Montag, 30. Januar 2012

Die Basics über Auschwitz

Von Stefan Sasse

Der Stern hat eine wahre Horrorstory anzubieten: ein Fünftel aller Deutschen unter 30 weiß nicht, was Auschwitz ist (nur ein Zwanzigstel bei denen über 30). Über ein Drittel aller Deutschen weiß nicht, wo genau es stand. Und 43% haben noch nie eine KZ-Gedenkstätte besucht. Der Spiegel findet die Zahlen furchtbar. Allein, besonders aussgekräftig sind sie so noch nicht, und eine Interpretation bieten weder Stern noch Spiegel. Das erste Problem ist schon das "nicht wissen, was Auschwitz ist". Jeder der mit "ein kleiner Ort in Polen" antwortet, läge wohl schon mal falsch. Wie genau die Fragestellung war, geht leider nicht hervor. Ohnehin ist anzunehmen, dass die unter 30jährigen im Verlauf ihres Lebens noch eine genauere Einordnung werden vornehmen können. Zwar ist Auschwitz ein omnipräsentes Thema und steht symbolisch für alle KZs; es ist allerdings anzunehmen, dass die Zahl derer, die es korrekt als "Todes- und Vernichtungslager" einordnen können (O-Ton Stern) noch steigt, wenn man Assoziationshilfen wie das Bild des Lagereingangs und den "Arbeit macht frei"-Schriftzug hinzunimmt. Völlig abwegig dagegen ist die nächste Zahl: ein Drittel weiß nicht, wo das Ding steht. Warum es zum Verständnis des Holocaust essentiell ist zu wissen, dass Auschwitz in Polen liegt, bleibt ein Geheimnis der Umfragenmacher beim Stern. Vielleicht hoffte man damit eine besonders krasse Zahl zu bekommen? Im Ergebnis wird man dann enttäuscht sein; nur ein Drittel weiß es nicht. 

Donnerstag, 26. Januar 2012

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft

Von Stefan Sasse

Let's face it - wer in einer so mächtigen Position ist wie ein Ministerpräsident, Parteivorsitzender oder Bundespräsident, dem fliegen Gefälligkeiten geradezu zu. Das ist natürlich, selbst wenn es keine böse Absicht ist. Fliegt er etwa mit meiner Fluglinie, so kann ich ihm das gerne upgraden - schließlich ist es nur standesgemäß und ich kann Werbung machen - "Hier fliegt selbst der Bundespräsident", oder so. Die Causa Wulff ist voll von solchen Kleinigkeiten. Aufbesserungen der Klasse im Flugzeug, eine verbilligte Übernachtung, vielleicht eine VIP-Karte für die Theaterloge statt den normalen Rängen. Die Frage ist, wie relevant solche Dinge tatsächlich sind. Unabhängig davon gehört Wulff gegrillt, schon alleine, weil er darüber gelogen hat. Das ist das, was nicht geht. Aber sind die kleinen Geschenke, die links und rechts anfallen, wirklich demokratiebedrohend? Wird Wulff bei der Unterschrift eines Gesetzes tatsächlich denken "Ey, das ist doch der, der mir die Zigarre geschenkt hat" und daraufhin milder urteilen? Ich denke, es handelt sich mehr um eine leichte Übertreibung bei einem ernsthaften Phänomen. 

Mittwoch, 25. Januar 2012

Eine Tüte Mitleid für den Print-Snob

Von Stefan Sasse

Schon mal von John Asht gehört? Ich auch nicht. Er schreibt "phantastische Literatur", ausdrücklich nicht zu verwechseln mit Fantasy-Literatur, und sein Roman "TWIN-PRYX: Zwillingsbrut" (Leseprobe) ist vor einem Jahr erschienen. Kennt jemand Myriel vom Blog "Bücherzeit"? Ich auch nicht. Aber John Asht und sein Verlag Roder schienen sie irgendwie als eine gewaltige Bedrohung aufzunehmen. Kurzfassung: sie mochte das Buch nicht, fand es katastrophal, brach es nach 90 von 900 Seiten ab und verfasste einen kurzen Blogbeitrag darüber, warum sie es scheiße fand. Mr. Asht, höchstpersönlich, verfasste daraufhin einen eigenen Blogbeitrag, in dem er sich (im Internet) darüber ausheulte, dass heutzutage nicht nur studierte Literaturwissenschaftler im Print rezensieren dürfen, wo dann das gehobene Bildungsbürgertum sich für das Literarische Quartett warmläuft, sondern jede "gescheiterte Studienhopperin" ihren Senf (im Internet) abgeben darf. Aber, immerhin, Mr. Asht höchstpersönlich kann, vermutlich vor einem Lagerfeuer, abgesessen von der Harley Davidson, Rache schwören: das Internet ist ja schließlich kein rechtsfreier Raum! So weit kommt es noch, dass da jeder schreiben kann, was er will! Und so griff Mr. Asht ans Hüftholster, holte "Jura für Dummies" raus und postete Myriel einen Kommentar unter ihre Rezension:

