Mittwoch, 21. März 2007

Moralischer Druck durch den Zeitgeist?

In der FAZ steht ein Artikel, der sich dem Thema Zeitgeist widmet. Dabei kommt er auch auf das Thema Meinungsfreiheit und moralischen Druck zu sprechen. Der Auszug hier unkommentiert, weil für sich selbst sprechend. Mit Dank an Arne Hoffmann für den Link.

Moralischer Druck gegenüber Meinungen

Hier wird vermutlich der erste Zyklus des Zeitgeistes erkennbar, der von Anfang bis Ende von der Demoskopie in Deutschland begleitet und dokumentiert werden konnte. Dabei fällt auf, dass die Zeitspanne zwischen den Trendwenden am Anfang und am Ende der Entwicklung fast exakt 30 Jahre umfasst, also die Länge hat, von der schon Schopenhauer gesprochen hatte.

Der Charakter einer Zeit zeigt sich in ihren Tabus, an dem moralischen Druck, den die Gesellschaft gegenüber bestimmten Meinungen aufbaut. Was Goethe meinte, wenn er schrieb, dass eine „Seite“ sich angesichts des Drucks des Zeitgeistes „in die Enge zurückziehen“ und „im Stillen verbergen“ müsse, wird deutlich, wenn man die Befragten mit Verstößen gegen ungeschriebene Gesetze, gegen gesellschaftliche Sprachregelungen konfrontiert. Das Allensbacher Institut tat dies unter anderem mit der Frage „Unabhängig davon, welche Meinung man selbst hat, gibt es ja Aussagen, die sollte niemand öffentlich sagen, und es gibt Aussagen, die sollte jeder äußern können, der diese Meinung hat. Wenn Sie die Aussage hören 'Mütter gehören nach Hause zu ihren Kindern und nicht in den Beruf', finden Sie es in Ordnung, wenn jemand so etwas sagt, oder darf man das nicht sagen?“.

Druck auf Minderheitsmeinungen notwendig

Nur 25 Prozent der Befragten waren der Ansicht, diese Äußerung müsse erlaubt sein, 56 Prozent meinten: „Das darf man nicht sagen.“ In ähnlich formulierten Fragen vertraten 50 Prozent die Ansicht, die Aussage „Umweltorganisationen wie BUND, Greenpeace und anderen geht es in Wahrheit gar nicht um die Umwelt, sondern nur darum, sich selbst darzustellen“ dürfte nicht erlaubt sein, 49 Prozent sagten das Gleiche über die These „Entwicklungshilfe ist doch nutzlos, deshalb sollte man sie einstellen“, ebenfalls eine relative Mehrheit von 42 Prozent fand das Zitat „Wir brauchen in Deutschland mehr Kernkraftwerke“ als Aussage nicht akzeptabel. Hier zeigt sich der harte, der intolerante Zug des Zeitgeistes, der jeden mit gesellschaftlicher Isolation bestraft, der sich ihm nicht anschließt.

Sozialpsychologisch betrachtet, ist der moralische Druck auf Minderheitenmeinungen bis zu einem gewissen Grade notwendig, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Die Mechanismen der öffentlichen Meinung - und damit auch des Zeitgeistes, der eine Spielart öffentlicher Meinung ist - halten dadurch, dass sie vom Konsens abweichende Meinungen unter Druck setzen, die Gesellschaft auch in strittigen Fragen entscheidungsfähig.

Gewachsene Unduldsamkeit in der Bevölkerung

Doch es spricht einiges dafür, dass die Tendenz zur Intoleranz in Deutschland eher zu- als abnimmt. Wie eingeschüchtert diejenigen sind, deren Meinung nicht mit dem Zeitgeist übereinstimmt, ist am Beispiel der Gegner eines Rauchverbots in Gaststätten zu sehen. Die Frage dazu lautete: „Angenommen, Sie haben eine fünfstündige Eisenbahnfahrt vor sich, und jemand in Ihrem Abteil fängt an, sich ganz dafür auszusprechen, das Rauchen in allen Gaststätten und Restaurants zu verbieten. Würden Sie sich gern mit diesem Menschen unterhalten, oder würden Sie keinen großen Wert darauf legen?“ Die Befragten, die selbst für ein Rauchverbot in Gaststätten eintreten, sagen zu 53 Prozent, dass sie sich mit dem Mitreisenden gerne unterhalten würden, die Gegner eines Rauchverbots sagen dagegen zu zwei Dritteln, dass sie unter diesen Umständen keinen Wert auf ein Gespräch legen.

Eine andere Variante der Frage lautet, dass sich der Mitreisende im Zug ganz gegen ein Rauchverbot ausspricht. Auch unter diesen Bedingungen sind die Gegner des Rauchverbots nur zu einem Drittel bereit, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Eine deutliche Mehrheit von 53 Prozent winkt ab. Selbst wenn ihre Meinung von dem Mitreisenden im Zug ausdrücklich unterstützt wird, trauen sich die meisten nicht, sich zu ihrer Position zu bekennen.

Trendfragen zeigen, dass die Bereitschaft der Gesellschaft, Regelverstöße zu dulden, in den letzten 25 Jahren alles in allem leicht zurückgegangen ist. Die gewachsene Unduldsamkeit wird von der Bevölkerung auch durchaus wahrgenommen. 48 Prozent der Befragten meinen, ein Kennzeichen der Zeit sei, dass es immer mehr Verbote und Vorschriften gebe - doch eine ernste Gefahr wird in dieser Entwicklung nicht gesehen. Forderungen nach neuen Verboten, Kontrollen oder Strafen werden in aller Regel von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt.

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