Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Tweet
Erster Herbststurm im neuen #Moria. Schaut dieses Video, leitet es weiter. Eigentlich braucht es keine weiteren Kommentare. Es ist so unwürdig. Und viel zu wenige kriegen es mit. #leavenoonebehind pic.twitter.com/hrYO3VkhKM
— Erik Marquardt (@ErikMarquardt) October 13, 2020
Auch auf die Gefahr hin, hier wieder nur einen Tweet zu zitieren und möglicherweise einen nicht repräsentativen Ausschnitt zu haben: die Zustände in Moria sind einfach völlig unwürdig. Unwürdig für diejenigen, die man dort zu vegetieren zwingt, und unwürdig für die EU, die sie nicht nur hinnimmt, sondern aktiv befördert. Solch erbärmliche Zustände zu schaffen ist seitens der griechischen Regierung gewollt, das haben die mittlerweile oft und deutlich genug gesagt. Und das dahinterstehende Kalkül wird, darauf habe ich mehrfach hingewiesen, von der EU letztlich getragen. Deutschland und viele andere Mitgliedsstaaten nehmen willentlich in Kauf, dass diese Zustände so bleiben, weil man hofft, auf die Art die Flüchtlingszahlen niedrig zu halten. Gleichzeitig macht man sich nicht selbst die Hände schmutzig. Es ist wirklich ekelhaft.
2) Why Germany lost its way on climate policy
Globally, emissions-reduction targets have had little effect so far. If current trends continue, the international community will come nowhere near the Paris Agreement target to prevent the global average temperature from reaching more than 1.5°C above pre-industrial levels. But, rather than taking on the challenge, Merkel’s fourth cabinet is engaged in navel-gazing at best and climate obstructionism at worst. Her minister of transport wasted tens of millions of euros on an autobahn toll project that, predictably, was blocked by the European Court of Justice. His time would have been better spent ensuring that Germany’s automotive sector did not fall further behind its competitors on innovative, climate-friendly forms of mobility. Not to mention the mess that is Germany’s digital infrastructure – for which he is also responsible, and which is increasingly important for developing energy-efficient transportation systems and electrical grids. Merkel’s minister for economic affairs and energy, meanwhile, applies the spaghetti theory of policymaking to climate issues: throwing proposals at the wall to see what sticks. Only, nothing sticks. Beyond the daily grind of government politics, it will be interesting to see whether the Greens succeed in making social justice more prominent in the climate debate. They have consistently emphasised this aspect of Europe’s green transformation and the need to move beyond the extractive business model that industrialised nations still depend on to a large extent. (Claire Busse, European Council on Foreign Relations)
Angela Merkels Bilanz im Kampf gegen die Klimakrise ist wahrlich dürftig. Abgesehen von ihrer kurzfristigen Inszenierung als "Klimakanzlerin", in der sie sich mit Sigmar Gabriel am Nordpol ablichten ließ, ist da wenig geblieben. Ich habe keine Zweifel daran, dass sie sich als Vorkämpferin für das Thema neu erfinden würde, träte sie 2021 noch einmal an und führte eine schwarz-grüne Koalition. Dass sie dafür flexibel genug ist, hat sie hinreichend bewiesen. Aber ihr abwartender Politikstil, in dem sie sich von der jeweils vorherrschenden Stimmung zum Jagen tragen lässt, hatte auf diesem Feld weitreichende Konsequenzen, die von der nächsten Regierung aufgeräumt werden müssen. Immerhin, das muss man ihr zugute halten, hinterlässt sie ein ordentlich bestelltes Haus, so dass, anders als in vielen anderen Nationen, nicht zu viele Altlasten diese notwendigen Maßnahmen behindern.
Der explizite Shout-Out im Artikel zu Andreas Scheuer ist auch bemerkenswert. Mir ist klar, dass Merkel diese Pfeife aus politischen Gründen - eine CSU-Rebellion ist das letzte, was sie gerade braucht - nicht loswerden kann. Abe rdie Inkompetenz dieses Ministers ist wirklich beachtlich. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand eine dermaßen lange Serie von Pannen und krassen Fehlentscheidungen zu verantworten hat und trotzdem unbeirrt weitermacht.
