Geschichten über das Leben in der Diktatur erfreuen sich einer ungebrochenen Beliebtheit, was angesichts unserer Erfahrungen mit solchen - die zwölf Jahre des Dritten Reiches und, für diejenigen, die das Pech hatten auf der östlichen Seite der Zonengrenze zu leben, weitere vierzig Jahre "realsozialistische" Diktatur - wenig verwundern dürfte. Oftmals drehen sich solche Geschichten entweder zentral um Widerstand gegen diese Diktaturen oder sie haben widerständlerische Elemente in einigen oder allen Charakteren. Mir ist dabei ein Trend aufgefallen: Deutsche Geschichten dieser Art, ob in Roman oder Film, neigen zu einer entpolitisierten, existenziellen Art des Widerstands. Und ich halte das für ein Problem.
Was meine ich damit? Wir können grob zwei Arten von Widerstand unterscheiden. Eine sehr persönliche, ethisch-individuell verankerte, in der der Widerstand aus einem Gefühl der Verletzung der eigenen Werte herrührt. Hier geht es meist um eine Verweigerungshaltung, der Widerstand ist passiv. Die Zielrichtung ist es nicht, dem Regime zu schaden oder es zu verändern, sondern seine persönliche Integrität, die eigenen Ideale und Prinzipien, zu wahren. Das trifft historisch etwa auf die Zeugen Jehovas zu, die im Dritten Reich den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigerten und dafür massiv verfolgt wurden. Sie wehrten sich explizit nicht gegen das Regime, griffen es nicht an, sondern weigerten sich lediglich, ihren zentralen ethischen Wert des Pazifismus korrumpieren zu lassen. Nicht, dass die Nazis irgendwie gestört hätte; sie behandelten sie genauso wie alle anderen Systemgegner auch.
Auf der anderen Seite gibt es den Widerstand der Tat, der dem Regime aktiv schaden will. Wir finden ihn historisch hauptsächlich in den besetzten Gebieten. Berühmt ist etwa die französische Résistance (wenngleich der Mythos hier wesentlich strahlender ist als die Realität) oder der Widerstand der Niederländer (dito). Titos Partisanen dürften genauso bekannt sein wie der der zahlreichen Partisanenbanden in Belarus, der Ukraine und Polen. Aber mit diesen beschäftigen sich deutsche Geschichten üblicherweise nicht, auch nicht mit dem, in dem Deutsche tätig wurden - von Stauffenberg über Georg Elser hin zu den Aktivisten der SoPaDe oder der Roten Kapelle (letztere zumindest wurde in der DDR in einem Ausmaß glorifiziert, für das das Wort "Geschichtsklitterung" noch zu freundlich wäre).
Dafür gibt es generell die Tendenz, die ich mit "Jeder ist im Widerstand" umschreiben möchte. In den Geschichten gibt es generell wenig genuine Unterstützer des Systems. Wir erkennen unsere Heldenfiguren daran, dass sie sich abfällig über die Diktatur äußern. Die Unterstützer des Systems, so es überhaupt welche gibt, sind selten und werden durch ihre Dialogzeilen - stets offensichtlich unsinnige oder rein propagandistische Statements abgebend - und visuelle Kennzeichen deutlich markiert.
Vor allem letztere Tendenz ist ziemlich störend. Schergen des Systems sind daran erkennbar, dass sie dumm sind, dass sie hässlich sind, häufig genug schmutzig oder verschwitzt, oft dick. Sie tragen bei Filmen, die im Dritten Reich spielen, gerne einen Himmler-kompatiblen Undercut. In jeder Diktatur macht sich für sie ein Schnauzbart gut. Helden tragen nie einen Schnauzbart, bei den Bösewichten dagegen ist er extrem häufig. Vermutlich am herablassendsten aber ist, dass es immer die Bösen sind, die in lokalen Akzenten sprechen. Die Helden beherrschen demgegenüber stets perfektes Hochdeutsch. Sie sind schlank, hochgewachsen, sehen generisch gut aus. Sie sind intelligent, wenngleich oft nicht gebildet.
