Sonntag, 18. Dezember 2011

Zweifelhafter Spaß mit Statistik

Von Stefan Sasse

Es gibt eine Kategorie von Artikeln in den Medien, deren Inhalte völlig belanglos sind und die eigentlich nur dem Amüsement dienen. Fun Facts. Ein Bundestagsabgeordneter, dessen Büro dementiert hat, dass man eine Eingabe zu umfallenden Reissäcken in China gemacht hat, beispielsweise. Der Spiegel hat gerade so eine Meldung im Angebot, die der zuständige Redakteur wohl mit völlig abgeschaltetem Hirn geschrieben hat:
Plenarsitzungen im Deutschen Bundestag sind keine Spaßveranstaltungen. Dass es unter der Kuppel des Reichstags aber durchaus lustiger zugeht, als die bisweilen heruntergezogenen Mundwinkel der Bundeskanzlerin vermuten lassen, beweist nun eine Auswertung der Plenarprotokolle aus der vergangenen Legislaturperiode. Die Betreiber der Homepage bundestagger.de haben die Textdokumente auf das Stichwort "Heiterkeit" hin untersucht.

Das unscheinbare Wörtchen taucht überall dort auf, wo der Mensch am Rednerpult Gelächter im Plenum hervorrufen konnte. Am häufigsten gelang das zwischen 2005 und 2009 den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion mit 1316 "Heiterkeit"-Vermerken, gefolgt von der SPD mit 1104 Heiterkeitserfolgen. 
Der Artikel listet weiterhin einige Spitzenreiter auf, etwa Bundestagspräsident Lammert oder Peer Steinbrück. Was für ein atemberaubender Unsinn diese Liste ist zeigt sich, wenn man kurz über folgende Dinge nachdenkt: 

1) Die CDU hatte zwischen 2005 und 2009 die meisten Abgeordneten, gefolgt von der SPD. Da davon in einem erheblichen Maße die Redezeit abhängt, besagen die absoluten Zahlen genau - nichts. 

2) Bundestagspräsident Lammert nimmt wahrscheinlich an mehr Sitzungen teil als jeder andere Abgeordnete, und er hat mehr Gelegenheiten als jeder andere für clevere Zwischenbemerkungen. Dass er die Liste anführt ist klar. 

3) Peer Steinbrück hält Reden grunsätzlich nur dann, wenn das Haus voll ist, für alles andere gibt er sich nicht her. Da solche Reden ein einziges politisches Schaulaufen sind, muss zumindest die eigene Fraktion pflichtschuldig über jeden Witz lachen. Sein hohes Ranking hier verwundert daher auch nicht. 

4) Da die meisten anderen Abgeordneten selten vor vollem Haus sprechen, sondern eher vor reichlich leerem Saal, in dem die meisten anwesenden Abgeordneten nicht einmal zuhören, hält sich wohl auch die Heiterkeit eher in Grenzen. 

Diese Gedanken hätte man sich alle schon vorher machen können. Dann hätte man feststellen können, dass die von bundestagger.de erhobenen Zahlen zwar schon irgendwie ganz nett sind, aber doch vollkommen bedeutungslos, weil man sie überhaupt nicht vergleichen kann, ohne sie irgendwie miteinander in Beziehung zu setzen. Das zu machen aber schien dem zuständigen Spiegel-Redakteur dann doch zu viel Arbeit. Warum auch, wenn man so eine nette Meldung für "ferner liefen" hat, bei der jeder ein wenig schmunzeln kann? Gibt nur leider nichts zu schmunzeln. Aber das ist bei umfallenden Reissäcken in China ja häufig so. Da hilft auch ein Dementi nur wenig.

3 Kommentare:

  1. Berichterstattung über Statistiken lebt davon, dass Journalisten und Leser Überlegungen wie Deine eben nicht anstellen.

    Regelmäßig zu beobachten z.B. bei dem Ifo-Geschäftsklimaindex - eine große Überschrift, die "dramatischen" oder "deutlichen" Abfall oder Zuwachs verheißt; die quantitativen Veränderungen sind dann wiederum weit entfernt von jeder statistischen Signifkanz.

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  2. Beim Spiegel unter ferner liefen, bei der BILD eine Top-Story, mit der Aufforderung an die angeblich weniger lustigen MdB, doch mal für mehr Heiterkeit zu sorgen. Verkehrte Welt.

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