Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1)
The government is distributing emergency Covid-19 supplies. But some states are losing out.
Communities have been begging, sometimes literally, for increased access to medical equipment, including ventilators and respirators, and basic personal protective equipment (PPE), like masks, gloves, and gowns, for weeks. But distribution from the federal government has appeared to be uneven. In Massachusetts, where there are major outbreaks around Boston and in the state’s western Berkshire County, only 17 percent of requested resources have been shipped out. Maine has received about 5 percent of what it has requested, and Colorado has received about a day’s worth of supplies, according to the Post. President Donald Trump has been critical of Whitmer’s requests for aid, and her criticism of his administration’s response, referring to her as “the woman in Michigan.” By contrast, he has praised Gov. Ron DeSantis of Florida, where Trump resides, and that state has received multiple shipments of everything it has requested, and is awaiting another, according to FEMA data. (Anya van Wagtendonk, vox.com)
Ich habe in meinem Artikel "
Mörder an Regierungsschaltstellen" bereits darüber geschrieben, dass die Trump-Regierung aktiv versucht, Leute umzubringen, die sie nicht wählen. Das hier ist nur ein weiteres Beispiel dafür. Es lohnt sich, hier als Kontrast die Obama-Jahre herzunehmen. Die Ausgaben, die seine Administration tätigte - etwa für den ACA - kamen deutlich überproportional den armen Südstaaten zugute, die nicht eben als Obama-Fans und -Wähler aufgefallen sind. Das liegt daran, dass sie tatsächlich Menschen helfen wollte, eine Haltung, die der Trump-Regierung der GOP völlig fremd ist.
Ein weiteres geradezu tragikomisches Beispiel ist das ganze Debakel um die Briefwahl: Angesichts der Corona-Pandemie versuchen die
Democrats seit Monaten, das Briefwahlverfahren zu vereinfachen, damit nicht noch mehr Menschen sinnlos infiziert werden und sterben. Trump sabotiert das an allen Ecken und Enden, um die Wahlbeteiligung zu drücken. Nur:
Republicans wählen tendenziell mehr per Brief als
Democrats! Für Trump ist aber völlig unvorstellbar, dass die
Democrats etwas tun würden, das ihnen schadet, aber das Menschenleben rettet. Das ist für ihn einfach nicht nachvollziehbar. Und deswegen schießt er sich selbst in den Fuß.
Mitch McConnell und der Rest der Bande sind da cleverer; sie unterdrücken die Briefwahl nur dort, wo mehrheitlich demokratische Wähler sind, und versuchen, sie in ihren eigenen Hinterhöfen wie in Florida zu fördern. Die Medien interessieren sich für solch offensichtliche Widersprüche ohnehin nicht und fröhnen einfach dem Bothsiderismus. Es ist alles so unendlich widerlich und mörderisch.
2)
Gefährliche Wendung
Menschen mit Migrationshintergrund melden sich zu Wort. Sie sind gebildet, wortgewandt. Sie wollen den Rassismus anprangern, nicht mehr nur den Rassismus, der von faschistischen Parteien unverblümt propagiert wird; auch nicht den, der noch in den Gesetzen und Institutionen steckt. Sie wollen ihn aus den entlegensten Ecken der Sprache, Kultur, Erinnerung herauszerren. Sie initiieren #MeTwo-Debatten. Seit einiger Zeit wird in Deutschland und der Welt heftig über Rassismus diskutiert. Die Debatte kann dabei, wie einige Indizien andeuten, auch eine gefährliche Wendung nehmen. Die Rassismuskritik führt dann nicht mehr zu neuer Solidarität, sondern dient dem Zelebrieren eines affirmierten Opferstatus und droht zur Selbstbestätigung auszuarten. Einige Entwicklungen deuten durchaus auf diese Richtung, wenn auch nicht klar ist, wie wirksam sie sind. Mit einem quasireligiösen Furor will eine neue Generation People of Color jede auch noch so verborgene rassistische Regung in der Seele ausrotten. Selbst die Liberalen, gar die Linken, die immer schon ein sicherer Hafen für die Fremden im Lande waren, sind nicht mehr davor gefeit, als Rassisten gebrandmarkt zu werden. (Levent Teczan, taz)
Dieser Artikel ist in meinen Augen ein Paradebeispiel für die völlige Abgedrehtheit der "Cancel-Culture"-Debatte. "Selbst Linke und Liberale sind nicht gefeit?" Das wäre ja auch nochmal schöner! Euch wöllte euch hören, wenn sie es wären. Weder echte Liberale noch echte Linke sollten sich jemals von ihren eigenen Maßstäben ausnehmen. Das zugrundeliegende Problem ist aber einmal mehr ein völliges Missverständnis dessen, was eigentlich das Problem ist.