Der Grund dafür ist leicht zu durchschauen. Die Geschichten sollen für Lesende und Zuschauende Identifikationsfläche bieten. Hierzu muss die Heldenfigur eine möglichst breite Projektionsfläche aufweisen, in der sich eine große Mehrheit wiederfinden kann. Schließlich wollen wir uns einbilden, dass wir selbst auch aufrecht gewesen wären. Das ist zwar falsch - die Zahl der tatsächlich Widerstand leistenden im Dritten Reich etwa bewegt sich deutlich unter 1% - aber wird gerne geglaubt. Und Literatur und Film wollen Publikum.
Da ist es schlecht, wenn konkrete Handlungen im Vordergrund der Handlung stehen. Viel besser ist es, wenn Menschen passiv ihre Prinzipien - die möglichst schwammig sein sollten - verteidigen.
Wenn ich hier zynisch klinge, dann tut es mir Leid. Mir stößt diese Art der Widerstandsfolklore nur sauer auf, weil sie verdeckt, dass die allermeisten Menschen eben nicht passiv Widerstand leisteten oder auch nur in die innere Emigration gingen, sondern viel mehr wenigstens Mitläufer waren, wenn nicht gar überzeugte Anhänger und Profiteure des Systems. In all diesen Geschichten finden sich aber immer verblüffend wenige Figuren aus dieser Kategorie, vielmehr leiden alle unter der jeweiligen Diktatur. Da fragt man sich doch, wer denn dann eigentlich die Gewalt ausübte und wie die umfassende Kontrolle entstehen konnte. Sowohl Stasi als auch Gestapo mangelte es nicht an willigen Helfern.
Ich will die obigen generalisierenden Punkte im Folgenden anhand einiger Beispiele deutlich machen.
Typisch existenzieller Widerstand kennzeichnet den Roman "Der Trafikant" von Robert Seethaler, der kürzlich mit Bruno Ganz in einer der Hauptrollen verfilmt wurde. Die Hauptfigur, Franz Tuchel, ist ein naiver Junge vom Land, der kurz vor dem "Anschluss" nach Wien kommt, wo er zum Trafikanten ausgebildet wird. Dort begegnet er unter anderem Sigmund Freud und verliebt sich in eine böhmische illegale Arbeitsmigrantin. Nach der Machtübernahme der Nazis verhaftet die Gestapo seinen Ersatz-Vater Trsnjek und ermordet ihn, woraufhin Franz die Trafik übernimmt. Gegen Ende des Romans veröffentlicht er seine (unpolitischen) Gedanken am Schaufenster der Trafik und hisst die Hose Trsnjeks am Gestapo-Hauptquartier, als Zeichen stillen Protests. Die Gestapo holt ihn auch ab; das Ende des Romans impliziert seinen Tod, bestätigt dies aber nicht.
Auffällig ist im gesamten Roman die unpolitische Natur des Widerstands. Trsnjek selbst beruft sich stets auf "Anstand", ein Konzept, das recht nebulös bleibt und vor allem vom Kontrast mit dem Nazi-Nachbarn (der Metzger ist, ungebildet, grob und hässlich, ebenso wie seine Frau) und den Nazi-Schlägern (aggressiv und gewalttätig, ignorant gegenüber Literatur und Kultur) lebt. Die Figur des "Roten Egon", eines offensichtlichen Kommunisten, der als Widerstandsakt Selbstmord begeht, bleibt ebenfalls unpolitisch: Das Banner, das Egon entrollt, enthält einen allgemeinen Aufruf zur Tugend. Eine Verbindung mit den politischen Ideen des Kommunismus entsteht nie; außer seiner proletarischen Färbung ist da nichts, und die dient eher als Kolorit.
Der Widerstand Tuchels selbst hat ebenfalls keinerlei Strahlkraft nach außen, er vollzieht sich vielmehr in den Bahnen eines Bildungsromans. Franz findet zu sich selbst und seiner eigenen Identität, die er gegen äußere Einflüsse verteidigt. Am Ende geht er für Überzeugungen in den Tod, die letztlich genauso nebulös bleiben wie die Trsnjeks oder Egons. Diese Unbestimmtheit erlaubt es einer maximalen Zahl Lesender bzw. Zuschauender, sich mit Franz zu identifizieren - was anders wäre, wenn er bestimmte Ziele mit seinen Widerstandsakten verfolgen würde. Aber gleichzeitig ist dieser ungefähre, existenzielle Raum auch so deutlich vom politischen getrennt, dass daraus keinerlei realer Effekt entstehen kann. Diese Ich-Bezogenheit, die Konzentration auf die "Seele", kennzeichnet die deutsche Geisteswelt seit dem 19. Jahrhundert und ist einer der Hauptgründe dafür, warum sich nur so wenig Widerstand gegen die NS-Herrschaft regte - bis zuletzt. Diese Muster sich in der Literatur der 2010er Jahre immer noch reproduzieren zu sehen ist daher nicht besonders ermutigend.
