Mittwoch, 25. Oktober 2023

Rezension: Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future (Kim Stanley Robinson - Das Ministerium für die Zukunft) (Hörbuch)

Von diesen luftigen Höhen der Weltpolitik begibt sich die Handlung nun wieder zurück zu den Klimaflüchtlingen in der Schweiz. Frank hat eine neue Berufung darin gefunden diesen zu helfen Und bietet daher für die Geschehnisse einen Blickwinkel. Es kommt zu Aufständen der Flüchtlinge, die mit der Gesamtsituation unzufrieden sind. Die aus der Sicht eines Geflüchteten erzählte Eruption von Gewalt ist auch deswegen interessant, weil aus Sicht der Geflüchteten die Behandlung in der Schweiz wesentlich besser ist als in den Ländern in denen sie vorher waren, aber der Anspruch der Schweiz ein viel höherer ist, so dass die vergleichsweise harmlose Entmenschlichung im Schweizer Flüchtlingssystem das Fass zum Überlaufen bringt. Eher am Rande wird der Aufstieg der rechtsradikalen Parteien erwähnt, was angesichts einer Flüchtlingspopulation in der Schweiz, die die angestammte Bevölkerung übersteigt, kaum verwundern dürfte.Neben Indien wird als weiteres Positivbeispiel der Einstellung auf die Klimakrise Kalifornien vorgestellt. Der Bundesstaat erreicht den Robinsons Erzählung unter seinen progressiven Regierungen schnell Klimaneutralität und sticht besonders durch seine effiziente Wasserwirtschaft, die vor allem eine Mangelwirtschaft darstellt, sowie durch Renaturalisierungmaßnahmen hervor.

Weltweit, mit einem besonderen Zentrum in Frankreich, finden zu dieser Zeit gewaltige Proteste statt. Diese fallen vor allem durch ihre neuartigen Organisationsformen auf: gewaltige Menschenmassen sind involviert und legen das Leben in den Großstädten praktisch lahm. Angesichts der großen Wirtschaftskrise werden neue Formen gesellschaftlicher Organisationen ausprobiert. Die Proteste, zu groß und umfassend um von Polizei und Militär unterdrückt zu werden, wir werden so zu einem Labor neuer Gemeinschaftlichkeit.

Für Mary wird immer deutlicher, dass der Erfolg versprechend ist der Ansatz für das Ministerium darin besteht, sich auf Regulierung zu konzentrieren. Dies ist die logische Konsequenz der Analyse, dass die wahre Macht grundsätzlich in der Legislative liegt. Gleichzeitig sind die Marktkräfte und Marktmechanismen immer im Hinterkopf aller Beteiligten: Mary argumentiert deswegen für einen Ansatz von Zuckerbrot und Peitsche. Auf der einen Seite müssen Investitionen in CO2-Emissionen unattraktiv werden, wofür sie (und Robinson) vor allem für eine CO2-Steuer argumentieren. Gleichzeitig müsse es aber das Zuckerbrot geben, das Investitionen in saubere Investments oder sogar in CO2-negative Bereiche attraktiv macht. Genau hier kommt die Carbon Coin ins Spiel, die sie den Zentralbanken zu pitchen versucht: eine durch die Zentralbanken gedeckte Parallelwährung, die niemals unter einen bestimmten Preis fallen kann und durch Blockchain gesichert digital verfolgbar ist. Eine neu zu schaffende Industrie von Zertifizierungen müsste garantieren, dass die auf Grundlage von CO2-Einsparungen erfolgende Ausgabe der neuen Währung tatsächlich funktioniert. Auf diese Art und Weise würde eine zukunftssichere Investition geschaffen, die gleichzeitig garantiert den Klimawandel bekämpft, ohne dabei in kleinteilige Steuerung zu verfallen.

In der Antarktis stellt sich mittlerweile heraus, was alle bereits wussten: Meerwasser auf die Antarktis zu pumpen ist nicht nur logistisch nicht machbar, sondern auch praktisch nicht, so dass als einzige Alternative das Abpumpen des Wassers unter den Gletschern bleibt. In einem weiteren Experiment zeigt sich, dass dies auch möglich ist und dass, so man das im entsprechenden Maßstab betreibt, das Problem des Meeresspiegelanstiegs lösbar ist. Kalifornien muss indessen erfahren, dass auch gute Politik nicht vor Naturkatastrophen schützen kann. Sintflutartige Regenfälle sorgen für eine komplette Überschwemmung von Los Angeles, bei denen die Stadt praktisch vollständig zerstört wird.

