Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.
Diesen Monat in Büchern: Verfassungsgeschichte, Bürgerkrieg, Deutsche Frage, 30jähriger Krieg, Shutdown, Clash of Kings, Sandman
Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Nigeria
BÜCHER
Ari Kelman/Jonathan Fetter-Vorm - Battle Lines: A graphic history of the Civil War
Der amerikanische Bürgerkrieg ist publizistisch so gut beackert wie kein anderes historisches Feld. Mittlerweile zehntausende Bücher sind über ihn geschrieben worden; die überwiegende Mehrzahl für die akademische Debatte völlig irrelevant. Empfehlenswert ist dieses Werk: nicht ganz ein Comic, aber auch mehr als nur eine Bildergeschichte, werden hier episodisch in graphic-novel-Form chronologisch Aspekte der Geschichte des Bürgerkriegs behandelt. Dankenswerterweise handelt es sich dabei nicht um dröge Adaptionen mit pädagogischem Hintergrund, wie sie sich auf diesem Feld allzu häufig finden, wenn etwa Werke der Weltliteratur als Comic adaptiert werden, in der vergeblichen Hoffnung, sie damit jüngeren Lesenden zugänglich zu machen.
Was Kelman und Fetter-Vorm hier leisten, geht schon eher in den Bereich der Literatur. Von den Schüssen von Fort Sumter bis zur Kapitulation der Armee von Northern Virginia werden zentrale Elemente (nicht nur Ereignisse!) des Bürgerkriegs beschrieben, und zwar auch solche, die nicht direkt in die populäre, permament wiedergekäute Mythosbildung fallen. Bekannte Elemente wie Gettysburg werden auf neue Weise inszeniert. Viele der Geschichten enden mit einem gut-punch, einem literarischen Hieb in die Magengrube.
So dreht sich die Geschichte von Fort Sumter um einen schwerverwundeten Soldaten; die einzigen Toten der Belagerung entstanden bei der Übergabe, als die Unionssoldaten darauf bestanden, der eingezogenen Flagge zu salutieren und eine Kanone explodierte. "The first wounds of the Civil War were, one could say, self-inflicted", bemerkt der Text lakonisch dazu. Solcherlei poetische Verarbeitung historischer Momente finden sich zuhauf, ob wir nun das Tagebuch eines verhungernden Unionssoldaten im schlimmsten Gefangenenlager der Konföderierten, das den Schrecken der Wehrmachtslager wenig nachsteht, folgen; ob wir nach der Schlacht von Gettysburg sehen, wie ein Fotograf einen Toten zu einem ikonischen Foto drapiert und so Geschichte fälscht; ob wir sehen, wie die Unionsarmee schwarze Gefangene ausbeutet und wie Sklaven behandelt; ob wir eine Krankenschwester dabei begleiten, wie sie ihrerseits einen verwundeten Soldaten beim Sterben begleitet.
Es sind keine leichten Themen, und an jeder Wendung unterwandern die Autoren Erwartungen an die Geschichten über den Bürgerkrieg. Helden gibt es hier keine. Wir sehen weder Lee noch Stonewall Jackson, weder Grant noch Lincoln. Wir bleiben stets bei den tausenden von namenlosen Opfern des Krieges, die ihre Wunden, in den Worten Erich Maria Remarques, behielten, "ob sie den Granaten entkam oder nicht". Es ist ein mehr als empfehlenswerter Band.
Anselm Doering-Manteuffel - Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871
Die Reihe "Enzyklopädie Deutscher Geschichte" des Oldenbourg-Verlags ist zweigleisig aufgebaut: ungefähr ein Drittel jeden Bandes enthält eine knappe Zusammenfassung und Einordnung der entsprechenden Epoche, die andere zwei Drittel beschreiben den Wandel des Forschungsstands und die Quellenlage. Ich habe diesen spezifischen Band vor allem deswegen erworben, weil er von meinem hochgeschätzten Professor Doering-Manteuffel geschrieben wurde, der mittlerweile emeritiert ist.
Die Einordnung des ersten Drittels ist im besten deutschen Historikerstil geschrieben, will heißen: extrem verdichtet und voller Fremdworte. Wer ohne Vorkenntnisse an die Sache herantritt und noch nie historische Fachtexte gelesen hat, dürfte gleich rückwärts wieder aus dem Raum stolpern. Aber der Anspruch einer Reihe für Studierende ist ja auch nicht Allgemeinverständlichkeit, und Überblickswerke zur Geschichte des 19. Jahrhunderts gibt es zuhauf.
