Freitag, 9. Oktober 2020

Rechtsfreier Raum Klassenzimmer, Teil 2: Das Informelle

 

Im ersten Teil dieses Artikels habe ich mich mit den formalen Erfordernissen des Lehrkraftsberufs beschäftigt, von der Ausbildung über die Arbeitszeit zur Bezahlung. In diesem Teil möchte ich mich jetzt der Frage widmen, unter welchen Bedingungen diese Arbeit oftmals stattfindet - und warum sie teilweise nur schwer erträglich sind. Wo es um Schulen geht, wird wie selbstverständlich das Arbeitsrecht nicht angewandt. Gesundheitsschutzmaßnahmen, wie sie in praktisch jedem anderen Beruf selbstverständlich sind, finden sich hier nirgendwo. Dazu kommen an jeder Ecke und Ende die Folgen der Unterfinanzierung des Bildungssystems.

Bezahlen für das Vergnügen, arbeiten zu dürfen

Eine der größten Absurditäten des Lehrkraftsberufs ist es, dass man für das Arbeiten bezahlen muss. In jedem anderen Beruf wäre das völlig unvorstellbar. Wer würde im Bewerbungsgespräch nicht schief gucken, wenn der potenzielle Arbeitgeber verkünden würde, dass das Arbeitsmaterial selbst gekauft werden muss? Sicher, würde es heißen, Sie können bei uns im Gebäude arbeiten, aber einen Computer, Stifte und Papier müssen Sie selbst kaufen.

In deutschen Lehrerzimmern ist das Realität. So bekommen im Jahr 2020 im benachbarten Dänemark zwar 91 Prozent der Lehrpersonen ihre digitale Geräteausstattung von der Schule gestellt. In Deutschland sind es gerade einmal vier Prozent. Wir reden hier noch nicht einmal von der Ausstattung für die SchülerInnen, wo regelmäßiger Zugang zu einem Endgerät oder ein stabiles WLAN absolute Luxusgüter sind, die es nur an einer Handvoll Leuchtturmschulen mit Projektcharakter gibt. Die Lehrkräfte selbst haben auch keine.

Und da hängt ja noch mehr dran: Nicht nur muss ich mir als Lehrkraft meinen Computer selbst kaufen, sondern auch alle relevanten Programme. Microsoft Office etwa, unverzichtbares Arbeitsmittel der meisten Lehrkräfte, wird nicht von den Schulen gestellt. Stattdessen wird das alles selbst angeschafft - oder eben auch nicht. Der beklagenswerte Zustand der Digitalisierung an deutschen Schulen hängt sicherlich auch damit zusammen.

Die Anschaffung von Gerät und Programmen allein ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs, denn Fortbildungen beziehungsweise Ausbildungen sind auch rar gesät. Bringt jemand entsprechende Kenntnisse nicht bereits mit, so bleibt die Funktionalität der meisten Programme für immer ein Mysterium. Auch im Jahr 2020 verwalten die meisten Lehrkräfte ihre Noten noch von Hand in einem Büchlein. Auch dieses Büchlein und die Stifte dazu kaufen sie selbst. Die roten Stifte, mit denen Klausuren korrigiert werden? Eigenanschaffung.

An manchen Schulen kaufen Lehrkräfte sogar Tafelkreide selbst. So gut wie nie gestellt werden solche Luxusgüter wie Tafelmagnete, farbige Moderationskarten und anderes didaktisch-pädagogisches Hilfsmaterial. Der größte Kostenfaktor, den Lehrkräfte in der überwältigenden Zahl der Fälle selbst stemmen müssen, sind aber Bücher. Schulbücher werden zwar (Lernmittelfreiheit!) von der Schule gestellt. Der große Markt von Lehrkraftausgaben für diese Schulbücher, die vorbereiteten Unterrichtsmodelle, Aufgabensammlungen, Lösungsbücher etc. werden meist von den Lehrkräften selbst gekauft. Auch Fachzeitschriften werden nicht immer von der Schule abonniert.