Dienstag, 24. Januar 2012

q.e.d.

Von Stefan Sasse

Ich habe in der Vergangenheit öfter daraus hingewiesen, dass die Verschwörungstheorien über eine große, orchestrierte Medien-Kampagne gegen die LINKE und für eine neoliberale Agenda übertrieben ist. Ein FDP-Abgeordneter namens Joachim Günther springt mir darin jetzt ungewollt bei: er hat einen offenen Brief veröffentlicht, in dem er sich über die Medienhetze gegen die FDP beklagt, ihre schlechten Umfragewerte auf eben diese Hetze zurückführt und zum Boykott kritischer Medien aufruft. Gott, klingt das vertraut. Aber hören wir ihn im Original: 

Montag, 23. Januar 2012

Neue Informationen zum Ohnesorg-Mord

Von Stefan Sasse

Vor anderthalb Jahren machte die BILD Schlagzeilen mit bahnbrechenden Informationen zum Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967: der Todesschütze Kurras sei ein Stasi-Spitzel gewesen, bezahlt vom Osten um Informationen aus Westberlin zu liefern. Mit dieser Enthüllung hat die Springer-Presse an einer Saite gerührt, die noch heute einen scharfen Graben zwischen links und rechts, zwischen den 68ern und ihren Gegnern zieht. Der Mord an Benno Ohnesorg galt lange als Fanal der Radikalisierung der Studentenbewegung, spätestens seit "Der Baader-Meinhoff-Komplex" auch als Geburtsstunde der RAF. Es wurde um die Umdeutung der Ereignisse allerdings schnell ruhig. Ob Kurras nun auch noch von der Stasi bezahlt wurde oder nicht spielt letztlich keine große Rolle, was sich umso mehr bewahrheitete, als weitere Informationen über ihn und seinen Lebenswandel ans Licht kamen, die ihn als letztlich reichlich verkommenen Menschen erschienen ließen, der sowohl rechtsradikales Gedankengut pflegen als für den selbst ernannten "Arbeiter- und Bauernstaat" spionieren konnte, während er die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigte. In einer großen Schlagzeile zeigt nun der Spiegel neue Informationen zum Fall an: die alte Frage, ob der Tod Ohnesorgs wirklich Mord war, ist diesen neuen Informationen zufolge endgültig entschieden. 

Samstag, 21. Januar 2012

Buchbesprechung: Dietmar Herz - USA verstehen

Von Stefan Sasse

USA verstehenDie USA sind auch 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges immer noch die mächtigste und wichtigste Nation der Welt. Ohne sie lässt sich kaum etwas durchführen. Gleichzeitig sind die Amerikaner, trotz der Ähnlichkeiten in Kultur und Sprache, ein Volk mit einer anderen Mentalität als die Europäer. Nur wenige Europäer können verstehen, warum die Amerikaner so sensibel auf das Recht auf Waffenbesitz reagieren, wie sie ernsthaft Abtreibungsrechte verweigern oder die Stars-and-Stripes überall wehen sehen wollen können. Dietmar Herz, der sich als Journalist bereits seit langem mit den Amerikanern, ihrer Geschichte und ihrer Politik innen wie außen beschäftigt, versucht nun mit „USA verstehen“ diese Lücke zu füllen.

Das Buch umfasst 413 eng beschriebene Seiten in solidem, schön gestaltetem Hardcover. In chronologischer Reihenfolge führt Herz den Leser ausführlich durch die Geschichte der USA, bevor er kurz Regierungs- und Wirtschaftssystem sowie die Medien- und Universitätslandschaft skizziert. Genau hier aber liegt das Problem des Buchs: wer darauf hofft, danach einen besseren Blick auf die oben aufgeworfenen Verständnisprobleme gewonnen zu haben dürfte enttäuscht werden. Denn letztlich liegt der Fokus auf einer umfassenden Darstellung der amerikanischen Geschichte, der einige grundlegende Strukturinformationen zum besseren Verständnis nachgestellt werden. Mentalitäts- oder kulturgeschichtliche Aspekte finden allenfalls am Rande statt. 

