Von Stefan Sasse
Wenn es im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf der USA zwei konstante Topics gibt, die beständig abgerufen werden, dann die Unvermeidlichkeit einer Kandidatur Mitt Romneys und die verbreitete Enttäuschung über Obama. Die Sache mit Romney ist relativ klar: er ist der einzige Nicht-Tea-Party-Kandidat außer Jon Huntsman, der über eine gewisse Wählbarkeit auch in der Mitte verfügt und nicht nur dazu geeignet ist, die rechte Basis der Republikaner zu mobilisieren. Im Gegensatz zu Huntsman hat er aber Netzwerke, Geld und Einfluss. Sofern es nicht Newt Gingrich als letztem Tea-Party-Darling, der sich noch nicht selbst zerlegt hat gelingt bis weit in die Vorwahlen hinein seine Frontrunner-Position zu halten, ist eine Kandidatur Romney sehr wahrscheinlich. Daran ändern auch konstante Spekulationen über die Chancen des radikallibertären Ron Paul nichts. Davon abgesehen aber ist die Debatte über Obama eigentlich interessanter. Der Beginn seines Wahlkampfs nämlich wird bislang von den Eskapaden seiner mannigfaltigen Herausforderer deutlich überschattet, nimmt jedoch langsam Kontur an. Er reagiert vor allem auf die für ihn doppelt nachteilige Einschätzung seiner Präsidentschaft. Die einen nämlich, seine Gegner auf dem Rechten, stilisieren ihn zum Anti-Christen, zum sozialistischen Maulwurf im Weißen Haus, während die demokratische Basis vollkommen enttäuscht ist und ihn für einen verkappten Zentristen hält, dessen "change" sich als eine Packung heißer Luft entpuppte. Beides ist schwer möglich, und da jeder Einschätzung ein Körnchen Wahrheit zugrundeliegt dürfte die Wahrheit irgendwo leicht links der Mitte zu finden sein. Und wenn man genauer hinschaut ist es auch tatsächlich so.
Die Rede Obamas, mit der er richtig in den Wahlkampf einstieg, enthielt eine neue Catchphrase: im Gegenzug zum "Yes we can" des Wahlkamps 2008 und dem Versprechen auf Change kam in seiner Rede insgesamt 10 Mal die Wendung "Change is..." vor, in der er versucht, die bisherigen Leistungen der Administration als erfülltes Versprechen zu verbuchen. Besonders die Krankenversicherungsreform, die gewissermaßen die Wasserscheide der Obama-Administration darstellt, soll durch diesen Spin für die eigenen Anhänger in ein positives Licht gerückt werden. Auch andere progressive Politikansätze werden mit "Change is..." als "in Arbeit" dargestellt, etwa den Umstieg auf grüne Energien und den Rückzug aus dem Irak. Für Obama ist dieser Schritt nicht nur logisch, sondern auch vergleichsweise risikolos. Solange er nicht weiß, gegen wen er 2012 antreten wird, darf er sich noch nicht allzu sehr festlegen. Wird es Mitt Romney, so wird er es ungleich schwerer haben, die Wechselwähler der politischen Mitte auf seine Seite zu ziehen. Die Unterstützung der progressiven Basis, die ihm bereits 2008 den Wahlsieg sicherte, ist dann umso wichtiger. Wird es ein Tea-Party-Kandidat, so wird Obama aller Wahrscheinlichkeit nach einen moderaten Kurs fahren und jede zu enge Bindung zum progressiven Flügel herunterspielen. Das Thema wird dann weniger der Change sein als vielmehr, warum er gar nicht so schlimm ist. Obama wird sich dann als vernünftige, harmlose Variante zu einem rechten Spinner zu inszenieren versuchen, um möglichst viele Wechselwähler zu gewinnen und gemäßigte Republikaner von den Wahlurnen fern zu halten.