Müssen wir überhaupt vom häufig immer noch nicht vorhandenen WLAN reden? Existiert es tatsächlich, ist es meistens zu langsam und/oder fällt oft aus. Das führt dann zu "Lösungen" wie dieser hier:


Der Mann kauft einen eigenen Internet-USB-Stick mit Lightning-Anschluss, damit er unterrichten kann. Das wird dann gerne noch als Engagement der Lehrkräfte gefeiert, anstatt dass es den zuständigen Stellen die Schames- und bei allen anderen die Zornesröte ins Gesicht treibt. Ein weiteres Beispiel wäre dieses hier, unter dem Hashtag #EinfachMalMachen:

Und ja, das Engagement ist klasse. Das Kollegium ist klasse. Daumen hoch für das Einbringen in den Job. Aber es ist blanker Wahnwitz, dass zehn hochausgebildete Menschen ihrem Arbeitgeber einfach mal 70-90 Arbeitsstunden schenken, weil der nicht in der Lage ist, die absolut notwendigste Grundausrüstung zu installieren! Ich traue mich ja schon gar nicht nachzufragen, ob sie die Adapter und Kabel selbst gekauft haben. Ich will auch nicht wissen, was los wäre, wenn eine dieser zehn engagierten Lehrkräfte sich bei der Installation verletzt hätte. Wird das überhaupt von der Versicherung gedeckt? Was, wenn eines dieser Kabel Feuer fängt? Solche Zustände sind zum Haare Raufen!

Im Schulbetrieb ist das völlig normal und allseits akzeptiert, aber das würde in keinem anderen Job - auch nicht im öffentlichen Dienst - so akzeptiert werden. Man stelle sich vor, die Verwaltungskräfte auf dem Rathaus müssten ihre eigenen Computer kaufen, auf denen sie dann die Daten der Bürger bearbeiten. Allein die Vorstellung ist absurd. Oder einE MaschinenbauerIn bei Daimler müsste sich ihre Schreibmaterialien selbst mitbringen. Nur in der Schule wird das hingenommen.

Wenn am Arbeitsplatz kein Platz zum Arbeiten ist

Ebenfalls praktisch Standard ist, dass Lehrkräfte im wahrsten Sinne des Wortes keinen Arbeitsplatz haben. In meinem Lehrerzimmer steht mir die Hälfte eines ca. 1,80m langen und etwa 60cm tiefen Tischs zur Verfügung. Das reicht nicht einmal zur Ablage; ich habe das Glück, dass mein Tisch am Fenster steht und ich so das Fensterbrett mit benutzen kann. Das ist kein sonderlich ungewöhnlicher Zustand in deutschen Lehrerzimmern.

Diese Tische und die dazugehörigen Stühle sind natürlich alles, aber sicher nicht ergonomisch. Da man an ihnen aber ohnehin nicht arbeiten kann, fällt das nicht so stark ins Gewicht, wie es das in einem normalen Unternehmen tun würde. Arbeitsrechtlichen Standards genügt das allerdings natürlich nicht. Logische Konsequenz dieses mangelnden Platzes sind extrem volle Lehrerzimmer. In diesen wäre Arbeiten auch dann nicht möglich, wenn mehr Platz zur Verfügung stünde - dazu ist es zu laut und finden immer zu viele Nebentätigkeiten statt, von das Gespräch suchenden KollegInnen bis zu SchülerInnen mit irgendwelchen Anliegen.

Stattdessen findet die Arbeit von Lehrkräften überwiegend zu Hause statt. Das ist einerseits problematisch deswegen, weil es die Kollegialität stört und die (zu Recht) viel kritisierte "Einzelkämpfermentalität" der Lehrkräfte befördert. Es ist aber für unsere Thematik wesentlich relevanter, dass natürlich auch hier keinerlei arbeitsschutzrechtlichen Standards nachgehalten werden. Als die IG Metall anlässlich der starken Ausweitung von Home Office durch die Corona-Pandemie darauf hinwies, dass arbeitsschutzrechtliche Standards am Heimarbeitsplatz häufig nicht eingehalten und vom Arbeitgeber auch nicht kontrolliert werden, konnte die LehrerInnenschaft da nur müde lächeln - in unserem Beruf ist das schon immer so gewesen, ohne dass sich jemals jemand an diesen Zuständen gestört hätte.

