Freitag, 26. November 2010

Tiefen der Selbstachtung

Von Stefan Sasse

Es ist immer wieder überraschend, wie tief die Selbstachtung mancher Menschen fallen kann. Militärs und Geheimpolizeien arbeiten gerne damit, die Selbstachtung von Menschen zielgerichtet zu zerstören, sie zu brechen, um alles aus ihnen herauszuholen. Manche Leute lassen sich öffentlich demütigen, haben danach aber noch so viel Selbstachtung übrig, dass sie bei ihrem finanzministeriellen Arbeitgeber kündigen. Und manche haben so wenig Selbstachtung, dass sie, nachdem man sie ausgepresst und wie einen Straßenköter getreten hat, immer noch in der Hoffnung zurück gekrochen kommen, dass vielleicht doch ein Knochen vom herrschaftlichen Tisch für sie abfallen möge. Die Rede ist hier von der Bundesregierung im Allgemeinen und Merkel im Speziellen, der Anlass der Arbeitgebertag. 


Auf diesem Arbeitgebertag hat Merkel eine Rede gehalten, in der sie betonte, wie arbeitgeberfreundlich die bisherige Politik der Regierung war. Es ist die konservative Welt aus dem Springerkonzern, die darüber berichtet; das Gesagte steht also nicht im Geruch kommunistischer Hetze:
Die [Gesundheits-]Reform sei für die Arbeitgeber gemacht. Der Arbeitgeberbeitrag werde eingefroren. Kostensteigerungen im Gesundheitswesen müssen künftig die Versicherten tragen. Dass die Arbeitgeber zu den Kritikern der Reform gehören, verstehe sie nicht. Dass die Sozialbeiträge trotz Wirtschaftskrise unter 40 Prozent liegen, sei eine große Leistung. [...] Außerdem erinnerte sie daran, dass die Regierung mit ihrem Energiekonzept der Wirtschaft entgegengekommen sei. So wurden die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert. Die Unternehmen wurden zudem beim Sparpaket geschont. Der ursprüngliche Plan, die Ausnahmen von der Ökosteuer für besonders energiereiche Betriebe stark einzuschränken, wurde entschärft.
 So offen sagt Merkel das im Normalfall nicht. Das wäre auch nicht ihr Stil. Eigentlich wird ja von ausgeglichener Politik gesprochen, von Vorfahrt für Arbeit und vielem mehr. Darum geht es hier gar nicht. Merkel zeigt den versammelten Managern und Lobbyisten auf, was sie denn alles für sie getan hat. Sie ist der Hund, der mit treuherzigem Blick hofft, endlich den abgenagten Knochen des Herrchens zu bekommen. Stattdessen erntet der räudige Köter aber nur einen Tritt, denn Herrchen ist noch lange nicht satt. Die Welt berichtet von "unterkühlter" Atmosphäre. Denn die Arbeitgeber präsentierten Merkel gleich die Wunschliste:
Und so präsentierte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt jetzt der Regierung eine lange Wunschliste. Vor allem forderte er „deutlich mehr Ehrgeiz und größere Anstrengungen, wenn wir endlich ein Kernproblem unseres Arbeitsmarktes angehen wollen“, die exzessiv hohe Steuer- und Abgabenlast auf dem Faktor Arbeit. Auch die Gesundheitsreform kommt schlecht weg. Zwei Milliarden Euro koste die Beitragserhöhung die Arbeitgeber. Dabei habe die Koalition doch versprochen, die Soziallasten nicht zu erhöhen. [...] Die Arbeitgeber sehen mit dem Fachkräftemangel ein großes Problem auf Deutschland zurollen und fordern deshalb eine gezielte Zuwanderung. Bis 2030 schrumpfe die Zahl der Erwerbsfähigen um acht Millionen, warnte der Arbeitgeberpräsident: „Deshalb müssen wir uns weltweit gezielt um qualifizierte Menschen bemühen.“ Dieser Appell blieb ungehört. [...] Ein anderes Minenfeld ist die Steuerpolitik. Gerade hier hatten die Wirtschaftsverbände Großes von der schwarz-gelben Koalition erwartet. Eine Reform der Einkommensteuer ist jedoch nicht in Sicht. Auch die Reform der Mehrwertsteuer mit ihren vielen Ausnahmen ist auf die lange Bank geschoben worden. Vom Ziel, die Gewerbesteuer abzuschaffen, eine Herzensangelegenheit der Wirtschaft, hat sich die Koalition verabschiedet. [...] Für Irritationen aufseiten der Arbeitgeber sorgten mehrere Kabinettsmitglieder mit dem Plädoyer für höhere Lohnabschlüsse. Nicht nur von der Leyen, auch FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hatte die Arbeitgeber mit entsprechenden Appellen verärgert.
 Und so weiter und so fort. Seit einem Jahr tut Schwarz-Gelb nichts anderes, als sich für die Arbeitgeber zu prostituieren. Eine Reform nach der anderen zieht den Bürgern das Geld aus den Taschen und schiebt es der Wirtschaft in den Rachen, ohne dass irgendetwas dafür herumkommen würde. Doch den Arbeitgebern fällt nicht mehr dazu ein, als zu erklären dass es nicht ausreiche und dass man ihren Vorstellungen mehr entgegen kommen solle. Der Köter wird also einmal mehr weggetreten. Ob irgendwann einmal eine Schamgrenze in der Selbstachtung Merkels erreicht ist? Wird sie irgendwann einmal sagen "Genug ist genug" und beißen? Oder wird sie sich bis 2013 herumtreten lassen, in der Hoffnung, dass der versprochene Knochen doch noch fällt? Einstweilen versucht sie sich ein wenig trotzig.
„Sie dürfen klatschen“, forderte die Kanzlerin den Applaus der versammelten Manager.

