Donnerstag, 29. Dezember 2011

Wenn die Wahrheit zu Tage kommt….

Von Jürgen Voß

Die Rente mit 67. Ein Dauerthema, ein Kernprojekt der Agenda 2010, mit Klauen und Zähnen als richtig, „wegweisend“ für alle anderen europäischen Staaten, als „Segen“, so die FAZ noch vor wenigen Tagen, von unseren Politkern und den in allen neoliberalen Grundfragen gleichschalteten Medien seit Jahren propagiert, gelobt und mit hoch manipulativen Statistiken sowie mit atemberaubenden Demografieprognosen immer wieder „untermauert“, kommt in diesen Tagen wieder hoch, leider – oder je nach Sichtweise auch Gott sei Dank – weil mit der kruden Wahrheit konfrontiert.

Und die sieht ganz anders aus, als uns Müntefering, FAZ, SZ & Co seit Jahren erzählen. Nichts war es mit den Älteren, die am Arbeitsmarkt eine immer größere Wertschätzung erfahren, genau das Gegenteil ist der Fall: Die Frührente ist der Normalzustand. In sie geht jeder zweite Neurentner (SZ vom 28.12.), und dies sicherlich nicht freiwillig, sondern als Resultat seines ruinierten Gesundheitszustandes oder direkt aus der Arbeitslosigkeit, nicht selten auch aus der Kombination beider Gründe. Hohe Abschläge sind die Folge. Die von der SZ genannten durchschnittlichen Absolutverluste von 113 Euro pro Monat sind es ja nicht alleine. Es fehlen ja noch die nicht mehr erreichten Rentenansprüche der fehlenden Jahre, pro Jahr für Durchschnittsverdiener sind dies rund 28 Euro im Monat. Sie müssten an sich noch hinzuaddiert werden.

Die Rente mit 67 ist also nichts anderes als das, was ihre Gegner schon immer behauptet haben: Ein drastisches Rentenkürzungsprogramm, weil es noch nicht einmal einen geordneten Arbeitsmarkt bis 65 gibt.

Doch immer, wenn der Zug auf den Abhang zufährt – das zeigt die deutsche Geschichte -  ziehen die Leute, die für die falsche Fahrtrichtung verantwortlich sind, in der Regel nicht die Notbremse sondern legen sogar noch Kohlen nach. Getreu der Maxime von Karl Valentin, die Wahrheit „erst gar nicht ignorieren“ zu wollen, fordern sie jetzt die Rennte mit 69.

Unter der Überschrift „Demografischer Stresstest“ gibt die Süddeutsche Herrn Diekmann, dem Vorstandsvorsitzenden der Allianz, Gelegenheit, uns schon mal darauf einzustimmen, was die neoliberale Front für die jetzige Generation der Erwerbstätigen bereithält: „In unseren dramatisch alternden Gesellschaften“, in der „die Zahl der Empfänger von Transferleistungen wächst, während die Zahl der Beitragszahler schrumpft“, woraus eine “höhere Staatsverschuldung“ resultiert, die von „der sinkenden Erwerbsbevölkerung“ nicht mehr aufgebracht werden kann, muss das „Renteneintrittsalter schrittweise auf 69“ erhöht werden. Diekmann vergisst natürlich nicht das eigene Portefeuille: “Anstelle der Umlagefinanzierung muss verstärkt die Kapitaldeckung treten. Eigenverantwortung, private Vorsorge wird immer wichtiger, auch und grade für Bezieher niedriger Einkommen“. 

Nun könnte man die Frage stellen, ob es sich mit dem Anspruch der Süddeutschen, eine seriöse Tageszeitung zu sein, verträgt, den Chef einer Privatversicherung (warum nicht gleich Herrn Maschmeyer) eine Kolumne schreiben zu lassen, in der dieser unverhohlen für sich selbst und seinen Laden werben kann. Doch in einer politischen Landschaft, in der der Bundespräsident stolz ist auf seine Freundschaft mit einem dreimal chemisch gereinigten Halbweltloddel, der nachweislich tausende Anleger betrogen hat, ist man wohl von „gestern“, wenn man solche Fragen stellt.

Jedoch in einer Zeit, in der der Steuerzahler die von Millionen Beitragszahlern schon gezahlten Milliarden an kapitalgedeckter Altersvorsorge (Pensionsfonds, Privatversicherungen etc.), die von den Banken verzockt wurden, noch einmal bezahlen muss, ausgerechnet für eine solche kapitalgedeckte Altersvorsorge zu werben und sie als einzige Lösung des Demografieproblems zu nennen, ist schon ein starkes Stück und darin liegt die eigentliche Chuzpe dieses seltsamen Beitrages.

Die klassische umlagefinanzierte Rente, die im Rahmen der Finanzkrise der letzten Jahre wie ein Fels in der Brandung steht, soll also ablöst werden durch ein System, das den Unsicherheiten der Finanzmärkte voll ausgesetzt ist und das zur Zeit mit einer Garantierendite unterhalb des Inflationsniveaus arbeitet und zudem nur bedient werden kann, solange Geld verdient wird, also der Arbeitsplatz sicher ist und das zudem später mit der Grundsicherung verrechnet wird.

Oder, um es drastischer zu sagen:
Wir sollen Herrn Ackermann, Herrn Diekmann, Herrn Maschmeyer und Konsorten in Zukunft nicht Milliarden, sondern Billionen anvertrauen. Da wünsche ich jetzt schon mal viel Vergnügen!