In den Klassenzimmern sieht die Lage übrigens nicht besser aus, wie etwa dieser Tweet von Maike Schubert gut verdeutlicht:

An den meisten weiterführenden Schulen benutzen die SchülerInnen von der fünften bis zur dreizehnten Klasse dasselbe, unter Gesichtspunkten vor allem des günstigen Preises und der hohen Langlebigkeit ausgesuchte Mobiliar. Dass dies für die wachsenden Körper von SchülerInnen nicht besonders günstig ist, liegt auf der Hand. Genug Arbeitsfläche haben sie zudem meistens auch nicht, wie obige Aufstellung verdeutlicht. Die Lehrkraft hat im Klassenzimmer dank des Lehrerpults meist mehr "Arbeitsfläche" als im eigentlichen Lehrerzimmer, aber diese ist nicht nutzbar. Die überwiegende Mehrheit der Schulen in Deutschland hat ein Klassenzimmermodell, sprich: in den Pausen wandern die Lehrkräfte zwischen den Klassenzimmern. Viel mehr als Ablageflächen sind diese Pulte daher auch nicht; ohnehin vollzieht sich der Unterricht für die Lehrkraft in den seltensten Fällen sitzend.

Außerschulische Veranstaltungen

Richtig spannend wird es, wenn außerschulische Veranstaltungen anstehen: Exkursionen und Studienfahrten, vor allem. Exkursionen sind Tages- oder Halbtagesveranstaltungen; spätestens am frühen Abend ist man wieder zuhause. Gleichwohl ist es keine Seltenheit, dass eine Exkursion - wenn es sich etwa um einen Theaterbesuch handelt - bis spät abends dauert und morgens direkt in der Früh wieder Unterricht stattfindet. Der eigentlich vorgeschriebene Mindestabstand mit Ruhepause ist so eher Theorie, ein Problem, das uns später noch einmal begegnen wird.

Richtig abenteuerlich wird es allerdings auf Studienfahrten, also solchen Exkursionen, die Übernachtungen beinhalten. Der Betreuungsschlüssel ist hier in Baden-Württemberg eine Lehrkraft auf 20 SchülerInnen, was bedeutet, dass eine Klasse üblicherweise mit zwei Lehrkräften auf Studienfahrt geht (die in der Abwesenheit dann vertreten werden müssen...). Fahren wir also etwa für fünf Tage nach Barelona, habe ich während dieser Zeit ständige Aufsichtspflicht über die SchülerInnen. Springt jemand um 23.45 Uhr aus dem Fenster, muss ich mich wegen Aufsichtspflichtverletzung verantworten.

Aber keine Bange, das Beamtenrecht hat hier vorgesorgt: Laut einer richterlichen Grundsatzentscheidung hat "der Beamte zwischen 0 und 6 Uhr das verbriefte Recht auf Schlaf", in dieser Zeit entfällt die Aufsichtspflicht. Man darf annehmen, dass das auch für ihre angestellten KollegInnen gilt. Diese großzügige Ruheregelung bedeutet immerhin eine tägliche Arbeitszeit von 18 Stunden während Studienfahrten; dafür, dass diese gerne (auch im eigenen Kollegium) als "Urlaub" verschrieen sind, ist das eine ganze Menge. Oft genug liegen Studienfahrten dazu in den Ferien oder nehmen das Wochenende mit ("damit nicht so viel Unterricht ausfällt"), selbstverständlich ohne dass irgendetwas davon als Überstunden angerechnet oder sonst wie ausgeglichen würde.

