Christopher Leonard - Kochland. The Secret History of Koch Industries and Corporate Power in America (Hörbuch)
Auf Empfehlung des Journalisten Christian Stoecker, dessen Artikel über den Einfluss der Lobbyisten der fossilen Industrie ich in einem Vermischten kritisch kommentiert hatte, habe ich mir das vorliegende Buch über die Kochfamilie gekauft. Koch Industries gehört zu den mächtigsten Firmen der USA mit einem weitreichenden rechtsgerichteten Lobby Netzwerk und Kontrolle über große Teile der Energiewirtschaft. Gleichzeitig handelt es sich um eine sehr geheimnisumwitterte und legendär intransparente Firma. Christopher Leonard hat sich intensiv mit der Firma beschäftigt, zahlreiche ehemalige Beschäftigte interviewt und versucht anhand einer intimen Betrachtung der Firmengeschichte und der Biographien dieser Personen nicht nur ein Portrait der Firma selbst, sondern auch der amerikanischen Wirtschaft zu erstellen. Ob dieser ambitionierte Spagat gelingen kann Komma soll die folgende Rezension zeigen.
In der Preface, "The Fighter", stellt Leonard ja den Firmengründer Fred Koch vor. seine Geschichte ist eine klassisch amerikanische: Sohn deutschstämmiger Eingewanderter, der aus zwar nicht bettelarmen, aber nicht sonderlich privilegierten Verhältnissen einen beispiellosen sozialen Aufstieg hingelegt hat und es zu beträchtlichem Wohlstand brachte. Dabei gab er den Wert harter Arbeit an seine Kinder weiter, die in ihrer Kindheit und Jugend zu Sparsamkeit erzogen, von den Privilegien des Reichtums ferngehalten und früh zu bezahlter Erwerbsarbeit gebracht wurden. Koch liebte die Prärie seines Heimatstaates Kansas und betrachtete den Besitz seiner Ranches und die Arbeit als Rancher als Apotheose des menschlichen Daseins, was er so auch an seine Kinder weitergab, die seine Begeisterung gleichwohl nicht hundertprozentig teilten.
Damit beginnt Abschnitt 1, "The Koch Method".
Der Beginn von Leonards Darstellung in Kapitel 1, "Under Surveillance", liegt in den 1980er Jahren, als das FBI sich für die Firma zu interessieren begann. Der Hintergrund war ein wenig ungewöhnlich: Koch Industries Pferde in Oklahoma in einem Indianergebiet Öl, und das FBI hatte Grund zu der Annahme, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zuging. Nun ist Betrug durch Großunternehmen, gerade wenn es um die indigene Bevölkerung geht Komma nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist vielmehr, dass die anderen Ölfirmen wie Exxon Ungeheuer bereitwillig mit den Behörden kooperierten. Denn das Ausmaß, in dem Koch Industries betrog, war ohne Beispiel.
Für die Behörden merkwürdig war dabei, dass vor diesem corporate whistleblowing nie jemand von Koch Industries gehört hatte. die Firma war groß und ein wichtiger Player im Energiegeschäft, Flug aber praktisch komplett unter dem Radar. Schnell begann für das FBI ein Verdacht aufzukommen, der sich durch intensive Beobachtung erhärtete: Die Arbeiter von Koch Industries Logan planmäßig bei der Entnahme des Öls, so das Koch Industries Komma wie es im Fachjargon heißt, immer „over“ war. „Under“ zu sein bedeutet, etwas weniger Öl in die Pipeline einzuspeisen, als man entnommen hat. Das ist wegen der physikalischen Eigenschaften von Öl der Normalfall. Das Gegenteil kann ausschließlich durch Messfehler passieren - und Messfehler die bei jeder einzelnen Entnahme vorkommen Komma sind keine Fehler, sondern Absicht.
Die Agenten schrieben Vorladungen und forderten Dokumente an. Sie interviewten zahlreiche Arbeiter, was ihnen viel Material für Ihren Verdacht gab. Schließlich interviewten sie die Spinne im Zentrum des Netzes: Charles Koch. Wer war der CEO der Firma. Bereits das Firmengelände wirkte wie ein Hochsicherheitstrakt eines Geheimdienstes, mit mehreren gestaffelten Sicherheitsschleusen und extensiven Kontrollen. Im Gespräch war Koch unzweideutig über seine Maxime, möglichst viel Profit zu generieren, versucht er allerdings eine halbe Ewigkeit lang so zu tun, als wüsste er nicht, wie seine eigenen Pipelines funktionieren. Alls die Agenten erschöpft das Gebäude verließen fragten sie sich, wer zur Hölle Charles Koch eigentlich war. Bis dahin kannte ihn praktisch niemand.