Ein ähnlicher Ansatz kennzeichnet den Überraschungshit "Das Leben der Anderen". In dessen Handlung bekommt ein Stasi-Hauptmann bei der Beobachtung eines Dichters Gewissensbisse und beginnt, diesen durch gefälschte Berichte zu decken. Dies gelingt, aber die Stasi kommt dahinter und der Agent wird, mangels Beweisen, "nur" degradiert.
Wie auch beim Trafikanten findet eine Auseinandersetzung mit dem oppressiven System nicht wirklich statt. Der Widerstand gegen die Staatsgewalt erfolgt aus dem Konflikt zweier Männer über eine Frau (die auch noch, allen Klischees gehorchend, am Ende den Ausweg in den Freitod sucht). Der Dichter wird als gläubiger Anhänger des Systems vorgestellt, ohne dass je klar werden würde, wodurch sich das auszeichnet - seine Haltungen sind dezidiert westlich. Eine Oppositionsrolle zum System nimmt er ein, weil er der Held der Geschichte ist - nicht, weil eine Auseinandersetzung mit der Natur des Regimes erfolgte.
Auch der Widerstandsakt des Stasi-Hauptmanns speist sich nicht aus einer solchen, sondern aus der persönlichen Beziehung zur Freundin des Dichters. Er lehnt den Umgang seiner Vorgesetzten mit den beiden ab, nicht die Existenz der Stasi per se. "Das Leben der Anderen" verfällt dabei auch in das typische Muster, visuell Gut und Böse zu unterscheiden. Der Dichter ist ein attraktiver Mann, schlank und hochgewachsen, und spricht hochdeutsch. Gleiches gilt für den Stasi-Hauptmann; auch er spricht akzentfrei. Die Knallchargen der Stasi dagegen sächseln fröhlich; die beiden Bösewichter der Geschichte sind dick und betont widerlich; einer trägt sogar den Schnauzbart, mit dem noch zuverlässig jedes Ekel in dieser Zeitperiode abqualifiziert werden kann. Beide glauben auch nicht an den Sozialismus; sie sind inhärent böse und somit selbst von Stammwählern der LINKEn leicht zu verachten. Der Großteil des Stasi-Personals dagegen ist einfach nur dumm; wenig überraschend ist es auch mit den stärkeren Akzenten ausgestattet.
Existenziell ist auch hier die Grundnatur des Widerstands. Dem Dichter geht es um die Anerkennung seiner Person; er wird zum Dissidenten wider Willen, weil man ihn persönlich in seiner Freiheit beschneidet, nicht, weil er in einem generell unmenschlichen System leben würde. Gleiches gilt auch für den Stasi-Hauptmann, dem gleichwohl der einzige echte Widerstandsakt des Films gehört: Als das Kind seiner Nachbarn ihn naiv fragt, ob er wirklich bei der Stasi ist, wie sein Vater sagt, widersteht er der Versuchung, selbigen Vater anzuzeigen - einziges Zeichen eines kleinen Gesinnungswandels.
Problematisch aber ist ein Grundton, der alle hier besprochenen Geschichten durchzieht. Systemkonform verhält sich nur eine eklige, bereits visuell distinktive Minderheit. Die breite Mehrheit befindet sich in einer Art innerer Emigration, leistet Widerstand indem sie Witze über das System reißt, abfällige Kommentare macht oder anderweitig eine saubere Weste besitzt (wie unser Dichter, der einfach nur naiv ist). Das ist, vorsichtig ausgedrückt, an den historischen Realitäten vorbei. Viel mehr gilt, dass Menschen sich, wenn sie das System nicht stützten (was deutlich mehr Menschen taten als diese Geschichten und die kollektive Erinnerung wahrhaben wollen!), eher in unpolitische Bereiche zurückzogen und dies als Widerstand betrachteten - auch, wenn es keiner war.