Krankheit

Der Krankenstand von Lehrkräften ist vergleichsweise hoch. Das überrascht nicht, wenn man sich verdeutlicht, dass sie auf engstem Raum mit bis zu 33 Superspreadern zusammengepfercht sind - auch und gerade in Hochzeiten der Influenza-Saison. Lehrkräfte werden allen Erregern ausgesetzt, die unter Kindern gerade so umgehen. Zudem haben es Kinder und Jugendliche üblicherweise nicht so mit der Hygiene; die Oberflächen sind daher Krankheitsherde. Dass die Kommunen zudem bei den Reinigungskräften gerne sparen, ist da auch nicht hilfreich. Die generell beengten Verhältnisse, die ich oben skizziert habe, tun zu dieser gewaltigen Aussetzung gegenüber Erregern ihr Übriges.

Krankheitsausfälle von Lehrkräften sind ein Problem, weil die stets angespannte Personaldecke keine flächendeckende Vertretung erlaubt; da, wie bereits skizziert, viele Vertretungen real nicht bezahlt werden, bürdet man also mit jedem Krankheitstag den KollegInnen unbezahlte Mehrarbeit auf. Das ist das eine. Das andere ist, dass gleichzeitig wertvoller Unterricht ausfällt, denn eine Vertretung kann zwar die Betreuung der SchülerInnen garantieren, aber niemals den Unterricht adäquat ersetzen, selbst wenn sie auch vom Fach ist - was eher die Ausnahme als die Regel darstellt.

Allzu oft entscheiden sich Lehrkräfte dann dafür, trotz einer Krankheit in die Schule zu kommen. Der Gedankenprozess dahinter wurde von Mrs. Grumblebee in diesem lesenswerten Twitter-Thread aufgeschrieben; ich will ihn daher hier nicht reproduzieren:

Natürlich ist dieses Verhalten zwar kurzfristig sicher gut für KollegInnen und SchülerInnen, mittel- und langfristig aber verheerend. Denn nicht nur stellt die kranke Lehrkraft natürlich einen Superspreader für ihre jeweilige Infektion dar, sondern oft führt die Überlastung dann zu einem späteren, umso durchgreifenderen Ausfall. Zwei Wochen flach liegen statt sich drei Tage auszukurieren ist keine gute Rechnung. Allzu oft aber passiert genau das.

Eine weitere Belastung ist der Krach. In der Kolumne "Dieser verdammte Lärm!" berichtet ein Aushilfslehrer aus Schleswig-Holstein über seine Erfahrungen in einem dreimonatigen "Nebenjob" als Lehrkraft. Und ja, der Lärm an Schulen ist tatsächlich groß, gerade in der Unterstufe. Ich komme oft mit leicht wundem Hals nach Hause, und ich hatte auch schon des Öfteren Kopfschmerzen vom Krach (und ja, ich weiß, dass ich da durch meine eigenen pädagogischen Verfehlungen mit schuldig bin). Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wenn jemand den Lärm messen würde, dieser diverse Grenzwerte reißt, die Produktionshallen einhalten müssen.

Das generelle Stresslevel, dem Lehrkräfte im Alltag ausgesetzt sind - unter anderem wegen der Arbeitszeiten, zu denen wir gleich noch kommen - ist zudem ebenfalls gesundheitsschädlich. Dieser Raubbau an der eigenen Gesundheit, auch der psychischen, ist ein ausschlaggebender Faktor für die im Vergleich recht hohe Zahl von Frühpensionierungen bei Lehrkräften; etwa jedeR zehnte geht frühzeitig in Pension. Würde der Arbeitgeber hier ein besseres Auge haben, könnten sowohl Ausfälle als auch Frühpensionierungen durchaus reduziert werden.

Reformen

Man darf der Politik natürlich keine vollständige Untätigkeit vorwerfen. In Baden-Württemberg wurde zwischen 2003 und 2007 in einer ganzen Reihe von Maßnahmen das Beamtenrecht für Lehrkräfte (und, quasi als Dominostein, auch für Angestellte) grundlegend reformiert.