Freitag, 20. Januar 2012

Zu den Neuwahlen im Saarland

Von Stefan Sasse

Datei:Die Linke logo.svgIch muss sagen, die Ankündigung der Neuwahlen überrascht mich. Es ist für die SPD offensichtlich der vernünftigste Weg, denn als Juniorpartner der CDU kann sie nur verlieren. Aber so viel strategischer Verstand ist selten geworden in den letzten Jahren. Die Neuwahlen werden, das ist keine echte Überraschung, auch nur herauskristallieren wer die Große Koalition anführen wird, deren Kommen vollständig sicher ist. Die FDP wird aus dem Landtag fliegen, die Grünen nur knapp reinkommen und die LINKE vermutlich etwas absacken, aber auf ihrem Niveau verharren. Damit bleibt nur Rot-Rot oder die Große Koalition. Und Rot-Rot mag nicht nur Heiko Maas nicht; auch Oskar Lafontaine hat in einem Interview ziemlich deutlich erklärt es nicht machen zu wollen, indem er die Abschaffung der saarländischen Schuldenbremse zur conditia sine qua non gemacht hat. Die Wahlbeteiligung dürfte an der Saar dementsprechend niedrig ausfallen, gibt es doch nicht wirklich etwas ernsthaftes auszuwählen. SPD und CDU sind einander recht nahe und wollen beide ungefähr dasselbe, mit nuancierten Unterschieden. Was aber Lafontaine und die LINKE reitet, verstehe ich nicht wirklich. 

Donnerstag, 19. Januar 2012

Der große und der kleine Mann

Von Stefan Sasse

Mitt Romney
Mitt Romney und kein Ende. Es tut mir schon fast Leid, dass das Thema hier gerade so breit getreten wird, aber interessant bleibt es dennoch. Nachdem dank Newt Gingrich, dem Verfechter der Armen (2,5 Millionen Jahreseinkommen 2011) darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Mitt Romney reich ist (shocking!) ist nun auf Druck seiner Konkurrenten bekannt geworden, dass er nur rund 15% Steuern bezahlt - der Höchstsatz in den USA liegt bei 35%. Das liegt, natürlich, daran, dass er sein Haupteinkommen nicht aus tatsächlicher Arbeit, sondern Kapitalerträgen erhält - und die sind bekanntlich deutlich niedriger besteuert als ehrliche Arbeit, hüben wir drüben, an der Spree und am Potomac. Das ist nichts Neues und heute so skandalös wie damals, ob die Gewinner dieser Regel nun Mitt Romney oder Josef Ackermann sind, beides nicht gerade Sympathieträger ihrer gesellschaftlichen Schicht. Aber es ist geradezu lächerlich, ständig die Frage zu erheben, ob jemand wie Romney mit seinem Privatvermögen von rund 270 Millionen Dollar die Interessen der "kleinen Leute" nicht glaubhaft vertreten könnte. Dazu muss man zwei Dinge sagen: erstens, "glaubhaft" beziehungsweise "glaubwürdig" sind keine Kategorien; ob er es tut oder nicht ist wichtig. Zweitens, warum sollte das Einkommen irgendetwas damit zu tun haben? Der Sozialaufsteiger Gerhard Schröder hat auf die kleinen Leute geschissen, während Franklin Roosevelt, der seine Kindheit in einem Schloss verbracht hatte, den amerikanischen Sozialstaat begründete.