Mitt Romney |
Jenseits solcher taktischer Überlegungen aber basiert das gesamte "Obama enttäuscht"-Narrativ auf einer Fehlwahrnehmung. Es hängt mit der spezifischen Mentalität von Progressiven zusammen, die ich als "Triumph oder Verrat" beschrieben habe: aus irgendeinem Grund erwarten die Progressiven von ihren gewählten Anführern, dass sie ohne jeden Fehl die von ihnen gewünschte Agenda zu 100% umsetzen. Sie sind dann bitter enttäuscht, wenn es nicht klappt, und verteufeln ihre vorherigen Hoffnungsträger dann entweder als Versager oder gleich als Verräter. Jonathan Chait, ein Parteigänger der Demokraten, hat im New York Magazine einen Beitrag unter dem Titel "When did Liberals become so unreasonable?" (Wann wurden Liberale so unvernünftig?) geschrieben, in dem er dieselbe Argumentation wie ich aufführt, mit dem zusätzlichen Charme, dass er sie anhand von Empirie belegt. Chait erkennt nämlich zusätzlich noch ein zweites Muster: früher war es besser und reiner. Was bei uns die guten alten Zeiten der Sozialdemokratie unter Willy Brandt sind ist den amerikanischen Liberalen Bill Clinton, Jimmy Carter und Lyndon B. Johnson. Chait weißt jedoch nach, dass sie alle - bis zurück zu Truman und darüber hinaus - mit demselben Problem zu kämpfen hatten: ihre eigene Basis warf ihnen vor, zu sehr auf Kompromisse zu denken und die eigene Lehre zu verraten. Erst wenn die Progressiven ihren nächsten Hoffnungsträger mit Wonne zerfetzen können stellen sie ihre bisherigen Opfer plötzlich in eine Nische des liberalen Schreins. Dieses Verhalten trifft gerade auch Obama, obwohl es dafür keine Grundlage gibt. Wahrscheinlich wird er sogar einen Spitzenplatz in diesem Schrein einnehmen, wenn die Progressiven erst einmal ihr nächstes Opfer gefunden haben.
Denn tatsächlich ist seine Bilanz deutlich besser, als dies den Anschein hat. Zwar konnte er diverse Wahlversprechen nicht umsetzen, allen voran solche Kernforderungen wie die Schließung von Guantanamo. Das liegt aber nicht daran, dass er es nicht versucht hätte. Und die Gesundheitsreform mag nicht dem entsprechen, was man sich auf Seiten progressiver Demokraten erhofft hatte. Aber es gibt jetzt überhaupt einmal eine! Dies ist eine Aufgabe, an der Bill Clinton nicht nur scheiterte, sondern geradezu eine 180-Grad-Kehrtwende vollzog. Obama dagegen hat es geschafft, das durchzubringen. Er hat auch den Abzug amerikanischer Truppen aus dem Irak eingeleitet. Und der "Krieg gegen den Terror" wurde eher eingedämmt als weiter eskaliert. Sicher, all das ist nur Stückwerk und verbesserungsbedürfig. Gerade außenpolitisch ist Obama eine Enttäuschung für uns Europäer, die wir uns irgendwie eine nettere USA erhofft hatten. Aber er ist deutlich besser als sein Ruf, und spätestens wenn er abgewählt wird oder seine zweite Amtszeit endet werden dies auch seine schärfsten Kritiker erkennen müssen, denen realistischere Erwartungen, wie sie Chait in seinem Artikel anmahnt, definitiv gut täten.
Sehr schöner Artikel, der die Lage gut analysiert. Als Obama damals gewählt wurde, war die Erwartungshaltung so immens groß, dass eine Enttäuschung ja quasi vorprogrammiert war. Der Friedensnobelpreis als Sahnhäubchen auf den Hoffnungen, die auf seinen Schultern lagen war da auch nicht wirklich hilfreich. Jeder mit einem gewissen Sinn für Realität kann sich doch ausmalen, dass man das Schlachtschiff USA nicht innerhalb von ein paar Monaten um 180 Grad drehen kann. Die Tendenz ist jedoch schonmal richtig, der Anfang ist gemacht und der Rest braucht Zeit.
AntwortenLöschenInteressant wäre auch mal eine Analyse, wieso die Rechten da wesentlich gelassener und scheinbar unemotionaler an die Sache rangehen. Vielleicht hat das wieder etwas mit diesem scheinbaren Pragmatismus zu tun, bzw. der generellen Verweigerung irgendeiner Art Utopie, weil das ja etwas für Spinner und Hippies ist. Wenn man kein Idealbild einer Gesellschaft im Kopf hat, spielt es ja keine Rolle, wie schnell man sich darauf zubewegt.
