Freitag, 9. Dezember 2011

Integration und Assimilation

Von Stefan Sasse

Wenn die öffentliche Debatte um die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund an etwas leidet, dann an der völligen Unschärfe der Begriffe. Unter "Integration" lässt sich praktisch alles fassen. So kann man unter diesem Stichwort verlangen, dass "die Türken" nur noch Essen kochen, das nicht fremd riecht, dass keine Kleidung getragen wird, die sie als fremd erkennen lässt, und dass sie Deutsch so sprechen, dass man mit geschlossenen Augen keinen Unterschied feststellen kann. Ein Bekenntnis zu "unseren Werten" ist obligatorisch, ohne dass klar wäre, welche Werte das sein sollen, berufen sich doch gerade Konservative gerne auf ein "christliches Menschenbild", dessen Übernahme Muslimen wie Juden leichte Probleme bereiten sollte. Ich will deswegen versuchen, eine neue Definition vorzulegen und diese ab sofort hier im Blog auch zu verwenden und so etwas klarer zu sagen, von was eigentlich die Rede ist. Zu diesem Zweck baue ich ein Begriffspaar von Integration und Assimilation auf. Wichtig ist festzuhalten, dass keiner der beiden Begriffe eine Wertung enthalten soll. Beide sind valide Ziele. Man muss sich nur vorher klarmachen, von was man spricht und welche Bedeutung damit einhergeht.

Beginnen wir mit Integration. Für mich ist Integration der absolut essentielle Bestandteil einer Migration in ein anderes Land. Hierfür relevant ist exakt eine Kategorie: das Halten an die im jeweiligen Land herrschenden Gesetze. Mehr ist nicht erforderlich. Führt man dies als Kategorie ein, so erschöpfen sich viele Forderungen nach einer Übernahme "unserer Werte" ziemlich schnell, denn die relevanten Werte sind ohnehin in Rechtsform kodifiziert. Gleichberechtigung der Frau? Check. Verbot, Kinder zu schlagen? Check. Toleranz gegenüber anderen Religionen? Check. Amtssprache Deutsch? Check. Schulpflicht? Check. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wenn man sich auf diese formaljuristische Plattform zurückzieht, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits hört man mit einem Schlag auf, Migranten mit irgendwelcher moralinsaurer Besserwisserei zu nerven, die doch nur Widerstand und Ablehnung erzeugt, und andererseits rekurriert man auf eine kodifizierte, neutrale Instanz: das Gesetz. Wir verpflichten Muslime dann nicht zur Gleichberechtigung der Frau, weil das "unseren Werten" entspricht, sondern weil es Gesetz ist. Dies könnte ein wesentlicher Schritt zur Akzeptanz sein. Aus dem ganzen Rest, der die Kultur anbelangt, hält man sich bei dem Schritt der Integration heraus. Ein Dönerbudenbesitzer, der gerade genug Deutsch für seine Kundschaft spricht und seine Steuern pünktlich abführt, ist integriert. Er muss keine Schweinshaxe mit Sauerkraut anbieten. 

Etwas anderes ist Assimilation. Damit ist der Prozess gemeint, der die äußerlichen Unterscheidbarkeiten (mit Ausnahme der Hautfarbe) aufhebt. Dazu gehört eine Bandbreite von Dingen. Der Rückzug der Religion als Leitmaßstab für das private und öffentliche Leben, das Kochen von akzeptierten Gerichten, tragen "normaler" Kleidung, Sprechen "anständigen" Deutschs, etc. etc. Man kann Assimilierung von Migranten verlangen, es macht einen nicht zum Nazi. Wie bereits gesagt, ein valider Standpunkt. Ich halte es trotzdem für falsch. Sieht man sich die Geschichte der Integration an stellt man fest, dass auf die oben beschriebene Integration praktisch automatisch die Assimilierung folgt. Es handelt sich allerdings um einen langfristigen, ultimativ freiwilligen Prozess (wir reden von vier bis fünf Generationen), der vor allem eines voraussetzt: die Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft für diese Assimilierung. Ein Türke kann sich noch so deutsch geben - wenn er von Deutschen weiterhin als "Türke" betrachtet wird, wie das bei uns Realität ist, wo das Bild der deutschen Staatsbürgerschaft als Blutsbande noch immer hochgehalten wird, dann wird eine Assimilierung niemals stattfinden können. An dieser Schizophrenie leidet die gesamte Integrationsdebatte. Vielleicht wäre es deswegen hilfreich, die oben beschriebene Integration als Standard zu nehmen und die Assimilierung den Migranten selbst zu überlassen. Es wäre weit weniger hysterisch und vermutlich wesentlich angenehmer.

