Ich möchte in diesem Artikel auf die spezifische Arithmetik des Bologna-Prozesses eingehen. In Kürze: dieser schreibt EU-weite Normen für Hochschulen vor, u.a. die fragwürdige Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge und die so genannte "unternehmerische Hochschule", die mit anderen Hochschulen um Studenten und Wissenschaftler "konkurrieren" und so ihre Qualität steigern soll. Dazu werden Hochschulräte berufen, die mindestens zur Hälfte aus hochschulexternen "Experten" bestehen (meist Lobbyisten aus der Wirtschaft) und mehr Mitspracherecht haben als alle Wissenschaftler zusammen.
Dieser Überblick, der sicherlich sehr subjektiv gefärbt ist, in aller Kürze. Wer es ausführlicher und objektiver will, folge obigem Link. Ich möchte der Frage nachgehen, was das nun konkret bedeutet. Zu diesem Zweck möchte ich eine weitere grobe Vereinfachung anstellen: ich teile die Fakultäten in einige Gruppen ein. Exemplarisch seien das "BWL und Jura", die noch zahlreiche verwandte Studiengänge subsumiert, Formalwissenschaften (wie Mathematik), Naturwissenschaften (zu denen in diesem Fall auch Medizin, Ingenieurswissenschaften etc. gezählt werden) und Geisteswissenschaften.
Nach der Theorie, die hinter dem Bolognaprozess steckt, soll die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge eine europaweite Vergleichbarkeit der Abschlüsse (auch mit den USA) bringen. Dieses Ziel ist bereits nicht erreicht, stattdessen divergieren die Abschlüsse stärker als je zuvor und die mit hervorragendem Ruf versehenen Abschlüsse der deutschen Universitäten - Diplom, Magister, Staatsexamen - werden abgeschafft. Weiter besagt die Theorie, dass das Angebot der Hochschule die Nachfrage wiederspiegelt und sich so optimal an die Bedürfnisse der "Kunden" - der Studenten - anpasst. Die enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft - die dank der exzessiven Rechte der Hochschulräte seitens der Hochschule auf das Abarbeiten der Lobbyistenwunschzettel hinausläuft - soll dabei eine große Praxisnähe sichern.
An dieser Stelle nun greift aber die Bologna-Arithmetik. Da die Hochschulen mehr "Autonomie" haben als je zuvor, müssen/können sie auch ihr Budget frei einteilen. Das führt zu folgender Situation:
Die Hochschule muss - ebenfalls ein Ziel des Bologna-Prozesses - kosteneffizient arbeiten. Deswegen sind Studiengänge top, die viele Studenten mit wenig Professoren und vor allem wenig Nebenkosten abdecken. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die Wirtschaft diese Studenten will und die Studiengänge durch reichhaltige Drittmittel sponsort (was inzwischen bereits so weit geführt hat, dass weniger die fachliche Reputation bei der Einstellung eines Professors von Belang ist als sein Erfolg bei der Werbung nach Drittmitteln). Die Gewinner dieser Arithmetik sind demnach klar "BWL und Jura" (nach oben genannter Definition). Beide Studiengänge kommen mit vergleichsweise kleinen Biblitotheken aus, benötigen keinerlei Gerät für Versuche und ähnliches und haben gute Berufsaussichten in der freien Wirtschaft. Alles, was die Universität stellen muss sind Lehrkräfte und Räume und die vergleichsweise kleine Bibliothek. Dazu kommt in diesem Fall der Trend, die wissenschaftliche Strömung glattzubügeln und nur noch Lehrkräfte einer bestimmten Ausrichtung auf den Stuhl zu berufen.
Die zweite Kategorie sind in dieser Arithemtik die Naturwissenschaften. Sie leiden an zwei elementaren Nachteilen (aus Sicht eines Bologna-Arithmetikers). Sie sind relativ teuer, weil zahlreiche Geräte für Versuche und ähnliches bezahlt sein müssen, die häufig furchtbar teuer sind. Gleichzeitig gibt es relativ niedrige Studentenzahlen. Letzteres ist ein Problem, weil die Fakultäten anteilig an den Studiengebühren budgetiert werden. Der große Vorteil der Naturwissenschaften ist, dass sie eine verhältnismäßig leichte Drittmittelwerbung haben. Viele Konzerne spendieren die teuren Geräte - und erhalten im Gegenzug massiven Einfluss und Patentrechte (!) auf Lehrpläne, Forschung und Abschlüsse. Dadurch können sie die Abschlüsse der Studenten direkt an ihre Bedürfnisse anpassen und die Besten direkt abschöpfen.
Die Formalwissenschaften haben nur wenige Studenten, aber auch geringe Kosten (kaum Geräte, kleine Bibliotheken). Auch bei der Drittmittelwerbung sind sie relativ erfolgreich. Diese eigentlich gute Veranlagung wird durch die geringe Größe jedoch häufig gehemmt, da andere Fakultäten die Formalwissenschaften bei hochschulinternen Entscheidungen praktisch immer überstimmen können.