The Republican Party has become a new kind of Confederacy. They are secessionists without taking the revolutionary step of seceding, power-obsessed rebels who fight to preserve a bygone America by gaming the system. They have managed to win the presidency twice without the most votes, maintain control of the Senate although vastly outnumbered in the national electorate, and build a majority on the Supreme Court by stealing an appointment that belonged to a sitting Democratic president. According to the historian Stephanie McCurry in Confederate Reckoning (2010), the original Confederates of 1861 took “perverse pride” in being “out of step” with the modern world. One Southern minister saw the Confederate nation as a righteous minority of “three hundred and fifty thousand white men” commanding the labor of “four million African slaves” in the service of civilization. That “nation” faced colossal defeat four years later; a similar political fate may yet befall a Republican party unhinged by today’s world. This new Confederacy is partly regional and also rural (a declining population). It knows what it hates: the two coasts, diverse cities, marriage equality, certain kinds of feminism, political correctness (sometimes with reason), university “elites,” and “liberals” generally. It is racial and undemocratic. It twists American history to its own ends, substituting “patriotism” for scholarship and science. It has weaponized “truth” and rendered it oddly irrelevant. It has brought us almost to a new 1860, an election in which Americans voted for fundamentally different visions of a proslavery or an antislavery future. For now, this minority interest fights for its existence from within the union by trying to own it. (David W. Blight, New York Review of Books)
Ich habe an dieser Stelle bereits oft darauf hingewiesen, dass die Republicans keine demokratische Partei sind, und in einem kompletten Artikel jüngst das ideologische Fundament seziert, auf dem die zugrundeliegende Ideologie aufbaut. Sie ist, trotz der Tatsache, dass die USA die älteste Demokratie der Welt sind (oder gerade deswegen?), ein permanenter Bestandteil der amerikanischen politischen Landschaft und hatte schon in diversen Parteien ein Zuhause.
Die ersten Federalists glaubten, dass Demokratie eine Gefahr und die Republik der einzige Ausweg sei; später waren es die Whigs, dann die Democrats, heute sind es die Republicans. Die Kontinuität ist das Bewusstsein, zu einer Minderheit zu gehören und, aus welchen Gründen auch immer, die Regierungsmacht verdient zu haben. Nicht immer gehört dazu der virulente Anti-Intellektualismus, der die heutigen Republicans auszeichnet. Ob britische oder amerikanische oder deutsche Oberschicht, die Idee, dass die ungewaschenen Massen einfach nicht reif sind, Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen, erfreut sich ja auch immer großer Beliebtheit.
But it is possible, and urgent, to imagine a third possibility in lieu of Denial and Despair, a path forging clean between them: the course of Determined Resolve. It’s worth remembering, for example, that the entire Manhattan Project in its Los Alamos incarnation, from soup to nuts—from the erection of those barracks and the ingathering of those scientists through the dropping of the first atomic bomb in Hiroshima, as hideous as that outcome proved—took less than three years. And if the prospect of climate disaster indeed calls us to what William James once cast as “the moral equivalent of war,” what would it be like if a president (or, for the time being, just a candidate for the presidency) promised to exercise his considerable authority by bringing together the finest minds in the country (not just scientists but educators and social workers and writers and artists and thinkers and managers as well) to brainstorm better battery technologies; quantum improvements in solar, tidal, and wind technologies and disbursements; desalinization; carbon-capture technologies; meat replacements; massive reforestation; resilient coastline and floodplain projects; and even safe nuclear-power innovations—all on a virtually wartime footing, worthy of the urgencies and streamlined exigencies involved? What would it be like if incentives were put in place that helped nudge the best young minds in the country toward those kinds of engagement and away from such “bullshit jobs” (in the late, great anthropologist David Graeber’s marvelous coinage) as asset-churning high finance and Silicon Valley unicorn-questing and McKinsey-style consulting? (Lawrence Weshler, The Atlantic)
Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Einschätzung zutrifft, dass eine Mobilisierung von Ressourcen ähnlich des Zweiten Weltkriegs sowohl möglich als auch notwendig ist, um den Klimawandel zu bekämpfen. Deutlicher als ich in diesen Fragen gebildete Beobachter wie Adam Tooze lassen daran auch keinen Zweifel. Ich habe nur nicht auch nur die geringste Vorstellung, wie das in der Praxis funktionieren soll.
