Montag, 30. Oktober 2023

Rezension: Sascha Lobo - Die große Vertrauenskrise. Ein Bewältigungskompass (Teil 1)

 

Sascha Lobo - Die große Vertrauenskrise. Ein Bewältigungskompass (Hörbuch)

Vertrauen ist ein hohes Gut. Ohne Vertrauen in das politische System hat die Demokratie ein Problem. Und das Vertrauen war noch nie so niedrig, ob in die gewählten Politiker*innen, die Parteien, die Behörden, die Medien, die Wirtschaft - die Vertrauenskrise ist, das bestätigt Umfrage um Umfrage, allumfassend und hat keine Autorität unberührt gelassen. Sascha Lobo hat sich die Frage gestellt, wo und wie das Vertrauen verloren ging, warum das so ist und was man dagegen tun kann. Und weil Dinge zu fragen eine gute Sache ist, darüber ein Buch zu schreiben aber noch eine bessere, hat er genau das gemacht. Und ich rezensiere es hier. Und hoffe, dass niemand merkt, dass ich Selbstverständlichkeiten ausspreche um meine fehlenden Ideen für eine schmissige Einleitung zu kaschieren und darüber, notabene, das Vertrauen in dieses Blog verliert, so es je existiert hat. Womit wir endlich beim Thema wären.

Abschnitt 1, "Die Implosion des Vertrauens", beginnt mit Lobos zentraler These der großen Vertrauenskrise: etwas sei zerbrochen. Er versucht in diesem Abschnitt, das Phänomen zu erfassen.

Kapitel 1, "Altes Vertrauen, neues Vertrauen - wenn sich mit der Welt auch die Gefühle ändern", untersucht die deutsche Vertrauenskrise anhand dreier Ereignisse um die Jahrtausendwende, wo Lobo ungefähr den Beginn der Vertrauenskrise ausmacht. Der Beginn des 21. Jahrhundert bot mit 9/11, dem Desaster der Telekomaktie und dem Kohl'schen Schwarzgeldskandal gleich drei Ereignisse, die das Vertrauen in die Sicherheit, die Wirtschaft und Medien sowie die Politik erschüttert hätten.

Natürlich gab es auch früher schon Korruptionsskandale in der Politik, gab es wirtschaftliche Fehlstarts und Terrorismus. Aber um die Jahrtausendwende kam ein Faktor hinzu, der für Lobos Gedanken einen Roten Faden darstellt: der Aufstieg des Internets, der für einen grundlegenden Wandel im Vertrauen gesorgt habe. Er unterscheidet konkret altes und neues Vertrauen; das alte, in der vordigitalen Zeit entwickelte und ein neues, das sich gerade erst in der Formung befindet. Verschwörungsglauben und Internet sorgten für ein Zusammenbrechen des alten Vertrauens.

In Kapitel 2, "Das Transparenzdiktat - Vom Ende des Herrschaftswissens", geht er weiter ins Detail. Anhand der Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP, die scheiterten und unter Trump endgültig begraben wurden, erklärt er das Konzept von "Herrschaftswissen", also dem Wissen, das staatliche Organe geheimhalten oder zumindest nicht offen teilen (eng verwandt damit ist das deutsche "Amtsgeheimnis", das jeden noch so mundänen Vorgang vor seinen Bürger*innen versteckt). Dieses Konzept habe zwar lange funktioniert - im alten Vertrauen -, im neuen Vertrauen allerdings trage es zentral zur Vertrauenskrise bei.

Dies liege am "Transparenzdiktat", also dem Verlangen der Öffentlichkeit, sämtliche Vorgänge offenzulegen, auch wo dies, wie bei Freihandelsabkommensverhandlungen, nicht sonderlich zielführend ist. Die Abwesenheit von vollständiger Transparenz wird bereits mit Misstrauen begleitet und als Defizit begriffen. Der Vertrauensverlust in die Politik werde durch den "Machbarkeitszwang" komplimentiert, also die Forderung seitens der Öffentlichkeit, dass grundsätzlich alles von der Politik geregelt werden können müsse. Dieser uneinlösbare Anspruch und die Offensichtlichkeit seines Scheiterns durch das Transparenzdiktat gingen eine unheilige Allianz ein.

Dabei lösten sich, wie Kapitel 3, "Rechts-Links-Schwäche  - Wie die Globalisierung und Digitalisierung politische Einstellungen prägen", darlegt, auch die alten politischen Orientierungen auf. In den großen Fällen der Vertrauenskrise zeigt sich ein Überlappen von rechten und linken Einstellungen, die die alte politische Achse immer weniger zielführend mache (markant am Phänomen Wagenknecht oder der Imfpgegnerschaft illustriert, die auch nicht zufällig überlappen). Diese neue Anti-Vertrauens-Allianz hänge mit der stark gestiegenen Geschwindigkeit von Veränderungen zusammen, die als belastend empfunden wird und gegen die man sich unabhängig von diesen Koordinaten zur Wehr setzt. Auf diese Art entstand ein gewaltiger Vertrauensverlust in den Staat im rechten politischen Spektrum, der das alte Misstrauen der Linken ablöste (ohne gleichzeitig auf der Linken zu einem komplementären Vertrauensgewinn zu führen).

