewirtschaftung grundsätzlich denkbar. Vorerst allerdings bleibt das alles reines Gedankenspiel. Dasselbe gilt für die Überlegungen eines neuen sozialen Netzwerks, dass die Marktmacht der bestehenden soziale Netzwerke ersetzen könnte. Grundsätzlich soll ein solches Netzwerk Open Source und von den Nutzen selbst besessen und verwaltet werden, während die Daten durch Blockchain gesichert und im alleinigen Besitz der Nutzenden sind, so dass diese sie auf dem globalen Markt verkaufen können.

Die letzte systemische Idee ist die radikalste: ebenfalls durch Blockchain unterfüttert soll eine neue weltweite Reservewährung auf Basis des Einsparens von CO2 geschaffen werden. Diese Idee ist auch die erste, die Mary umzusetzen versucht, indem sie bei den Zentralbanken vorspricht. Diese lehnen sie allerdings rundheraus ab: die Idee, Quantitative Easing zur Rettung des Klimas anstatt zur Rettung der Banken zu betreiben, ist für sie systemwidrig und entspricht nicht dem Auftrag der Zentralbanken, gegen den zu verstoßen für sie unvorstellbar ist - obwohl sie, dies eine zentrale These Robinsons, so etwas wie die Weltregierung darstellen.

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