Damit meine ich sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Ebene. Vielleicht ist MMT die Lösung, vielleicht Old-School-Keynesianismus, vielleicht einfach nur massive Subventionen in Grundlagenforschung und ein Vertrauen in den freien Markt, ich weiß es nicht. Ich bin überzeugt, dass es irgendeine Form staatlicher Anschubfinanzierung und privatwirtschaftlicher Initiative sein muss; ich glaube nicht an eine Kommandowirtschaft. Aber darüber hinaus?
Gleiches gilt für den politischen Teil. Wie man dafür eine Mehrheit organisiert und dann die vielen institutionellen Hürden überwindet, ohne gleichzeitig das demokratische System kaputtzuschlagen oder zumindest zu beschädigen ist mir unklar.
Das Problem bei dem ganzen Thema ist nur, dass wenn wir das nicht tun unser wirtschaftliches und politisches System dem Untergang geweiht ist. Den ungebremsten Klimawandel kann es nicht überstehen.
5) Why Republicans lie about their own terrible policies
Contrast that with a Pew poll finding that 67 percent of Americans think the federal government is not doing enough to fight climate change and protect air quality, and 68 percent say the same thing about streams, lakes, and rivers. Clean air and water is viscerally appealing for obvious reasons, and the terrible effects of climate change are increasingly undeniable. [...] Again, all this is spectacularly unpopular. Ensuring that people with pre-existing conditions can get insurance polls at 75 percent approval. ObamaCare recently polled at 62 percent favorability — and a big chunk of disapproval is down to people who think it doesn't go far enough. Just 20 percent of Americans think the law should be struck down entirely and replaced with nothing, which is the actual Republican position. [...] Most Americans are fairly wishy-washy about abortion. But banning it altogether is extremely unpopular — pulling in just 10 percent approval. [...] In general, 60 percent of Americans say it bothers them "a lot" that the rich don't pay more in tax, and a further 20 percent say it bothers them "some." [...] But many ordinary American voters, both moderates and Trump supporters, end up deluded about what the GOP actually supports. Polls, focus groups, and reporting has repeatedly found substantial chunks of voters who straight-up refuse to believe the Republican Party program is as extreme as it is. "There is not a single guy or woman who would run for president that would make it so that pre-existing conditions wouldn’t be covered," one foolish Trump supporter told The New York Times. The lying works, it seems, in concert with a media that compulsively downplays conservative extremism so as to appear fair and balanced. But make no mistake: If Trump wins in November, the environment, abortion rights, Social Security, Medicare, Medicaid, and even a smidgen of economic equality will all be on the chopping block. (Ryan Cooper, The Week)
Die hier beschriebene Dynamik ist grundsätzlich nichts Neues. Man vergleiche sie in Deutschland etwa min der Debatte um den Mindestlohn oder den Abzug aus Afghanistan. In den 2000er Jahren versuchte die LINKE viel politisches Heu damit zu dreschen, dass sie die einzige Partei war, die für beide Maßnahmen war, diese aber zwischen 75% und 80% Zustimmung in der Bevölkerung besaßen. Nur, das spielt eben nur eingeschränkt eine Rolle. Zustimmung oder Ablehnung konkreter Policies haben auf die Wahlentscheidung praktisch keinen Einfluss, und damit auch nicht für die politische Legitimation der Parteien später.
Ich mache meine eigenen Entscheidungen ja auch nicht davon abhängig. Wir wählen üblicherweise aus einem diffusen Zugehörigkeitsgefühl, der Empfindung, bei einer bestimmten Partei oder PolitikerIn am besten aufgehoben zu sein, das Land bei ihm oder ihr in besten Händen zu wissen. Ich bin für den Mindestlohn, aber wenn die AfD die einzige Partei wäre, die ihn forderte, ich wählte sie trotzdem nicht.
Auffällig ist aber noch etwas ganz Anderes. Wir als amateurhafte und die Medien als professionelle Politikbeobachter vergessen gerne - wie, glaube ich, auch die Politiktreibenden selbst - dass die meisten Menschen sich nicht sonderlich für Politik interessieren und bestenfalls oberflächliche Kenntnisse dessen haben, für was die Parteien überhaupt stehen. Das Phänomen, dass die Leute nicht glauben wollen, was die Partei fordert, für die sie ihre Stimme abgeben, ist mit Sicherheit nicht auf die Wählerschaft der GOP beschränkt.