Im Jahr 2003 wurde die durch das Beamtengesetz auf 41 Stunden festgesetzte wöchentliche Arbeitszeit neu definiert: Statt wie bisher 24 Deputatstunden sollten künftig 25 Deputatstunden einem Volldeputat und damit diesen 41 Stunden entsprechen. Wie eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um 4,17% die Qualität der Arbeit positiv beeinflussen sollte, blieb das Geheimnis des Kultusministeriums (Fun Fact: In der Weimarer Republik, als Pädagogik und Didaktik noch Fremdworte waren und die Verwaltungstätigkeiten der Gymnasiallehrkräfte eher beschränkt, lag das Volldeputat übrigens bei 18 Stunden). Damals reagierten die Lehrkräfte mit einer Verweigerung von freiwilligen Zusatztätigkeiten wie Studienfahrten. Darunter litten wir damals, unsere Studienfahrt fiel aus.

Quasi zum Ausgleich für diese höhere Arbeitsbelastung wurden die Pensionen empfindlich gekürzt. Nicht nur strich die baden-württembergische Landesregierung die Realbeträge der Pensionen deutlich zusammen - vergleichbar mit dem Niveauverlust der gesetzlichen Rente der Jahrgänge vor 1950 mit denen danach -, sie strich auch noch die Beihilfe zur privaten Krankenversicherung in der Pension von 100% auf 50%. Das entspricht einer realen Pensionskürzung von mehreren hundert Euro - pro Monat.

Wem vorher schon bei der Auflistung der privaten Anschaffungen, die Lehrkräfte zur vernünftigen Ausübung ihrer Tätigkeit leisten müssen, schon die Finger zuckten: Selbstverständlich lässt sich das als Arbeitszimmer von der Steuer absetzen. Auch hier war das Land Baden-Württemberg nicht untätig: Im Jahr 2007 wurden die Absetzbarkeiten für Lehrkräfte massiv zusammen gestrichen. Ohne auch nur einen Cent in einen Ausgleich durch Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten an der Schule und die Beschaffung des Arbeitsmaterials zu investieren, wurde die Möglichkeit, den Mist wenigstens von der Steuer abzusetzen, um über die Hälfte gekürzt.

Zusammen mit der Kürzung des Referendariats zugunsten eines unbezahlten Praktikums kürzte die schwarz-gelbe Landesregierung unter Günther Oettinger und Anette Schavan in dieser Zeit also die Kosten des Schulsystems um hunderte von Millionen Euro. Investiert wurde davon - nichts. Das Kultusministerium hatte bei all dem natürlich den längeren Atem; mittlerweile ist eine neue Generation Lehrkräfte ins System nachgewachsen, die nichts anderes als die neuen, schlechteren Zustände kennt.

Corona

Kein Artikel kann in diesen Tagen geschrieben werden, ohne die Corona-Pandemie mit zu diskutieren. Sie legt wie ein Brennglas all die Missstände offen, die ich geschildert habe.

Beengte Verhältnisse, in denen sich Krankheiten ausbreiten können? Check. Was normalerweise bei den Klassen- und Lehrerzimmern nur ein Ärgernis ist - Fenster, die sich nicht öffnen lassen, Heizungen, die nicht richtig funktionieren - wird unter den Bedingungen der Pandemie zum potenziellen pandemischen Katastrophenfall. Die unzureichende Größe von Schulhöfen und anderen Orten, an denen die SchülerInnen sich in Pausen aufhalten können, ist da auch nicht eben hilfreich.

Die Neigung der Kultusministerien, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, zeigt sich auch bei Fragen wie Maskenpflicht im Unterricht. Diese ist dank der aktuellen Corona-Leugner und anderen "Querdenker" politisch problematisch; stattdessen gibt man einfach die Empfehlung aus, die Fenster geöffnet zu lassen (als ob das genug Luftzug schaffen würde). Darauf hingewiesen, dass es da im Winter etwas kalt wird, erwidert das Ministerium kaltschnäuzig, man könne ja in Schal und Winterjacke Unterricht machen.