9 Kommentare:

  1. Hi Stefan, ich werde ab jetzt öfters mal statt hier zu kommentieren auf meinem eigenen neuen Blog reagieren. Hier:

    http://rekordniveau.posterous.com/des-einen-rentenversicherung-des-anderen-schu

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  2. .....wir sollten Herrn Ackermann, Herrn Diekmann, Herrn Maschmeyer und Konsorten in Zukunft nicht Milliarden und auch nicht Billionen anvertrauen....wir sollten ihnen den Strick um den Hals legen......

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  3. Dazu ergänzend die Nachricht der Bundesagentur für Arbeit (BA), dass immer weniger ALGI für Arbeitslose ausbezahlt wird, weil die sofort nach Eintritt der Arbeitslosigkeit HartzIV-Fälle werden:

    "[...]Jeder vierte Erwerbslose sofort in der Hartz IV Falle

    29.12.2011

    Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg rutscht jeder vierte zuvor Erwerbstätige bei beginnender Arbeitslosigkeit in die Hartz IV Falle. Einer der Hauptgründe: Viele Betroffenen waren im Vorfeld nur kurzfristig sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Etwa ein Drittel war zudem bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt.

    Die aktuellen Zahlen der BA zeigen, wie stark der sogenannte Niedriglohnsektor ausgebaut wurde. Jeder vierte Beschäftigte, der seine Arbeit verliert, ist im Anschluss statt auf das Arbeitslosengeld Eins, auf das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angewiesen. Immer mehr Erwerbslose bekommen demnach zu wenig oder kein Geld aus der Arbeitslosenversicherung ausgezahlt. Etwa ein Drittel war zuvor als Zeitarbeiter in einer Leiharbeitsfirma beschäftigt. Laut der vorliegenden Auswertung der Bundesarbeitsagentur ist die Zahl der Neu-Erwerbslosen, die nach Verlust des Arbeitsplatzes auf Hartz IV angewiesen sind, seit 2008 kontinuierlich gestiegen[...]"

    Quelle und kompletter Text:

    http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/jeder-4-erwerbslose-sofort-in-der-hartz-iv-falle-5209882.php

    Tja, da hat der kriminelle Dr. Hartz ganze Arbeit geleistet, und die SPD samt Grünen sind ihm - im Verein mit CDU/CSU/FDP noch heute dankbar dafür. Der Volksprotest? Wir leben in Deutschland, da löst man erst eine Bahnkarte - oder bittet um Erlaubnis - bevor man auf die Barrikaden geht.

    Zynischer Gruß
    Bernie

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  4. Insider und Outsider.

    http://www.mpifg.de/pu/mpifg_ja/PVS_3-06_Cioffi-Hoepner.pdf

    Es sind nicht nur die Maschmeyers, die das System immer weiter zu ihren Gunsten transformieren.

    Sondern es sind die Interessen der Insider.

    Zu denen die Arbeitnehmervertreter gehören.

    Und die Outsider für die man angeblich die ganzen Reformen angeblich gemacht hat?

    Geht es schlechter als je.

    Was zeigt Umverteilung funktioniert.

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  5. Deine Theorie hat aber einen Pferdefuß - So mancher Insider (=Arbeitnehmer), für den die "Reformen" (=Verschlechterungen) gemacht waren ist nun selbst ein Outsider (=Arbeitsloser), und zwar direkt nach der Entlassung - Siehe mein Hinweis "Jeder vierte Erwerbslose sofort in der Hartz IV Falle".

    Gab es, vor der Agenda 2010, nicht einmal eine Diskussion darüber das Arbeitslosengeld I ganz abschaffen, damit Entlassene eben sofort in Hartz IV landen? Ich meine mich daran erinnern zu können, aber weiß es nicht mehr genau - Tja, vielleicht findet man ja eine Stelle im Netz wo dieses einstige Regierungsvorhaben, im Verein mit CDU/CSU/FDP, noch dokumentiert ist?

    Frau Von der Leiharbeit sorgt nun eben dafür, dass dieser Wunsch der selbsterannten "Eliten" in Deutschland in Erfüllung geht, und meiner nicht. Welcher? Es müßte einen kompletten Elitenaustausch geben - Arbeitslose und Ex-Arbeitslose sowie Niedrig(st)löhner und Normalverdiener an die Macht, und Von Der Leiharbeit & Konsorten in den Orkus.

    Ich weiß dafür benötigen wir etwas was die Menschen in einigen arabischen Ländern bereits haben eine

    R e v o l u t i o n

    von Unten.

    Ich bin halt ein alter Idealist :-(

    Trauriger Gruß
    Bernie

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  6. Gratuliere Stefan,
    ein herrlich erfrischend sarkastischer Artikel!
    Etwas anderes scheint uns ja auch nicht übrig zu bleiben...
    (Vom Strick mal abgesehen)

    der Herr Karl

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  7. Ich zitiere die erste Zeile des Artikels:
    "Von Jürgen Voß"
    Aber danke für das Lob, anyway :)

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  8. „goar net ignoriern“ tat der Herr Kraus, mit Vornamen Karl aus Wien.
    vgl: Die Letzten Tage der Menschheit.

    Der Valentin hat's dann wohl übernommen.

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  9. Die Rente mit 67 ist nichts anderes als eine Rentenkürzung. Ende 2004 waren nur rund fünf Prozent aller 64-jährigen Männer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Bei 64-jährigen Frauen lag die Beschäftigungsquote bei rund drei Prozent (Quelle: http://doku.iab.de/kurzber/2007/kb2507.pdf) Dennoch wurde die Rente mit 67 im Jahre 2007 eingeführt. Übrigens mit großem Protest der Gewerkschaften, auch wenn das nicht viele mitbekommen haben.

    Es gibt keinen "demografischen Wandel", sondern eine "demografische Lüge", die instrumentalisiert wird, um Renten zu kürzen und um die Menschen in die private Vorsorge zu treiben.

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