Ich habe schon mit Leuten geredet, die FDP wählen wollen, weil sie weniger Steuern zahlen wollen - die aber selbst praktisch keine Einkommenssteuer bezahlen und von der FDP-Politik überhaupt nicht betroffen wären. Umgekehrt erinnere ich mich gerne an das Bonmot auf Frank Stauss' "Höllenritt Wahlkampf", in dem er mit dem Chef der Agentur BUTTER auf einer SPD-Kundgebung saß und wild für eine Millionärssteuer applaudierte, als sein Chef sich umdrehte und meinte "Warum applaudieren wir, die meinen uns!", ohne dass das seine Begeisterung gedämpft hätte. Unsere Wahlentscheidungen hängen davon schlicht nicht oder zumindest kaum ab.
6) He Won’t Concede, but He’ll Pack His Bags
I often think of a story first reported by Robert Draper of The New York Times Magazine, and since confirmed by Ohio Governor John Kasich, one of Trump’s centrist opponents for the Republican nomination in 2016. Kasich’s adviser John Weaver says Trump asked Kasich to be his running mate and, in the event of a Trump victory, to be “in charge of domestic and foreign policy.” What, Kasich’s team asked, would Trump be in charge of? The answer, delivered seriously: “Making America great again.” This is not the offer of a man fanatically devoted to the collection of power. It is the offer of a man too lazy to reach for the remote. [...] That would explain the ridiculous absentee governing, especially in Trump’s first year. It turns out you can refuse to make hard decisions, and that is exactly what Trump did. The result is an executive branch swiss-cheesed with vacant positions, run in practice by appointees with wildly diverse levels of competence who botch things while preserving the president’s ability to watch copious amounts of cable news. [...] But what stopped it from happening was not that Trump found his inner duce. The first intervention was reality: The president who sleeps away a year in office does not awake to find his ship on course for safe harbor. He finds it run aground and ripped apart, leaking its contents all over the country like the Exxon Valdez. The second was impeachment, the Russia investigation, and other accusations of criminality against Trump and his associates. Being much poorer than he claimed to be, then hiring cut-rate criminals to run his affairs, made honorable departure from office ahead of schedule—and without permanent taint—impossible. (Graeme Wood, The Atlantic)
Ich werde die völlig wirklichkeitsfremden Einschätzungen mancher Journalisten nie verstehen. Wood beschreibt in dem Artikel die Idee eines Kollegen, dass Trump zurücktreten werde, weil er zu faul für den Job sei. Wie kann jemand diesen Mann beobachten und auf die Idee kommen, dass er zurücktreten werde? Dieses Ego? Das aber mal beiseite gelassen ist es in der Tat sehr aufschlussreich zu sehen, dass die ungemeine Faulheit Trumps für seine Präsidentschaft katastrophale Folgen hatte.
Ein Privatunternehmen kann man sicherlich führen, ohne echte Arbeit zu machen. Es wimmelt in dem Sektor ja geradezu von Leuten, die das von ihren Vätern geerbt haben und dann hauptberuflich CEO spielen, ohne tatsächlich Relevantes im Unternehmen zu tun. Aber als Regierungschef geht das eben nicht, weil man sich an die Verfassung und Gesetze halten muss und man der gewählte Entscheidungsträger ist. Diese Erfahrung mussten schon diverse an die Macht gekommene Populisten machen, die zwar sehr die Wahlkämpfe genossen, aber für das eigentliche Regieren weder Mentalität noch Kenntnisse mitbrachten. Nur, das interessiert das System nicht. "The buck stops here", wie ein Schild auf Trumans Schreibtisch erinnerte. Und wenn an dem Schreibtisch dann nichts passiert, dann übernimmt halt auch nicht irgendein Abteilungsleiter.
