Dienstag, 13. Oktober 2020

Trump und die Steuern

 

Bevor Präsident Donald Trump sein gesamtes Umfeld mit Corona infizierte und auch willentlich in Kauf nahm, unbeteiligte Dritte anzustecken, gelang der New York Times ein journalistischer Aufklärungserfolg, als sie an die Steuerunterlagen Trumps aus den Jahren 2015/16 kam - jene Jahre also, für die der damalige Präsidentschaftskandidat seine Unterlagen zu veröffentlichen sich weigerte. Die Veröffentlichung der Steuerabrechnungen gehört zu den vielen Normen des US-Politikbetriebs: alle Kandidaten für das Präsidentschaftsamt machen das. Alle, bis auf Trump. Schon damals gab das in informierten und interessierten Kreisen Anlass zu Spekulationen. Jetzt, da die Unterlagen da sind, wissen wir Genaueres. Für immerhin drei Tage beherrschte das Thema auch die mediale Diskussion um Trump, dann wurde es vom nächsten Skandal de jour abgelöst. Aber das ist ja kein Grund für uns, nicht einmal näher hinzuschauen.

Ein Blick zurück

Wie so viele Normenbrüche der Trump-Ära ist auch die Weigerung Trumps, seine Unterlagen offenzulegen, nicht nur nicht bestraft, sondern sogar belohnt worden. Denn ist eher unwahrscheinlich, dass seine Kandidatur seinerzeit die Offenlegung überlebt hätte. Bevor wir uns ansehen, werfen wir einen Blick zurück auf den Wahlkampf 2012, in dem die Steuerunterlagen Mitt Romneys ebenfalls ein Politikum darstellte. Romney, wie wir uns erinnern werden, bezahlte eine effektive Steuerrate von 14% - obwohl er Multimillionär war. Genauer, weil er Multimillionär war. Schließlich bezahlen die Superreichen, ob in den USA oder Deutschland, praktisch keine Einkommenssteuern. Oder irgendwelche anderen Steuern. Romneys reiche Hintermänner werden wohl darüber gelacht haben, dass der Mann tatsächlich 14% bezahlt hat.

Die erfolgreiche Strategie des Obama-Teams, Romney als "out of touch"-Raffsack hinzustellen, funktionierte ausgezeichnet. Es half auch nicht, dass eine geheime Aufnahme ans Licht kam, in der Romney auf einem Fundraiser verkündete, dass 47% aller AmerikanerInnen wirtschaftliche VerliererInnen seien und er "keinerlei Verantwortung" für diese Menschen habe. Sie würden "niemals" Verantwortung für sich und ihr Leben übernehmen. Es war keine Überraschung, dass Romney so dachte. Genauso wenig, wie Trumps "Grab them by the pussy"-Allüren jemanden überraschen konnten. Aber 2012 funktionierten die Normen der Demokratie noch.

Rückblickend fragt er sich vermutlich, warum er damals seine Steuerunterlagen veröffentlicht hat. Warum er nicht einfach gelogen hat. Klar gab es ein Video, auf dem er diese Kommentare machte. Aber er hätte einfach sagen können, das sei er nicht. Das Video sei gefälscht. Die New York Times hätte daraus mit Sicherheit die Überschrift "Democrats, Republicans argue over authenticity of video" gemacht. Das war Trumps Strategie, und mit viel Glück und ordentlich Hilfe von außen gewann er.

The Goods

Was aber lernen wir aus Trumps geleakten Steuerunterlagen? Die sofort verständliche Zahl, auf die sich die Medienberichterstattung auch schnell einschoss, war, dass er in beiden Jahren jeweils nur rund 750 Dollar Steuern bezahlt hatte. Pro Jahr. Ich bezahle mehr Kirchensteuer als Trump Einkommenssteuer. Aber das ist in dieser durchgedrehten Debatte ja nicht einmal ein Nachteil für ihn; seine Anhänger werden es ja doch nur als Ausdruck seiner genialen Deal-Maker-Fähigkeiten sehen. Und die Linke tut sich erfahrungsgemäß schwer damit, ein griffiges Narrativ um die systemische Ungerechtigkeit des Steuersystems herum aufzubauen.

Über das offensichtliche Fakt hinaus, dass Trump effektiv keine Steuern bezahlt - das gilt, wie gesagt, für die gesamte parasitäre Klasse der Superreichen und war auch 2015/16 bereits klar - ist viel spannender, WARUM er keine bezahlt. Und diese Information ging in der 750-Dollar-Zahl ziemlich unter. Bei Romney war die Sache damals klar: hunderte legaler Steuervermeidungstricks, hoch bezahlte Steueranwälte, jahrzehntelanger Lobbyismus, all das trug dazu bei, dass er anders als die breite Mehrheit der Bevölkerung nur sehr wenig Steuern bezahlen musste - völlig legal.