Mittwoch, 18. Januar 2012

Auf dem Weg in ein Phantasie-South-Carolina

Von Stefan Sasse

Mitt Romney
Nachdem Mitt Romney in New Hampshire einen soliden Vorsprung gegenüber seinen Konkurrenten herausholen konnte, geht es besonders für Gingrich und Santorum in South Carolina um die Wurst - nämlich um die Frage, ob einer von beiden als Gegenkandidat zu Romney etabliert werden kann. Da Perry nur noch an seiner Legende arbeitet und Ron Paul ohnehin außer Konkurrenz läuft, muss einer der beiden den anderen deutlich schlagen, da das zersplitterte Feld ansonsten den Sieg klar Romney zuweist. Zu diesem Zweck haben die beiden mit dem Rücken zur Wand einen Frontalangriff aus allen Rohren auf Romney gestartet, wie an der Debatte am Montagabend auch gut zu sehen war. Konstant versuchten sich Santorum und Gingrich geradezu in ihren Versuchen zu übertrumpfen, noch konservativer und rechtsextremer zu sein als der jeweils andere. Es gewinnt derjenige, der die meisten Länder bombadieren, Ministerien abschaffen und verschuldete Hauseigentümer pleite gehen lassen will. Nebenbei tat sich besonders Gingrich darin hervor, Romney für dessen Zeit als Heuschrecke bei Bain Capital anzugreifen. Das Problem sowohl Gingrichs als auch Santorums dürfte aber sein, dass sie nicht um die Stimmen in den Vorwahlen von South Carolina, sondern in einer Phantasie-Version dieses Staates streiten. 

Dienstag, 17. Januar 2012

Noch kein Abgesang auf die Piraten

Von Stefan Sasse

Logo der PiratenparteiMichael Wörz hat in seinem Beitrag "Entzauberung der Piraten" auf dem Spiegelfechter in den Chor derer eingestimmt, die kaum ein halbes Jahr nach deren kometenhaften Demoskopie-Aufstieg nun den Nachruf verfassen. Wieder einmal ist der Anlass doppelt: einerseits die teilweise merkwürdigen Strömungen in der Parteibasis, andererseits die auch von den Medien oftmals belängelte Schweigsamkeit der Parteispitze. Gemäß dem Selbstverständnis der Partei werden alle Entscheidungen, besonders in programmatischer Hinsicht, von der Parteibasis getroffen, während die Funktionäre reine Ausführungsorgane sind und die Linie nicht bestimmen. Es ist ein Experiment, das ich in meinem dreiteiligen Artikel (Teil 1, Teil 2, Teil 3) bereits beschrieben habe und das kaum zweckmäßig ist, sollte die Partei jemals regierend tätig werden wollen. Insgesamt aber ist der Abgesang ebenso verfrüht wie die vorherige Euphorie. Die Piraten sind eine neue, freche Partei, die für einige Monate die Masse der Protestwähler auf sich vereinigen konnte, die traditionell nicht besonders loyal sind (Grün, NPD, Republikaner, LINKE, FDP - es macht wenig Unterschied) und nun wegzubrechen beginnen. Bis zur Bundestagswahl 2013 werden die Piraten sich noch einige Grundsatzfragen zu stellen haben, was mit einigen Geburtsschmerzen verbunden sein wird - ganz so wie bei den frühen Grünen auch, mit denen sie so oft verglichen werden. 

Montag, 16. Januar 2012

Die deutsche Presse – (zuweilen) kritisch und wachsam

Ein paar Anmerkungen zum Thema „Wulff“

Von Jürgen Voß

Donnerstagabend, ZDF, Frau Illner, die Dame mit dem bleckenden Selbstbewusst-sein, hat eingeladen. Thema: Wulff. Danach, Herr Lanz, Thema: Wulff. Heute Frei-tagnachmittag, Nachrichten. Erstes Thema: Wulff. Sind wir verrückt geworden? Oder haben wir – anders als gedacht – einfach nur eine ganz kritische Presse, die ihren Auftrag, „vierte Gewalt“ in unserem Staate zu sein, bitter ernst nimmt? Von der Prole-tenprawda „Bild“ bis zum Zentralorgan für kultivierte Langeweile, der „Zeit“, alle sind dran, an dem armen Präsidenten und haben sich an ihm festgebissen wie ausge-flippte Bullterrier. Der Mann tut mir – das meine ich ganz ernst – inzwischen regel-recht leid. Und es ergeben sich Fragen.

Wo war denn unsere ach so kritische Nachplapperpresse beim neoliberalen Sys-temwechsel in den letzten 15 Jahren? Allein die verpassten Chancen bei den Personalia! Clement, der Superminister, lässt sich viele Jahre von der Leiharbeits-branche schmieren, liefert ihr anschließend das passgenaue Wunschgesetz und kriegt als Dankeschön einen hoch dotierten Austragsposten mit kabarettreifem Titel.

Freitag, 13. Januar 2012

Paradigmenwechsel in der Verteidigungspolitik?