Rassismus ist wie Brokkoli, kann man gar nicht oft genug sagen.
3)
When conservatives become revolutionaries
Just how dark and desperate is the right becoming? So much so that it is now increasingly common to find conservative writers flirting openly with ideas that clearly point in the direction of outright political radicalism — including talk of civil war, permanently purging liberals from political office and positions of cultural influence, the need for revolutionary action, and hopes for a "refounding" of America using "regime-level power." This is how political actors talk when they have lost faith in the legitimacy of the political opposition and begin dreaming of overthrowing the system as a whole in favor of one that will be more inclined to place people like themselves in (potentially permanent) positions of power. [...] But what if change has already been accomplished, leaving nothing much left to conserve? Conservatives first confronted this dilemma in the wake of the French Revolution. That's when leading conservatives recognized there was no going back to the pre-revolutionary monarchy and established church as they existed prior to 1789, and instead began to formulate a new counter-revolutionary political philosophy. It would seek to overthrow the now-thoroughly corrupted status quo and re-institute primordial order and authority on a new basis through human will and action. It was now possible to be both a conservative and a political radical — a combination of tendencies that ultimately led to the rise of European fascism. We've seen a re-enactment of this dialectical move on the American right in recent years at the level of ideas. (Damon Linker, The Week)
Deswegen nenne ich die
Republicans auch nicht konservativ. Die CDU ist konservativ. Die
Republicans sind rechtsextrem, oder bestenfalls reaktionär. Wie übrigens auch die AfD. Da ist genauso wenig Konservatives. Vielmehr ist eine tiefe Überzeugung, dass die Demokratie in dem Moment ihre Legitimität verliert, in dem man die Wahlen nicht mehr gewinnt.
Das ist beileibe kein rechtes Phänomen. Man schaue nur nach Venezuela. Da haben sie auch immer das Hohelied der Demokratie gesungen, bis sie keine ehrlichen Wahlen mehr gewinnen konnten. Dann plötzlich waren überall Verräter und ausländische Spione, vor denen man das Land mit Abschaffung freier Wahlen schützen musste.
Vergleicht das mal mit der SPD oder der CDU. Die hatten beide noch nie ein Problem damit, die Legitimität eines demokratischen Regierungswechsels zu ihren Ungunsten anzuerkennen (wobei sich die CDU 1969/71 echt schwer damit tat).
4)
During Coronavirus Lockdowns, Some Doctors Wondered: Where Are the Preemies?