Das zweite Kapitel, "The Age of Volatility begins", beschäftigt sich entsprechend mit seiner Biografie. Er war der zweitgeborene Sohn der Familie und von früh an der designierte Erbe seines Vaters. Zuerst versuchte er, sich dessen Wunsch, die Firma zu übernehmen, zu entziehen, ließ sich dann aber mit Verweis auf seine familiäre Pflichten überreden. Dieses Kapitel zeigt bereits deutlich einige der Schwächen dieses Buches. Denn wer Charles Koch ist, wird auch hier nicht klar.
Nicht, dass ich ein brennendes Bedürfnis hätte, diese Person besonders kennenzulernen. Ich brauche keine massenhafte biografischen Details, die das Desiderat jeder Biografie, den „runden“ Blick auf den Menschen, zeigen. Das Problem ist vielmehr, dass Leonard durch seine vielen Interviews mit diesen Personen einen geradezu hagiographischen Blick auf Charles Koch übernimmt. Das Klischee, das auf diese Art gerinnt, ist sattsam aus dem Genre bekannt: Der hart arbeitende, sich nur für die Firma Interessierende Patriarch, der seine begabten Untergebenen fördert. Ein Mensch ist dieser Holzschnitt nicht, und das unreflektierte Abfeiern der toxischen Arbeitskultur, die Koch pflegt (beispielsweise, dass er Untergebene willkürlich sonntags für Besprechungen in den Betrieb ruft), stoßen mir mehr als sauer auf und ziehen sich durch das komplette Buch.
In diesem Zusammenhang wird auch Kochs rechte Hand vorgestellt: Sterling Varner. Wir erhalten die genretypischen Marker: die von ihm geförderten Protegés lieben ihn, harter Arbeiter, hochgearbeitet, sehr intelligent. Nichts davon ist in irgendeiner Art und Weise besonders interessant oder hätte nicht in einem einzigen Satz zusammengefasst werden können. Bücher wie Kochland leben aber zwangsläufig vom Narrativ, das, wie man zugeben muss, von Leonard kompetent geschrieben wird.
Kapitel 3, "The War for Pine Bend", kommt dann der Einlösung des Versprechens, auch grundsätzliche Aussagen über die Kultur von corporate America in der Ägide treffen zu können, wenigstens etwas näher. Die titelgebende Raffinerie Pine Bend nimmt eine zentrale Rolle für die Firma ein. Da sie bereits relativ alt ist, konnte sie unter den lobbyismusverseuchten Regularien weiterbetrieben werden, ohne Umweltstandards einhalten zu müssen, was Charles Koch sofort als große Gelegenheit erkannte. Für Koch Industries sollte die Raffinerie zur Cash Cow werden.
Doch bevor das geschehen konnte, musste die Macht der Gewerkschaften gebrochen werden. Hier erwies sich Charles Koch als Avantgardist. Noch bevor Reagan und Thatcher die Zerstörung der Gewerkschaften zur offiziellen Regierungspolitik erhoben und damit für die nächsten Jahrzehnte nachhaltig das Machtverhältnis zugunsten des Kapitals verschoben, war Koch ein Pionier dieser Disziplin.
Mit dem örtlichen Präsidenten, der kein Problem hatte, unter Belagerungszuständen mehrere Monate in der Raffinerie zu leben, Personal aus Texas einzufliegen und den Konflikt so weit wie möglich eskalieren zu lassen, hatte Koch genau den Mann den er brauchte. Die Gewerkschaften damals waren in einer völlig anderen Machtposition, als wir das heute kennen. Die Abläufe, die sie für Ihre Mitglieder in den jeweiligen Unternehmen heraus gehandelt hatten, waren tatsächlich hochgradig ineffizient, wenngleich für ihre Mitglieder sehr bequem. Dass ich hier etwas ändern musste stand außer Frage, und die Gewerkschaften erwiesen sich als ungeheuer unkooperativ.