13 Kommentare:

  1. Die konsequent Unersättlichen schieben sich noch den abgenagten Knochen hinter die Kiemen da kann Frau M. lange warten, dass etwas abfällt. ;p
    "Sie dürfen klatschen" gehört im Kontext zum besten, was die Kanzlerin bisher zu sagen hatte, ist aber leider wohl auch das Höchstmaß an Einsatz, um die Arbeitgeber wach zu rütteln, das von ihrer Regierung zu erwarten ist.

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  2. Manchmal sehnt man sich nach der Guillotine... Denke da an deine Artikel über die Französische Revolution...
    Veränderung ist zwar immer möglich, TINA nur ein Schreckgespenst - aber die Beharrungskräfte (beispielsweise der AG, der Kapitalbesitzer sowieso) werden so groß sein, dass man vielleicht zu unkonventionellen Lösungen würde greifen müssen. Just thinking...

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  3. Die arme A.M. nimmt dies doch nur auf sich um den Anschein zu wahren, sie hätte nicht schon lange irgendeinen hochdotierten Beratervertrag in der Tasche bzw. in Aussicht. Anders kann man dieses Buckeln vor den Arbeitgebern nicht mehr interpretieren.

    Ihr Leiden kann einem wirklich leid tun, nur hab ich noch Hoffnung das für uns daraus keine längere Leydenszeit wird.

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  4. "So offen sagt Merkel das im Normalfall nicht."
    bei der obersten menschenfeindin der cdu von einem "normalfall" zu sprechen, ist etwas euphemistisch;
    oder eher ein oxymoron, denn im fall von soziopathie ist es ein wenig unscharf von "normal" zu reden.
    oder es ist eine "regelausnahme" ;-) , dass IM Erika die wahrheit sagt:
    "Wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit."
    oder sagt sie die wahrheit nur, wenn sie unter ihresgleichen oder bei ihren auftraggebern ist?
    egal, sie kann sich ja drauf verlassen, dass die systemmedien sie nicht verreißen. man muss die olle politruk nicht verstehen, aber diese gequirlte kacke noch drei jahre ertragen, wird hart.

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  5. Wer Zweifel hat für was der Seeheimer Kreis lese dies:

    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/weckruf-fuer-gabriel-strategiedebatte-erschreckt-die-spd-spitze;2700179

    Übrigens ist Kahrs Seeheimer Kreis, ganz dichker Lobbyist von Rheinmetall.

    Die Geschichte der Seeheimer ist eine Geschichte der Selbstbereicherung.

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  6. @ frank powers
    "Manchmal sehnt man sich nach der Guillotine..."

    "es darf keine denkverbote geben!"(AM) ;-)

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  7. Yo, so isses. Einen Korrekturvorschlag habe ich da allerdings:
    "Eine Reform nach der anderen zieht den Bürgern das Geld aus den Taschen" - da sind mindestens große Anführungszeichen fällig, auch wenn wir uns diese Unverschämtheiten immer wieder als "Reformen" anpreisen lassen.

    Feyne Grüße.