Von Stefan Sasse

File:USS John C. Stennis (CVN-74) & HMS Illustrious (R 06).jpg
HMS Illustrous im Persischen Golf
Seit über einem Jahrzehnt debattiert die EU nicht nur eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch eine verstärkte gesamteuropäische Aufrüstung, um dem Gewicht der EU als Zivilmacht auch einen angemessenen Stock beiseite stellen zu können, mit dem man auf der internationalen Bühne mehr Gewicht hat, sowohl gegenüber dem wichtigsten Verbündeten USA als auch den aufstrebenden Regionalmächten am Golf oder Indien und China. Bislang verliefen diese Debatten regelmäßig im Sand; der Verteidigungshaushalt der EU-Staaten liegt zwischen etwa 1,5% und 2,5%, während der der USA rund 4% beträgt. Offensichtlich ist niemandem ernsthaft daran gelegen, die vielfach geforderte Aufrüstung (die die USA bereits seit 2002 anmahnen) anzugehen oder an einer verstärkten Koordinierung der verschiedenen Armeen zu arbeiten. Ermöglicht wurde den EU-Staaten dies stets auch durch das Bündnis mit den USA, die im Schnitt rund den doppelten Anteil am BIP für die Verteidigung aufwenden und in Europa, Stand heute, über 80.000 Mann stationiert haben, fast 75% davon in Deutschland. Historisch war diese Stationierung das stete Bekenntnis der USA dazu, nicht wie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Isolationismus zu verfallen und ihr Engagement in Europa beizubehalten. Das könnte sich nun rapide ändern. 

Donnerstag, 12. Januar 2012

Bambi und das Fohlen

Von Stefan Sasse

Datei:Roesler-klein.jpg
Philipp Rösler 2009 (Bild von FDP-NDS)
Rösler, Lindner und Bahr haben in den vergangenen Monaten viel Häme einstecken müssen. Ständig als Idealschwiegersöhne persifliert, wurde ihr jugendliches Äußeres weniger zum Zeichen dynamischer Frische bei der FDP als vielmehr Ausdruck ihrer Verzweiflung. Was die FDP-Riege auch anfing, es ging schief. Teilweise ist das ihre eigene Schuld, teilweise übernahmen sie gigantische Hypotheken von ihren Vorgängern oder wurden von bestehenden Strukturen (wie Brüderle) massiv nach unten gezogen. Allein die reine Menge der Neustarts wurde lächerlich, von ihrem Fehlschlagen völlig abgesehen. Nach einigen zaghaften Gehversuchen, einen neuen Liberalismus zu begründen, verfielen sie als letzten Ausweg wieder in den Steuersenkungsstumpfsinn, in dem sie ihre Kernklientel vermuteten. Man muss es sagen, wie es ist - Röslers Vorsitz ist bisher ein Totaldesaster, und dass Lindner hingeschmissen hat kann man ihm kaum verdenken. Viel Mitleid bringe ich da nicht auf; wesentlich zu halbherzig und ausausgegoren waren ihre Reformideen der Parteilinie, zu schnell knickten sie ein, zu schlecht kommunizierten sie sie. Aber es gibt eine Kritik, die gegenüber ihnen völlig unangebracht ist: ständig auf ihre Jugend zu verweisen, sie für ihre nach außen getragene Nettigkeit zu verachten und ihre Reden zu verlachen. 

Mittwoch, 11. Januar 2012

Irrweg ökonomische und finanzielle Bildung

Ein Gastbeitrag von Herbert Danziger

Bereits seit Jahren wird die Implementierung ökonomischer beziehungsweise finanzieller Bildung in die Lehrpläne von allgemeinbildenden Schulen in Deutschland gefordert. Hier in Baden-Württemberg ist das seit einigen Jahren insofern Realität, als dass ein neues Fach "Wirtschaft" - häufig im Fächerverbund mit Geographie und Gemeinschaftszukunde zu GWG verschmolzen - geschaffen und die Ausbildung der Lehrer entsprechend angepasst wurde. Nun aber besteht nicht gerade viel Einigkeit darüber, was unter ökonomischer Bildung eigentlich genau zu verstehen ist und wie diese umgesetzt werden soll. Dies wird augenfällig, wenn man sich die Ausgabe 12/2011 der Reihe "Aus Politik und Zeitgeschichte" (Link mit .pdf) ansieht, die sich dem Thema "Ökonomische Bildung" widmet. Was die Autoren in diesem Heft einer ansonsten qualitativ äußerst hochwertigen und empfehlenswerten Reihe fordern (das Abonnement der Wochenzeitschrift "Das Parlament", dem die APuZ beiliegt, kostet keine 30 Euro im Jahr) grenzt geradezu an Irrsinn. Sie fordern wesentlich weitergehend als dies bisher der Fall ist (in GWG werden volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Theorie gelehrt), dass ein ordentliches Fach Wirtschaft ohne Fächerverbund mit einem eigenen Lehramtsstudium geschaffen wird, in dem sie Schüler zu unternehmerischem Denken erzogen werden sollen und in dem man ihnen beibringen soll, mit Geld umzugehen ("Finanzbildung"). Die Inhalte dieses hypothetischen neuen Fachs, die die Autoren skizzieren, lassen jedoch Böses ahnen, sollte es jemals eingeführt werden. Es veträgt sich in dieser Gestalt überhaupt nicht mit dem Konzept einer Schule. 