Der einzigartigere Punkt sind die anderen zwei Drittel. Hier wird thematisch aufgeschlüsselt, wie sich der Forschungsstand über die Jahrzehnte geändert hat. Von den borussischen Nationalisten wie Heinrich Treitschke bis zur Gegenwart zieht sich der Bogen, in dem erklärt wird, welche Narrative und Interpretationen vorherrschend waren und auf welche Quellen sie sich stützten.
Auffällig ist die Zeichnung Österreichs und besonders Metternichts als Gegner der deutschen Nation, die bis ins 20. Jahrhundert führend blieb ebenso wie der Einfluss der Weltkriege. So wurde etwa der Wiener Kongress mit dem Abschluss des Versailler Vertrags plötzlich ein Trendthema, in dem die deutschen Historiker glaubten, eine bessere Alternative zu erkennen - eine Sicht, die ihre Kollegen im 19. Jahrhundert ganz und gar nicht teilten. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückten europazentriertere Sichtweisen in den Fokus, während ab den 1970er und 1980er Jahren strukturelle, gesellschaftshistorische Analysen hinzukamen.
Hans-Christian Huf - Mit Gottes Segen in die Hölle
Der Dreißigjährige Krieg war über Jahrhunderte die Urkastastrophe der Deutschen und hatte sich tief in das nationale Bewusstsein eingegraben. Erst der Zweite Weltkrieg verdrängte den längsten Konflikt, der auf deutschem Boden ausgetragen wurde, aus dem kollektiven Bewusstsein. Heute ist er beinahe vergessen, aus den Bildungsplänen ist er lange herausgefallen.
Mir wird das immer dann bewusst, wenn ich an Ottfried Preußlers "Das kleine Gespenst" denke, in dessen Rahmenhandlung ein Festumzug mit Reenactment des Dreißigjährigen Kriegs eine zentrale Rolle spielt - ein Anachronismus, der es merkwürdigerweise in die jüngste Filmadaption geschafft hat, die meine Kinder gerne sahen.
In Hufs Buch wird der Dreißigjährige Krieg für ein Publikum ohne große Vorkenntnisse journalistisch aufbereitet. In Vollfarbe und mit vielen Bildern führt er aspektorientiert durch den Konflikt. Von Wallenstein zum Söldnertum, vom Stand der Feldmedizin zur Astrologie, von den politischen Verhältnissen zum Leben in der Stadt des 17. Jahrhunderts entsteht ein umfassendes Panorama einer beinahe vergessenen Epoche.
Adam Tooze - Shutdown: How Covid shook the world economy (Adam Tooze - Die Welt im Lockdown. Die globale Krise und ihre Folgen)
Bereits mit "Crashed" hat Adam Tooze ein absolutes Meisterwerk der Geschichtsschreibung über gegenwärtlige Ereignisse vorgelegt. Mit "Shutdown" geht er noch einen Schritt weiter und geht kaum mehr als ein Jahr zurück in die Vergangenheit. Für einen Historiker ist ein solches Vorgehen immer sehr risikobehaftet, denn unsere Zunft gewinnt ihre Analysen ja häufig gerade aus der Distanz zu den Ereignissen: aus dem Nicht-betroffen-Sein, dem Zugang zu Akten, und so weiter.
Aber Tooze ist ein Virtouse auf diesem Gebiet, das hat er bereits mit "Crashed" bewiesen. So auch hier. Shutdown ist wesentlich weniger umfangreich als das Vorgängerwerk (nicht einmal halb so lang) und hat einen bewusst gewählt engeren Fokus, indem es kaum ein Jahr behandelt - von der Ankündigung des Virus durch Xi Jinping im Januar 2020 zu den beginnenden Massenimpfungen im Frühjahr 2021.
Tooze interessiert sich wenig für die Dinge, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weitgehend in Beschlag genommen haben, wie die Effektivität von Abstandsregeln oder Maskenmandaten. Er betrachtet die Covid-Krise aus wirtschaftlicher Sicht.
Dabei geht es ihm einerseits um die größte Rezession aller Zeiten, die zu alledem komplett aus freien Stücken verursacht wurde, und wie die Staaten mit dieser umgingen. Zwei zentrale Thesen werden aufgestellt. 1) Die Staaten waren in ihrer Entscheidung zum Lockdown nicht frei; dieser wurde ihnen von Bürger*innen und Unternehmen aufgezwungen. 2) Die Finanzierung des Lockdowns zeigt deutlich, wie falsch der ökonomische Mainstream liegt.
Neben diesen wirtschaftlichen Beobachtungen geht Tooze auch viel auf die verschiedenen Phasen der Krisenbekämpfung ein und zeigt, wie die anfangs guten Reaktionen mancher Staaten wie Deutschland später unter anderem durch die globale Natur des Virus' zunichte gemacht wurden. Auch die Unterschiede zwischen asiatischen und sonstigen Reaktionen werden gebührend hervorgehoben, gerade auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Logistik.
