Freitag, 14. September 2012

Warten auf das voter realignment

Von Stefan Sasse

Ich glaube, ich habe die Strategie der SPD verstanden. Ihr Plan ist es, auf das große voter realignment zu warten. Das gab es einmal in den USA, etwa von 1932 bis 1964. In dieser Periode tauschten die Democrats und die Republicans ihre Wählerschaft praktisch vollständig aus. Die Democrats wurden die progressive Partei der Bürgerrechte, der Frauenbewegung und der Immigranten, während die Republicans sich dem konservativen Süden und den Rechten der Waffenbesitzer zuwandten. Seitdem die SPD ihr Rentenkonzept vorgestellt hat bleibt eigentlich nur die Aussicht auf einen ähnlichen Wechsel für sie. Eine aktuelle Umfrage ist zu allem Überfluss zu dem Schluss gekommen, dass rund 50% der Wähler eine Große Koalition befürworten, und sofern nicht ein Wunder geschieht wird die SPD in einer solchen nicht den Kanzler stellen. Eine Große Koalition aber dürfte nach den Erfahrungen mit Merkels Regierungsstil eine Wiederauflage der Zeit 2005-2009 werden; ein Zerreiben der SPD zwischen "Pragmatismus" und autoritärem Schweigen. Kein Zweifel, dass Steinmeier das bevorzugen würde. Nur, was soll dabei herauskommen?

Vielleicht würde eine Große Koalition endlich einen vernünftigen Mindestlohn verabschieden, vielleicht würde sie sogar die Rentensituation leicht anpassen, aber was soll es am Ende Wert sein? Diese Erfolge würden letztlich nur Merkel zugeschrieben werden, denn sie wäre es ja, die sich bewegen würde - und die solche Bewegungen bisher stets für sich auszunutzen wusste. Das Problem der SPD ist und bleibt, dass sie versucht, die bessere CDU zu sein. Gerne so unideologisch wie Merkel, vielleicht sogar das Rot aus dem eigenen Abzeichen streichen und durch ein unverdächtiges Orange ersetzen. Irgendwie geliebt von den Medien, bewundert für den eigenen Pragmatismus, mit dem man sich so heldenhaft über die Begehrlichtkeiten der "Populisten" hinwegsetzt - das ist das Selbstbild der Führung der Sozialdemokratie heute. So würden sie gerne gesehen werden. Nirgendwo wird dies so deutlich wie in der Kritik an Merkels europäischem Austeritätsprogramm, die sich letztlich darauf beschränkte zu maulen, Merkel würde zu wenig hart sparen.

Dabei ist es eine fixe Idee, der CDU die rechte Flanke aufrollen zu wollen. Es wird nicht, es kann nicht funktionieren, nicht solange die CDU nicht selbst einen Sprung macht und ihr Programm quasi tatsächlich sozialdemokratisiert. Aber warum sollte sie das tun? Sie hat gerade den bestmöglichen Zugang zu den Fleischtöpfen der Macht, mit Spenden und Unterstützung des großen Geldes wie dem größten einzelnen Stimmenanteil aller Parteien. Wie die SPD auf die Idee kommt, ausgerechnet das anzapfen zu können, indem sie einfach nur mehr vom Gleichen verspricht ist mir schleierhaft. Die Ecke ist ohnehin besetzt, von der FDP. Die Lösung kann für die Sozialdemokraten nur darin bestehen, die Unterschiede zur CDU zu betonen. Allein, dazu  muss es die erst einmal geben. Der Versuch, sich als Europa-Partei zu inszenieren war mutig, aber er wurde schnell abgebrochen. Wie die SPD glaubt, irgendjemand wolle die Verteidigung der Rente mit 67 aus ihrem Mund hören und sie dann auch noch wählen, ist kaum einzusehen.

