Jessica Obame und ihre neunjährige Tochter Ada wurden Opfer rassistischer Diskriminierung an einer niedersächsischen Grundschule. Nachdem Ada mit ihrer Kinderkamera, die keine Internetverbindung hatte, unschuldige Bilder aufgenommen hatte, beschwerten sich Eltern anderer Kinder bei der Schulleiterin über die Anwesenheit der Kamera. Statt das Problem mit der Mutter zu besprechen, rief die Schulleiterin die Polizei, die ohne Einbeziehung der Eltern von Ada die Kamera überprüfte. Obwohl keine gefährlichen Inhalte gefunden wurden, belehrten die Polizisten Ada präventiv über Mediennutzung. Es wird auch behauptet, dass die Polizei unzulässige Fragen zur häuslichen Situation stellte. Jessica Obame erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Polizei, während die Schule behauptet, dass der Vorfall nichts mit Rassismus zu tun habe. Jessica Obame teilt ihre Geschichte, um auf rassistische Diskriminierung aufmerksam zu machen und Veränderungen zu bewirken. (Eiken Bruhn, taz)
Mit dem Caveat, dass ich nur die im Artikel genannten Informationen habe: ich kann da keine sonderlich rassistische Diskriminierung erkennen. Das fußt auf der Überzeugung, dass das Vorgehen so drastisch war, dass es sich nur aus Rassismus erklären ließe. Das halte ich aber nicht für den Fall; ich bin vielmehr (weitgehend aus eigener Erfahrung) überzeugt, dass das genauso weiße Menschen betreffen kann. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass das Geschehen insgesamt leider als Szenario ziemlich plausibel ist. Dank der Gesetzeslage kann die Polizei gar nicht anders, als zu ermitteln. Das müssen die machen. Und dass sie ein pädagogisches Aufklärungsgespräch zu Mediennutzung führen ist in meinen Augen eigentlich ziemlich gut; wir haben bei uns an der Schule auch regelmäßig Beamt*innen da, die da aufklären, und wenn es zu strafrechtlich relevanten Zwischenfällen kommt, ist das Aufklärungsgespräch einer Anzeige oder so was doch deutlich vorzuziehen.
Das Problem sehe ich vielmehr bei der Schule und den Eltern. Dieser Fall hätte niemals bis zur Polizei kommen dürfen. Da sind einfach sämtliche pädagogischen Sicherungen durchgebrannt. Ich kann das - erneut: leider - durchaus nachvollziehen, weil die deutsche Obsession mit Datenschutz und die fast ausschließliche Beschäftigung mit neuen Medien als Quelle von Gefahr und als zu bekämpfendes Übel dazu führt, dass keinerlei Maß und Erfahrung vorhanden ist. Das ist das, was ich immer meine wenn ich sage, dass das Verbannen der Medien aus der Schule nichts mit der Lebensrealität der Kids zu tun hat. Wenn Lehrkräfte nicht in der Lage sind, so eine Spielzeugkamera richtig einzuordnen, ist das ein Problem der Lehrkräfte, nicht des Kindes. Und zuletzt die Eltern der Betroffenen, die da glauben, als Rächer*innen ihrer Kinder eingreifen zu müssen: auch das passiert ständig. Wir hatten den Fall selbst in der Familie vor ein paar Jahren, als unser Kind in der Schule Streit mit einem anderen hatte und dessen Eltern dann unserem auf dem Schulgelände auflauerten und es bedrohten. Es war zu dem Zeitpunkt in der 2. Klasse.
Leute sind bescheuert, ist was ich meine.
2) SUV-Trend frisst Klimanutzen von Elektroautos auf
Der Bericht der "Global Fuel Economy Initiative" (GFEI) zeigt, dass SUVs 2022 erstmals die Mehrheit der weltweit verkauften Neuwagen ausmachten, während das durchschnittliche Fahrzeuggewicht auf den Rekordwert von 1,5 Tonnen stieg. Dieser Trend zu größeren und schwereren Autos birgt nicht nur ein höheres Unfallrisiko, sondern führt auch zu mehr Energieverbrauch und damit zu verstärkten Treibhausgasemissionen. Trotz des positiven Trends der jährlichen Abnahme der Energieintensität um mehr als vier Prozent wird dieser durch die Zunahme der Fahrzeuggröße untergraben. Der Bericht betont, dass der Wechsel zum E-Antrieb, der in jedem siebten Neuwagen weltweit steckt, ein Hauptgrund für die gesteigerte Effizienz ist. Die FIA Foundation fordert, sich von diesen "Megavehikeln" zu distanzieren und Regierungen sollten das Wachstum der Fahrzeuggröße aktiv begrenzen. (Spiegel)
Dieser Trend besteht bereits seit Längerem. Auch die massiven Effizienzgewinne bei Verbrennern seit den 1990er Jahren haben nicht zu einer großen Reduktion von Verbrauch und Emissionen geführt, sondern zu größeren Autos. Das ist mal wieder ein Versagen von Regulierung: da der Benzinpreis niemals so hoch werden kann, dass er zum Umstieg auf verbrauchsärmere Autos reizt (die Deutschen haben in ihrer Autofahrenden-Identität und kollektiven Psyche eine Abneigung gegen niedrigen Verbrauch, den sie mit Schwäche gleichsetzen; eine hinreichend belegte, beknackte Verbindung), können Marktmechanismen hier nicht helfen. Normalerweise würde man ja erwarten, dass ein entsprechender CO2-Preis das regeln könnte, aber das ist völlig aussichtslos. Die Leute werden praktisch alles andere kürzen, bevor es an den Hubraum geht. Daher ist der Appell am Ende des Artikels vermutlich der einzig aussichtsreiche.