Dienstag, 10. Januar 2012

Konsequent zu Ende gedacht - Twilight Imperium

Von Stefan Sasse

Viele Fantasie-Welten aus Buch, Comic, Film und Videospiel erschaffen neue Welten oder ändern die bestehende soweit ab, dass sie zu einer Art Parallelwelt wird. Diese Welten werden, wie das Star-Wars-Universum, oftmals als Storyvehikel geschaffen; sie sind dazu da, dass sich die Geschichte in ihnen Bahn brechen kann. Nur wenige Welten werden, wie Mittelerde, darüber hinaus stärker ausgebaut. In einer neuen Artikelserie "Konsequent zu Ende gedacht" will ich untersuchen, in wie weit solche Welten überhaupt halbwegs funktionstüchtig sind und wie das Leben in ihnen aussehen würde, wenn der große, klimatische Kampf vorbei ist. Wie wird Mittelerde aussehen, nachdem Sauron besiegt wurde? Wie lebt es sich auf Coruscant, wenn gerade keine Klonkriege oder Rebellion herrschen? Wie interagiert eine Figur wie Batman wirklich mit ihrer Umwelt? Nur selten werden in Fantasiewelten solche Fragen beantwortet (exemplarisch geschieht dies in "Watchmen"). Dabei können sie uns den Blick auf unsere eigene Welt öffnen. Im vierten Teil dieser Serie befassen wir uns mit Twilight Imperium.

Sonntag, 8. Januar 2012

Bedürfnis nach Liberalismus?

Von Stefan Sasse

In der Zeit findet sich ein Pro-Contra-Doppelartikel zu der Frage "Brauchen wir die FDP noch?" Jan Ross argumentiert darin, dass wir sie noch brauchen; Bernd Ulrich erklärt uns, dass wir sie nicht brauchen. Interessant sind die Argumente, die beide bringen, denn eigentlich haben sie mit der FDP nicht viel zu tun. Die beiden Autoren beantworten eine völlig andere Frage, als die Überschrift suggeriert, vielleicht sogar ohne es zu merken - das würde jedenfalls erklären, warum sie diese Frage beide gleich beantworten. Die Frage ist: "Brauchen wir eine liberale Partei?" Und diese Frage muss klar mit "ja" beantwortet werden. Allein, die FDP ist keine liberale Partei. Das ist der eigentliche Haken. Deswegen ist sie auch überflüssig wie ein Kropf, und deswegen wirbelt ihr Untergang auch nicht die politische Geographie der Bundesrepublik durcheinander wie es der vergleichbare Untergang der Sozialdemokratie getan hat. Wer in Deutschland liberal fühlt - und wir sind wahrhaftig nicht gerade ein Mekka für Liberale - der dürfte den Phantomschmerz schon wesentlich länger als seit dem Absturz der FDP nach ihrem künstlichen Höhenflug 2009 spüren. Liberalismus ist nicht gleichbedeutend mit schamloser Korruption und Steuersenkungsfetisch. Es gehört wesentlich mehr dazu. 

Samstag, 7. Januar 2012

Cui bono? BILD bono.