17 Kommentare:

  1. Der Begriff der "Sozialdemokratisierung der CDU" gewinnt durch häufige Wiederholung nicht an Wahrheitswert. Die CDU hat sich keineswegs durch
    "Sozialdemokratisierung" der SPD angenähert (Parteiprogramm der CDU der 50er Jahre!). Vielmehr wurde die SPD zu Zeiten Gerhard Schröders "Wirtschaftskonserviert" ("Genosse der Bosse"/"Neue Mitte"). Eigentlich wäre es Zeit für eine Sozialdemokratisierung der SPD, aber das werden die "Seeheimer" wohl zu verhindern wissen.

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  2. Du hast fürchte ich etwas vorschnell auf das Signalwort reagiert - NICHT SOLANGE die CDU nicht einen Sprung nach vorn macht und ihr Programm TASÄCHLICH sozialdemokratisiert...

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    1. Oh ja, stimmt. "Tatsächlich" hab ich überlesen. Aber ich wollte so gerne für eine sozialdemokratische SPD plädieren - und das nicht nur dem Parteiprogramm nach (Franz Müntefering: "Es ist unfair Politiker an den Wahlversprechen zu messen").

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  3. Müntefering hatte damit ja sogar Recht ^^ Aber davon abgesehen, ja, würde ich auch gerne sehen...

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  4. Tja das hätte zumindest den Vorteil, dass es überhaupt irgendeine Strategie gibt und das Rot wurde ja teilweise schon durch grässliches Purpur ersetzt^^
    Ich bin der Meinung, die SPD hat da wirklich ein Medientrauma und der Kurs ist nur damit zu erklären, dass man unbedingt in den Medien gut dastehen will oder zumindest nicht "populistisch". Dass die Leserschaft das vielleicht ganz anders sehen könnte, ist wurst, hauptsache die SPD ist bei SpOn und Welt "beliebt". Es gibt eigentlich keine andere Partei, die da so abhängig ist. Und selbst wenn mal jemand vorprescht, reicht eine hochgezogene Augenbraue von zb Müntefering, um sofort ins Glied zurückzukehren. Ich empfinde das Verfolgen dieses Schauspiels übrigens genauso frusrtierend wie die Selbstzerfleischung in der Linkspartei.
    Ich muss dazu sagen, ich hatte nach der letzten Bundestagswahl durchaus Hoffnungen, dass es irgendeine Art von Kursschwenk geben könnte, entweder durch Gabriel und Nahles oder durch einen Aufruhr von unten, aber Pustekuchen. Stattdessen möchte man unbedingt nochmal mit Anlauf gegen dieselbe Wand laufen und sich wieder in eine GroKo unter Merkel flüchten. Imo könnte das sogar eine Art von Point of no return werden, weil es wirklich die letzten SPD-Anhänger vertreibt und nur der allerkümmerlichste Rest übrigbleibt.
    Immerhin das dürften vielleicht die besten Jahre der Grünen werden, sind sie dann doch die einzige der größeren Parteien, die nicht von der Merkelcdu zerquetscht worden sind.

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    1. Weder eine "Medienorientierung" noch eine Scheu, als populistisch zu gelten kann die Agenda 2010, die Demontage der Sozialversicherungen, die Deregulierung der Finanzmärkte oder die Steuergeschenke an Einkommen aus Kapitalerträgen und Unternehmensgewinnen erklären, die die SPD unter Schröder durchgesetzt hat. Das ist die "Handschrift" des rechten SPD-Flügels, der "Seeheimer".

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    2. Also zum Einen hab ich nicht versucht, die Erfindung der Agenda2010 damals zu erklären, sondern die Partei heute. Und zum Anderen gehts mir dabei auch nicht um Überzeugungstäter, sondern ich gehe davon aus, dass ein Teil der SPD (wie zb Gabriel) durchaus erkannt haben, dass der jetzige Weg wohl nicht das klügste ist. Es fehlt aber der Mumm, die Überzeugung oder sonst etwas, um daraus mehr zu machen, bzw überhaupt erstmal bleibend auf sich aufmerksam zu machen.