"radikallibertär" ...? Wer den US-konservativen Mainstream (oder auch die FDP) schon als marktradikal ansieht, der muss mit solchen (unsinnigen) Begriffskreationen aufwarten. Romney und Huntsman überhaupt auf die libertäre Schiene zu ziehen, ist Irrsinn. Das sind phatte Etatisten. Von der Couch des Mainstreams aus erscheinen die marginalen Unterschiede zu Obama offensichtlich als monströs.
AntwortenLöschenDas Attribut bezog sich eindeutig auf Ron Paul. Musst schon richtig lesen, Tobias ;)
AntwortenLöschenJa sicher, das meinte ich ja. Wenn du Ron Paul als radikallibertär bezeichnest, muss auch jemand "nur" libertär sein. Da kannst du dich nicht rausreden ... es ist 'euer' Weltbild, dass der 'Mainstream' marktradikal sei und die USA die Blüte des Kapitalismus.
AntwortenLöschenJetzt fängst du wieder damit an. Erstens solltest du aufhören, deinem Gegenpart immer irgendwelche Kollektivpositionen zu unterstellen, und zweitens besteht kein logischer Zusammenhang. Nur weil Ron Paul radikallibertär ist, müssen die anderen nicht libertär sein. Wenn drei Sozialdemokraten und ein Nazi Kanzlerkandidaten sind, macht das die Sozis nicht rechts, nur weil der vierte rechtsradikal ist. Das konstruierst du selber.
AntwortenLöschen"radikallibertär" ist ein Pleonasmus. "libertär" ist kein Oberbegriff, den man quantitativ verhunzen kann. So wird und wurde es noch nie gemacht. Links-Libertarismus ist eine andere Dimension. Du musst instinktiv zu solchen unsinnigen Kunstgriffen greifen - und sei es unbewusst, weil du und 'ihr' leichtfertig von Marktradikalismus sprecht, wo keiner ist ... weder bei den Republicans in den USA und noch weniger bei der FDP in Deutschland. Was sind denn Romney und Huntsman für dich? Libertär oder etatistisch? Gerade nachdem (eben) du kürzlich schlussfolgertest, wie sehr die Tea Party die Republicans ganz automatisch nach 'rechts' zieht.
AntwortenLöschenDie sind vulgärlibertär in manchen Bereichen, etatistisch in anderen (besonders Militär und Wallstreet).
AntwortenLöschenEin für die Wahl wahrscheinlich sehr wichtiges Thema vermisse ich in dem Artikel: "It´s the economy, stupid." (aka "Jobs, Jobs, Jobs ..."). Wie ich es sehe, wird die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage der USA für die Wahl wesentlich wichtiger werden als Guantanamo, der Irak oder die Krankenversicherungsreform. Was hat Obama in dieser Hinsicht vorzuweisen (nicht allzu viel, nach allem, was man hört ...) ? Könnte die Enttäuschung der Obama-Wähler nicht auch damit zusammenhängen, nicht nur mit ihrer prinzipiellen Unfähigkeit, zufrienden zu sein ?
AntwortenLöschenDer "Krieg gegen den Terror" wurde eher eingedämmt? So weit ich informiert bin töten US-Amerikanische Drohnen in Afghanistan und Pakistan gerade mehr Menschen als jemals unter Bush und die Lynch-Justiz gegenüber Bin Laden war nun auch nicht die feine liberale Art. Aber das nur nebenbei.
AntwortenLöschenInteressant finde ich, dass der "typische Republikanische Präsident" in wesentlichen Dingen praktisch keine Kompromisse eingehen muss (Reagan mit seinen Steuersenkungen und Sozialabbau oder Bush mit seinem Patriot Act, Guantanamo etc.). Die demokratischen Präsidenten hingegen müssen immer unsägliche "Kompromisse" eingehen (in Sachen Guantanamo von Kompromiss zu reden wäre zynisch).