7) The Right’s War on Universities
For a century, the far right has depicted liberal democracy as a force of unfreedom that censors its enemies on and off of campus. Long before Trump posed as the enemy of tyranny, racists made political capital by proclaiming themselves victimized by those who sought to restrict their hate speech. In the mid-1920s, as he sought to rebuild his following after his failed 1923 putsch in Bavaria, Adolf Hitler became the symbol of muzzled right-wing truth when several German states banned him from speaking. In 1927, the National Socialist Party circulated posters of him with his mouth taped over, inviting people to protest his silencing by the establishment. [...] In contrast to yesterday’s fascist putschists, today’s autocrats have mostly come to power through elections and then move to extinguish democratic freedoms slowly, as Hungarian autocrat Viktor Orbán has done in Hungary. Not content with banishing the Central European University in 2018, Orbán went on to ban the teaching of gender studies in other colleges (on the grounds that it is “ideology” and not “science”), a move that paved the way for his measure this year that ended the legal recognition of transgender and intersex people. [...] Yet the vigor of the Trump administration’s attempts to ban and discredit antiracist teachings while defending hate speech on campus goes beyond traditional Republican talking-points, and hews instead to an authoritarian tradition of making right-wing provocateurs appear casualties of liberal censorship. [...] A second Trump term would accelerate the debasement of higher education, subordinating independent learning and critical thinking to the “adoration of a mythic past.” (Ruth Ben-Giat, New York Review of Books)
Es ist so lächerlich, wie die demokratische Mehrheitsgesellschaft auf den Boogie-Mann von der "Cancel Culture" und "Political Correctness" als Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit angesprungen ist und weitgehend ignoriert, wo die wahre Bedrohung herkommt. Wie wir schon in Fundstück 3 diskutiert haben ist Anti-Intellektualismus ein Grundbaustein der meisten populistischen Herrschenden, ob links oder rechts. Ich hoffe jedenfalls dass niemand ernsthaft glaubt, unter Maduro oder Morales seien die Universitäten freier als unter Orban oder Kaczinsky.
Auffällig ist auch, wie wenig sich die grundlegende Strategie ändert. Der Artikel weist zurecht auf Hitlers Selbstinszenierung als Opfer einer linken Cancel Culture hin, DIE DAMALS VON DEN DEMOKRATISCHEN MEDIEN GESCHLUCKT UND REPRODUZIERT WURDE. Genauso wie es heute keine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist, wenn Steve Bannon oder Milo Yiannopolous nicht auf dem Campus sprechen dürfen, war es damals keine, wenn Hitler nicht zu Gewalt aufrufen durfte.
Auch der Vorwand, dass man die Wissenschaft ja nur gegen die Vereinnahmung schützen wolle - ob von Gender Studies in Ungarn, von Politik- und Wirtschaftswissenschaften in der DDR oder der Biologie in Nazi-Deutschland ist dabei einerlei - ist immer derselbe. Es wäre schön, wenn sich diese Erkenntnis endlich durchsetzen würde. Man macht sich zum Erfüllungsgehilfen, wenn man das weiter transportiert. Und ja, mir ist die Ironie angesichts Ralfs Kritik an meinem Moderationsstil hier bewusst, und ich weiß immer noch keine Antwort.
8) Trump’s fake new Biden scandal has a deeper purpose. Bannon revealed it.
Wo wir es in Fundstück 7 gerade davon hatten, dass sich die immer gleichen Mechanismen wiederholen: Wie hirnverbrannt sind manche Leitmedien, allen voran CBS, eigentlich, dass sie erneut auf diesen Bullshit hereinfallen? Das Desaster um die Berichterstattung über Hillary Clinton 2016 sollte doch echt Grund genug sein, nicht noch einmal denselben schwerwiegenden Fehler zu machen, aber nein. Stattdessen lassen sich die Leitmedien willige Amplituden nutzen. Man sieht das am aktuellen, offensichtlich konstruierten Pseudo-Skandal um Hunter Biden. Rudy Giuliani war nicht in der Lage, mit seinen gefälschten Beweisen irgendwo anders als in dem Skandalblatt "New York Post" unterzukommen, gegen das die BILD ein Ausbund an Seriosität ist. Und trotzdem greifen die Leitmedien es dann auf und berichten darüber und legitimieren die Scheiße. Es ist zum Haare Raufen.