Generell zeigt sich, wie bereits beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020, eine haarsträubende Missachtung von Kindern, PädagogInnen und Eltern:


Weil diese Gruppen politisch wesentlich weniger wirkmächtig sind als viele andere Interessengruppen, stehen sie grundsätzlich hinten an, was die Rücksichtnahme seitens der Politik angeht.

Besonders auffällig ist das daran, mit welcher Verve die Schulöffnung verteidigt wird. Es ist völlig überparteilicher Konsens, dass die Schulen das Letzte sind, was von einem erneuten Lockdown betroffen sein sollte. Einige Argumente, die hierzu vorgebracht werden, sind durchaus sinnvoll: Verlust von Bildungszeit der SchülerInnen, bessere Eignung der Schulen für den Präsenzunterricht, etc. Das ist alles richtig.

Es deckt aber gleichzeitig auch die Versäumnisse der Bildungspolitik der letzten 20 Jahre quer durch alle Parteien auf. Wie hat man, etwa im Umfeld der PISA-Tests, über das finnische Modell (pars pro toto) gesprochen und festgestellt, dass die deutsche Art des Unterrichtens ihre gewissen Nachteile hat? Geändert hat sich praktisch nichts. Und die Konzentration auf Präsenzunterricht ist auch deswegen nötig, weil die katastrophale digitale Infrastruktur überhaupt keine andere Wahl lässt.

Am auffälligsten aber ist, dass die Schule offen zu halten die conditia sine qua non für das Funktionieren des Rests der Wirtschaft ist. Die wichtigste Funktion der Schulen, könnte man meinen, ist ihre Betreuungsfunktion. Sie sind Verwahranstalten für Kinder. Fallen sie aus, ist zuvordererst nicht der entscheidende Punkt, dass möglicherweise Inhalte verpasst würden (Karl Lauterbach hat völlig Recht wenn er das für egal erklärt), sondern dass die Kinder zuhause unbetreut sind und dort die entsprechenden Lernerfolge nicht erreichen können - wegen eben der mangelnden Infrastruktur und veralteter institutioneller Vorgänge.  Ausbaden müssen diese Versäumnisse nun Kinder und Lehrkräfte, die in geschlossenen Hotspots der Pandemie sitzen.

Fazit

Ich möchte noch einmal zusammenfassen, worum es mir eigentlich geht.

Einerseits gilt es festzustellen, dass der Lehrkraftberuf ein hochqualifizierter Beruf ist, der eine lange Ausbildung erfordert und nicht einfach von jedermann gemacht werden kann. Entsprechend gut sollte er auch bezahlt werden (was er für Beamte in Baden-Württemberg auch wird, für die Angestellten eher nicht).

Andererseits ist es wichtig zu erkennen, dass dieser guten Bezahlung (und anderen Vorteilen) auch hohe Arbeitszeiten und eine große Arbeitsbelastung gegenüberstehen. Dies wird in der öffentlichen Debatte praktisch nie gewürdigt; eher verbreitet ist dagegen Gerhard Schröders pauschales Ressentiment von den "faulen Säcken".

Des Weiteren sollten die blamablen Arbeitsbedingungen ins Licht gerückt werden, unter denen Lehrkräfte leiden. Privates Geld ausgeben, um Lehrmaterial zu beschaffen; völlig inadäquate Arbeitsplätze; gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen; lachhaft schlechte Infrastruktur.

Diese Probleme plagen den Bildungssektor bereits seit Jahrzehnten. Sie zu beseitigen würde Geld kosten. Viel Geld. An dieser Stelle soll gar nicht versucht werden, Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die gibt es wie Sand am Meer. Stattdessen verbleibe ich mit der deprimierten Feststellung, dass es weder den politischen Wunsch noch den politischen Willen dazu gibt, etwas an diesen Zuständen zu ändern. Nicht einmal die Pandemie wird als Anlass hierzu genommen, stattdessen konzentriert sich alle Energie darauf, möglichst schnell und umfassend zum Status Quo zurückzukehren. Und das ist in höchstem Maße unbefriedigend.

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