Aber bei Trump ist nie alles völlig legal, nie gewesen und wird es nie sein. Entsprechend muss er damit rechnen, bei Ausscheiden aus dem Amt erst einmal ein Steuerbetrugsverfahren am Hals zu haben. Die genauen Details sind so langweilig wie irrelevant; es ist im Endeffekt dasselbe wie bei den Steuern von Al Capone. Blanker Betrug aber mag ihm die einen oder anderen zehntausend Dollar Steuern erspart haben, der Rest aber kommt daher, dass er effektiv keine Gewinne gemacht hat.

Das ist nun ebenfalls kein Alleinstellungsmerkmal in der Welt der Superreichen; Amazon macht ja bekanntlich auch seit 30 Jahren keine Gewinne. Im Falle Trumps aber ist das nicht nur eine clevere Arm-Rechnerei, sondern Fakt. Als Trump 2015 seine Präsidentschaftskandidatur verkündete, war der Mann pleite. Und zwar nicht pleite im Sinn von "hatte kein Geld mehr", sondern pleite in dem Sinn, wie es nur Superreiche sein können: Er hatte fast eine Milliarde Dollar Schulden, davon 421 Millionen Dollar allein in kurzfristigen Krediten, die innerhalb der nächsten vier Jahre fällig werden. Oder, wie es die Times formuliert:

“This time around, he is personally responsible for loans and other debts totaling $421 million, with most of it coming due within four years. Should he win re-election, his lenders could be placed in the unprecedented position of weighing whether to foreclose on a sitting president.” 

Implikationen

Sicherlich ist es peinlich für einen Präsidenten, wenn seine Gläubiger ihn wegen seiner Schulden vor Gericht zerren. Es ist doppelt peinlich für jemanden, dessen gesamte Karriere auf der Vorstellung aufbaut, er sei ein genialer und, vor allem, genial erfolgreicher Geschäftsmann. Ohne diesen Ruf hätte er weder Vorwahlen noch Wahlen gewonnen. Aber diese Peinlichkeit alleine ist gar nicht das Relevante. Relevant ist viel mehr die Frage, wer diese Gläubiger eigentlich sind.

Denn Donald Trump und die Bankrotterklärung sind alte Freunde. Vor allem in den 1990er Jahren legte der damalige B-Promi und C-Spekulant eine Reihe von Bankrotten hin, bei der seine Investoren und Gläubiger, aber auch er selbst alles Geld verloren. Das Geld, das er dabei verlor, war zwar nur zu geringen Teilen sein eigenes (auch hier, keine Ausnahmestellung in der Welt der Superreichen). Trumps permanente Betrügerreien gegen HandwerkerInnen und LieferantInnen, die etwa seine Casinos ausstatteten, sind ebenso aktenkundig wie seine Strategie, diese bei Beschwerden zu verklagen.

Aber das Geld, mit dem Trump sein Unternehmen in den 1970er Jahren eigentlich begründete und 1980 in die High Society New Yorks pushte, war das Erbe seines Vaters, Fred Trump. Sohn Donald selbst hat in seinem ganzen Leben noch nichts Beständiges geschaffen, das seiner eigenen Arbeit zu verdanken gewesen wäre. Und in den 1990er Jahren war dieses Geld komplett futsch.

Natürlich fiel Trump, der gescheiterte Geschäftsmann, dadurch nicht in Armut. Er fand neue Gläubiger, unter anderem die Deutsche Bank, auf die man sich immer verlassen kann, wenn es darum geht, halbseidene Geschäfte finanziell zu unterstützen. Wenig überraschend verlor auch sie ihre Anlagen in Trump, dessen zahlreiche schlecht durchdachte und mies gemanagte Unternehmen in den 2000er Jahren ebenfalls eines nach dem anderen mit dem Bauch nach oben schwammen.

In den 2010er Jahren war die schrottige, aber erfolgreiche TV-Show "The Apprentice" die einzige vernünftige Einnahmequelle für Trump. Und das Geld, das er dort machte, floss an anderer Stelle freigiebig ab, in wesentlich größerem Umfang. Warum also bekam er immer neue Kredite? Noah Smith gibt darauf eine Antwort:

The obvious conclusion is that standard economic theory doesn’t apply to the current situation. Economists Simcha Barkai and Matthew Rognlie have both written papers arguing the apparent high returns on capital are actually something else. Barkai calls it the “profit share,” while Rognlie labels it “factorless income.” One possible source of these profits is increasing market power, which Barkai suggests could come from rising barriers to entry. But Rognlie doubts this thesis, arguing instead that financial markets have simply become disconnected from companies’ real investment decisions in ways economists don’t yet understand. Though cheaper money may make some marginal businesspeople such as Trump more eager to spend on questionable projects, in other words, it hasn’t had this effect in general. This suggests financial capital is being rationed in the U.S., rather than allocated by the price mechanism. Investors are willing to lend huge amounts of money very cheaply, but only to a tightly circumscribed set of borrowers -- big powerful companies, famous personalities like Trump, and so on. That would make corporate investment similar to the post-2008 mortgage market, in which rates have been low but lending standards have been tightened so much that many people can’t borrow at all. 