Einige Jahre später gelingt es Mary Murphy unter dem Eindruck der sich drastisch verschlimmern und Klimakrise und den zunehmenden Naturkatastrophen endlich, die Zentralbanken von der Notwendigkeit der Einführung der Carbon Coin zu überzeugen. Gleichzeitig startet das Ministerium für die Zukunft sein eigenes soziales Netzwerk, YourLock, von dem man sich innerhalb ein bis zwei Jahren eine weitgehende Ersetzung sämtlicher bestehender sozialer Netzwerke erhofft. Jemand scheint zu glauben, dass diese Maßnahmen erfolgreich sein werden: Terroranschläge auf verschiedene UN-Institutionen, das Ministerium und die Schweizer Banken zwingen Mary in ein von Bodyguards bewachtes Versteck, sorgen aber dafür, dass die bisher eher ambivalente Schweizer Regierung zu einem der engsten Verbündeten des Ministeriums wird.

Insgesamt ist in diesen Jahren ein Wandel der Weltwirtschaft zu beobachten: es werden immer weniger fossile Brennstoffe verbrannt, mit dem größten Rückgang im Verkehrssektor durch das fast völlige Wegbrechen des Flugverkehrs und der Containerschifffahrt, wenngleich vor allem in der Energieerzeugung und im Individualverkehr weiterhin CO2 verbrannt wird. Die Wirtschaftskrise allerdings bleibt bestehen und hat ein Ausmaß wie in der Great Depression erreicht. In vielen Teilen der Welt werden deswegen alternative Konzepte ausprobiert, die potenziell als Vorbilder für den Rest der Welt dienen können. Besonders erfolgreich sind hier eine Art Bankenunion, gewissermaßen eine genossenschaftliche Organisation von Banken um die Macht des Finanzsektors zu beschneiden so wie die Kooperativen im Baskenland, die unter dem Stichwort Mondragon Schule machen sollen und in vielen von Robinsons Romanen eine Rolle spielen.

Die Carbon Coin erweist sich als ein großer Erfolg. Sie erfüllt die ihr zugedachte Rolle als sichere Investition und befeuert Investments zur Lösung der Klimakrise. Durch Blockchain ist zudem die lückenlose Verfolgung von Geld auf der ganzen Welt Standard geworden, was Steuervermeidung unmöglich macht und eine ganze Reihe progressiver Steuersysteme erlaubt. Damit sind die Grundlagen für einen Systemwechsel gelegt, der nur noch gewagt werden muss. Zahlreiche Staaten beginnen in den folgenden Jahren, Verhältnisse von minimalen und maximalen Vermögen festzulegen. Vorbild hierfür ist ausgerechnet die US Navy, in der die Admirale gerade einmal achtmal so viel verdienen wie die niedrigsten Mannschaftsdienstgrade, ohne dass dies die Leistungsfähigkeit der hoch effizienten Organisation mit ihrem ausgeprägten Korpsgeist angreifen würde. Die neue Regel ist ein Verhältnis von 1 zu 10 bei einem legalen Maximalvermögen von 50 Millionen Dollar, was dank des neuen Währungsregime auch in der Realität durchgesetzt werden kann.

Dieser Wandel geht allerdings nicht gerade ohne Probleme vonstatten. Die ohnehin leidende Wirtschaft stürzt in einen neuen Crash, Industrien werden nationalisiert, globale Finanzströme brechen zusammen. Neue Ideen werden ausprobiert. Wandel liegt in der Luft. Die Zeitgenossen vergleichen die Stimmung mit der etwa 100 Jahre zurückliegenden Revolutionsperiode der 1840er Jahre, die in dieser Erzählung weitgehend von unten und ohne zentrale Lenkung zu zahlreichen Protesten und dem Ausprobieren neuer Gesellschaftsformen geführt hat.

Ein weiterer wichtiger Faktor für das Funktionieren der neuen Parallelwährung ist die wirtschaftliche Wirksamkeit von CO2-Einsparungen. Da die neue Währung auf dieser Basis ausgegeben wird, werden wirtschaftliche Anreize vollkommen verschoben. Die in kleinem Maßstab etwa in Indien bereits ausprobierten Veränderungen im Landwirtschaftssektor hin zu nachhaltigeren Wirtschaftsmethoden lohnen sich plötzlich wirtschaftlich ungemein, vor allem für die niedrigsten sozialen Ränge in den am wenigsten entwickelten Ländern der Erde. Die neue Währung stellt somit ein gigantisches Umverteilungsinstrument dar, das auf Basis von CO2-Einsparungen funktioniert. Die globale Wirtschaftskrise ebnet daher im globalen Maßstab Ungleichheiten deutlich ein - durch gigantische Verluste an der Spitze in den entwickelten Nationen und durch große Gewinne am Breitenboden des globalen Südens.

