Freitag, 19. Juni 2020

Privilegien und Sprache werden von mit Wahlzetteln bei Starbucks ausgeschenkt - Vermischtes 19.06.2020

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Uns fehlen die Worte
Wir haben deshalb so wenige Worte, um über Rassismus zu sprechen, weil es nicht Teil unserer Kultur ist, über Rassismus zu sprechen. Das ganze Thema wird als Minenfeld empfunden, weil die oberste Priorität darin besteht, selbst kein Rassist zu sein. Viele Menschen betonen, wann immer es um Rassismus geht: „Ich sehe keine Hautfarbe! Ich beurteile jeden individuell.“ Und ich verstehe den Impetus. Sie WOLLEN sagen: „Ich bin kein Rassist, der Menschen nach ihrer Hautfarbe beurteilt.“ Was sie aber in Wirklichkeit sagen, ist: „Ich weigere mich, den Rassismus zu sehen, dem Menschen wegen ihrer Hautfarbe ausgesetzt sind.“ Denn Rassismus funktioniert – genau wie andere Unterdrückungsstrukturen – dadurch, dass er für Unbetroffene unsichtbar ist. Um ihn aufzulösen, müssen wir ihn sichtbar machen und über ihn sprechen. Denn wir alle können rassistisch sein, was uns nicht gleich den vernichtenden Stempel Rassist aufdrückt. Ich höre oft: „Man weiß ja gar nicht, was man heute noch sagen darf.“ Dazu Folgendes: Wenn du nicht weißt, was du sagen darfst, um deine Mitmenschen nicht zu verletzen, dann hast du sie nicht gefragt. Du hast nicht mit ihnen gesprochen. Und wir müssen sprechen. (Marina Weisband, Deutschlandfunk)
Diese Sprachlosigkeit ist etwas, das ich auch hier im Blog öfter feststelle. Das betrifft ja nicht nur Rassismus und Sexismus. Während die Innenperspektive beileibe keine Voraussetzung ist, um an der Debatte teilzunehmen - das wäre eine geradezu fahrlässige Perspektivverengung - braucht es doch meist eine Beschäftigung mit dem Gegenstand und der spezifischen Sprache, ein sich-vertraut-Machen mit dem Thema. Mir fällt das etwa immer wieder auf, wenn ich mit Stefan Pietsch oder Erwin Gabriel über Unternehmertum und Finanzwirtschaft und so was diskutiere. Ich habe überhaupt keinen Bezug zu diesen Lebenswelten, ich habe oft nicht mal das Vokabular, aber das dumpfe Gefühl, sie mit meinen unzureichenden, unpräzisen Worten zu triggern. Gleiches gilt, und das weiß ich sicher, bei Themen wie Rassismus oder Sexismus in die umgekehrte Richtung. Gerade das aber macht, um in einer positiven Note zu enden, Einrichtungen wie dieses Blog so wertvoll. Wir können ein bisschen Einblicke in die jeweilige Sprache bekommen, die Lebenswelten vielleicht etwas besser nachvollziehen. Zumindest, wenn wir das wollen.

2) Zwei People of Color fragen Deutschland Liebe Weiße, wie profitiert ihr von Rassismus?
Sie haben beide in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, sich mit ihrem Weißsein auseinanderzusetzen. Was soll das bringen? APRAKU: Schwarze werden regelmäßig gefragt: Wie fühlt sich Rassismus an, erzähl doch mal! Ich habe ein Problem damit, meine persönlichen, echt schmerzhaften Erfahrungen zu teilen, damit Weiße etwas lernen können. Weiße können auch ganz gut Rassismus thematisieren, ohne dass wir nur über die schrecklichen Erfahrungen von Schwarzen sprechen. Denn das Minus, dass Schwarze Menschen erfahren – schlechterer Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt –, das ist das Plus für Weiße. Wir sind Teil eines rassistischen Systems. Deswegen ist es wichtig, dass auch Weiße sich fragen: Wo ist es für mich leichter gewesen? Wo habe ich in der Schule vielleicht ein Kind rassistisch beschimpft? Oder stand ich nur daneben und habe nichts gesagt? Und das kann zu der Frage führen: Muss ich mehr Verantwortung übernehmen? [...] Warum glauben Sie, ist es für Weiße so schwer, sich damit zu beschäftigen? OHANWE: Genau solche Fragen sollen jetzt Weiße beantworten. APRAKU: Wir leben in einem Land, das an Leistungsgesellschaft glaubt und dass jeder seines Glückes Schmied sei. Wenn sich dann herausstellt, ich habe mein Glück gar nicht selber geschmiedet, sondern jemand hat mir einen Koffer gegeben und da war mein Glück die ganze Zeit drin, ich habe den Koffer halt noch tragen müssen – wenn ihn nicht sogar jemand für mich getragen hat –, ist das eine unangenehme Erkenntnis. Außerdem meinen Menschen, wenn sie über Rassismus sprechen in aller Regel die bösen anderen und die Nazis. Den Vorwurf zu hören, man sei rassistisch, ist einer der schlimmsten. Wir müssen aber wegkommen von der Frage: Sind wir gute oder böse Menschen? Wir müssen uns bewusst werden, dass Rassismus durch Gesetze, Normen, Wertvorstellungen immer eine Rolle spielt. Niemand ist böse, weil er Privilegien hat, aber er muss sich fragen, welche Verantwortung daraus folgt. OHANWE: Ich will auch nicht, dass Weiße sich in Schuldgefühle stürzen. Aber die Situation ist da und jetzt müssen wir eben damit umgehen. Nur weil du als Weißer nicht dein halbes Gehalt als Reparationszahlung für die Herero hergibst, heißt das nicht, dass du gar nichts machen kannst. Wie – das muss jeder selbst wissen. Wir sind nicht die schwarze, moralische Instanz. (Sidney Gennies, Tagesspiegel)
Ich finde dieses Interview eine spannende Ergänzung zu gleich zwei Artikeln hier auf dem Blog. Einmal ist das "Privileg" von Thorsten, in dem er genau die oben erwähnten Gedanken des "check your privilege" umzusetzen versucht. Zum anderen ist das mein "Rassismus ist wie Brokkoli", in dem ich versucht habe, die weit verbreitete Fehlannahme, Rassismus sei in binärer Zustand, abzuschalten und mehr Sensibilität für seine Funktionsweise zu wecken. Beides finde ich sowohl im Kontext von Fundstück 1 als auch der Black-Lives-Matter-Proteste gerade sehr wichtig.