Over the past two decades, babies under 3.3 pounds, classified as very low birth weight, accounted for about eight out of every thousand live births in the hospital, which serves a region of 473,000 people. In 2020, the rate was about a quarter of that. The very tiniest infants, those under 2.2 pounds and considered extremely low birth weight, usually make up three per thousand births. There should have been at least a few born that spring — but there had been none. [...] The study period went through the end of April. By the end of June, with the national lockdown easing, Dr. Philip said there had still been very few early preemies born in his hospital. In two decades, he said, he had never seen anything like these numbers. [...] The researchers found that during the lockdown, the rate of babies born before 28 weeks had dropped by a startling 90 percent. [...] The researchers speculated about potential factors. One could be rest. By staying home, some pregnant women may have experienced less stress from work and commuting, gotten more sleep and received more support from their families, the researchers said. Women staying at home also could have avoided infections in general, not just the new coronavirus. Some viruses, such as influenza, can raise the odds of premature birth. Air pollution, which has been linked to some early births, has also dropped during lockdowns as cars stayed off the roads. [...] If the trends in the data are confirmed, the pandemic and lockdowns could be something like a natural experiment that might help researchers understand why premature birth happens and how to avoid it. Maybe some maternity leave should start before a mother’s due date, for example. (Elizabeth Preston, New York Times)
Maybe some maternity leave should start before a mother’s due date, for example. No Shit, Sherlock. Dass die USA bis heute schwangeren Frauen kaum vier Tage um den Entbindungstermin frei geben ist völliger Irrsinn. Und dass das für die Gesundheit der Frauen und der Babys nicht gut ist, sollte keine Überraschung sein. Wenig verwunderlich daher, dass die USA in der westlichen Welt mit die höchsten Kindersterblichkeitsraten haben. Dass in dem durch die Pandemie erzwungenen Lockdowns ein so drastischer Rückgang der Frühgeburten zu verzeichnen war, ist eine völlige Verdammung des Arbeitsrechts in den USA. Family values und Pro Life, my ass.
Zwar handelt es sich dabei sicher um ein US-spezifisches Phänomen, aber ich bin ziemlich sicher, dass wir in Deutschland einen zumindest leichten Rückgang haben dürften. Auch wenn wir wesentlich stärkeren Schutz von Schwangeren haben, so ist doch der weit verbreitete permanente Bruch des Arbeitsschutzrechts in der deutschen Wirtschaft so prävalent, dass auch hier entspanntere Schwangerschaften folgen sollten. Vielleicht kann man das mal als Grundlage für ein Nachdenken nehmen.
5)
Männer sind so (un)verletzlich
In gewissen Kreisen ist das Tragen einer Maske offenbar mit der selben Art archaischer, primitiver Rhetorik verbunden, die auch pinkfarbene Anziehsachen oder eine Katze in einem Dating-App-Profil für unmännlich erklärt. Die LA Times erteilte ein paar wohlgemeinte, aber letztlich deprimierende Tipps, wie die Masken für „Alpha-Typen“ attraktiver gemacht werden könnten. Unter den Vorschlägen waren: Appelliert an den Patriotismus! Maga(Make America Great Again)-Masken! Modelle mit Haifischzähnen drauf! Kann das Konzept von Männlichkeit so eiszeitlich starr und hauchdünn zerbrechlich sein? Offensichtlich ja – was bedauerlich ist, weil die Gefahr durch Covid-19 sehr, sehr real bleibt. Diese Woche bezeichnete die populärwissenschaftliche Zeitschrift Scientific American Masken als „Kondome für das Gesicht“. Argumentiert wurde, dass der Kampf, Männer dazu zu bringen, während der aktuellen Pandemie Masken zu tragen, Parallelen zu dem Kampf hat, den es kostete, sie während des Aufkommens von Aids zum Tragen von Kondomen zu animieren. Es wirkt zwar seltsam, etwas, das man sichtbar in der Öffentlichkeit anhat, mit etwas zu vergleichen, das man privat in intimen Momenten trägt. Aber die Analogie unterstreicht, wie die Vorstellung von Männlichkeit mancher Männer mit einer ätzenden Mischung aus Launenhaftigkeit, dem Gefühl der Unzerstörbarkeit und letztlich mit Privileg verknüpft ist. Der Artikel zitiert Forschung, nach der „männliche Weltanschauung“ mit der Ablehnung von Kondomen assoziiert wird. (Priya Elan, Freitag)
Wie in Fundstück 4 ist auch dieses Phänomen US-spezifisch, kann allerdings in kleinerem Umfang auch hier beobachtet werden. In bestimmten Kreisen gelten die Masken ja durchaus als unmännlich oder verweichlicht, was so ziemlich die dümmste Begründung sein dürfte, keine zu tragen ("Ich kann nur so schwer atmen" ist ja wenigstens noch nachvollziehbar, wenngleich schrecklich egoistisch). Was wir sehen ist ein weiterer Ausdruck von Rechter Männlichkeit, um Theweleits Terminologie zu gebrauchen.