Die Verlierer des Prozesses sind die Geisteswissenschaften. Sie haben viele Studenten, aber nur wenig Nachfrage seitens der Wirtschaft (weswegen hier das Lehramtsstudium auch überproportional häufig vertreten ist). Gleichzeitig sind sie relativ teuer, da umfangreiche Bibliotheken und viele Lehrkräfte bezahlt sein wollen. Drittmittel sind sehr schwierig zu erwerben.
Völlig abgeschlagen sind dabei die sogenannten Orchideenfächer. Ich habe sie bisher nicht aufgeführt; sie umfassen Fakultäten wie Altamerikanistik, Maya-Dialekte und ähnliches. Sie haben meist einstellige oder kleine zweistellige Studentenzahlen, benötigen aber umfangreiche Bibliotheken und ein bis zwei Lehrkräfte und sind damit für die Universitäten ein Verlustgeschäft. Als man noch dem Humbold'schen Ideal folgte, schärften sie das Profil und waren teilweise der Stolz der Universität; seit Bologna regieren die Buchhalter. Die Folgen sind leicht auszumalen.
Damit steht die "unternehmerische" Hochschule vor einem Dilemma: Sie hat ein zu großes Angebot auf der einen Seite (BWL und Jura, Natur- und Formalwissenschaften) und eine zu große Nachfrage auf der anderen. An dieser Stelle kommt die Politik ins Spiel. Durch Initiativen wie den "Girl's Day" wird versucht, besonders die Naturwissenschaften attraktiver zu machen und für neue Studentenschichten zu öffnen. Gleichzeitig werden die staatlichen Budgets zugunsten von Drittmitteln und Studiengebühren gekürzt. Dadurch sind die Universitäten gezwungen, ebenfalls zu sparen. Die oben stehende Arithmetik verlangt zwingend den Ausbau billiger Studiengänge (BWL und Jura) und das Einsparen an Geisteswissenschaften und Orchideenfächern. Dadurch wird eine künstliche Verknappung geschaffen, die Studenten zwingt, andere Fächer zu wählen (die für die Uni kosteneffizienter sind). Da dieser Prozess alles andere als gute Publicity bringt, braucht es entsprechende Unterstützung. Die Konzerne, Hauptgewinner dieser Entwicklung, rühren kräftig die Werbetrommel. Sie finanzieren Initiativen wie die INSM. Dazu kommt der Bertelsmann-Konzern mit seinem CHE (Centrum für Hochschulentwicklung), der mit dubiosen Rankings und Werbemillionen für das entsprechende publizistische Begleitfeuer sorgt, das vorrangig von Magazinen wie Focus, Spiegel und Stern veröffentlicht wurde.
Mit Freiheit der Wissenschaft hat das alles wenig zu tun.
Dieser Überblick, der sicherlich sehr subjektiv gefärbt ist, in aller Kürze. Wer es ausführlicher und objektiver will, folge obigem Link. Ich möchte der Frage nachgehen, was das nun konkret bedeutet. Zu diesem Zweck möchte ich eine weitere grobe Vereinfachung anstellen: ich teile die Fakultäten in einige Gruppen ein. Exemplarisch seien das "BWL und Jura", die noch zahlreiche verwandte Studiengänge subsumiert, Formalwissenschaften (wie Mathematik), Naturwissenschaften (zu denen in diesem Fall auch Medizin, Ingenieurswissenschaften etc. gezählt werden) und Geisteswissenschaften.
Nach der Theorie, die hinter dem Bolognaprozess steckt, soll die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge eine europaweite Vergleichbarkeit der Abschlüsse (auch mit den USA) bringen. Dieses Ziel ist bereits nicht erreicht, stattdessen divergieren die Abschlüsse stärker als je zuvor und die mit hervorragendem Ruf versehenen Abschlüsse der deutschen Universitäten - Diplom, Magister, Staatsexamen - werden abgeschafft. Weiter besagt die Theorie, dass das Angebot der Hochschule die Nachfrage wiederspiegelt und sich so optimal an die Bedürfnisse der "Kunden" - der Studenten - anpasst. Die enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft - die dank der exzessiven Rechte der Hochschulräte seitens der Hochschule auf das Abarbeiten der Lobbyistenwunschzettel hinausläuft - soll dabei eine große Praxisnähe sichern.