Einmal mehr systemische Ungerechtigkeiten und die Dummheit der Finanzmärkte also. Auf den Trump-Mythos hereinzufallen war aber keine Provenienz der Banken; generell waren die Lügen des begnadeten Selbstdarstellers derart atemberaubend, dass ihre Adressaten gar nicht glauben konnten, dass sie existierten, wie Jonathan Chait anschaulich beschreibt:

The strategy was to convert Fred Trump’s fortune into publicity, which Donald could then monetize. The lies used to construct Trump’s image were massive. In 1984, Donald concocted a series of lies to persuade Forbes he was worth $900 million. Its reporter, Jonathan Greenberg, diligently unraveled every exaggeration and reduced the published sum to $100 million, only to discover decades later that the actual amount was a mere $5 million. The power of the lie was its scale. Greenberg could imagine Trump was exaggerating his wealth tenfold, but the idea he was exaggerating it 180-fold beggared imagination. 

Man kann die Banker also ein wenig in Schutz nehmen. Sie lernten ja auch dazu; nicht einmal die Deutsche Bank gab Trump in den 2010er Jahren noch Geld. Aber er wurde auch aus anderen Quellen finanziert. Und diese sitzen alle nicht nur komfortabel außerhalb der USA, sondern generell außerhalb der viel zitierten westlichen Wertegemeinschaft.

Der Manchurian Kandidat

In dieser Zeit begann Trump eine lukrative Geschäftsbeziehung mit zahlreichen Gestalten, deren Beziehung zu Rechtsstaat und Demokratie eher entspannter Natur ist. Ein Großteil dieser Geschäfte fand in Russland statt, aber auch in den Golfstaaten und der Türkei fanden sich Interessenten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Und bei all diesen Leuten hat Trump Schulden.

Gleichzeitig begann Trump bereits schon vor seiner Inauguration, die Präsidentschaft als Vehikel für die Rettung seiner Unternehmen zu nutzen. So zwang er ausländische Botschafter, in seinen Hotels zu übernachten, nutzt seine eigenen Liegenschaften (an die etwa der Secret Service hunderte von Millionen bezahlen muss) oder stellt sein eigenes Merchandise her. 

Relevanter als dieses Kleinvieh ist aber noch die Einflussnahme über Direktinvestitionen, die autokratische Regierungen dieser Tage pflegen. Ob Riad, Ankara oder Moskau, überall werden plötzlich Eröffnungen von Trump-Immobilienprojekten (Hotels, Casinos, etc.) möglich, die vorher nicht finanziert waren oder keine Baugenehmigung hatten. Wer diese Leute sind, die urplötzlich hunderte von Millionen in diese Investmentgräber schaufeln, ist völlig unklar. 

Aber da Trump sich, anders als es die Norm verlangt, nicht von seinem Unternehmen durch einen "Blind Trust" getrennt hat (zu dem die Republicans etwa Jimmy Carter 1976 zwangen, der deswegen seine Farm verlor), bestehen all diese Interessenkonflikte nahtlos fort. Man muss es der New York Times hoch anrechnen, dass sie auch diese Vorgänge alle ausführlich untersucht hat.   

Fazit

 Die Abhängigkeit von fremden Mächten, in der Trump persönlich steht, wurde von Hillary Clinton bereits im Wahlkampf 2016 erfolglos thematisiert. Im virulenten Bothsiderismus und der sich ständig frenetisch drehenden Skandalmaschinerie des Kandidaten selbst verpuffte jeglicher Versuch. Es ist nach wie vor auch völlig unklar, wie abhängig Trump tatsächlich ist, ob er bereits Entscheidungen auf Basis irgendwelcher solcher Abhängigkeiten getroffen hat oder nicht.

Es ist aber auch völlig unmöglich das festzustellen, solange die Unterlagen dafür nicht öffentlich verfügbar sind. Während Clinton seinerzeit sämtliche Mails veröffentlichte und Heerscharen von Reportern ebenso wie Sicherheitsbehörden sie bis zum letzten Komma durchkämmten, hüllte Trump sich in Schweigen und blockierte. Wie Romney wäre auch Clinton sicherlich besser gefahren, hätte sie die Dinger einfach gelöscht und die Klappe gehalten. Das wäre toxisch für die Demokratie, aber offensichtlich bringt es keinerlei negative Auswirkungen mit sich.

Das Akzeptieren von Trumps Verhüllen seiner Steuerunterlagen im Wahlkampf 2016 zeigt sich daher rückblickend als ein noch größeres Versagen von Medien und Politik als die völlig unverhältnismäßige Obsession mit Clintons Emails. Wie bei so vielen eigentlich skandalösen Themen sind sie aber nicht so gut in ein Narrativ zu verpacken wie die "Skandale", die dann die Schlagzeilen bestimmen. Es ist gut möglich, dass Trump deswegen einmal mehr durchkommt.

Vielleicht aber endet seine politische Karriere aber auch so wie die von Al Capone. Das wäre ein mehr als passender Abschluss.

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