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  8. Man kann nicht oft genug auf diese Äußerungen hinweisen. Dies muss jeder verinnerlichen, wenn er mal wieder in eine Diskussion mit jemandem gerät, der einem erzählen will, dass "das ja alles gaaar nicht so ist". Wenn Mutti wieder was von "ausgewogen", "gerecht" und "Kompromiss" schwatzt.

    Das dies den großen Unternehme(r)n immer noch viel zu wenig ist, kann nicht verwundern. Denn ein "genug" gibt es für diese einfach nicht. Würde man ihnen die ganze Welt auf einem Silbertablett darreichen, käme sofort die Frage: "Und was ist mit dem Universum?".

    Und trotzdem ist es "schön", wenn die Frau Kandesbunzlerin all dies so offen zugegeben hat. Nun kann man es ihr (und all den anderen Protagonisten) jedes Mal wieder um die Ohren hauen, wenn ein weiteres Mal solche Plattitüden wie "Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt", "Jetzt müssen wir alle den Gürtel enger schnallen" hervorgekramt werden.

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  9. Ich finde das lustig, das eine Politikerin, die nach Kräften Industrie und Arbeitgeberverband beim fröhlichen Gang über Leichen unterstützt, von dieser Bagage so etwas wie Dank erwartet. Sollte es ihr entgangen sein, dass die für ihre Marionetten zahlen solange sie nützlich sind und damit hat es sich? Und nur bei ganz besondren Verdiensten springt vielleicht mal ein Aufsichtsratposten raus. Sollte sie glauben, dass sie mehr ist als der Mohr, der am Ende gehen kann?
    Spätestens seit Beginn der neoliberalen Ära in den westlichen Industriestaaten wurde von den Politnutten doch nur noch die Agenda des Großkapitals abgearbeitet, was nach und nach immer mehr Volkswirtschaften zerstört hat und dessen hässliche Ruinen in Form von hochverschuldeten Staaten und wegen Geldmangel verfallenden öffentlichen Einrichtungen man mittlerweile überall bewundern kann.
    Man muss schon ziemlich schmerzfrei sein und absolut skrupellos, um sich solchen Leuten fortwährend anzudienen. Selbstachtung jedenfalls ist definitiv eher hinderlich bei dem Job.

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  10. Nicht Merkel ist der kriechende Hund, der deutsche Michel, dieser degenerierte Wurm, der seine Hände in Unschuld wäscht weil er ja nicht gewählt hat, der ist der kriechende Hund.
    Diesen Artikel sollte jeder Nichtwähler 10-100 mal lesen müssen um zu begreifen

    mfg
    WW

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  11. Gab es nicht von Schröder mal auch eine beklagende Äußerung (ich glaube nach der Bundestagswahl 2005; allerdings natürlich im trotzigerem Stil als bei Merkel), dass er mit der Agenda 2010 etc. zwar so viel für die Unternehmen getan habe, dann aber undankbar trotzdem nicht für ihn, sondern für Schwarz-Gelb geworben wurde? (Fühlte mich angesichts dieser Meldung stark daran erinnert, kann mich aber nicht mehr genau an den Anlass und Formulierung erinnern)

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  12. Dass Frau Merkel ernsthaft Applaus von den Arbeitgeberverbänden erwartet, bezweifle ich.
    Auch Frau Merkel sollte klar sein, dass die Arbeitgeberverbände nicht zu jammern aufhören, solange Unternehmen und ihre Anteilseigner überhaupt Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, und solange sie ihre MitarbeiterInnen nicht als Leibeigene behandeln dürfen.

    Und selbst dann wird von den Arbeitgebern kaum mehr als ein "Wurde auch endlich mal Zeit" zu erwarten sein.

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  13. "Anonym hat gesagt…

    Nicht Merkel ist der kriechende Hund, der deutsche Michel, dieser degenerierte Wurm, der seine Hände in Unschuld wäscht weil er ja nicht gewählt hat, der ist der kriechende Hund.
    Diesen Artikel sollte jeder Nichtwähler 10-100 mal lesen müssen um zu begreifen

    mfg
    WW "

    Ich bin dieses Jahr 50 geworden und habe BISHER noch keine Wahl ausgelassen. Da wird sich zukünftig aber ändern. Und dabei denke ich nicht naiverweise an vergessene Wahlkampfversprechen, sondern das keine Partei irgendein Problem damit hat bei Bedarf sogar gegen das eigene Grundsatzprogramm zu entscheiden. Bei mir ist Flasche leer, ich habe fertig.
    Gruß, Bernd

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