7 Kommentare:

  1. Hi Stefan,

    unter welchen Umstaenden ist "Man kann Assimilierung von Migranten verlangen, es macht einen nicht zum Nazi." ein valider Standpunkt? Und was ist ein valider Standpunkt?

    Bedeutet Assimilierung nicht auch die voellige Preisgabe seiner Identitaet? Die voellige Leugnung des Menschen?

    Assimilierung erwartet nur jemand (in meiner Sicht der Dinge), der "fremde" Menschen verachtet. Assimilierung geht in die Richtung "Verachtung und Leugnung dieses Individuums". Und selbst wenn die voellige Assimilierung erreicht wird, wird diesem Menschen die Karotte andauernd vor der Nase gehalten, nur halt ein Stueckchen weiter weg.

    Ich lebe bereits 40 Jahre in der BRD und bezeichne mich als integriert (in Deinem oben beschriebenen Sinne), assimilieren werde ich mich nicht lassen :-). Ich besitze eine Identitaet, die ich noch von "woanders" her habe.

    Schoene Gruesse, Pedro

    p.s.: nach normaligem Lesen kommt mir der Verdacht, wir haben verschiedene Deutungen des Wortes Assimilierung. Du redest eindeutig von aeusseren Merkmalen, ich gehe darueber hinaus und erweitere die aeusseren Merkmale um die emotionale Komponente.

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  2. Selbst ich als gebürtiger Deutsche fühle mich nicht in die Gesellschaft assimiliert.

    Auch empfinde ich es (anders als der Autor) für die Integration als wichtigen Bestandteil die jeweilige Landessprache zu erlernen. Immigranten, die nach zehn Jahren noch nicht die Landessprache beherrschen kann ich keinen wie auch immer gearteten Integrationswillen unterstellen.

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  3. @Pedro
    Im Text heißt es doch, dass eine Assimilierung von alleine im Lauf mehrerer Generationen verläuft. Du kannst deine Identität von woanders also behalten. Jedoch werden deine Enkel mit dieser Identität von woanders vermutlich nur wenig anfangen können.

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  4. Assimilierung ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff. Sozialwissenschaften kennen für ihre Untersuchungen als kleinste Einheit, als Grundheit, die Gruppe. Individualpsychologisch argumentiert der Autor hier also nicht. Es geht darum, was man vernünftiger Weise von Migranten fordern kann, nämlich Integration im obigen Sinn. Simulation hingegen kann man synchron, also von "jetzigen" Einwanderern nicht einfordern, da es ein generationenübergreifender Prozess ist. Tut man dies doch, spricht man tatsächlich, wie oben kritisiert, Menschen ihre Identität ab!

    Weil Assimilation freilich kein automatischer Prozess ist, kann Politik schon langfristig förderliche Strukturen schaffen.

    Im Übrigen meine ich, dass der Beitrag (unbewusst?) Assimilation als Einbahnstraße auffasst - man blicke in die USA. Dort hat über Generationen eine Verschmelzung vieler Elemente stattgefunden, die zu neuen kulturellen Formen und sogar "Teilidentitäten" geführt (Italian-American, German-American...)

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  5. Assimilierung ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff. Sozialwissenschaften kennen für ihre Untersuchungen als kleinste Einheit, als Grundheit, die Gruppe. Individualpsychologisch argumentiert der Autor hier also nicht. Es geht darum, was man vernünftiger Weise von Migranten fordern kann, nämlich Integration im obigen Sinn. Simulation hingegen kann man synchron, also von "jetzigen" Einwanderern nicht einfordern, da es ein generationenübergreifender Prozess ist. Tut man dies doch, spricht man tatsächlich, wie oben kritisiert, Menschen ihre Identität ab!

    Weil Assimilation freilich kein automatischer Prozess ist, kann Politik schon langfristig förderliche Strukturen schaffen.

    Im Übrigen meine ich, dass der Beitrag (unbewusst?) Assimilation als Einbahnstraße auffasst - man blicke in die USA. Dort hat über Generationen eine Verschmelzung vieler Elemente stattgefunden, die zu neuen kulturellen Formen und sogar "Teilidentitäten" geführt (Italian-American, German-American...)

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  6. Derzeit bin ich der Ansicht, dass Integration zum überwiegenden Teil auch von der "Gruppe" zu leisten ist. Ich sehe das so, dass ein Einzelner sich nur schwer oder gar nicht selbst in eine bestehende Gruppe integrieren kann, ohne dass diese ihn "begrüßen", den Einzelnen also willentlich aufnehmen und bei sich integrieren, dem Einzelnen eine gleichgestellte Position einräumen.

    Aber deine Idee mit dem Rückzug auf die juristische Ebene ist sehr gut, wie ich finde. Ist plausibel und schlüssig.

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