Solch harmlose "Widerstandsakte" kennzeichnen auch die Handlung von "Unsere Mütter, unsere Väter" (meine positive Besprechung dieser Schmonzette würde ich heute so sicher nicht mehr schreiben). Gleich zu Beginn des ersten Teils lernen wir die Protagonisten bei einem Widerstandsakt kennen: 1942 tanzen sie Swing, ehe sie von der Gesinnungspolizei auseinandergetrieben werden. Selbstverständlich ist einer ihrer Freunde Jude, so dass auch hier performativ "Widerstand" geleistet werden kann - obgleich sie in diesem fortgeschrittenen Status der Judenverfolgung keine echten Hilfsakte vollziehen.
Die Idee, dass das Hören von Jazz- oder Swingmusik (in der Ikonographie dieses "Widerstands" gerne verbunden mit dem erfundenen "Swing tanzen verboten"-Schild) in irgendeiner Weise als Widerstandsakt gewertet werden kann, wird von Christina Dongowski zurecht zurückgewiesen:
Das gehört ja auch zu den Selbstbetrügereien dieser Art Auseinandersetzung mit der Kulturpolitik & Öffentlichkeitsmanagement der Nazis, dass man das Arisieren von Populärmusik zum Widerstandsakt hochstilisiert. Wenn sowas durchgewunken wurde, war das systemstabilisierend. pic.twitter.com/bZS95AK3M3— Christina Dongowski (@TiniDo) August 24, 2020
Tatsächlich existiert darin eine Ähnlichkeit zu der entpolitisierten Datsche-Welt der DDR. Auch hier erlaubte das Regime eine dezidiert dem System gegenüber neutrale, "unpolitische" und offiziell nicht gern gesehene Tätigkeiten, weil diese systemstabilisierend wirkten. Solche "Widerstandsakte" schadeten dem System nicht, aber die Leute konnten sich so fühlen, als entzögen sie sich der Mitarbeit - obwohl sie in allen anderen Belangen brav mitmachten. Das DDR-Äquivalent ist hier das Mitmarschieren in der FDJ-Parade am Morgen und dann das Abhängen in der väterlichen Datsche am Nachmittag, wo man dann heimlich ein bisschen Rockmusik hörte.
"Unsere Mütter, unsere Väter" besitzt dazu die Frechheit, die wahre Bosheit auf die Polen und Russen abzuladen. Wo unsere Hauptcharaktere von Gewissensbissen gequält sind, wenn sie Kriegsverbrechen begehen müssen, und über deren Natur philosophieren (und sich zu Beginn zudem offen gegen sie aussprechen), zeigt der Film an nicht weniger als drei expliziten Stellen einen tödlichen Antisemitismus der Polen und Weißrussen, der sich in der Ermordung von Juden (im weißrussischen Fall sogar in Kollaboration mit den Deutschen) auszeichnet. Es ist an den Landsern, bei ihren Vorgesetzten gegen die Judenmorde der Weißrussen zu protestieren, die - leider, leider, Führerorder - nichts dagegen unternehmen können. Diese Art von Geschichtsklitterung ist katastrophal, entwertet den echten Widerstand und stellt die verwegene Behauptung auf, die Mehrheit der Deutschen sei irgendwie widerständlerisch eingestellt gewesen.
So ist es auch sicherlich kein Zufall, dass von den fünf Hauptcharakteren der Geschichte immerhin zwei zu aktiven Widerständlern werden, die aber ebenfalls einzig und allein existenzielle Siege zu erringen versuchen. Eine weigert sich, weiterhin aktiv mitzuarbeiten und wird dafür am Ende hingerichtet; einer desertiert aus der Wehrmacht. Der dritte, der Jude, wird zum Widerständler wider Willen, der aber zwangsläufig nur am eigenen Überleben interessiert sein kann. Opponenten sind überzeugte Nazis: Hässlich und dumm, und im Fall des Kommandanten des Strafbataillons auch noch ungewaschen und dauerbetrunken. Die einzig bösen Zivilisten, denen wir im ganzen Film über den Weg laufen, sind gleichzeitig die einzigen mit deutlichem Berliner Akzent - obwohl alle unsere Hauptfiguren aus Berlin sind!