Was mir bisher völlig unbekannt war, dass in diesen Kreisen rechter Männlichkeitsideologen Kondome als unmännlich gelten. Ich meine,
what the fuck? Du schützt dich nicht vor Geschlechtskrankheiten, weil dein Testosteronspiegel sonst sinkt oder so was? Niemand mag Kondome, aber inzwischen sollte sich doch echt herumgesprochen haben, dass sie der einzig wirksame Schutz vor Geschlechtskrankheiten sind. Wie kann man nur so unglaublich verweichlicht sein, dass das eigene Selbstbild es nicht aushält, das beste Stück in Gummi einzupacken, um SICH SELBST und die Partnerin zu schützen. Und das sind gleichzeitig die Typen, die ständig davon schwadronieren, mit Gewalt "ihre" Frauen schützen zu müssen. So unglaublich armselig.
6)
Warum Deutsche nicht schuld sein wollen (Interview mit Samuel Salzborn)
ak[due]ll: Was bedeutet diese Schuldabwehr für das deutsche Selbstbild?
Salzborn: Das Spannungsverhältnis ist so: Was wir aus der historischen Forschung wissen, ist, dass der Anteil derjenigen, die auf irgendeine Weise Jüdinnnen und Juden unterstützt haben oder Widerstand geleistet haben, unter einem halben Prozent lag. Jüngste Zahlen beweisen, dass aber 30 bis 40 Prozent der Menschen heute glauben, dass ihre Familienangehörigen in der Opposition gewesen seien oder gar Jüdinnen und Juden unterstützt hätten. Das heißt, es gibt ein ganz großes Auseinanderklaffen. Das zeigt, dass man auf einer entpolitisierten Ebene moralisch verstanden hat, dass der Nationalsozialismus verurteilenswert ist, aber dass das überhaupt nicht mit Inhalt gefüllt ist. Man hat sich überhaupt nicht selbstkritisch damit auseinandersetzt, was die eigene Familiengeschichte ausmacht. Stattdessen agiert man mit Lügen und Mythen, um sich moralisch bequem auf der richtigen Seite einzurichten. Es wird nicht die Frage gestellt, in welcher Weise die Groß- und Urgroßeltern ins Regime involviert waren. Dass sie es aber in irgendeiner Form waren, zeigt das halbe Prozent der Bevölkerung, das Widerstand geleistet hat. Im Selbstbild wird hingegen angenommen, niemand sei wirklich überzeugter Täter gewesen, das wird aber massiv verdrängt und abgewehrt.
ak[due]ll: Es gibt also ein Auseinanderklaffen zwischen öffentlicher und privater Erinnerung?
Salzborn: Ja. Das wesentliche Problem in der öffentlichen Erinnerung besteht darin, dass man dieses Auseinanderklaffen nicht begreift. Man sieht nicht, dass über Jahrzehnte hinweg jede Form von Auseinandersetzung verschlafen wurde und letzten Endes bis heute nicht in Angriff genommen wird, wenn wir uns den Schulunterricht und die Lehrpläne anschauen. Die große Gefahr ist, dass man dadurch die Macht der Erinnerung und vor allem der Erinnerungsabwehr für neuen Antisemitismus unterschätzt.
ak[due]ll: Wie weit ist Deutschland also in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus?