3) Einseitig besetzte Gerichte
Die Passage beschreibt die Herausforderungen in Polen im Zusammenhang mit der neuen Parlamentsmehrheit und einem von der PiS unterstützten Staatspräsidenten. Das Verfassungsgericht, das mittlerweile von PiS-nominierten Richtern besetzt ist, stellt eine Hürde für die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse dar. Das Hauptproblem liegt in politisch einseitig besetzten Verfassungsgerichten, die strukturelle Unparteilichkeit vermissen lassen. Dieses Problem betrifft nicht nur Polen, sondern auch andere Länder, die sich von demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen entfernen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) behandelt die Unparteilichkeit im Kontext der richterlichen Unabhängigkeit. Es wird darauf hingewiesen, dass die Zusammensetzung von Verfassungsgerichten Regeln erfordert, die Zweifel an der Unparteilichkeit ausräumen. Es wird argumentiert, dass es keine klaren, imperativen Standards für die ausgewogene Besetzung von Verfassungsgerichten gibt. Nationale Maßnahmen zur Verhinderung einseitiger Besetzungen werden diskutiert, darunter Begrenzungen der Richteramtszeit, Beteiligung verschiedener Verfassungsorgane an der Richterbestellung und qualifizierte Mehrheitserfordernisse. Es wird betont, dass solche Maßnahmen keine Allheilmittel sind, und es fehlen klare internationale Standards in diesem Bereich. Die Venedig-Kommission des Europarats befürwortet institutionelle Vorkehrungen zur Reduzierung des Risikos politischer Dominanz in Verfassungsgerichten. Es wird betont, dass ein "soft law" die ausgewogene Besetzung von Höchstgerichten als wichtig betrachtet und Rückschritte in diesem Bereich verbietet. Beispiele aus Polen werden herangezogen, um die Rolle der Unparteilichkeit in der Gerichtsorganisation zu verdeutlichen, und es wird auf die Bedeutung der Entwicklung von Rechtsstaatsprinzipien hingewiesen. Die Passage endet mit der Diskussion über das "Rückschrittsverbot" im Justizbereich und betont, dass es auch für Vorkehrungen zur Sicherung der systemischen Unparteilichkeit gelten sollte, um die Werte der Rechtsstaatlichkeit zu wahren. (Gertrud Lübbe-Wolff, Verfassungsblog)
Der Artikel ist spannend, weil er die Probleme in der Rückführung der Herrschaft von Autokraten (oder solchen, die es werden wollen) zeigt. Werden die Normen erst einmal so gebrochen, wie das etwa die PiS, die GOP oder Fidesz tun, geht der Flurschaden weit über den nächsten Machtwechsel hinaus. Letztlich wäre es notwendig, dass die Demokrat*innen zu genau denselben Maßnahmen zur Re-Demokratisierung der Judikative greifen wie die Autokrat*innen für ihre Zerstörung nutzten, nur ist das in sich widersinnig: mit undemokratischen Maßnahmen die Demokratie zu retten ist ein bestenfalls gefährliches Unterfangen, das zudem keinerlei Nachhaltigkeit aufweist. Nicht, dass die Autokrat*innen einen Grund bräuchten, aber sie könnten sich dann problemlos darauf beruhen, dass die anderen es ja auch machten und bei der nächsten Wahl - und die kommt bestimmt - nun umso leichter und nachhaltiger zurückschlagen. Und ein Spiel um die Zerstörung demokratischer Normen gewinnen immer diejenigen, die nichts auf sie geben. Eine Lösung für dieses Dilemma habe ich auch nicht; es zeigt vielmehr die Gefahr auf, wenn man diese Leute einmal an die Hebel der Macht lässt. Deswegen ist es auch so wichtig, die AfD davon fernzuhalten.
