Mittwoch, 3. Januar 2024

Trump verrät die Ampel durch härtere Strafen bei omnibalancierenden Kommunen - Vermischtes 03.01.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Why Trump Won’t Win

Trotz wachsender Warnungen vor einer möglichen Wiederwahl von Donald Trump ist es entscheidend zu beachten, dass seine Chancen gering sind. Obwohl aktuelle Umfragen ihm scheinbar den Vorzug geben und Joe Bidens Unvollkommenheiten anerkannt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Biden wiedergewählt wird, vorausgesetzt seine Gesundheit bleibt stabil. Trumps Schwächen, darunter seine Angriffe auf Militärpersonal und verstörende Äußerungen über Veteranen, sind deutlicher geworden. Rechtliche Probleme, zivilrechtliche Haftung wegen sexuellem Missbrauch und die Konfrontation mit 91 Straftatbeständen werden erhebliche Herausforderungen für Trump darstellen. Seine spaltende Rhetorik und autoritären Versprechen könnten Wähler in der Mitte, insbesondere Unabhängige und Vorstadt-Wähler, verschrecken, die sich seit 2016 von ihm abgewandt haben. Die Wahl 2024 wird zu einem Referendum über die Demokratie, wobei Biden im Vergleich zu Trumps autoritären Bestrebungen einen traditionelleren Führungsstil bietet. Insgesamt ist die Argumentation gegen Trumps Wiederwahl stark, und solange Gegner diesen Fall effektiv führen, bleiben Trumps Chancen gering. (Hussein Ibish, The Atlantic)

Ich weiß natürlich nicht, inwieweit Ibish für die Überschrift verantwortlich ist (üblicherweise wird die ja von eigenem Personal mit Blick auf Klicks und nicht von den Autor*innen geschrieben), aber der Inhalt des Artikels ist nicht wesentlich vorsichtiger als die Überschrift. Mir scheint, aus 2016 wurde wenig gelernt. Immerhin steht da nicht "can't win", aber selbst ein moderates "won't" hat wesentlich mehr Zuversicht, als ich für angeraten halte. Zum jetztigen Zeitpunkt scheinen mir jedenfalls Bidens Chancen nicht größer als 60:40 zu sein, und das ist die optimistischste Lesart, für die ich mich finden lassen würde (meine eigene Schätzung ist eher so 52:48). Wer noch mehr 2016-Vibes will, sollte diesen Artikel des New York Magazine über Biden Wahlkampfteam lesen; deren zur Schau gestellte Zuversicht erinnert auch sehr an die von Hillarys Team.

Das ändert zwar nichts daran,dass die Punkte in Ibishs Artikel alle korrekt sind. Trump ist ein rechtsradikaler Chaot, inkompetent bis zur Karikatur, ein Spalter und Zerstörer, Ekel und am Rand der Demenz. Aber all das scheint in der heutigen republikanischen Partei keine Rolle mehr zu spielen. Ändern sich die grundlegenden Variabeln des Wahlkampfs nicht mehr - etwa durch eine Rezession, eine Katastrophe, einen Krieg oder Ähnliches - sehe ich den Ausgang der Wahl effektiv als einen Münzwurf. Bedenkt man, welche Katastrophe ein Sieg Trumps bedeuten würde, ist das nicht besonders vertrauenserweckend.