Salzborn: Wenn es um die substantiellen Fragen geht, also inwiefern es das in breiten Teilen der Bevölkerung gegeben hat, würde ich sagen, steht Deutschland nach wie vor ganz am Anfang. Was fehlt, ist ein eigenes Anliegen in der deutschen Bevölkerung, das als Problem zu sehen und die eigene Vergangenheit nicht immer beschönigen zu wollen. Das ist einer der großen fehlenden Impulse, der zwar mittlerweile lange verschleppt ist, der aber in jeder Familie von jeder neuen Generation mit ganz einfachen Fragen angestoßen werden kann. Die sind sicherlich schmerzhaft und führen zu Streit. Aber solange man sie nicht stellt, wird sich die Last der Erinnerungsabwehr immer weiter tragen. (Julia Segantini, akduell)
Das Deprimierende ist: Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland ist weltweit praktisch ohne Beispiel. Wir sind zwar die besten, aber die Latte hängt so verdammt niedrig, dass man eigentlich nur drüber stolpern kann. Tatsächlich ist das deutsche Verhältnis zum Holocaust sehr fragil. Wir sind weit gekommen in den letzten vier Jahrzehnten, aber die Fortschritte sind beständig von einem harschen Backlash bedroht, und die erzielten Fortschritte sind offensichtlich nur sehr oberflächlich und haben das Bewusstsein nicht wirklich durchdrungen.
7) Tweet
Zu den Absurditäten der unterirdischen Trump-Berichterstattung gehört die ständige Auto-Suggestion, er werde - nun aber endgültig, diesmal aber wirklich! - endlich jene Standards annehmen, die die jeweiligen JournalistInnen haben und damit akzeptabel werden, so dass man die eigene privilegierte Stellung wieder unreflektiert verteidigen kann. Das Verlangen so vieler dieser JournalistInnen aus den Leitmedien, unbedingt wieder im gewohnten, abgehobenen Rahmen über Politik reden zu können, ist so greifbar, dass man es aus dem Fernseher holen kann. Die wollen unbedingt, dass sie nicht die Verteidigenden von Meinungsfreiheit und Demokratie sind. Die Verantwortung, die mit ihrer (Meinungs-)Macht einhergeht fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser.
8)
Can Germany now hold the European team together?
But there are also longer-term developments underpinning my hopeful dream. Berlin now has a critical mass of politicians, officials, journalists, think-tanks and foundations who are thinking hard about what Europe's strategy should be – and not just for the current German presidency of the EU. If a black-green coalition government (combining the Christian Democratic Union, the Christian Social Union, and the Greens) emerges from next autumn’s general election, that will only strengthen Germany’s European commitment. [...] So, however wise a German strategy may be, it cannot be realised without a set of international partners. [...] Europe’s own problems cannot be solved without the active involvement not just of France and Spain but also of Italy (understandably preoccupied with its own internal problems), Poland (currently peddling an archaic anti-German line), the Netherlands, and others. For foreign and security policy, Europe also needs the clout of Britain – which is the big strategic reason for Merkel to try to broker the Brexit deal that I believe still can be done this autumn. [...] Germany cannot simply conjure up the necessary international partners, but this is something in its own hands. As a distinguished former German ambassador to China, Volker Stanzel, has argued, foreign policy can no longer be left to the elites. It needs to be anchored in a much wider process of education and democratic debate. That’s all the more true because, due to the country’s critical size and the shadows of its past, the international role that the German public needs to understand and support is this historically unusual, difficult, and carefully balanced one. For Germany can never be the prancing hegemon, just the steady, skilful football midfielder who keeps the whole team together – and doesn’t even get the applause for scoring goals. Yet, sometimes, those midfielders are the true heroes of the team. (Timothy Garton Ash, European Council on Foreign Relations)
Ich stimme den Forderungen und Hoffnungen des Artikels völlig zu, deswegen will ich vor allem den Schluss von Ashs Artikel aufgreifen. Wie soll die geforderte Debatte funktionieren? Ein "Prozess der Erziehung und der demokratischen Debatte" klingt toll, aber letztlich ist das Wortklimbim. Ein bisschen mehr Europa in den Bildungsplänen zu verankern wird wenig helfen, und die Debatten über die Zukunft des europäischen Projekts sind einfach Elitendebatten, weil es ein Elitenprojekt ist. Wenn man das wirklich ernst meint, müsste man deutlich in den Aufbau einer europäischen Identität investieren, aber das hieße eben zwangsläufig einen Abschied vom Nationalstaat. Und das sehe ich bei aller Liebe nicht.