Der Grund für diesen rapiden Vertrauensverlust von Rechts sieht Lobo im Erbe der 68er: Der "Marsch durch die Institutionen" sei erfolgreich gewesen, nicht nur indem er Figuren wie Otto Schily und Joschka Fischer an die Regierung brachte, sondern auch, indem er das vorher nur rhetorische Versprechen des Staates, für Gleichberechtigung und Minderheitenschutz zu sorgen, einlöste. Dieser Erfolg, den er als "Entbigottisierung der Konservativen" bezeichnet, habe dazu geführt, dass der Staat zum Schützer der Individualrechte wurde, und das eben nicht nur rhetorisch für die Mehrheitsgesellschaft. Die radikale Rechte sei nun nicht mehr als "ungezogene Verwandte" gesehen worden, sondern habe nicht mehr ins nun entbigottisierte konservative Spektrum gepasst. Stattdessen zeigten sich Menschenverachtung und Hass offen; diese Gruppen wanderten in das neu entstehende rechtsradikale Milieu ab.

Gleichzeitig sei die Politik immer globaler geworden (Angela Merkel war als Kanzlerin etwa zehnmal häufiger im Ausland als Helmut Kohl!), was zu einer Entfremdung von den Alltagssorgen der breiten Bevölkerung ("Raumschiff Berlin", wie man so schön sagt) und einem Effekt der Abgehobenheit, der Entfernung und des gegenseitigen Unverständnis' geführt habe, der wiederum partei- und ideologieunabhängig war und deswegen das Misstrauen sowohl auf der Rechten wie der Linken befeuerte. Zudem scheine Lobbyismus dank der deutlich gestiegenen Transparenz wesentlich häufiger zu sein und werde medial viel öfter thematisiert, obwohl eher das Gegenteil der Fall ist; der entstehende Eindruck allerdings trage wesentlich zum Vertrauensverlust bei.

Natürlich gehören dazu, wie Kapitel 4, "Sind die Medien schuld? Wer die Wahrheit sucht", beschreibt, die Medien genauso wie Politik ins Boot. Ich erwähnte bereits beiläufig den Medien-Politik-Komplex "Berlin-Mitte", der ein Paradebeispiel des Sandwichproblem der Politik darstellt, weil der Eindruck von Abgehobenheit und Themenferne entstehe.

Angesichts der nunmehr offenen Bedrohung durch Rechts (Stichwort Entbigottisierung) kommen die Medien zudem in die Verlegenheit, die Rolle der Verteidiger der Demokratie ausfüllen zu müssen - was kein Problem sei, genau das sollten sie in einer Demokratie auch! - , aber allzu oft in eine Verteidigung der Person Angela Merkels abgerutscht sei, was wiederum wegen des Gefühls der Verschmelzung von Politik und Medien die Vertrauenskrise befeuert habe.

Zudem erschlage die Masse der Nachrichten die Menschen. Dank Handys und 24/7-Newscycle seien wir beständigen Nachrichten ausgesetzt, die zur Aufmerksamkeitsgenerierung auch noch mit großer Dringlichkeit daherkommen. Daraus entstehe eine Gefühl der Dauerkrise und ein Effekt des "blaming the messenger", in dem die Medien vage verantwortlich für die als krisenhaft empfundene Weltlage gemacht würden. Dabei unterlägen sie ebenfalls dem Transparenzdiktat, dem sie im Großen und Ganzen auch nachkämen - nicht, dass dies gouttiert würde, denn obwohl etwa der Spiegel den Relotius-Skandal mustergültig aufgearbeitet habe, ändere dies nichts daran, dass er von dem Magazin beständig vorgewürfen werde. Dass unzweifelhafte wirtschaftliche Interessen bestünden, die Artikel als Clickbait ausstaffierten um Aufmerksamkeit zu generieren und diese zu verkaufen, sieht Lobo als weiteren Faktor für den Vertrauensverlust in Medien.

Der letzte Faktor sei in der mangelnden Diversität der Redaktionen und besonders der Chefredaktionen zu suchen, die eine Verengung des Blickwinkels und damit das Entstehen einer soziokulturellen Blase zur Folge hätten. Ostdeutsche, Arme, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Frauen und Minderheiten blieben weiterhin unterrepräsentiert, was in manchen dieser Gruppen einen Vertrauensverlust zur Folge habe.