Ein letzter Schwerpunkt liegt auf den finanziellen und makroökonomischen Verwerfungen, die Covid mit sich brachte. Wenig überraschend findet diese Betrachtung durch die Brille des Aufstiegs Chinas statt. Ohne das Riesenreich der Mitte geht mittlerweile nichts mehr, und die Covid-Krise hat die chinesische Macht deutlich verstärkt.
George R. R. Martin - A Clash of Kings (George R. R. Martin - Der Thron der Sieben Königreiche)
Dieses Review entstand für den BLAH-Patreon.
After I tackled "A Game of Thrones" in BLAP 58, concentrating on Early Installement Weirdness, I recently completed my reread of "A Clash of Kings", and so I want to give you my report here. Of course, you know the book, I knew the book, so I'm not reciting the plot and tell you it's a damn good book, but I'd rather make some stray observations.
Neill Gailman - The Sandman Deluxe Edition Vol. 1 (Deutsch)
Auffällig war bei dieser Lektüre, dass die ersten, eine zusammenhängende Geschichte ergebenden Bände in diesem Sammelband, insgesamt noch nicht so raffiniert sind wie die späteren Geschichten. Zwar ist die Plotlinie um den Ausbruch Traums aus seiner Gefangenschaft und die Wiedererlangung seiner Werkzeuge immer noch interessant und der Ausflug in die Hölle mit dem Duell gegen den dortigen Dämon unbestreitbar der Höhepunkt.
Die herausstechendsten Merkmale - in einem negativ herausstechenden Sinn - sind die Einbettung der klassischen DC-Charaktere. Batman, der Marsianer, John Constantine, Doctor Dee und Scarecrow wollen nicht wirklich zu der epischen, überdimensionalen Bedeutung von Traum passen. Wenig überraschend, dass solche Elemente bereits in der zweiten Hälfte dieses Sammelbandes praktisch komplett verschwinden.
Der zweite große Plot überzeugt da schon mehr. Ein Vortex hat sich gebildet (was das ist, bleibt bewusst unklar), und dies dient zum Anlass für alle möglichen merkwürdigen Begegnungen und Meditationen über die menschliche Natur. Zunehmend findet Gailman seinen Rhythmus, in dem er Sandman-Geschichten erzählen will, die episodenhafter und gleichzeitig tiefgreifender werden.
ZEITSCHRIFTEN
Aus Politik und Zeitgeschichte - Nigeria
Die aktuelle Debatte zur Bewertung des Kolonialismus hat ein gewisses Interesse an den ehemaligen deutschen "Schutzgebieten" (wie man die Kolonien im Amtsdeutsch nannte) aufkommen lassen, das durch die zusätzlichen Debatten rund um die Raubkunst im Humboldt-Forum und die Rückgabe der Benin-Bronzen an die nigerianische Regierung sowie die Forderung der Herero und Nama nach Reparationen neue Nahrung erhielt. Die Bundeszentrale liegt daher mit ihrem Band zu Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas (über 200 Millionen Einwohner*innen) voll im Trend.
Die im Heft versammelten Aufsätze beleuchten alle verschiedene Aspekte dieses westafrikanischen Staates. Dabei ergeben sie eine Sammlung von Schlaglichtern, weniger einen vollständigen Überblick. Wer gar nichts über Nigeria weiß (wie ich), wird bei einigen Beiträgen verzweifelt nach Kontext suchen und ihn nicht finden.
Wir erfahren trotzdem nützliche Informationen: die Dreiteilung Nigerias in verschiedene Stammesgebiete, die sich, höflich ausgedrückt, nicht immer grün sind und unterschiedliche Sprachen sprechen und Glaubenssysteme teilen. Die Rolle Nigerias im sicherheitspolitischen Umfeld der westafrikanischen Union und seine Versuche, sich als regionale Ordnungsmacht zu etablieren, die angesichts der Schwäche des Staates zum Scheitern verurteilt sind. Die boomende Filmindustrie des Landes ("Nollywood"). Die kulturelle Bedeutung der Benin-Bronzen. Nigerianische Literatur. Und so weiter.
Für derartige Einblicke ist das Heft durchaus lesenswert, aber gerade der Beitrag zu Nollywood war für mich, der keinerlei Bezug dazu hat, wenig ergiebig. Auch die Vorstellung zentraler Literatur des Landes war merkwürdig unbestimmt; es blieb offen, ob es sich nun um Bücher handelt, die interessante Einblicke in die Seele der Nation in der jeweiligen Epoche bieten oder ob es auch genuin gute Literatur sein soll. Solche Ambivalenzen ziehen sich durch die ganzen Aufsätze.
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