9)
Like NATO, but for Economic Warfare
New threats demand new responses. During the Cold War, the U.S. created not just NATO but also the CIA and the Air Force to respond to Soviet threats. The period brought about a wholly new form of intelligence competition between the West and the Soviet Union. This led the U.S., Britain, Canada, Australia, and New Zealand to enter into the alliance commonly known as Five Eyes, which allowed unprecedented intelligence sharing among nations in peacetime. This approach would have been unimaginable before the Soviet geopolitical threat. Similarly, a new kind of alliance—like NATO, but for economic rather than military threats—is needed to respond to the kind of statecraft that China is practicing. Under such a system, participating nations would provide mutual support when China threatens one or more members with economic repercussions for political actions. That assistance could involve the imposition of tariffs on Chinese goods by all member nations; the creation of a pool of capital to help a targeted nation withstand Beijing’s pressure; the release of strategic reserves of essential materials, such as rare-earth metals, that China produces and could withhold; and other forms of collective economic defense. [...] This alliance would be open to any nation that wanted to maintain free markets and political autonomy. Use of its tools would have to be narrow: It should act only in cases where economic warfare is used as a means of political coercion. It would not replace NATO or other military alliances. Nor would it replace the WTO. In fact, it would be complementary, and provide a means of safeguarding the WTO’s goal of free trade, by countering attempts to turn trade into a geopolitical bargaining chip. (Anthony Vinci, The Atlantic)
Der Grundgedanke erscheint mir sehr sinnvoll. Wirtschaftskriege werden in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit ein wiederkehrendes Element der Geopolitik werden (siehe dazu auch die Besprechung zu
Wirtschaftskriege in der
Juni-Bücherliste als theoretisches Grundlagenwerk). Wie aber vielfach schon bemerkt wurde, hat ein Land wie Deutschland oder, verstärkt, Italien, oder, extremer, Luxemburg wenig in der Hand, um alleine einen solchen Konflikt gegen die Volkswirtschaft der Volksrepublik zu bestehen.
United we stand, divided we fall.
Angesichts der Entwicklungen in den USA gilt das natürlich auch für die USA. Wenn wir weiter mit Präsidenten wie Trump leben müssen, die Handelskrieg gegen die eigenen Verbündeten als Waffe sehen, dann muss auch hier eine gewisse Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit bestehen. Sinnvoll scheint daher die Idee eines "Binnenkreises" der EU-Länder, die ein solches Bündnis eingehen - mit all den Herausforderungen an eine gemeinsame Außenpolitik, die das mit sich bringt - und einem erweiterten Kreis, der dann auch die USA, Kanada, Australien etc. mit einschließen könnte. Das wäre allerdings ein dezidiert anti-chinesisches Bündnis; ob diese Aggressivität möglich ist...?
10) Tweet
Es ist faszinierend, wie sich die öffentliche Stimmung zu diesem Thema gedreht hat. Noch vor Kurzem war die Idee, mit deutschen Steuergeldern Hilfspakete für die EU-Partner zu finanzieren, eine Totgeburt. Man denke nur an die Griechenlandkrise und die entsprechenden Schlagzeilen. Für mich ist fraglich, wie belastbar dieser Meinungsumschwung ist. Ist es ein kurzer Solidaritätsmoment, à la Flüchtlingskrise 2015, oder ist es ein dauerhafter Sinneswandel? Das kann nur die Zeit zeigen. Aber das Fenster ist offen für eine aktivere EU-Politik, und der große Corona-Kompromiss der EU kann da schon als hoffnungsvolles Zeichen gesehen werden.
