Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.
Diesen Monat in Büchern: Reconstruction und Gilded Age, Feminismus, die Geschichte Frankreichs und eine Biographiensammlung deutscher Parlamentarier.
Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: -
Richard White - The Republic for which it stands
Die Zeit zwischen dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs und dem Anbruch des 20. Jahrhunderts, das im amerikanischen Kontext gerne im amerikanisch-spanischen Krieg von 1898 verordnet wird, trägt seit über einem Jahrhundert den nicht eben positiven Beinamen "Das vergoldete Zeitalter" (The Gilded Age). Hintergrund ist die Idee, dass sie, anders als das mythische "Goldene Zeitalter" (das einen ganz eigenen Artikel verdienen würde...), nur "vergoldet" war, also zwar strahlend, aber unter der Oberfläche eher verrottet.
Es ist nicht schwer zu erkennen, warum. Grassierende Armut, rassistischer Terror, das erste krasse Aufeinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, der Völkermord an den Ureinwohnern, erste imperialistische Bestrebungen, grassierende Korruption, weitreichende Umweltschäden, institutioneller Rassismus und furchtbare Lebensbedingungen in den entstehenden amerikanischen Großstädten alle zeichnen keinen sonderlich guten Eindruck.
Stets umstritten und schwer zu beantworten ist dagegen die Frage, warum das so wahr. Dieses monumentale Werk aus der Reihe der Oxford History of the United States versucht sich einem analytischen Porträt der Epoche. Schnell wird klar, dass White vor allem zwei Ansätze auszeichnen: eine Konzentration auf die USA und ihre Mentalität auf der einen und eine klare Einbeziehung von Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte auf der anderen Seite. Beide Ansätze sind grundsätzlich sehr sinnvoll. Zwar vermisse ich ein klein wenig die außenpolitische Perspektive, aber andererseits waren die USA mit sehr wenigen Ausnahmen in der Gilded Age eine sehr nach innen gerichtete Macht, die sich kaum mit der Welt um sie herum beschäftigte - Indianerpolitik schließlich galt als Innenpolitik.
Whites Buch ist ein wichtiges Werk, weil es glücklicherweise darauf verzichtet, viele Mythen dieser Zeit zu reproduzieren. Stattdessen wird eine schonungslose und ehrliche Analyse geliefert. So findet sich der Unsinn vom "Tellerwäscher zum Millionär" (from rags to riches) der in dieser Zeit seinen Ursprung nahm nirgendwo. Stattdessen zeigt White deutlich auf, wie gering die Aufstiegsmöglichkeiten waren. Ebenso wenig muss man sich mit der Lost-Cause-Folklore oder Sündenböcken wie den carpetbeggars abgeben; die Analyse des Scheiterns der Reconstruction ist auf der Höhe der Zeit.
Das Buch ist daher für alle, die an der Epoche interessiert sind, unbedingt zu empfehlen und ein großartiges Überblickswerk, das eigentlich keine Wünsche offen lässt.
Margarete Stokowski et al - We are Feminists
In diesem illustrierten Band wird die Geschichte der Frauenbewegung grafisch aufbereitet. Jede der drei Wellen wird mit einem Flowchart relevanter Daten und Akteurinnen präsentiert, während einzelne herausragende Figuren ihre eigenen Mini-Porträts erhalten. Auf diese Art entsteht ein prägnanter und schnell und gut lesbarer Überblick.
Beeindruckend ist immer wieder, wie wenig bekannt viele dieser Figuren oftmals sind. Ich muss zugeben, dass vor der TV-Serie "Ms. America" viele der herausragenden Feminstinnen der zweiten Welle für mich unbekannt waren; allenfalls ihr Name war mir geläufig, wenig aber, was ihre Positionen waren oder worin ihre Bedeutung bestand.
Ebenfalls positiv ist, genauso wie im letzten Monat in der besprochenen Geschichte der Frauenbewegung, dass auch relevante Personen vorgestellt werden, die nicht aus den USA oder aus Deutschland kommen. Auffällig ist deswegen auch, dass Deutschland abgesehen von Alice Schwarzer nur wenig Einfluss auf die Bewegung hatte (und Schwarzer ist, sagen wir, weder originell noch unproblematisch; wir waren immer mehr Rezipienten. Gerade als solche sollten wir ein besseres Verständnis für die Geistesgeschichte dieser Ära aufbringen, und "We Are Feminists" ist da ein leicht verdaulicher Überblicksband.