2) Der Verrat der Ampel

Der deutsche Staat rät seinen Bürgern, Fahrzeuge mit Dieselantrieb zu kaufen, da der Treibstoff im Vergleich zu Benzin mit 19 Cent pro Liter subventioniert wird. Diese Subvention kostet alle Steuerzahler, auch diejenigen ohne Auto, jährlich 8,5 Milliarden Euro. Gleichzeitig wurde die Umweltprämie für Elektroautos abgeschafft, was als Rückschlag für den Klimaschutz betrachtet wird. Die Prämie, die bis zu 4500 Euro betrug, wurde abrupt eingestellt, und Anträge, die nach diesem Zeitpunkt eingehen, werden nicht mehr genehmigt. Dieses Vorgehen wirft Zweifel an der Zuverlässigkeit des Staates auf und benachteiligt diejenigen, die sich für Elektroautos entschieden haben. Die Entscheidung wird als fatal für den Klimaschutz betrachtet, da sie die Pläne zur Zulassung von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 gefährdet. (Gerald Traufetter, Spiegel)

Die ganze Volte ist ein super Beispiel für die von Ariane und mir beschrieben Dynamik, dass Kürzungen dazu führen, dass bei irgendwem danach weniger da ist und dass diese Personen immer, immer, immer wesentlich mehr Krach machen und politischen Willen entfalten werden als diejenigen, die nicht betroffen sind und die Kürzung abstrakt als Mittel der Haushaltsarithmetik betrachten (der Ökonom Jens Südekum formuliert das in diesemWelt-Kommentar ebenfalls gut). Ebenfalls gut sichtbar ist das genauso von Ariane und mir beschriebene Phänomen, dass die Ampel in ihren Kürzungen dazu neigt, den schlechtestmöglichen Kompromiss zu wählen - in dem Fall die Beibehaltung von klimaschädlichen und die Streichung von klimaschützenden Subventionen.

Zumindest könnte man das meinen. Denn die Streichung der Subventionen für E-Autos führte dazu, dass die Hersteller die Preise um genau diese Beträge senkten, was den Schluss zulässt, dass dieselben Hersteller die Subventionen bisher in die eigene Tasche gesteckt haben. Das sind natürlich die schlechtesten Subventionen von allen und dürften Wasser auf den Mühlen von allen Subventionsgegnern sein - es sei denn natürlich, es geht um die Subventionen, die man selbst für gut befindet, wie man schön am aktuellen FDP-Veto oder dem Festhalten diverser Leute am Dienstwagenprivileg sehen kann.

3) Übergriffe härter bestrafen

Der Artikel befasst sich mit der öffentlichen Empörung über ein umstrittenes Urteil des Landgerichts Hamburg, bei dem ein fünfzehnjähriges Mädchen von mehreren jungen Männern vergewaltigt wurde. Die Kritik richtet sich gegen vermeintliche Milde und Unverständlichkeit des Urteils. Die Autoren betonen die Notwendigkeit, die Praxis der Strafzumessung zu überdenken und plädieren für eine klarere Kommunikation der Gerichte über die Hintergründe von Urteilen. Eine Studie zeigt, dass Laien in Sexualdelikten härtere Strafen fordern als Richter. Der Artikel kritisiert auch zwei konkrete Fälle von sexuellen Übergriffen, bei denen die verhängten Strafen als zu milde betrachtet werden. Die Autoren argumentieren für ein Umdenken in der Strafzumessungspraxis, die oft auf historischen Traditionen basiere und nicht ausreichend die gravierenden Folgen für die Opfer berücksichtige. Sie fordern eine angemessene Ahndung sexueller Übergriffe nach geltendem Recht und betonen die Bedeutung der sexuellen Selbstbestimmung. (Frauke Rostalski/Elisa Hoven, FAZ)

Ich teile die Überzeugung der Autorinnen völlig, dass die milden Strafmaße bei diesen Fällen eine Art blinden Fleck darstellen, der auf unterschiedlichen Wertesystemen beruht, in dem Fall einem, das weibliche Opfer als minder wichtig betrachtet. Aber: ich bin sehr skeptisch gegenüber dem Ruf nach Strafverschärfungen, schlicht weil ich Strafverschärfungen in den allermeisten Fällen für kein sinnvolles Mittel halte. Die Autorinnen haben zwar völlig Recht, wenn sie die kommunikative Dimension von Strafen betonen, aber in allzuvielen Fällen sind Strafen einfach generell nicht das beste Mittel (siehe hier); Restauration wäre in meinen Augen wesentlich zu bevorzugen. Der Gefängnisaufenthalt löst schließlich in den seltensten Fällen die zugrundeliegenden Probleme. Das gilt auch hier.