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    3. Du glaubst, dass sich die Verhältnisse in der SPD geändert haben? Ich wünschte, ich könnte das auch. Aber die Ergebnisse, die eine große amerikanische Suchmaschine auf die Begriffe "linker rechter flügel spd" liefert, deuten leider das Gegenteil an. Die Machtverhältnisse in der SPD sind die gleichen wie "damals" und das lässt eine Fortsetzung der bekannten Politik erwarten. Von einer Änderung (Rückabwicklung) irgend einer der damaligen Entscheidungen, die ausschließlich zu Lasten der Arbeitnehmer gegangen ist, ist nirgends die Rede.

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    4. Sorry, meine Antwort ist etwas spät^^
      Naja, was heißt geändert? Ich gehe davon aus, dass die Schröderpolitik nie eine Mehrheit in der gesamten SPD (+ Wählerschaft) hatte. Das Problem ist meiner Meinung nach die Stärke des Widerstands, viele haben sich entweder von der Partei abgewandt oder still gehalten. Und das hat sich selbst durch die krachende Wahlniederlage kaum geändert, obwohl die Chancen da wohl noch am besten standen. Stattdessen steht die SPD jetzt in völligem Dilemma, auf der einen Seite vertreten sie die Agendapolitik nicht mehr so offensiv, auf der anderen Seite distanzieren sie sich auch nicht davon. Dadurch hat man ein totales Wischiwaschi und ist halt eine etwas sozialere CDU. (imo ist das sogar ein Grund, warum die SPD sehr gut mit einer GroKo leben könnte) Ich weiß nicht wie weit die Überzeugungen von Gabriel gehen, er ist aber einer der wenigen, denen ich zutraue, erkannt zu haben, dass das taktisch nicht der klügste Weg ist. Meine Kritik ist, dass die SPD zu ängstlich ist, einen Flügelkampf einzugehen, um die Richtung zu ändern. Dazu hätte man vier Jahre hervorrangend Zeit und Gelegenheit gehabt. Und wenn jetzt einer der Stones Spitzenkandidat und Vizekanzler unter Merkel wird, ist diese Gelegenheit für viele Jahre vorbei, weil wirklich nur die Seeheimer übrig bleiben.

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  5. Ne, ich denke die SPD kann auf 15-20% bauen, die ihren Kurs gut finden und unterstützen. Aber ich teile deine Bedenken.

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  6. Naja mit 15-20% würde man aber das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten nochmal deutlich unterbieten und diese Wähler könnten wahrscheinlich genausogut die CDU oder vielleicht noch die Grünen wählen, von daher würde ich die auch nicht als sicher verbuchen.
    Nehmen wir an, die SPD nominiert jetzt Steinmeier und geht in die GroKo, die ziemlich sicher ähnlich ablaufen würde wie der erste Versuch.
    Merkel könnte völlig unbedrängt die größten Höhenflüge absolvieren, weil die internen Streitigkeiten abflauen und sie nebenbei noch ein paar Wohltaten wie zb den Mindestlohn auf ihr Konto buchen könnte. Zudem kann die SPD kaum so extrem stürzen wie die FDP und theorethisch könnte sie dann vielleicht so weitermachen, bis sie in 100 Jahren beruhigt in Rente geht. Der totale Horror, aber Merkel kann eigentlich nichts besseres passieren. Und ich sehe da kaum etwas, was das noch verhindern könnte.

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  7. Dass die Sozis für die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen, das ist bekannt aus der deutschen Geschichte.

    Das Trauma der "vaterlandslosen Gesellen", die "nicht mit Geld umgehen können" loszuwerden, dafür tun die Genossen doch fast alles. Nützen wird es ihnen wieder nichts: Von links werden sie dafür gehasst, von rechts verachtet.

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  8. Also die These, die SPD versuche, die Union rechts zu überholen, ist wirklich eine geniale Erklärung für den Zustand der SPD, den ich Strategie nicht nennen möchte.

    Allerdings fürchten die typischen Unionswähler, dass die SPD doch nur ihr ganzes Geld an den Club-Med verschenken und dazu auch noch hohe Schulden aufnehmen möchte. Die SPD ist also auch bei diesen Wählern chancenlos.