11)
PolitiFact’s “Trump-O-Meter” is an embarrassing encapsulation of the problem with modern media
Many of the “Obameter” and “Trump-O-Meter” rulings are entirely fair. No, Obama wasn’t able to double the number of American exports between 2012 and 2016. No, Obama wasn’t able to make good on his promise to “institute a common standard for securing [personal] data across industries.” No, it’s safe to say that Obama was not able to “bring Democrats and Republicans together to pass an agenda that works for the American people.” But Trump gets an absurd amount of leeway compared to his predecessor. “As soon as I take office I will ask Congress to fully eliminate the defense sequester and will submit a new budget to rebuild our military,” reads one of Trump’s promises. PolitiFact rated this a “promise kept,” though the sequester “remains on the books.” Instead of eliminating it, Trump and Congress have simply raised the spending caps to levels where it has little effect. It’s understandable how PolitiFact might reach such a conclusion, but it’s inconsistent with how it rated Obama. [...] How do you handle a president who lies on a scale unlike that of anyone to hold that office before him? It’s a question journalists have had to ask themselves repeatedly for the past three and a half years, and two of the most popular conclusions seem to be: grade him on a curve, or risk the wrath of his Twitter account and bad-faith conservative media operatives, who are all-too-eager to scream “Liberal bias!” While the latter displays integrity and bravery, many news organizations have defaulted to the former. [...] While PolitiFact’s coverage of Trump is not particularly flattering, bias makes it seem better than it actually is. The opposite bias bumps progressive politicians in the other way. Facts don’t care about balance. Facts don’t care about whether you’ve already labeled five claims this month as “pants on fire” so maybe it’d be better to put the sixth in “false.” Facts don’t care if your “lie of the year” consistently comes from one party or ideology over another. Facts are facts, and it’s time to stop letting fear of being called biased dictate how they’re presented. (Parker Molloy, Media Matters)
Meine aktuelle Arbeitshypothese zu diesem Problem ist, dass die Leitmedien ein grundlegendes Niveau an Aufregung erhalten. Dahinter steckt eine eher schädliche Mentalität im Journalismus, die ich letzthin auch in einer Diskussion zweier Journalisten auf Twitter beobachten konnte (die ich leider nicht gesichert habe, daher kein Link). Grob zusammengefasst ging es um die Frage, ob man die Regierung immer kritisch begleiten oder auch einmal loben könne. Eine der Personen vertrat sehr vehement die Auffassung, dass der Job des Journalisten nie sein könne, positiv zu berichten - kritisiert werden muss quasi immer.
Und wir sehen diese Tendenz deutlich. Obama wurde im Brustton größten Skandals für den unbedeutendsten Mist tagelang angegangen, während Trump wesentlich mehr Spielraum bekommt. Das liegt schlicht daran, dass das "Skandal-Level" sowohl einen Floor hat - ein bestimmtes Maß an Skandal und Kritik MUSS quasi sein, auch wenn es eigentlich keinen Grund gibt - als auch ein Ceiling - ab einem bestimmten Maß wird relativiert, damit man nicht in die andere Richtung parteiisch scheint. Die Medien sind damit immer Mitte, was verheerend ist, wenn eine Seite ins Extrem ausschlägt.
Es ist aber auch schlecht für die Demokratie, wenn man immer meckert. Ich denke dass es einer der vielen Faktoren für die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Politikverdrossenheit und den verdammten Politzynismus ist, die so weit verbreitet sind. Hierzulande sieht man das gut an Corona: Weil man nicht loben darf, muss immer irgendetwas kritisiert werden, müssen 20.000 demonstrierende Spinner zur unterdrückten und totgeschwiegenen Gruppe aufgebauscht werden, über die unbedingt berichtet werden muss. Und so werden Verschwörungsmythen und anderer Irrsinn normalisiert.
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