An dieser Stelle nun greift aber die Bologna-Arithmetik. Da die Hochschulen mehr "Autonomie" haben als je zuvor, müssen/können sie auch ihr Budget frei einteilen. Das führt zu folgender Situation:
Die Hochschule muss - ebenfalls ein Ziel des Bologna-Prozesses - kosteneffizient arbeiten. Deswegen sind Studiengänge top, die viele Studenten mit wenig Professoren und vor allem wenig Nebenkosten abdecken. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die Wirtschaft diese Studenten will und die Studiengänge durch reichhaltige Drittmittel sponsort (was inzwischen bereits so weit geführt hat, dass weniger die fachliche Reputation bei der Einstellung eines Professors von Belang ist als sein Erfolg bei der Werbung nach Drittmitteln). Die Gewinner dieser Arithmetik sind demnach klar "BWL und Jura" (nach oben genannter Definition). Beide Studiengänge kommen mit vergleichsweise kleinen Biblitotheken aus, benötigen keinerlei Gerät für Versuche und ähnliches und haben gute Berufsaussichten in der freien Wirtschaft. Alles, was die Universität stellen muss sind Lehrkräfte und Räume und die vergleichsweise kleine Bibliothek. Dazu kommt in diesem Fall der Trend, die wissenschaftliche Strömung glattzubügeln und nur noch Lehrkräfte einer bestimmten Ausrichtung auf den Stuhl zu berufen.
Die zweite Kategorie sind in dieser Arithemtik die Naturwissenschaften. Sie leiden an zwei elementaren Nachteilen (aus Sicht eines Bologna-Arithmetikers). Sie sind relativ teuer, weil zahlreiche Geräte für Versuche und ähnliches bezahlt sein müssen, die häufig furchtbar teuer sind. Gleichzeitig gibt es relativ niedrige Studentenzahlen. Letzteres ist ein Problem, weil die Fakultäten anteilig an den Studiengebühren budgetiert werden. Der große Vorteil der Naturwissenschaften ist, dass sie eine verhältnismäßig leichte Drittmittelwerbung haben. Viele Konzerne spendieren die teuren Geräte - und erhalten im Gegenzug massiven Einfluss und Patentrechte (!) auf Lehrpläne, Forschung und Abschlüsse. Dadurch können sie die Abschlüsse der Studenten direkt an ihre Bedürfnisse anpassen und die Besten direkt abschöpfen.
Die Formalwissenschaften haben nur wenige Studenten, aber auch geringe Kosten (kaum Geräte, kleine Bibliotheken). Auch bei der Drittmittelwerbung sind sie relativ erfolgreich. Diese eigentlich gute Veranlagung wird durch die geringe Größe jedoch häufig gehemmt, da andere Fakultäten die Formalwissenschaften bei hochschulinternen Entscheidungen praktisch immer überstimmen können.
Die Verlierer des Prozesses sind die Geisteswissenschaften. Sie haben viele Studenten, aber nur wenig Nachfrage seitens der Wirtschaft (weswegen hier das Lehramtsstudium auch überproportional häufig vertreten ist). Gleichzeitig sind sie relativ teuer, da umfangreiche Bibliotheken und viele Lehrkräfte bezahlt sein wollen. Drittmittel sind sehr schwierig zu erwerben.
Völlig abgeschlagen sind dabei die sogenannten Orchideenfächer. Ich habe sie bisher nicht aufgeführt; sie umfassen Fakultäten wie Altamerikanistik, Maya-Dialekte und ähnliches. Sie haben meist einstellige oder kleine zweistellige Studentenzahlen, benötigen aber umfangreiche Bibliotheken und ein bis zwei Lehrkräfte und sind damit für die Universitäten ein Verlustgeschäft. Als man noch dem Humbold'schen Ideal folgte, schärften sie das Profil und waren teilweise der Stolz der Universität; seit Bologna regieren die Buchhalter. Die Folgen sind leicht auszumalen.
Damit steht die "unternehmerische" Hochschule vor einem Dilemma: Sie hat ein zu großes Angebot auf der einen Seite (BWL und Jura, Natur- und Formalwissenschaften) und eine zu große Nachfrage auf der anderen. An dieser Stelle kommt die Politik ins Spiel. Durch Initiativen wie den "Girl's Day" wird versucht, besonders die Naturwissenschaften attraktiver zu machen und für neue Studentenschichten zu öffnen. Gleichzeitig werden die staatlichen Budgets zugunsten von Drittmitteln und Studiengebühren gekürzt. Dadurch sind die Universitäten gezwungen, ebenfalls zu sparen. Die oben stehende Arithmetik verlangt zwingend den Ausbau billiger Studiengänge (BWL und Jura) und das Einsparen an Geisteswissenschaften und Orchideenfächern. Dadurch wird eine künstliche Verknappung geschaffen, die Studenten zwingt, andere Fächer zu wählen (die für die Uni kosteneffizienter sind). Da dieser Prozess alles andere als gute Publicity bringt, braucht es entsprechende Unterstützung. Die Konzerne, Hauptgewinner dieser Entwicklung, rühren kräftig die Werbetrommel. Sie finanzieren Initiativen wie die INSM. Dazu kommt der Bertelsmann-Konzern mit seinem CHE (Centrum für Hochschulentwicklung), der mit dubiosen Rankings und Werbemillionen für das entsprechende publizistische Begleitfeuer sorgt, das vorrangig von Magazinen wie Focus, Spiegel und Stern veröffentlicht wurde.
Mit Freiheit der Wissenschaft hat das alles wenig zu tun.
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