Auch in "Der Untergang" finden wir das Schema, dass alle Nazis hässlich und dumm sind, während die Mehrheit innerlich im Widerstand ist. Die Hauptperson Traudl Junge wird als so naiv und herzig dargestellt, dass sie auch nach drei Jahren als "Sekretärin des Führers" noch überrascht davon sein kann, dass die Nazis die Bösen sind. Eine zweite, erfundene, Hauptperson ist Arzt, schlank und trainiert, die sich für die Rettung möglichst vieler Verwundeter und Verletzter einsetzt, ein Ziel, dass böse SS-Schergen konterkarieren - deren Anführer, natürlich, dick und abstoßend ist.
Auch der Lynch-Trupp, der Berlin auf der Suche nach Volkssturm-Deserteuren durchzieht, wird von einem dicken, abstoßenden Mann mit Schnauzer angeführt, der dazu einen Jagdhut trägt, um sein Hinterwäldlertum zu betonen. Nur dumme Menschen können schließlich Nazis sein. Demgegenüber steht der Vater des überzeugten Hitlerjungen, der nicht nur schlank ist und ständig Reden gegen die Nazis schwingt, sondern im Ersten Weltkrieg auch sein Bein verloren hat und deswegen eine weise Anti-Kriegs-Haltung hat, die den Vorteil besitzt, keinerlei politische Unterfütterung zu brauchen, sondern nur auf persönlicher Erfahrung zu beruhen - ein Topos, das auch Trsnjek im "Trafikant" teilt, der ebenfalls im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hat, was als einschneidende Erfahrung gilt.
Im Führerbunker zeigt sich das gleiche Bild. Überzeugte Nazis sind dumm, haben Schnauzbärte, sind häufig dick und schwitzen schrecklich, während die aufrechten Personen (darunter absurderweise auch Albert Speer) hochgewachsen und schlank sind und ihre Transpiration sich doch in deutlichen Grenzen hält.
Klassischen Topoi dieser Art begegnen wir auch in "Napola". In diesem Film möchte ein begeisterter Junge auf die Napola gehen, eine der neuen Eliteschulen des Nationalsozialismus. Dort werden die Jungen gesinnungspolitisch und körperlich erzogen. Sein Vater ist streng dagegen, er hasst die Nazis (er spricht akzentfrei, ist schlank und generisch gut aussehend ohne Schnauzbart) und versucht mit allen Mitteln, seinen Jungen - einen überzeugten Nationalsozialisten! - davon abzuhalten.
Im Verlauf der Geschichte wird der Junge stark ernüchtert; erst von den brutalen Ausbildungsmethoden durch den Lehrer (zwar durchtrainiert, aber immerhin mit abstoßender Frisur und Schnauzbart), der in Wirklichkeit ein Feigling ist und dessen Regiment ein Mitschüler tödlich zum Opfer fällt, später vom Selbstmord eines Kameraden, der unter dem Druck zerbricht, zuletzt von einer Jagd auf entflohene sowjetische Kriegsgefangene, an der teilzunehmen sie gezwungen sind. Am Ende bricht der Junge die Schule ab und kehrt zu seinem Vater zurück; die Konsequenzen dieser Entscheidung für beide Seiten werden durch den Abspann ausgespart.
Auch in Napola zeigt sich, dass es bald keine überzeugten Nazis mehr gibt. Es genügt ein erster Kontakt mit der Realität, um die Augen zu öffnen, die vorher durch die Propaganda verschlossen waren; die Elite selbst glaubt ihren eigenen Kram nicht und kümmert sich nur um sich selbst. Diese Sichtweise unterschlägt allerdings, wie viele Leute tatsächlich begeistert waren - und dass es eben nicht die tumben Schlägertypen waren, sondern im Gegenteil auch hoch intelligente und gut ausgebildete Menschen, die mitmachten.
Das Genre des existenziellen Widerstands wird deutlich besser bedient, wenn wir von "Sophie Scholl" sprechen. Hier ist immerhin deutlich, dass Widerstandsakte Einzelakte sind, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Diktatur mit trug und was der Preis echten Widerstands war. Gleichwohl halte ich es nicht für Zufall, dass die größte deutsche Filmproduktion, die sich explizit mit Widerstand im Dritten Reich beschäftigt, ausgerechnet Sophie Scholl zum Thema nimmt. Auch sie leistete Widerstand aus ethischen, existenziellen Motiven, hinter denen sich praktisch jeder finden kann, die aber keinerlei praktische Auswirkung haben.