9) What George W. Bush Plans to Do About Trump
George W. Bush doesn’t like Donald Trump. He doesn’t like how Trump is behaving as president. He clearly doesn’t like the division in the country Trump has fostered. He knows American democracy is under threat. He has tried to be reassuring, telling people that America has survived rough times before—a way of using insistent optimism to diplomatically acknowledge the rough time the nation is going through now. [...] He sees himself as retired—so committed to staying out of politics that he declined to make a cameo in the nonpartisan celebrity voting special that ran on ABC last month. “He’s a man of good manners and strong upbringing,” [...] People who know Bush say he reveres the office of the presidency and the post-presidential tradition of avoiding criticizing successors—the modern standard before Bill Clinton and Barack Obama decided to stay active after leaving office. [...] Another person close to the former president who has stayed quiet is his brother Jeb, the former Florida governor, [...] But Jeb is seen by many as not wanting to mess up his son’s political future. George P. Bush, the Texas land commissioner who’s an almost certain candidate for higher office sometime soon, endorsed Trump in June. When I emailed Jeb asking to speak with him about the election, he emailed back to decline. “I am focused on my family, my business and our education reform foundation,” he wrote. [...] Dick Cheney, Bush’s vice president, hasn’t said anything about this year’s race, though at the end of June, [...] Imagine, however, that Trump loses and spends the transition undermining the election and threatening to stay in the White House. A joint statement probably won’t mean much if it’s signed only by Jimmy Carter, Bill Clinton, and Obama—all Democrats who have endorsed Biden. Keeping neutral through the election might give Bush more credibility to be part of a statement that would aim to stand above politics. The irony, of course, is that Bush came into office after his own long, contested election 20 years ago, when he moved forcefully to assert control. I reached out to Al Gore to see what he made of Bush’s current rectitude. He declined to comment. (Edward-Isaac Dovere, The Atlantic)
Es tut mir Leid, dass gerade einige Fundstücke hintereinander kommen bei denen ich in einem Zustand von Erregung schreibe, aber: Solche Artikel machen mich wahnsinnig. Bei aller Gegnerschaft zu Trump, der schlechteste Präsident seit vielen Jahrzehnten - vermutlich seit James Buchanan! - ist und bleibt George W. Bush. So viel Schaden wie Dubbya hat nicht einmal der orangene Trampel (Trumpel?) angerichtet, und es gibt keinen Grund, den Mann jetzt posthum zu rehabilitieren. Der soll ruhig in Schimpf und Schande in Texas versauern. Und rehabilitiert werden soll er, weil es massenhaft ehemalige republikanische Operateure gibt, deren eigener Ruf untrennbar mit dem Bushs verknüpft ist. Seine Rehabilitierung ist ihre Rehabilitierung. Und was für ihn gilt, gilt auch für sie. Die sind zurecht ostrakiert.
Und noch ein Punkt zur politischen Enthaltung der ehemaligen Präsidenten. Es ist kein Zufall, dass Clinton und Obama die einzigen ehemaligen Präsidenten sind, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt noch eine aktive Rolle in der Politik spielen. Bill Clinton und Barack Obama sind die einzigen Präsidenten SEIT DWIGHT D. EISENHOWER 1960, die beliebt und voll geistiger Gesundheit das Amt verließen! Dass niemand von der Bagage vorher hören will, liegt in der Natur der Sache (außer bei George Bush, aber das lag an seinem Verstoß gegen die Parteiorthodoxie). Dubbya war ein Desaster, Reagan dement, Ford Nixons Nachlassverwalter, über Nixon müssen wir nicht reden, Johnson verließ das Amt universell verabscheut und Kennedy wurde erschossen. Es wäre gut, wenn Leute solchen Kontext in ihre Munkeleien einbeziehen würden.
The most dangerous political illusion is that votes limit politicians’ power. Americans have been endlessly hectored in recent months to cast their votes in the presidential election. But trusting ballots to leash either Donald Trump or Joe Biden would be the ultimate triumph of hope over experience. [...] The Voting Rights Act of 1965 is the most venerated federal law of the last 60 years. When he signed the law, President Lyndon Johnson declared, “This right to vote is the basic right without which all others are meaningless. It gives people, people as individuals, control over their own destinies.” [...] Johnson also proclaimed that the Voting Rights Act grants “every American Negro his freedom to enter the mainstream of American life” but the FBI never got that memo. [...] Democratic presidential candidate Joe Biden declared in August, “The battle for the soul for America has many fronts; the right to vote is the most fundamental.” But when he was chairman of the Senate Judiciary Committee, Biden co-wrote the 1994 crime bill which TheNew York Timesnoted last year “contributed to the explosion of the prison population.” [...] Politicians talk as if voting magically protects the rights of everyone within a 50-mile radius of the polling booth. Tell that fable to the Americans who voted for George W. Bush in 2000 because he promised a more “humble” foreign policy, to Americans who voted for Barack Obama in 2008 because he promised to restore civil liberties, and to Americans who voted for Trump because he promised to “drain the swamp” in Washington. (James Bovard, The American Conservative)
Ich halte Bovards Kritik für grundsätzlich ebenso zutreffend wie fehlgeleitet. Zutreffend, weil die entsprechende Stimmabgabe natürlich nicht magisch die Probleme beseitigt, und wer das glaubt, ist tatsächlich schief gewickelt. Fehlgeleitet aber auch, weil die Stimmabgabe nicht der Beschränkung von PolitikerInnen dient, sondern ihrer Bemachtung. Meine Wahl befähigt PolitikerInnen, im Guten wie im Schlechten, Macht auszuüben. Es ist an den Wählenden, sich zu informieren und Druck auszuüben, dass kompetente und integre Leute Posten einnehmen.