4) How Much Omnibalancing Will There Be in 2024?

Der Artikel beleuchtet die wachsende politische Polarisierung in den USA und deren Einfluss auf die Außenpolitik. Das Konzept des "Omnibalancing" beschreibt, wie in einer gespaltenen politischen Landschaft Akteure möglicherweise ausländische Bündnisse eingehen, um ihre Macht zu sichern. Es wird auf die überraschende Verbindung zwischen der Zustimmung zu Präsident Biden und außenpolitischen Krisen hingewiesen, insbesondere in Afghanistan und im Gazastreifen. Die Meinungsbildung zu internationalen Konflikten beeinflusst offenbar die Unterstützung von jüngeren Wählern, die tendenziell eher Trump unterstützen. Der Artikel diskutiert auch die politischen Anreize für Benjamin Netanyahu, weist jedoch darauf hin, dass eine Verlängerung des Gazakonflikts zur Beeinflussung von Bidens Popularität unwahrscheinlich ist. Schließlich wird die Möglichkeit angesprochen, dass republikanische Kongressmitglieder die Bemühungen der Biden-Administration zur Unterstützung der Ukraine aus parteipolitischen Gründen behindern könnten. Die Frage, ob republikanische Mitglieder nationale Sicherheitsinteressen über parteipolitische stellen, bleibt offen. (Daniel Drezner)

Auf der einen Seite sind die beschriebenen Dynamiken definitiv vorhanden, aber auf der anderen gelingt die Einflussnahme auf die Politik in relevantem Maßstab nur dort, wo außenpolitische Themen sich in innenpolitische verwandeln. Denn egal ob in den USA oder in Deutschland, die allermeisten Wählenden interessieren sich überhaupt nicht für Außenpolitik. Wahlentscheidungen beeinflusst sie praktisch gar nicht. Die Versuche des linksradikaleren Spektrums etwa, das Gespenst eines Abwanderns junger Wählender wegen Bidens Unterstützung Israels an die Wand zu malen, halte ich für eine Phantasmagorie. Es ist letztlich nur ein Ausfluss aus den Culture Wars. Ähnliches gilt, wenngleich mit wesentlich mehr Wumms dahinter, für das rechte Spektrum. Wer beschäftigt sich schon ernsthaft mit der Ukraine? Aber der Ausstieg aus der NATO und das fallen Lassen der Ukraine werden immer mehr zu Markern innenpolitischer Gehorsam. Darin liegt die eigentliche Sprengkraft (während bei den Democrats die Ablehnung der Hamas-freundlichen Idiotien seitens einiger junger Basismitglieder den Lackmustest darstellt).

5) Kommunen langen bei Abgaben und Gebühren kräftig zu

Der Artikel thematisiert auch die bestehenden Investitionsdefizite in deutschen Kommunen. Es wird darauf hingewiesen, dass viele Städte und Gemeinden Schwierigkeiten haben, ausreichende Mittel für notwendige Investitionen aufzubringen. Die Investitionsdefizite werden als zentrales Problem betrachtet, das durch die aktuelle Mehrbelastung der Bürger durch Steuern und Gebühren adressiert werden soll. Eine Schlüsselaussage lautet: "Die Erhöhung der finanziellen Belastung der Bürger wird als Maßnahme zur Deckung der Investitionsdefizite in den Kommunen gesehen." Dabei wird betont, dass die fehlenden Mittel in vielen Fällen zu Vernachlässigungen bei der Instandhaltung von Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen führen. Die Debatte über die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen spiegelt sich auch in unterschiedlichen Ansichten darüber wider, ob die erhöhten Steuern und Gebühren tatsächlich dazu beitragen, die bestehenden Investitionsdefizite effektiv zu beheben. (Dietmar Neuerer, Handelsblatt)