Von Stefan Sasse

Interessant ist hier die Frage, was Diekmann und den Springer-Verlag dazu verleitet hat, Wulff „den Krieg zu erklären“. Die eigentlich offensichtliche Variante, investigativer und kritischer Journalismus, dürfte hier als Motiv auszuschließen sein. Cui bono?
Das fragt Jens Berger auf den NachDenkSeiten. Dabei beantwortet Stefan Niggemeier die Frage eigentlich bereits ganz gut:
Es war der klassische Fall einer Symbiose zwischen einem Prominenten und der "Bild"-Zeitung. "Bild" bekam die schönsten Geschichten von Wulff - und Wulff bekam die schönsten Geschichten von "Bild". Erfahrungsgemäß sind die "Bild"-Zeitung und vor allem ihr Chefredakteur in solchen Fällen eine Weile treu und halten ihren Freunden auch und gerade in schwierigen Zeiten den Rücken frei. Aber auch eine solche Beziehung hält nicht ewig; am Ende ist es eine schlichte Abwägung, wovon das Blatt mehr profitiert: dem bevorzugten Zugang zu Wulff oder dem rücksichtslosen Aufarbeiten von Skandalen. 
Und damit ist die Frage auch beantwortet. BILD bono.

Freitag, 6. Januar 2012

Ende der Farbenspiele

Von Stefan Sasse

Die CDU hat die Jamaika-Koalition im Saarland aufgekündigt. Damit ist das Zeitalter der Farbenspiele vorüber; nach dem Ende der Hamburger schwarz-grünen Koalition ist nun auch das letzte verbliebene Koalitionsexperiment geplatzt. Hatten sich in Hamburg noch Grüne und CDU gegenseitig verantwortlich gemacht, besteht dieses Mal wenig Zweifel: ausgerechnet am Tag des FDP-Parteitags in Stuttgart, an dem sie verkündete "nicht umzufallen" und postulierte, dass Deutschland nicht auf sie verzichten könne, erklärten sowohl die CDU-Ministerpräsidentin als auch der Grünen-Vorsitzende, dass die FDP nicht regierungsfähig und "in einem Zustand der Zerrüttung" sei. Das ist bemerkenswert. Dass die CDU nun Gespräche mit der SPD über die Bildung einer Regierung eingeht überrascht kaum; die Saar-Grünen lehnen sich gerade durch das gemeinsame FDP-Bashing weiter eng an die CDU und sind rot-rot-grünen Ideen immer noch genausowenig zugeneigt wie 2009. Gleichzeitig ist die schwarz-rote Koalition im Saarland auch eine klare Ansage an das Ende der Farbenspiele, zumindest vorläufig. Das Warmlaufen für die schwarz-rote Koalition 2013 - und die wahltaktische Auseiandersetzung der "klassischen" Bündnisse - geht weiter. 

Mittwoch, 4. Januar 2012

Mitt Romney wird Kandidat der Republikaner

Von Stefan Sasse

Mitt Romney
Gestern hat Mitt Romney die Vorwahlen in Iowa mit knappen Stimmenvorsprung gewonnen. Das macht aus zweierlei Gründen erst einmal wenig: einerseits besitzt Iowa nur wenige Delegiertenstimmen, und andererseits ist der Vorsprung schmal, so dass wegen des neue republikanischen Verhältniswahlrechts bei den Vorwahlen auch die Zweitplatzierten Santorum und Paul eine ordentliche Menge Delegierte nach Florida werden schicken können. Gleichzeitig aber ist das Ergebnis bedeutsam genug, um einen ultimativen Sieg Romneys wahrscheinlich zu machen: monatelang lang Romney in den Umfragen zwischen 15% und 20%, während irgendein "Nicht-Romney" in Führung lag. Erst war das Bachmann, dann Perry, dann Cain, dann Gingrich, dann Paul, zuletzt nun Santorum, bei dem aber nur eingeschränkt sicher sein kann, ob er nur in dem Zeitpunkt seines "surge" Glück hatte oder ob die Iowaner ihn tatsächlich ob seines ach so konservativen Profils liebten. So oder so ist eines sicher: Iowa ist nur sehr eingeschränkt representativ für die USA, da es ein sehr weißer, agrarischer und konservativer Bundesstaat ist. Dass Romney trotzdem Sieger werden konnte, sagt Einiges aus. 