Artikel wie wieder sind der Grund, warum ich den American Conservative lese. Bei dem Magazin weiß man nie, was man bekommt. Manchmal sind es solche Gedanken, die völlig gegen jeglichen Strich der normalen politischen Fronten gebürstet sind und alle Teilnehmenden des Diskurses zur Reflektion zwingen. Auf der anderen Seite feiern manche Autoren des Magazins den "brillanten Geist" des Hardcore-Rassisten und Segregationisten John C. Calhoun.
So wie uns quälen diese Fragen unzählige Angehörige und Freunde. Mindestens 11.000 Menschen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben, dreißig – jeden Tag. Etwa 600 Menschen unternehmen hierzulande eine Suizidversuch – jeden Tag. Die tatsächlichen Zahlen dürften noch höher liegen; in vielen Fällen wird ein Suizid als solcher nicht erkannt, bei Autounfällen oder Medikamentenvergiftungen älterer Menschen zum Beispiel, die absichtslos erscheinen, es aber nicht waren. Suizid ist die vierthäufigste Todesursache in Deutschland. Dass, wer davon spricht sich umzubringen, es eher nicht tut, ist ein Mythos. Dass ein Suizidversuch in der Regel nur ein Hilfeschrei ist, ohne die feste Absicht zu sterben, auch einer. Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, sind die größte Risikogruppe, es wieder und diesmal erfolgreich zu tun. [...] Todesursache ist „in über 90 Prozent“ eine psychiatrische Erkrankung, so Professor Andreas Reif, Direktor der Psychiatrie am Frankfurter Universitätsklinikum. Die Depression ist die Häufigste davon. „Von freiwillig aus dem Leben scheiden“ könne keine Rede sein. „Die unbehandelte Depression führt zum Tod“, sagt der Frankfurter Psychotherapeut Johannes Winges. „Es gibt viele Routen zum Suizid“, oft ist es kein Todeswunsch, sondern der „eingeengte Blick: ich halte das so nicht mehr aus“, das Leben mit dem Leiden, so Reif. Psychische Erkrankungen sind weit verbreitet. [...] Von außen sei das für viele oft schwer zu verstehen, sagt Winges. „Die Leute sind immer überrascht, wenn sie reiche Menschen sehen, denen es schlecht geht, die eine Depression haben. Du hast doch ne Villa, Frau und Kinder und Millionen – ja, aber ich hab Angst den ganzen Tag.“ Oder, in den Worten von Professor Reif: „Man kann eine Depression haben im glücklichsten Leben – genauso wie einen Herzinfarkt.” (Racquel Erdtmann, Salonkolumnisten)
In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für die Gefahren und die Beschaffenheit einer Depression deutlich gestiegen, zum Glück. Wie der Artikel eindrücklich darlegt, ist die Depression weit verbreitet und kann grundsätzlich jede Person treffen. In weiten Teilen der Bevölkerung ist immer noch die Idee verbreitet, eine Depression sei so etwas wie ein persönliches Versagen, eine Frage reiner Willensstärke. Diese Idee ist aber extrem gefährlich, und deswegen ist es gut, dass der vorliegende Artikel hier Aufklärungsarbeit betreibt. Es lohnt sich glaube ich, ihn zu bookmarken und mit Freunden, Bekannten und Verwandten zu teilen, wenn das Thema aus irgendwelchen Gründen akut wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.