Der nächste große Schritt in den Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise ist die sogenannte Half-Earth-Bewegung. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich die Idee, dass die Hälfte der Landfläche hat die Natur zurückgegeben und verwildert wird, da die intensive industrielle Landwirtschaft und die wesentlichen zu breite Besiedelung der Landschaft von den Emissionen her zu ineffizient sind. Zumindest für eine Übergangszeit von einigen Jahrzehnten ist eine starke Verdichtung der menschlichen Siedlungsgebiete ebenso notwendig wie ein Wandel zur regenerativen Landwirtschaft. Das Prinzip wird zuerst in unbewohnten Gebieten wie in Montana umgesetzt. Es ruft natürlich den Widerstand der eingefleischten Waffenfans in den USA hervor, die den ersten großen Treck der Wildtiere mit Gewalt aufhalten wollen. Das Ministerium organisiert dagegen einen friedlichen Massenprotest und hat darin Erfolg, das Mediennarrativ zu ihren Gunsten zu formen, was in einer breiten Akzeptanz für diese Form der Politik mündet. Die in kleinen Dörfern auf dem flachen Land lebenden Menschen werden ebenso wie die Menschen in den ausufernden Vorstädten durch großzügige Kompensationsangebote zum Umzug in die Städte bewegt. Da dies zur Einsparung von CO2 führt, können diese Maßnahmen mit Carbon Coins bezahlt werden.

Das globale Flüchtlingsproblem ruft ebenfalls neue Ideen auf den Plan. Analog zu in den 1920er Jahren existierenden globalen Reisepässen soll eine Art Weltbürgerschaft initiiert werden, die die Ansiedlung erlaubt. Es wird noch Jahre dauern, bis dieses Prinzip umgesetzt wird, und Robinson legt Wert darauf, dass es sich nicht um Open Borders handelt: auch mit diesen Pässen dürfen die Länder weiterhin Quoten für die Ansiedlung festlegen und werden Flüchtlinge vor allem nach ihrer Verweildauer und dem durch die Klimakrise angerichteten Schaden verteilt. Die finalen Zahlen allerdings bleiben beeindruckend: die Schweiz allein nimmt am Ende die doppelte Zahl Flüchtlinge auf, die bereits im Land wohnt. Gleichzeitig versuchen die Länder der Welt das Möglichste, eine sichere Rückkehr in die Ursprungsländer der Geflüchteten zu ermöglichen.

Der Terrorismus des Crashday erfährt in diesen Jahren eine Ausdehnung auf den staatlichen Bereich. Neue Militärtechnologie, die im Endeffekt eine Kombination aus traditioneller Raketentechnik und Drohnen darstellt, macht praktisch sämtliches bisheriges militärisches Equipment überflüssig und ist nicht zu stoppen. Weltweit fallen den Anschlägen Institutionen und Einzelpersonen sowie wichtige Infrastrukturen Attacken dieser neuen Waffen zum Opfer, ohne dass jemals klar würde, wer die Angreifer sind. Es ist nur offensichtlich, dass die Waffen staatlich produziert wurden, nicht aber, an wen sie weitergegeben wurden und wer sie abfeuert. Im Kontext der Handlung bedeutet dies den Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols und eine gewaltige Unsicherheit, die allerdings direkt vor allem die Elite betrifft, während die breite Masse eher durch Beschädigungen der Infrastruktur und die weiteren Verheerungen des Weltwirtschaftssystems betroffen ist.

Ein weiterer großer Wandel jener Ära am Ende der 2040er Jahre ist der weltweite Zusammenbruch des Internets. Nach dem großen Erfolg von YourLock hat sich eine vollkommen neue digitale Biosphäre etabliert. Auf dem Gebiet der KI werden große Fortschritte gemacht; zahlreiche neue Entwicklungen dieser Zeit sind von einem Reichtum an Daten und Auswertungsmöglichkeiten geprägt und sorgen für eine Verbesserung bestehender Technologien. So wurden bereits im Rahmen des Half-Earth-Projekts Zehntausende von Tieren mit Peilsendern ausgestattet, eine Entwicklung, die immer weiter zugenommen hat und zu der Beschreibung als „internet of animals“ führt. Nicht nur bestehen so deutlich intimere Kenntnisse über die Tierwelt; diese ist auch enger mit der der Menschen verbunden. Robinson beschreibt ein größeres Zugehörigkeitsgefühl der Menschen mit der Fauna.

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