Inzwischen machen den Medien, wie Kapitel 5, "Emotionen über alles - Soziale Medien und Engagement", zeigt, zudem die Sozialen Medien Konkurrenz. In den Sozialen Netzwerken blühen die Fake News, die durch die Algorithmen wegen ihres hohen Engagements belohnt werden und wirtschaftlich besonders ertragreich seien. Generell belohnten die Algorithmen Hetze aller Art, die zudem durch mangelnde Moderierung besonders ausbreitungsfähig sei. Dass den Sozialen Medien schon immer besonders geringes Vertrauen entgegengebracht geworden sei, mache die Lage nur noch schlimmer, weil eine Einstellung von "nichts zählt" sich breit mache, ein Leitmotiv, auf das später zurückgekommen werden wird. (Anmerkung: Das Kapitel ist länger; meine Zusammenfassung ist bewusst knapp, weil mir das alles als weithin bekannt und rezipiert erscheint. Gleiches gilt für das Folgekapitel.)

Neben diesen Mechanismen gibt es auch aktive Beförderung von Lügen und Hetze, wie Kapitel 6, "Die von Lügen profitieren - Warum Putin, Xi und Trump auch unsere Demokratie bedrohen", darlegt. Lobo zeigt anhand von Putins Trollfabriken, wie Russland (und inzwischen zunehmend auch China, vor allem über Tiktok) die westlichen Sozialen Medien mit Unsinn flutet, um auf diese Art und Weise absichtlich das Misstrauen in das System zu stärken. Er erklärt hierfür die Methoden der Herrschaftssicherung, die diese Diktatoren im eigenen Land durch solche Lügen anwenden und quasi in die Verschwörungsblasen des Westens exportieren: gerade die albernen, offensichtlichen Lügen dienen der Vergewisserung der Loyalität der Anhänger*innen. Trump hat das zur Meisterschaft gebracht.

In diesem Kontext taucht auch das Phänomen der Projektion auf, also dem Gegner genau das vorzuwerfen, was man selbst tut. Das sei etwa während der Brexitkampagne in großem Maß geschehen, und dass Trump ein Meister dieser Technik ist, sollte eigentlich unkontrovers sein. Auf diese Art werden aber das Misstrauen weiter gestärkt, weil "alternative Fakten" ins System gespeist werden, die das bewusste Ziel hätten, Vertrauen zu zerstören.

Im letzten Teil dieses Abschnitts, Kapitel 7, "Die Revolte gegen Vernunft - Was Vertrauenspanik auslöst", befasst sich Lobo mit dem Phänomen der Verschwörungstheorien. Diese sind vor allem deswegen so bedrohlich, weil sie für anfällige Personen wie ein Anker wirkten: wer einmal einer Verschwörungstheorie nachgehe, folge sehr wahrscheinlich auch weiteren (die der Algorithmus gefällig beschaffe). Dabei spiele die Glaubhaftigkeit keine besonders große Rolle, sondern das Gefühl, selbst etwas erarbeitet zu haben (daher auch der in der Szene geläufige Aufruf, "selbst zu recherchieren"), das dann tiefer und tiefer ins Netz führt. Lobo betont hier auch die Rolle, die soziale Vereinsamung spielt: je weniger Sozialkontakte, desto anfälliger für diese Theorien. Das Ganze wird durch das Beispiel der QAnon-Verschwörungstheorie aufgezeigt, die nicht nur reichlich absurd ist, sondern auch zu real sehr tödlichen Konsequenzen geführt hat. Die Theorien sind zwar in sich gespalten und widersprüchlich, aber das spiele keine große Rolle, weil ihr vereinender Faktor das Misstrauen gegen die "offizielle" Weltsicht sei.

Vor allem zwei Portale stächen hier als Haupttäter hervor. Einmal ist das YouTube, das über seinen Algorithmus einen wahren Kaninchenbau aufbaut, in den man fällt: schaut man ein Video, schlägt der Algorithmus unbarmherzig weitere vor; man kann sich tage- und wochenlang darin verlieren. Der andere Haupttäter ist der russischstämmige Instant-Messenger Telegram, der mit dem (gelogenen) Versprechen auf Verschlüsselung als eine Art Plattform für Verschwörungstheorien aller Art diene und sich vor allem der Glaubwürdigkeit durch die persönlichen bekannten Kontakte und das intime Mittel der Sprachnachricht verlasse.

Eine gänzlich andere Richtung der "Vertrauenspanik", also einer Überreaktion auf fehlendes Vertrauen, findet sich, wenn Menschen mit einem grundsätzlich berechtigten Anliegen über das Ziel hinausschießen. Ein Beispiel hierfür sei die Maskendebatte während Corona, in der manche Menschen ihr Gegenüber als Schwerverbrecher behandelt hätten, nur weil dessen Maske verrutscht sei. Ein weiterer Aspekt sei die aus Aktivist*innenkreisen stammende "Toxische Wokeness", also ein ins Extrem übersteigerter Reflex, gegen echte und eingebildete Ungerechtigkeiten mit maximaler Verve vorzugehen. Toxische Wokeness habe dazu geführt, dass in der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl auftritt, man dürfe bestimmte Dinge nicht mehr sagen. Dies hänge auch damit zusammen, dass in Sozialen Medien jederzeit ein Shitstorm drohe, wenn man Wörter "falsch" verwende.

Weiter geht es in Teil 2.

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