Von Stefan Sasse
Der Kulturpessimismus zum Thema Internet hat endgültig auch Heribert Prantl erfasst. In einem ausführlichen, dreiseitigen Artikel erklärt er, dass im Internet "das Recht auf Vergessen nicht gilt" und illustriert das (unter anderem) am Fall Bettina Wulff, die im Google-Autocomplete immer noch mit den Gerüchten über ihre Vergangenheit konfrontiert wird. Ich möchte gar nicht versuchen, Prantls Klagen in dem Artikel zu widerlegen oder zu relativieren - denn er hat mit allem Recht. Es ist richtig, dass das "Recht auf Vergessen" im Internet derzeit praktisch nicht durchzusetzen ist. Etwas, das einmal die Aufmerksamkeit der Online-User hatte, lässt sich nicht mehr löschen, besonders nicht dann, wenn die Löschabsichten bekannt werden - die verbotenen Früchte strahlen auch digital eine große Wirkung aus. Selbstverständlich ist eine Mobblinglawine im Netz ein äußerst unschönes Erlebnis, das man niemandem reinen Herzens wünschen kann, und es wäre schön, wenn alle Menschen online etwas bessere Umgangsformen hätten, sicher. All das ist richtig. Nur, all das ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal des Internets.
Dass Prantl das alles so wortreich beklagt ist eines. Dass er so tut, als ob das auf die digitale Sphäre beschränkt sei, ist grober Unfug. Er wirft damit alle Printmedien in einen Topf und lässt sie gleich gut aussehen, macht sich gemein mit jenen, die diesen Dreck quasi hauptberuflich schleudern. Man sollte hier nicht pauschal über ein Medium urteilen, denn ein Medium ist neutral. Diejenigen, die es benutzen sind es, denen man den toten Hund vor die Tür legen muss, ob das nun in der Blut-und-Tittenspalte der BILD ist, auf einer Facebook-Wall, in einem anonymen Blog oder auf dem Spiegel-Cover. Prantl verwechselt außerdem Ursache und Wirkung. Das Zitat vom "Fahrstuhl BILD", mit dem man sehr schnell nach oben, aber genauso schnell wieder nach unten fährt, hat weiterhin seine Berechtigung. Und ursprünglich aufgebracht wurden die Prostitutionsgerüchte über Wulff von der analogen Boulevardpresse, nicht von der digitalen Sphäre.
Erneut, das ist keinesfalls irgendeine Rechtfertigung für Vergehen seitens der Online-Medien. Auch dort passiert genug Mist, ein Blick in den jeweils aktuellen Shitstorm bei der Piratenpartei genügt. Ich kenne aber kein organisiertes, reines Online-Medium, das auch nur entfernt in die Regionen von BILD vorstoßen würde. Auch Bettina Wulff ist keine Unschuldige in diesem Drama. Sie ist das Opfer, aber die Geschichte begann, als das Paar seine Hochzeit und seinen "modernen" Lebensstil aggressiv über BILD vermarktete. Hätte man 2006 "Bettina Wulff" in Google eingegeben, hätte man als Autocomplete wahrscheinlich "Arschgeweih" bekommen, so besoffen war der Boulevard damals von der tollen, modernen Bettina (man vergleiche es mit Berichten über die Bundespräsidentenwahl 2010) - und die Wulffs genossen und nutzten es. Welches Recht auf Vergessen hatte denn etwa Willy Brandt seinerzeit, in der Ära reiner Analogmedien, als das Gerücht, er habe im Zweiten Weltkrieg in "feindlicher" Uniform auf deutsche geschossen, nicht totzukriegen war, obwohl es mehrfach widerlegt worden war? Am Medium hängt es nicht. Es sind die Arschlöcher, die es nutzen.
Ach, ich finde das Ganze eh etwas wohlfeil. Bettina Wulff und ihre Vergangenheit interessieren mich kein bisschen, ich hab sie auch noch nie gegoogelt, trotzdem konnte ich den Gerüchten nicht entkommen und daran ist nicht Google schuld, sondern dass es mich auf jeder Seite der ach so seriösen Nachrichtenmedien angesprungen hat.
AntwortenLöschenKlar gibts Leute, die darauf anspringen, aber die haben doch die BILD. Was mich nervt ist, dass man selbst auf den normalen Nachrichtenportalen mehr über Kates oben-ohne-Fotos und die Vergangenheit der Frau Wulff erfährt als über Europapolitik oder das NSU-Drama. Dafür muss ich mich meistens zu Spezialblogs wie Lost in Europe oder Publikative oder Haskala flüchten, weil die Nachrichtenmedien lieber alle BILD nacheifern.
Und klar, das ist natürlich auch, weil SpOn & co geil auf die Klicks sind, aber mittlerweile hab ich eher das gegenteilige Gefühl, dass die seriösen Medien eher Bildnachfolger sind und irgendwelche Blogger deren Arbeit machen. Sorum kann man es nämlich auch sehen.
Das Problem beginnt doch schon bei Begriffen wie "Netz-Community". Solche Begriffe benutze ich selbst auch, aber das sollte man eigentlich nicht, weil sie nahelegen, dass das im Internet eine eigenständige Gesellschaft wäre. Abgekapselt von der Außenwelt. Das Internet ist aber Teil unserer regulären Gesellschaft und somit hat auch alles, was dort getrieben wird, in ihr seinen Ursprung.
AntwortenLöschenMeine Glosse von heute meint genau das:
AntwortenLöschenhttp://ad-sinistram.blogspot.de/2012/09/feurio.html
Bettina Wulff ist nicht das Problem , sondern die unbekannten No-Names aus der Bevölkerung , die Opfer von Mobbing werden.
AntwortenLöschenIn der realen Welt wie in der virtuellen , nur sind die Täter in der realen Welt viel leichter greifbar.
Im Netz bestehen da gravierende Defizite , daher ist es richtig , den Fokus erstmal auf das Netz zu legen, eine pauschale Problematisierung des Netzes muß damit ja nicht einhergehen.
"Anything goes" wird die Freiheit im Netz auf Dauer zerstören , ein Teil unserer lieben Mitmenschen reagiert eben nur auf Druck.