WissensWerte Klimawandel

Von Stefan Sasse

Neue Folge der WissensWerte:

Dienstag, 3. Januar 2012

Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund

Von Stefan Sasse

Als 1968 das Verhalten der amerikanischen Soldaten in Vietnam durch Fernsehbilder während und nach der Tet-Offensive endgültig im Bewusstsein der Öffentlichkeit ankam, schlug die Empörung hohe Wellen. Massendemonstrationen wälzten sich auch durch deutsche Straßen und sprachen sich gegen den Krieg in Fernost aus. Zu den Rufen "Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh" trug man Plakate mit dem Stern des vietnamesischen Revolutionsbanners vor sich her. Heute ist zu beobachten, wie besonders Mitglieder der Linken in eine Art automatische Solidarität mit Ländern wie Iran, Russland oder China verfallen, sobald sich diese gegen irgendwelche in der moralischen Grauzone stattfindenden Operationen von USA oder NATO stellen. In der Anfangszeit dieses Blogs gab es so etwas auch hier zu lesen, etwa die Betonung, dass der Iran das Recht auf friedliche Nuklearforschung besitzt oder dass die Hamas demokratisch gewählt und in einem Gebiet aktiv ist, in dem Israel routinemäßig das Völkerrecht verletzt. Das ist alles richtig. Aber gleichzeitig müssen gerade Linke aufpassen, dass sie nicht vom Regen in die Traufe kommen. Der Feind meines Feindes ist nicht automatisch mein Freund. 

Montag, 2. Januar 2012

Das "average guy"-Syndrom in der Politik

Von Stefan Sasse

Aus irgendeinem Grund gilt es als eine notwendige Bedingung für Erfolg in politischen Spitzenämtern, dass er jeweilige Kandidat glaubhhaft als ein Durchschnittsmensch präsentiert werden kann. Zu jedem Wahlkampf gehört damit fast automatisch der Beweis, dass der jeweilige Kandidat "bierzelttauglich" ist, wie es in Deutschland gerne heißt, dass er oder sie an "normalen" Freizeitvergnügen teilaht (Stichwort Bundesliga) und bei der Frage nach dem Lieblingsessen irgendein Produkt der "gutbürgerlichen Küche" mit Lokalkolorit nennt, am besten von der Oma zubereitet. Angela Merkel ist hier etwas die Ausnahme von der Regel; sie hält ihr Privatleben weitgehend aus dem Politikbetrieb heraus und schwebt mehr über den Dingen. Aber bei ihr glaubt ohnehin niemand ernsthaft daran, dass sie einen allzu fein entwickelten Geschmack besitzt, dafür haben zahlreiche Bilder mit furchtbaren Frisuren und passenden Blusen aus den 1990er Jahren gesorgt. Nichts ist für einen Politiker verheerender, als als elitär zu gelten. Selbst der Inbegriff dieses Status', Karl Theodor Freiherr von Guttenberg, hat einen signifikanten Teil seiner Selbstdarstellungs-PR darauf verwendet, im AC/DC-T-Shirt im Feierzelt aufzutreten und von der Loveparade zu schwärmen, anstatt über die Vergnügungen von Theater, Oper und Essen im Ritz zu schwärmen. Das ist umso lustiger, als dass sobald ein Politiker glaubhaft solchem Vergnügen zugeneigt ist er mit Spott und Hähme überzogen wird; Helmut Kohl und Kurt Beck können davon ein Liedchen singen, und auch Gerhard Schröder hat man seinen Stallgeruch nie ganz verziehen. 

Sonntag, 1. Januar 2012

Die unerzählte Geschichte

Von Stefan Sasse

Es gibt einige Elemente der aktuellen Krise, die nur selten erzählt werden. Sie sind vor allem unter dem Gewicht des Narrativs der Staatsschuldenkrise untergegangen. Die aktuellen Kalamitäten nahmen ihren Ausgang in der Finanzkrise 2007/08, und es ist irrelevant, ob diese nun als direkte Ursache, Auslöser oder nur als zeitlich zufällig zusammenfallendes Ereignis gewertet wird: der globale Finanzsektor hatte sich schwerwiegend verspekuliert, und die Kosten trägt bislang alleine der Steuerzahler. Die versprochenen scharfen Bankenregulierungen sind nicht gekommen, gegen eine Erneuerung einer vergleichbaren Krise gibt es kein einziges zusätzlich geschaffenes Instrument; eher sind einige Banken noch größer und damit systemrelevanter als vorher geworden. Es ist auch vollkommen irrelevant, ob  - wie besonders Neoliberale gerne behaupten - die Krise von öffentlich-rechtlichen Instituten und Landesbanken ausgelöst wurde, denn die großen Institute von der Deutschen Bank bis Goldman Sachs steckten ebenfalls tief im Sumpf und, vor allem, profitierten letztlich von der Finanzkrise in einem beispiellosen Ausmaß.