Von Stefan Sasse
Es gibt einige Elemente der aktuellen Krise, die nur selten erzählt werden. Sie sind vor allem unter dem Gewicht des Narrativs der Staatsschuldenkrise untergegangen. Die aktuellen Kalamitäten nahmen ihren Ausgang in der Finanzkrise 2007/08, und es ist irrelevant, ob diese nun als direkte Ursache, Auslöser oder nur als zeitlich zufällig zusammenfallendes Ereignis gewertet wird: der globale Finanzsektor hatte sich schwerwiegend verspekuliert, und die Kosten trägt bislang alleine der Steuerzahler. Die versprochenen scharfen Bankenregulierungen sind nicht gekommen, gegen eine Erneuerung einer vergleichbaren Krise gibt es kein einziges zusätzlich geschaffenes Instrument; eher sind einige Banken noch größer und damit systemrelevanter als vorher geworden. Es ist auch vollkommen irrelevant, ob - wie besonders Neoliberale gerne behaupten - die Krise von öffentlich-rechtlichen Instituten und Landesbanken ausgelöst wurde, denn die großen Institute von der Deutschen Bank bis Goldman Sachs steckten ebenfalls tief im Sumpf und, vor allem, profitierten letztlich von der Finanzkrise in einem beispiellosen Ausmaß.
Tatsächlich ist es angebracht, sich abseits der Hiobsbotschaften von den Staaten nicht vertrauenden Märkten noch einmal an den kurzen Zeitpunkt zu erinnern, als die Staaten den Märkten nicht vertrauten. Als wir feststellten, dass die großen Ratingagenturen beinahe systematisch Fehlurteile abgegeben hatten; dass bis in die Vorstandsetagen der großen Finanzbetriebe niemand darauf aufmerksam machte, dass sich hier eine der größten Blasen der vergangenen Jahrzehnte angesammelt hatte, mit einer Sprengkraft, die ihresgleichen suchte. Einige hatten es bemerkt; besonders Banker innerhalb von Goldman Sachs oder der Deutschen Bank waren sich durchaus über das Ausmaß der Sache bewusst, und folgerichtig waren es diese Konzerne, die auch besonders profitierten und sowohl in den USA als auch in Deutschland maßgebliche Berater der Regierung wurden. Es war Goldman Sachs, deren Experten 2008/09 Präsident Obama bei der Bewältigung der Krise beratend zur Seite standen, und es waren Experten der Deutschen Bank, die Angela Merkel bis heute zu ihren engsten Vertrauten zählt. Es ist richtig, dass diese Institute verhältnismäßig ungeschoren durch die Krise kamen. Aber sie taten das nicht, weil sie besonders zurückhaltend und ehrbar gewirtschaftet hätten, sondern weil sie den Braten ein wenig früher rochen und sich entschieden, die daraus resultierende Macht als riesigen Hebel einzusetzen.
Es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben. Bereits vor 2008 hatten hochrangige Banker von Goldman Sachs und der Deutschen Bank das Ohr der Regierungen ihrer Länder und besaßen gewaltigen Einfluss. Es ist aber nichts davon bekannt, dass sie jemals die Politiker gewarnt hätten, sie darauf hingewiesen, welche Zeitbombe hier tickte. Stattdessen verwischten sie ihre Spuren und inszenierten sich als Retter, als sie explodierte. Aus ihrer Perspektive handelten sie natürlich richtig, denn die Gewinne ihrer Unternehmen und ihr Einfluss auf dem Markt wuchsen noch einmal spürbar, während sie sich von der Verantwortung für die Katastrophe reinwaschen konnten, während die Schuld bei den Landesbanken, AIG, Lehman Brothers und der IKB abgeladen wurde. Aus Perspektive der Gesamtgesellschaft war das natürlich verheerend. Hatten vorher die Banker keinerlei Verantwortung wahrgenommen (und auch kaum eine besessen), so versagte auch die Politik vollständig. Begierig griff sie nach der Expertise dieser Leute, da sie keine eigene besaß, und besiegelte damit deren Persilscheine. Trotzdem - oder gerade deshalb - darf man keinesfalls verschweigen, dass das Verhalten dieser Leute eine gewaltige Krise verursacht hat, von der die heute mit vielen Gewinnmillionen profitieren, während die Mehrheit der Bürger sich die entstandenen Krisenkosten vom Mund absparen muss. Es gibt keinen Grund, die Beteiligten an dem Desaster in Politik und Bankentürmen so einfach davonkommen zu lassen.
Zunächst einmal: Schönes neues Jahr!
AntwortenLöschenAlles vollkommen richtig und wieder einmal klar formuliert.
Du schreibst: "Es gibt keinen Grund, die Beteiligten an dem Desaster in Politik und Bankentürmen so einfach davonkommen zu lassen."
