Dienstag, 27. Dezember 2011

Paralleluniversen

Von Stefan Sasse

DGB-Chef Sommer hat eine Steuererhöhung für extrem gut Verdienende auf 49% und die Wiedereinführung der Vermögensteuer vorgeschlagen. Die Reaktionen fielen erwartbar harsch aus; von der FDP kam die Nachfrage, "in welchem Universum" Sommer lebe. Nun, die Frage stellt sich tatsächlich, aber mehr für FDP-Generalsekretär Döring, von dem das Zitat stammt. Er hat prinzipiell Recht, wenn er darauf verweist, dass die Steuereinnahmen des Staates so hoch wie nie zuvor sind. Auch das darin mitschwingende Vorurteil, dass der Staat nicht einfach Geld einsammeln sollte, nur weil er es kann, hat eine gewisse Berechtigung. Tatsächlich ist ein Moloch, der nach allen Ecken und Enden finanzierend die Keule schwingt kaum begehrenswert. Das Universum, in dem Döring lebt, ist aber nicht das, in dem gerade die Vermögenden, die er zu beschützen wünscht, in den letzten Jahren und Jahrzehnten exorbitante Vermögenssteigerungen auf die Kosten der Allgemeinheit erwirtschaftet haben. Alle Kürzungen, die der Staat in dieser Zeit vorgenommen hat, trafen die Armen stets härter als die Reichen und brachten ihnen deutlich weniger. Sie profitierten nicht von der Senkung des Spitzensteuersatzes um elf Prozentpunkte durch die Schröder-Regierung, aber sie litten unter der Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte, mit der das gegenfinanziert wurde, und sie werden unter der Anhebung des Rentenalters mehr leiden. Dörings Frage nach dem Wohnort Sommers impliziert deswegen nur die halbe Wahrheit. 

Denn die aktuelle Euro-Krise mag vielleicht, wie besonders Neoliberale gerne anführen, nichts mit der Finanzkrise zu tun haben. Die Finanzkrise aber ist trotzdem passiert, und sie hat die Verschuldung Deutschlands von rund 60% auf rund 80% des BIP getrieben, womit Deutschland noch relativ gut wegkam. Gerade die Vermögenden aber haben starke Zuwächse in den diese Krise verursachenden entfesselten Finanzmärkten gemacht. Sie stärker zu belasten ist nicht einfach nur Spaß, sondern gerecht und richtig. Wenn der Staat seine jetztigen Rekordeinnahmen (denen auch Rekordausgaben gegenüberstehen, was angesichts der Verwendung absoluter Zahlen ohnehin keine Kunst ist) dadurch weiter steigerte wären zwei Dinge möglich: an anderer Stelle zu kürzen, was Freunde des schlanken Staats erfreuen dürfte (man könnte beispielsweise tatsächlich einmal ernsthaft die kalte Progression angehen), oder aber das Geld ausgeben und damit Umverteilung betreiben. In diesem Fall bin ich, was vermutlich nicht viele überraschen dürfte, explizit für Umverteilung. Sommers Vorschläge werden praktisch garantiert noch als "Umverteilung" gebrandmarkt, ganz schlicht, weil "Umverteilung" zu einem ebenso unreflektierten Schimpfwort degeneriert ist wie "neoliberal". 

Dabei ist das unangemessen. Umverteilung ist nicht per se schlecht. Die Umverteilung von den Vermögenden zu den Habenichtsen gibt es, seit es menschliche Gesellschaften gibt. Sumerische Könige annulierten regelmäßig Schulden, ebenso wie Fürsten des Mittelalters. Römische Kaiser gaben das Geld des Staates für Brot und Spiele aus, frühneuzeitliche Fürsten errichteten Armenhäuser. Wahrscheinlich haben bereits die Höhlenbewohner dafür gesorgt, dass nicht aller Besitz der Sippe in den Händen weniger Personen verbleibt. Das macht Sinn, denn es ist für keine Gesellschaft gesund, wenn sich der Reichtum in wenigen Händen allein konzentriert. Und es gäbe viel sinnvolle Dinge, die man mit dem Geld aus einer solchen Umverteilung finanzieren könnte: allein das Bildungssystem braucht eigentlich viele Milliarden, um auf den Stand gebracht werden zu können, von dem man nicht erst seit PISA weiß, dass er gut wäre. Es braucht den Mut zu einer Umverteilung, und zwar einer anderen, als bisher betrieben wird. Der Verzicht auf eine aktive Umverteilung durch die Politik führt nicht zu keiner Umverteilung, sondern von einer von unten nach oben. Eine neue, aktivere Umverteilung muss offen diskutiert und politisch legitimiert sein. Es kann nicht sein, dass staatliche Stellen in paternalistischem Alleinvertretungs- und Besser-wissen-Anspruch selbstherrlich Gelder einziehen und verwalten. Das ist weder richtig noch zeitgemäß. Für die Rolle der Politik, wie Herr Döring sie sich vorstellt, gilt das allerdings auch.