Eine beliebte Stilblüte, die sich die Handlung von "Sophie Scholl" entgegen der historischen Realität leistet und die sich auch im "Leben der Anderen" oder "Trafikant" findet ist der zwar dem Regime loyal dienende, aber innerlich auf Abstand haltende Polizist. Sowohl der Verhörende Scholls als auch der Gestapo-Agent, der Franz Tuchel abholt, sind empfindsame Naturen, die mit ihren Gegenübern leiden und starke Sympathie empfinden. Was sie trennt ist einzig der Dienstherr, der kalte Ruf der Pflicht. Im "Leben der Anderen" wird diese Nebenfigur gar zum Protagonisten erhoben. Diese Kunstfigur ist ein eleganter, bequemer Kompromiss, der die offensichtliche Systemkonformität der überwältigenden Mehrheit mit dem brennenden Wunsch vereint, anständig zu bleiben. Sie sind eine infantile Wunscherfüllung des Publikums. Da es vermessen wäre, sich selbst als Widerständler zu imaginieren, bieten diese Geschichten einen Mittelweg. Er ist so bestechend und verführerisch attraktiv, dass er funktionieren muss. Gerade das macht ihn so perfide.
Der andere große deutsche Widerstandsakt dagegen, das Attentat vom 20. Juli, wurde in "Operation Walküre" verewigt. Es ist nachvollziehbar, dass deutsche Filmemacher vor dem Stoff zurückscheuen. Nicht nur wäre ein erfolgreicher Ausgang des Attentats nicht eben eindeutig positiv gewesen; die Attentäter eignen sich auch kaum als Aushängeschilder von Demokratie und Rechtsstaat. Sie sind aber diejenigen, die am deutlichsten mit ihrem Widerstand etwas verändern wollten.
Die Auseinandersetzung mit ihnen ist daher schwierig. Regisseur Bryan Singer optierte für die simple Methode, die Attentäter als Superhelden in Szene zu setzen (die Ästhetik seiner X-Men und Superman-Filme durchzieht bereits deutlich sichtbar den Trailer). Der Unterschied zum nach innen gerichteten, existenziellen Widerstand der deutschen Literatur ist aber deutlich sichtbar. Singers Widerstand ist ein Widerstand der Tat, wenngleich die Hintergründe sehr rein gewaschen werden.
Generell sind die Widerstandsepen von Deutschlands Kriegsgegnern wesentlich aktiver orientiert. Das nimmt natürlich nicht wunders, schließlich standen sie auch auf der Gewinnerseite. Es ist aber augenscheinlich, dass selbst Figuren, die sich dafür nur sehr bedingt eignen, grundsätzlich als Helden und Kämpfer für Demokratie und Rechtsstaat interpretiert werden, etwas, das in den oben beschriebenen deutschen Werken praktisch nicht vorkommt. Hier zählt allein die Konzentration auf den existenziellen Sieg, in dem der Akt des Widerstands einem ethischen Sieg gleichkommt, einer Reinhaltung der eigenen Seele - auch unter Aufgabe der eigenen Identität. Das allerdings ist, notwendigerweise, nicht nur stets ein individueller Akt (ganz anders als Operation Walküre, die kollektives Handeln erforderte). Es handelt sich auch um einen Akt, der selbst im Erfolgsfall nicht dazu dienen kann, Nachahmer zu finden.
Franz Tuchels Widerstand im "Trafikant" besteht aus der Schilderung seiner Träume, Wünsche und Hoffnungen. Diese aber sind seine, und seine allein. Die Freundschaftsgruppe aus "Unsere Mütter, unsere Väter" bleibt unter sich und, davon abgesehen, stellt sie in dieser Fiktion ohnehin die deutliche Bevölkerungsmehrheit. Vom Widerstandsakt des Stasi-Hauptmanns im "Leben der Anderen" erfährt niemand außer ihm und seinem Vorgesetzten, vom Kampf des Dichters niemand außer zweien seiner Freunde. Friedrich redet mit niemandem über seine Erfahrungen in der "Napola" und stiehlt sich nach Hause. "Sophie Scholl" ist von einer sehr spezifischen Religiosität getrieben (die im Film praktisch keine Rolle spielt), die sich ebenfalls kaum zur Nachahmung anempfiehlt.