4) Rechtsbruch im Klimaschutz
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat heute die Bundesregierung dazu verurteilt, ein Sofortprogramm für den Klimaschutz gemäß dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) zu beschließen. Dieses Urteil folgt auf Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Sektoren Gebäude und Verkehr erfüllen seit Jahren nicht die Ziele zur Treibhausgasreduktion. Das Gericht stellte eine Klagebefugnis der Umweltverbände fest, obwohl diese im Gesetz nicht vorgesehen ist. Die Bundesregierung argumentierte, dass ihr Klimaschutzprogramm 2023 bereits als Sofortprogramm gelte, was das Gericht jedoch ablehnte. Die Entscheidung schafft einen wichtigen justiziablen Mechanismus für effektiven Klimaschutz und sendet ein Signal für mehr Rechtsdurchsetzung in diesem Bereich. Trotz einer möglichen Gesetzesnovelle, die Sektorziele abschaffen könnte, wird erwartet, dass die Regierung Revision einlegt. Das Urteil wird als großer Erfolg für die Klimaschutzbewegung betrachtet, die auf einen wirksamen rechtlichen Schutz für die Durchsetzung von Klimazielen drängt. (Konstantin Welker, Verfassungsblog)
Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen (zuletzt im Podcast mit Ariane), dass dieses BVerfG-Urteil zur Schuldenbremse genauso wie das zum Klimaschutz eine gefährliche Sackgasse aufmachen. Wenn Deutschland keine Schulden machen darf, weil das ein BVerfG-Urteil verbietet, es aber gleichzeitig umfassende Maßnahmen im Klimaschutz ergreifen muss, weil das ein BVerfG-Urteil gebietet (und das tut es; die Regierung ist jetzt schon zweimal vom BVerfG wegen Verstößen gegen den Klimaschutz abgemahnt worden, und beide Male wegen Wissings Verkehrsministerium), dann ist das nur über politisch völlig unrealistische Ausgebenkürzungen und Steuererhöhungen möglich. Ich sehe in dieser Frontstellung die Gefahr einer gewaltigen Verfassungskrise auftauchen. Denn bei aller Liebe - dass sich CDU, SPD, FDP und Grüne auf einen Kompromiss einigen, der beide Urteile ehrt und diese massiven Kürzungen und Erhöhungen beinhaltet, ist wahrlich nicht realistisch. Das BVerfG fiecht das natürlich nicht an; es ist die Judikative, es hat sich um praktische Umsetzbarkeiten nicht zu kümmern. Das ist genau der Grund, warum die Politik sich nicht selbst fesseln und alle Gestaltungskraft an Exekutive und Judikative abgeben sollte.
5) Am Limit
Der Bürgermeister Josef Gais erlebt einen unerwarteten Sonntag in der bayerischen Gemeinde Hohenau, als Flüchtlinge von einem Schleuser an der Bundesstraße ausgesetzt werden. Die Situation sorgt für Aufregung und Unsicherheit in der kleinen Gemeinde im Bayerischen Wald. Die lokale Bevölkerung, darunter Rentner und die Bäckerin Iris Denk, reagiert besorgt und sucht nach Lösungen. Die Flüchtlingsfrage wird zu einem beherrschenden Thema, besonders vor dem Hintergrund der bevorstehenden Wintermonate. Der Artikel beleuchtet die Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf die Menschen in der Region und ihre Wahrnehmung der aktuellen Situation. Es wird deutlich, dass die Herausforderungen, die mit der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen einhergehen, Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung auslösen. Der Bürgermeister, selbst Mitglied der CSU, äußert Bedenken hinsichtlich der steigenden Anzahl von Flüchtlingen und dem bevorstehenden Winter. Die Reportage skizziert die verschiedenen Perspektiven in der Gemeinde, von der Hilfsbereitschaft einiger bis zur wachsenden Unruhe und Skepsis anderer. Auch der Blick auf andere Städte und Gemeinden in Deutschland zeigt, dass die Flüchtlingsfrage ein komplexes Thema ist, das unterschiedliche Reaktionen hervorruft. (Stefan Willeke, ZEIT)
Ich tue mich wahnsinnig schwer mit dem ganzen Thema Flüchtlingskrise. Auf der einen Seite ist es so, dass wir das bisher gut bewältigen; ein Zusammenbruch ist nirgends zu beobachten. Merkels Diktum vom "Wir schaffen das" hält auch acht Jahre später noch - zumindest was das Abwickeln und Verwalten angeht. Darin sind wir nun mal Spitze. Aber, und das ist die andere Seite, ist kaum zu leugnen, dass es eine Belastung seib MUSS, wenn ein, zwei Millionen Menschen ins Land kommen, die überwiegend Transferleistungsempfangende darstellen (zumindest für eine Zeit). Unsere Strukturen fangen das alles bisher ab, aber irgendwann, irgendwo wird es zu viel werden, zumindest, wenn die Zahlen langfristig so bleiben, wie sie sind. Der mit Abstand größte Punkt ist aber der von Gefühl, und das ist der, der irgendwie am wenigsten beachtet wird. Letztlich ist es egal, ob die Gemeinden nun technisch an der Belastungsgrenze sind oder nicht; wenn alle das Gefühl haben, schafft dieses Gefühl seine ganz eigene Realität.
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