12 Kommentare:

  1. Denk außerdem an das ganze Geld, das Deutschland eigentlich für einen "Marshallplan" bzw. "Green new Deal" in Südeuropa bräuchte. Wer soll das bezahlen wenn nicht Europas Millionäre? Von mir aus könnte man Einkommen über 100.000 Euro oder so zu 90% wegbesteuern. Das Geld macht die Leute nicht wirklich glücklich und dient nur Luxuskonsum, der aus ökologischen Gründen eh nicht mehr zu rechtfertigen ist.

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  2. Millionäre haben das gleiche Recht wie alle, unglücklich zu sein. Ich stimme dir aber für die Politikfelder zu.

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  3. "Umverteilung ist nicht per se schlecht."

    solche sätze stören mich immer ungemein, weil das so nach rechtfertigung klingt, und als ob es größtenteils schlecht wäre. das gilt natürlich für alle "...aber nicht alle x sind schlecht" sätze die man nach irgendwelchen vorwürfen oft sagt/schreibt. aber das nur mal am rande :P

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  4. Ich hab auch überlegt bevor ich es geschrieben habe aber ich fand es angemessen, ganz einfach weil es kein Wert an sich ist.

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  5. "Denn die aktuelle Euro-Krise mag vielleicht, wie besonders Neoliberale gerne anführen, nichts mit der Finanzkrise zu tun haben."

    Es geht um Arbeitsplätze.

    Mit der 3% Mehrwertsteuererhöhung wurden Arbeitsplätze subventioniert.

    Die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung flossen an die Unternehmen, die dadurch preislich ihre Konkurrenten im Ausland unterbieten können.

    Wir machen immer noch merkantilistische Wirtschaftspolitik.

    Statt daran zu denken Europa ist eine geschlossene Volkswirtschaft. Aussenanteil Handel mit übrigen ~ 10%.

    Sowohl Döring als auch Sommer sind nicht auf der Höhe der Zeit.

    Die Erhöhung der direkten Steuern ist richtig.

    Aber die WIrtschaftspolitik ist eine Katastrophe, die versucht einseitig deutsche Arbeitnehmer zu bevorzugen, ohne das bessere GANZE , bei dem mehr für deutsche Arbeitnehmer herauskommen könnte zu sehen.

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  6. Vielleicht etwas eigen: aber 39% ? So weit wollen wir es doch nicht treiben, oder?

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  7. Weihnachtsgeschichte 2011
    Soziale Kluft: Maria und Josef im Ghetto des Geldes

    Die wohlhabendsten Deutschen leben im Taunus bei Frankfurt: Banker, Manager, Industrielle. Was passiert, wenn man sie um Hilfe bittet? Henning Sußebach hat es versucht.

    http://www.zeit.de/2011/52/DOS-Maria-und-Josef

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  8. http://24.media.tumblr.com/tumblr_loyf7beXgI1qarybjo1_500.jpg

    ;)

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  9. Glaubt wirklich jemand ernsthaft, es würde in absehbarer Zukunft einen Umverteilungsschwenk zurück von oben nach unten geben? Und auf die Gewerkschaften als führende Antriebskraft für einen solchen Schwenk setze ich lieber auch nicht.

    Man sehe sich bitte diesen Beitrag aus der gestrigen Abendschau des BR an. Von diesem Herrn Brossardt von der vbw habe ich ja nichts anderes als neoliberale Jubelhymnen auf Leih- und Zeitarbeit usw. erwartet, aber der Gewerkschaftsfuzzi gibt nun wahrlich ein ziemlich schwaches Bild ab:

    http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/abendschau/politik100.html

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  10. Umverteilung haben wir doch schon ganz massiv, und zwar von unten nach obern! Oder wie ist es sonst möglich, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer? Da die Ressourcen begrenzt sind, können nicht alle immer reicher werden. Also ist die Frage nach einer gerechten Verteilung der Ressourcen (und zwar weltweit, nicht nur in Deutschland) ein sehr berechtigte. Reiche leben nicht im luftleeren Raum, und die Legende, dass sie nur so reich sind, weil sie so tüchtig ist, ist bei näherem Hinsehen leicht als Lüge zu entlarven.

    Die entscheidende Frage ist für mich: wie viel braucht ein Mensch zum Glücklichsein? Und wer diese Frage ehrlich beantwortet wird leicht erkennen, dass unser Planet locker allen Menschen ein gutes Auskommen sichern könnte. Aber da jeder, der die Möglichkeit dazu hat (und damit meine ich nicht nur Superreiche), so viel wie nur irgend möglich für sich beansprucht, geht die Rechnung nicht auf.

    Ich sehe nicht, dass sich so schnell viel ändern wird (obwohl es auch positive Anzeichen gibt, aber noch nicht in der Politik und bei der Mächtigen), weil das Muster, das die Gier verursacht(Angst davor, zu wenig haben zu können - was am Ende ist es die Angst vor dem Tod ist -, und die Lüge, dass materieller Wohlstand, der ein bestimmtes Maß überschreitet glücklich und sicher machen kann) nicht so schnell im großen Stil kollabieren wird.

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  11. http://www.zeit.de/2011/52/DOS-Maria-und-Josef-Gespraech

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  12. Ist mir neu, dass Maria und Josef Obdachlose gewesen sein sollen ...

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