Ich möchte zum Ende eine Widerstandsgeschichte empfehlen, die zwar nicht in einer realen Diktatur spielt und auch nicht von einer deutschen Schriftstellerin stammt, aber die Thematik des Widerstands wesentlich vielschichtiger und anspruchsvoller packt - obwohl es eigentlich ein Jugendbuch ist.
Die Rede ist von der "Tribute von Panem"-Trilogie der amerikanischen Autorin Suzanne Collins. In einer fernen, postapokalyptischen Zukunft zwingt eine diktatorische Zentralregierung die unterworfenen "Distrikte", jährlich zwei Kinder (die titelgebenden Tribute) für eine Art Gladiatorenspiele abzustellen, die nur von einem Kind überlebt werden. Dieses Unterwerfungsritual soll die Beherrschten an ihrem Platz halten. Im ersten Teil der Geschichte (Film) erringt die Protagonistin, Katniss, einen existenziellen Sieg: Nicht nur schafft sie es, die Spiele zu überleben; es gelingt ihr auch, die Diktatur (eher unbeabsichtigt) zu destabilisieren, indem sie die Regeln beugt und ihrem Mit-Tribut Peeta ebenfalls das Überleben ermöglicht.
Diesen Regelbruch will die Diktatur im zweiten Teil (Film) bestrafen, um ihre Herrschaft wieder öffentlich zu legitimieren. Katniss hat keinerlei Interesse daran, wird aber in den aktiven Widerstand hineingezogen. Ihre Handlungen, weltweit im Fernsehen übertragen, haben sie zu einer Symbolfigur des Widerstands gemacht.
Im dritten Teil (Film und Film) wird Katniss aktives Mitglied des Widerstands und dient in der Propagandaeinheit. Sie wird der Inszenierung aber irgendwann überdrüssig und entschließt sich, auszubrechen und ihren Freund zu befreien. Diese Handlung ist ultimativ fruchtlos, aber der Widerstand siegt in der Zwischenzeit. Katniss soll rituell den alten Diktator ermorden, aber sie entschließt sich stattdessen, die Anführerin des Widerstands zu töten, um so deren dräuende eigene Diktatur zu verhindern. Die Geschichte endet mir ihr, tief traumatisiert, einer unsicheren Zukunft entgegenblickend.
Die Geschichte ist für Widerstandshandlungen deswegen so relevant, weil sie einerseits eine Figur enthält, die existenzielle Motive teilt, die aber auf andere Personen tatsächlich Ausstrahlungskraft haben. Statt dies nur in die Beziehung des Lesenden beziehungsweise Zuschauenden zur Handlung zu schieben, und damit quasi auf die Metaebene, thematisiert die Reihe bewusst die Folgen. Katniss will die Verantwortung nicht, ein Symbol des Widerstands zu sein, versteht die Politik dahinter nicht und möchte auch nicht daran beteiligt sein. Aber der Kampf traumatisiert sie auf mehren Ebenen zutiefst, und sie kann sich den Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen nicht entziehen - die stets ambivalent bleiben.
Dadurch ist diese Geschichte deutlich grauer und bietet ein wesentlich realistischeres, aber auch lehrreicheres Bild, als es die mit hohem Aufwand und großem pädagogischen Anspruch produzierten weiter oben besprochenen Werke tun. Dasselbe trifft übrigens, wenn die Abschweifung gestattet ist, auch für Werke über die Sklaverei in den USA zu: eine Fantasie-Geschichte wie Tarantinos "Django Unchained" trifft den Kern der Thematik wesentlich genauer als das von den Oscars so gelobte "Twelve Years A Slave".
Das ist kein Zufall. Ich habe schon einmal darüber geschrieben, dass fiktive Handlungen häufig wesentlich besser in der Lage sind, den Kern der Lage zu erfassen, als sklavische Versuche, "realistisch" oder "authentisch" zu wirken. Es hat auch den zusätzlichen Vorteil, dass man sich wesentlich weniger Sorgen machen muss, das Publikum vor den Kopf zu stoßen. Anachronistische Elemente machen die Identifikation leicht, ohne dass es nötig wäre, Geschichtsklitterung zu betreiben. Diese Erkenntnis sei AutorInnen für die Zukunft anempfohlen.
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