Roger Price - A concise history of France
Eine der vielen Lücken, die ich einmal stopfen wollte, war die Geschichte unseres Nachbarlandes und Partner Frankreich. Mich interessiert dabei weniger die Geschichte des mittelalterlichen Landes, einfach weil mich das Mittelalter generell kalt lässt; die moderne nation ist es, die mich interessiert.
In dieser Beziehung ist Prices Buch perfekt gewesen. Zwar behandelt er im ersten Teil kurz die mittelalterlichen Grundlagen, geht dann aber schnell in die Neuzeit, wo hauptsächlich die strukturellen Grundlagen des Ancien Régime erklärt werden, bevor dann die Französische Revolution ausbrechen kann.
Ab diesem Zeitpunkt wird das Tempo gemächlicher; das 19. Jahrhundert nimmt viel Raum ein, und die Dynamik zwischen Revolution und Gegenrevolution, die so typisch für die französische Geschichte ist, wird ausführlich besprochen.
Noch gemächlicher wird das Thema im 20. Jahrhundert, wo den verschiedenen Regierungen viel Raum gegeben wird. Politische Wechsel und die zugrunde liegenden Dynamiken werden ausführlich besprochen, und die Erzählung reicht bis zur Wahl Francois Hollandes im Jahr 2012 (deren hoffnungsvoller Ausblick aus heutiger Perspektive bereits wieder hoffnungslos antiquiert wirkt).
Aufmerksame LeserInnen haben vielleicht schon bemerkt, wo mein Problem mit dem Buch liegen wird: Der Fokus liegt viel zu sehr auf den Wahlkämpfen und dem politischen Personal. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte kommen zwar vor, aber dominant ist klar die klassische Geschichte großer Männer, wie sie politische Allianzen schmieden und wer wann an die Macht kommt. Der Autor hat zudem die nervige Neigung, Namen zu nennen, um seine eigene Belesenheit unter Beweis zu stellen, nicht, weil diese Namen danach je wieder vor kommen würden.
Das wäre weniger lässlich, wenn der Erkenntnisgewinn ausreichend groß wäre, aber leider ist das Werk auch im Bereich der Analyse eher schwachbrüstig aufgestellt. Ich erfahre zwar viel, wer wann mit wem an der Regierung ist, welches Ereignis eintritt und warum eine Regierung es nicht vermag, die Wahl zu gewinnen. Die unterliegenden Prozesse aber sind sehr oberflächlich behandelt, was vor allem im 20. Jahrhundert zu einer Gleichförmigkeit der Analysen führt - Reformstau, Unzufriedenheit, Abwahl, Neuwahl, enttäuschte Erwartungen, rinse, repeat. Da wäre mehr möglich gewesen, das beweist Whites weiter oben vorgestelltes Buch.
Simon Schwartz - Das Parlament - 45 Leben für die Demokratie
Gerade in Deutschland wird die Demokratie viel zu wenig gefeiert, weswegen ein Buch wie "Das Parlament" gerade recht kommt. 45 Parlamentarier und Parlamentarierinnen werden in Comicform vorgestellt. Jede Person bekommt eine DIN-A4-Seite in einem jeweils eigenen Stil, der zu der Person und ihrem Lebensweg passt.
Wie der Titel des Buches bereits sagt liegt der Fokus auf dem Parlament; Regierungspersonal sucht man daher vergebens. Viel mehr geht es um solche Menschen, die keine Ämter trugen, weswegen auch Giganten wie Herbert Wehner fehlen, sondern um solche, die ihr Leben in den Dienst der Demokratie stellten, ohne je in die erste oder, in vielen Fällen, auch nur die zweite Reihe vorzurücken. Die vermutlich einzige Ausnahme dieser Regel ist Heinrich von Gagern, aber angesichts des Desasters von 1848 ist das zu verkraften.
Wem also der Geist nach ein klein wenig demokratischer Hagiographie und leicht verdaulicher Information über diese Biographien steht, der könnte wahrlich schlechter tun als dieses Buch zu lesen - oder jemandem zu schenken.
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