Ich kann nicht beurteilen, inwieweit die erhöhten Gebühren diese Investitionsfefizitlücke schließen können oder nicht. Faszinierend ist aber, dass das Investitionsdefizit tatsächlich auf kommunaler Ebene erschreckend hoch ist. Ich wusste das bis vor Kurzem selbst nicht und hielt es für ein generelles Phänomen; dem ist aber gar nicht so. Das Investitionsvolumen des Bundes ist effektiv über die letzten anderthalb Jahrzehnte gleichgeblieben (was auch erklärt, dass es in der Schuldendebatte so viel Aneinandervorbeireden gibt). Was eingebrochen ist sind die Investitionsvolumen der Länder und besonders der Kommunen. Wenig überraschend stechen bei letzteren die Schulen besonders hervor. Sie sind in der Infrastruktur Aufgabe der Kommunen, die damit theoretisch auch das Kreuz der Digitalisierung zu tragen haben, und im Personal das der Länder. Beide aber haben eine Austeritätspolitik gefahren (anders als der Bund, davon wurde ich ja mittlerweile überzeugt), schon allein, weil für sie deutlich härtere und nicht aussetzbare Schuldenbremsen gelten. Mir scheint mehr und mehr, dass eine Grundsatzreform des Föderalismus und seiner Aufteilungen braucht, sowohl bei den Kompetenzen als auch (vor allem) der Finanzierung. An der Stelle sei auch Klaus Jungfers "Die Stadt in der Krise" (hier besprochen) empfohlen.

Resterampe

a) Mal wieder was zum Gendern. Siehe auch: „Falsches Sprachbild“: Germanisten wehren sich gegen geplante Gender-Verbote.

b) Katrin Göring-Eckardt will Superreiche für Klimageld zur Kasse bitten. Surprising no one. In der Debatte bringen jetzt alle genau die Politik als Lösung, die sie eh schon immer vertreten haben.

c) Are progressives really turning to the right?

d) We have always been idiots.

e) Daten und Fakten zu PISA.

f) Ein paar Informationen zur deutschen Landwirtschaft.

g) Super-spannender Thread zu dem Thema Investitionen.#

h) Schöne Würdigung von Ernst Jaeckel.

i) Gutes Historikerinterview zur Frage, wann aus Krieg Frieden werden kann.

j) Der Focus hat eine gute Zusammenfassung zur Lage der Bundeswehr.

k) Spannende Hintergründe zur wirtschaftlichen Lage Gazas.

l) Weil hier noch vor Kurzem ätzender Spott angesichts Bolsonaras Abwahl herrschte: die Zerstörung des Regenwalds hat sich DEUTLICH verlangsamt seither. Hilft halt doch, Rechtsradikale Spinner loszuwerden.

m) In Argentinien soll der Notstand ausgerufen werden, um am Parlament vorbeizuregieren.

n) Kretschmanns Rhetorik zur Schuldenbremse scheint mir erfolgversprechend.

o) Spannendes Interview mit Katja Mast.

p) Fake-News im Einsatz.

q) Diese Verbotslisten der Schulen in Florida sind völlig bekloppt. Cancel Culture in Reinkultur.

r) Ich bin zuversichtlich, dass dieser Galgen-Protest von der Letzten Generation auch mehr Aufmerksamkeit erfahren hätte. Oder von Linken an irgendeiner Uni.

s) Ich hatte ja immer wieder die Korruption von Clarence Thomas hier angesprochen; dieser Artikel zu dem Thema zeigt die Hintergründe etwas schöner auf, vor allem die Mechaniken, wie sie versteckt wird.

t) Hab das jetzt gelesen und weiß immer noch nicht, ob der NutriScore nun was taugt oder nicht.

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