Mir scheint die USA sind ein erzkonservatives Land mit gelegentlichen Ausbrüchen liberaler Gewissensbissen.
Obamas Rede in Osawatomie zur Wirtschafts- und Steuerpolitik gestern war absolut phantastisch (Link unten). Niemand, niemand auf dieser Welt kann so gut die linke politische Narrative einer nur gemeinsam möglichen Zukunft erzählen wie Obama.
AntwortenLöschenIch mag mich damit unbeliebt machen, ich mag naiv klingen, aber ich verehre diesen Mann, als Politiker wie als Mensch, noch immer so, oder sogar mehr, als während des Wahlkampfs vor vier Jahren.
Er hat nicht alle Versprechen eingehalten? Wow, wer hätte das gedacht? Chait hat absolut recht, die Linke hat oft überzogene Erwartungen. Oft ist Stillstand, oder zwei Schritte vor, einen zurück eben schon ziemlich viel in strukturell konservativen Ländern wie den USA, aber auch Deutschland.
Oft ist ein Bollwerk gegen alles Schlechte und Falsche (durch Libertäre und die Republikaner in den USA, durch die FDP oder Nazis in Deutschland) schon das, was vernünftige linke/aufgeklärte Politiker erreichen können. So ist das. Politik ist kein Ponyhof.
Ich auf jeden Fall werde bis zur Wahlnacht im nächsten Jahr mitzittern und mithoffen, dass dieser große Präsident eine zweite Amtszeit bekommt.
http://www.whitehouse.gov/photos-and-video/video/2011/12/06/president-obama-speaks-economy
@Anonym: Richtig, aber die Wirtschaftslage kann er kaum beeinflussen, und mir ging es eher um wahlkampfstrategische Überlegungen.
AntwortenLöschen@Wolfgang: Ja, die Drohnen wurden ausgeweitet, das ist richtig. Dafür wurde das direkte militärische Engagement zurückgefahren.
@Anonym: Zustimmung.
Alles richtig, was Du sagst. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das wirklich so ausschlaggebend sein wird. Dass die Linke schnell Verrat wittert stimmt, aber ich glaube, viele die Obama vor vier Jahren gewählt haben, gucken nicht so sehr auf Guantanamo, sondern mehr auf ihre persönliche Situation. Und bei vielen wird sie sich nicht verbessert haben, die Ungleichheit ist immer noch hoch, die Wall Street hat immer noch viel Macht etc.pp.
AntwortenLöschenDa kommt für mich mehr Frust und Enttäuschung her als von Guantanamo.
Klar, das meiste davon liegt gar nicht in seinem Handlungsspielraum, aber es wird für die Wahlentscheidung trotzdem eine Rolle spielen.
Ich denke, es wird daher auch stark auf das Narrativ und seine Redekraft ankommen, um diese Leute wieder an die Wahlurnen zu bringen. Und ich glaube, da wäre es auch ganz gut, wenn er leidenschaftlicher/kämpferischer an die Sache rangehen müsste.
Mehr zum Thema von dem (tollen) blogger Kevin Drum:
AntwortenLöschenhttp://motherjones.com/kevin-drum/2011/12/next-years-big-bout-real-obama-vs-fantasy-obama
@Stefan
AntwortenLöschenDie Wirtschaftslage kann er kaum beeinflussen? Ja, warum wählen wir dann überhaupt noch, wenn die Wirtschaftslage von den Gewählten nicht beeinflusst werden kann?
Das wage ich doch arg zu bezweifeln. Konjunkturpaket, schonmal gehört? Er hat ja sogar eins gemacht, auch wenn es zu wenig war. Einführung einer Jobgarantie? Wäre möglich, macht er nicht. Warum nicht ist hier die Frage.
Zwischen Können und Wollen ist natürlich ein Unterschied, aber wenn nichtmal der Wille da ist?
Korrigiere: er hat vergleichsweise wenig Einfluss.
AntwortenLöschenChristian, guck Dir doch nochmal den Gesetztgebungsprozess in den USA mit besonerer Beruecksichtigung des Kongresses an. Und dann recherchier mal, warum kein zweites grosses Konjunkturpaket verabschiedet wurde.
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