Tatsächlich gibt es keinerlei Instanz, die diese Beteiligten zur Rechenschaft rufen würde. Wer sollte dies tun? Jauch oder Illner in einer "kritischen kleinen Zwischenfrage"? Das Feuilleton der FAZ oder der Spiegel? Ein paar empörte Occupier und Guy-Fawkes-Masken Träger?
Das aktuelle System ist etabliert wie selten eines in der Geschichte. WIR ALLE werden schon von Geburt an angepasst und integriert wie es Adorno, Zizek und andere ganz richtig erkannt haben. Die Krise hat dazu geführt, dass nur noch viel krampfhafter an diesem System festgehalten wird. Wer sollte uns retten wenn nicht wir selbst. Aber wenn die Staatsmacht mit Gesetzen droht und der Arbeitsplatz gefährdet scheint und Du Dir Deinen Internetzugang nicht mehr leisten kannst, dann ist es schnell aus mit dem Ruf nach Verantwortung ... ist doch so, oder?
Das aktuelle System ist etabliert, ja, aber nicht dermaßen fest. Bei uns gibt es das erst seit rund 150 Jahren, bei anderen unwesentlich länger, in weiten Teilen der Welt seit wesentlich kürzerem. Systeme wie die Monarchie waren ungleich etablierter und weniger gefährdet. Ich hab auch nichts gegen das System an sich. Es sind nur ein paar Ausw´üchse, die problematisch sind.
AntwortenLöschenNun sehe ich die "Systemfrage" komplett anders. Nur als Beispiel sei das Diktat des immerwährenden Wachstums genannt ohne das der jetzige Kapitalismus de Facto nicht existenzfähig ist. Schon alleine Stillstand ("Nullwachstum" genannt) kann zu echten Regierungskrisen führen.
AntwortenLöschenWir haben auch einen eklatanten Mangel an Utopisten, die uns Alternativen aufzeigen. Und wenn es solche ansatzweise gibt (wie die Anhänger des Bedingungslosen Grundeinkommens) dann wird das sehr sehr schnell als absurd und unmöglich hingestellt, weil es eben das aktuelle System unterminieren würde. Also ist die wohl größte "realistische Utopie" die Piraten-Partei, die wenigstens die Demokratischen Prinzipien neu denkt und wichtig nimmt.
Und wer denn nun die Verantwortlichen zur Verantwortung ziehen sollte kannst Du mir auch nicht beantworten. Viel mehr als ein wenig Empörung und danach ein "weiter so" scheint es nicht zu geben. Eines ist Sicher: die nächste Krise steht schon vor der Tür (es ist eigentlich immer die Selbe in anderem Gewand), das muss selbst Frau Merkel einsehen, wenn ich ihre Ansprache richtig interpretiert habe.
Aber die Ursachen sind komplex, in den USA etwa der repeal von Glass-Steagal unter Clinton und vieles mehr. Da ist es schwierig, Verantwortung festzumachen. Die Reformen wären wichtiger. Und mehr unabhängige Brainpower in den Behörden auch.
AntwortenLöschenDas erinnert mich an die Situation nach dem 11. September, als die Amis feststellen mussten, dass sie noch nicht mal Leute in ihrem Sicherheitsapparat sitzen haben, die arabisch können. Die haben dann relativ schnell die Leute an den Start gebracht. Sowas brauchen wir jetzt auch, nur mit Finanzsachverstand.
@Anonym: 9/11 als positives Beispiel leuchtet mir hier nicht ganz ein. Saudische Terroristen haben unter Saudischer Leitung und mit Saudischem und Pakistanischem Geld Terroranschläge verübt und die Reaktion war: bombardiert Afghanistan und erobert den Irak (der Saudische Drahtzieher kam in Pakistan unter, geradezu furchtbar logisch und offensichtlich). Aber immerhin gab es danach Arabisch sprechende Spezialisten ...?
AntwortenLöschenIn einem muss ich Dir aber auch recht geben: Wichtiger als Schuldige (bzw Verantwortlichen)zu suchen und zu maßregeln ist es die Ursachen zu analysieren und Schlüsse (Reformen) daraus zu ziehen.
Ja, all diese Binsenweisheiten sind nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen, weil systematisch durch Politiker und Medien unverschämterweise meist das totale Gegenteil behauptet wurde und noch wird. Kein Medium mit ausreichender Reichweite möchte diese Realitäten aufgreifen.
AntwortenLöschenGenau deshalb mag ich Hollywood so sehr. Dort werden, neben zugegebenermaßen auch einigem Schund, von guten Regisseuren diese brisanten Themen filmisch umgesetzt. Und dringen dadurch auch ins Bewusstsein der Menschen. Als Beispiel für obiges Thema: "Der große Crash - Margin Call".
In Deutschland sucht man solche Filme vergebens. Da blödellt man lieber mit 7 Zwergen rum oder macht irgendwelche Herz-Schmerz-Heimatfilme.
Wie wäre es einmal mit Lösungsangeboten? Das was in der Vergangenheit schief gelaufen ist, ist hinlänglich bekannt.
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