Spannend auch im Hinblick auf aktuellere Arbeitskämpfe ist die Rolle der Solidarität unter verschiedenen Gewerkschaften: streikt der eine, so streikten alle und erhöhten dadurch den Druck ungemein. Doch wie sich bereits bei den illegalen Abschöpfungen von Öl gezeigt hatte, interessierte sich Charles Koch weder für das, was legal war, noch für die Meinungen seiner Peers. Zudem waren die Gewerkschaften nur im Norden stark: im Süden waren sie geradezu verhasst, weswegen es Koch auch gelang, loyale Arbeiter aus Texas einzufliegen. Dies erklärt auch die große Verlagerung von Arbeitsplätzen aus den Nord- in die Südstaaten vor allem in den 1970 und 1980er Jahren - ein Vorgang, der, wie wir noch sehen werden, sich in den 1990 er Jahren mit Mexiko wiederholen sollte.
Der Kampf mit den Gewerkschaften eskalierte wie bereits beschrieben komplett, woran die Gewerkschaften selbst großen Anteil hatten. Anders als in Deutschland waren sie weniger Korporatistisch und kooperativ organisiert, sondern verhielten sich eher wie große Banden, die vor Gewaltanwendung keinesfalls zurückschreckten. Diese amerikanische Eigenheit findet sich bekanntlich in vielen Sektoren der Gesellschaft. Am Ende gewann Koch Industries den Kampf gegen die Gewerkschaft, weil Charles Koch bereit war, wesentlich mehr Geld zu verlieren, als die armen Gewerkschaftsmitglieder je aufbringen hätten können. Ohne die krasse ideologische Verhärtung der Fronten wäre eine wesentlich entspanntere und kooperative Lösung dieser Konflikte möglich gewesen, die die Gesellschaft mehr befriedet hätte - davon bin ich überzeugt. Es zeigt einmal mehr die Überlegenheit des deutschen Systems mit seinem Ausgleichsfokus.
Wir werden in der Raffinerie Pine Bend in einem späteren Kapitel wieder begegnen. für den Moment beginnt sie jedenfalls mit dem gebrochenen Personal unter neuen Regeln effizienter, auf Wachstumskurs, schmutziger und für das Personal schädlicher zu arbeiten - eine fast perfekte Zusammenfassung der Reagan-Ära, was merkwürdigerweise von Leonard so nicht gesehen wird.
In Kapitel 4, "The Age of Volatility intensifies", kommen wir dann zu der eigentlich expansiven Phase von Koch Industries. das beherrschende Ereignis, quasi der Urknall des eigentlichen Unternehmens, ist der Ölpreisschock von 1973. Die Vorherberechenbar billige Ressource Öl wurde mit einem Schlag zu einem volatilen, teuren Produkt, das den Amerikanern ihre Abhängigkeit vom Weltmarkt schmerzhaft vor Augen führte. Produzierten die USA in den 1940 er Jahren noch genügend Öl im eigenen Markt, wurden sie schleichend von Importen vor allem aus der arabischen Welt abhängig - eine Entwicklung, die 1973 schlagartig sichtbar wurde. Die Mentalität Kochs, die schon immer das Ausnutzen von Volatilität und einen unnachgiebigen Wachstums- und Profitkurs betont hatte, war in diesen Zeiten von unschätzbarer Bedeutung. Auch dass er seine nachgeordneten Entscheidungsgremien auf einen ähnlichen Kurs und ein ähnliches Mindset eingeschworen hatte, kam ihm nun zugute.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Mitbewerber nutzt Koch für eine methodische Akquise-Strategie. Diese bestritt er weitgehend aus Eigenmitteln, die zur Verfügung standen, weil er praktisch keine Dividenden auszahlte, sondern alle Gewinne reinvestierte. Diese Strategie wird uns im nächsten Kapitel noch einmal aus anderer Warte begegnen. Sie war Ausdruck von Kochs Geheimniskrämerei, die ein Jahrzehnt später die FBI-Agenten so verwirren sollte. Die Geschäftszahlen von Koch Industries waren ein Geheimnis, dass sich mit den Atom-Codes der US-Regierung messen konnte.
Weiter geht's in Teil 2.
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