    Trotzdem freue ich mich schon auf die ersten Veranstaltungen mit z.B. einem Kanzlerkandidaten Steinmeier und die Zwischenrufe aus dem Publikum:

    Foltermeier!

    Arbeiterverräter!

    Lohndrücker!

    Rentenräuber!

    Volksverderber!

    Das wird noch ein großes Wahlspektakel mit der SPD.

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  9. Worin besteht bitte der Unterschied zwischen Union, SPD oder Grünen? Das sind Nuancen: die Mehrheit in der CDU befürwortet inzwischen einen Mindestlohn, inzwischen wird sogar aktiv über eine Gehaltsobergrenze debattiert, alle orientieren sich inzwischen an einem Spitzensteuersatz von 48-50 Prozent, von der Leyen bastelt nicht nur wie die Sozialdemokraten und ihr grüner Partner in Opposition an einer Mindestrente, sondern auch an einer deutlichen Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen, was ein weiterer Schritt hin zu einer "Bürgerversicherung" wäre. Das alles sind nicht gerade wirtschaftsliberale oder konservative Themen. Oder haben sich die Zeiten so verändert? Alle Parteien sind bestrebt, dem Staat, notfalls auch gegen herrschende Gesetze, soviel Geld wie möglich im Säckel zu behalten. Dann aber ist die Union die bessere Kanzlerpartei.

    Das Problem der SPD ist, dass ihre Kernwählerschaft wegstirbt. Zu Johannes Raus Zeiten konnte man in der Herzkammer der Sozialdemokratie noch die absolute Mehrheit holen. Heute gelingen mit einer annähernd populären Kandidatin nicht mal 40%. Die Zechen sind geschlossen, immer weniger Menschen arbeiten im "Maschinenraum" der Wirtschaft. Dafür weiten sich prekäre Beschäftigungsverhältnisse aus, die jedoch nicht so einfach zu fassen sind. Der Sohnemann eines gut verdienenden Angestellten, der sich mit seinem 400 EUR-Job sein Studenteneinkommen aufmöbelt, wird sich von dem Gerede über die Verarmung der Mittelschicht kaum einfangen lassen. Bleibt ein Rest von Frustrierten, die sich jedoch durch kaum eine Partei dauerhaft binden lassen.

    Die logische Folge ist, dass die Sozialdemokraten wie Union und Grüne um die neu entstandenen Schichten in der Mitte der Gesellschaft kämpfen müssen. Da bleibt ein großes Defizit auf Seiten der Roten. Wer sich ständig dafür entschuldigt, weiter intern bekämpft, was er entschieden und für richtig befunden hat und immer noch befindet, strahlt keine Glaubwürdigkeit in das eigene Handeln aus. Es ist lobenswert, dass die SPD der Versuchung widerstanden hat, gegen jede Vernunft die Rente mit 67 zurückzudrehen. Es funktioniert nicht, einerseits über drohende Altersarmut in der zukünftigen Gesellschaft zu räsonieren, gleichzeitig aber bei ungebremst steigender Lebenserwartung die Zeit des Rentenbezugs dynamisch wachsen zu lassen. In Dänemark hat man das begriffen, dort steigt das Renteneintrittsalter mit der Lebenserwartung.

    Das strategische Problem der Partei Willy Brandts ist die zunehmend heterogene Gesellschaft, die by the way auch den Unionisten zu schaffen macht. 1972 konnte man noch die literarische Elite mit der Arbeiterschaft zusammenbinden. Es war "Hipp", SPD zu wählen. Doch jede Mode ist vergänglich.

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  10. Warum unterstützen die kleinen Parteien Grüne und FDP die Grossen, in dem sie Verfassungsänderungen durchwinken und zukünftige Verhandlungsmasse verschenken?

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  11. Romney Campaign Sends In Champion Of The Poor Paul Ryan For Damage Control:

    http://www.theonion.com/articles/romney-campaign-sends-in-champion-of-the-poor-paul,29608/

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