3) Starbucks bans employees from wearing anything in support of Black Lives Matter
A video from a top company executive reportedly sent with the memo warned employees that "agitators who misconstrue the fundamental principles" of the movement could seek to "amplify divisiveness" if the messages are displayed in stores. "We know your intent is genuine and understand how personal this is for so many of us. This is important and we hear you," the memo read. A company spokesperson confirmed the memo's authenticity to BuzzFeed and said that such messages are prohibited "to create a safe and welcoming" environment at Starbucks locations. "We respect all of our partners’ opinions and beliefs, and encourage them to bring their whole selves to work while adhering to our dress code policy," the spokesperson said. The development comes as protests have erupted around the country over the police killing of George Floyd in Minneapolis in late May. Video of his arrest reinvigorated support for the Black Lives Matter movement and has led to numerous companies showing support for it. (Jon Bowden, The Week)
Ich kann absolut nachvollziehen, warum Starbucks diese Entscheidung trifft. Im  Rahmen des Obergfell-Urteils, mit dem der Supreme Court 2015 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte, war Starbucks einem konzertierten Shitstorm von rechts ausgesetzt, bei dem Rechtsextreme von den Republicans im Kongress über FOX News zu den einschlägigen Twitterblasen und Talk Radio Stimmung gegen den Produzenten kaffeeähnlicher Getränke machten. Für den Umsatz der Firma war das nicht besonders hilfreich. Ich erwähne diese Episode hier so ausdrücklich, weil das danach praktisch nicht diskutiert worden ist. Stattdessen wird in der westlichen Welt vor allem in konservativen Kreisen permanent die Bedrohung der Meinungsfreiheit durch linke Aktivisten beklagt, vorrangig mit irgendwelchen Geschichten absurder studentischer Aktivisten (weil aller tiefgreifender Wandel dieser Welt ja immer von studentischen Aktivisten ausging). Gleichzeitig ist die gesamte Debatte auf dem rechten Auge blind. Und diese Einschränkung der Meinungsfreiheit ist tatsächlich massiv und gefährdet aktiv die Umsätze eines milliardenschweren, globalen Unternehmens! Da wird aber nicht in düsteren Tönen vor political correctness gewarnt. Das heißt übrigens nicht, dass das ein rein rechtes Phänomen wäre oder okay wäre wenn es von links passiert; ich finde es nur auffällig, wie unterschiedlich das rezipiert wird. Es ist ein mehr als schädlicher Doppelstandard.

4) Politischer Klimawandel
Der rechte Extremismus und der Rechtspopulismus waren recht erfolgreich in den vergangenen dreißig Jahren mit ihrem Projekt der Diskursverschiebung. Dennoch wäre es aber unangebracht, zu glauben, dass die modernen Gesellschaften sich wie auf einer schiefen Bahn nur in eine Richtung bewegen. Es kann paradoxerweise zeitgleich zu „Linksverschiebungen“ und „Rechtsverschiebungen“ kommen. Es ist ja sowieso eine der skurrileren Seiten unserer Debatten, dass Linke gerne über die rechte Hegemonie jammern, während die Rechten die Herrschaft eines linken Mainstreams beklagen. Und betrachtet man die Dinge nüchtern, haben beide irgendwie recht. [...] Aber gerade weil die emanzipatorischen Werte heute allgemeiner verbreitet sind, können sie als der „herrschende Mainstream“ angesehen werden. Welzel spricht von zwei „moralischen Stämmen“. Die einen halten progressive Werte hoch, die anderen lehnen sie ab – eher konventionelle Milieus. Und weil es in den konventionellen Milieus dagegen eine Gegenreaktion gibt, „sind sie für Rechtspopulisten besser ansprechbar“. (Robert Misik, Arbeit&Wirtschaft)
Misik argumentiert hier in eine Richtung, die ich auf dem Blog seit Längerem vertrete. Wir haben es definitiv sowohl mit einer Links- als auch mit einer Rechtsverschiebung von Diskursen zu tun, und ich würde auch soweit gehen zu sagen, dass die Gesellschaft sich insgesamt deutlich in die progressivere Richtung verschoben hat. Nur passieren diese Verschiebungen eben auf völlig anderen Feldern. Oder will irgendjemand abstreiten, dass sich auf dem Feld von Asyl-, Migrations- und Flüchtlingspolitik das Framing von Rechts praktisch komplett durchgesetzt hat? Dass auf dem Feld der Gleichstellung von Frauen und sexuellen Minderheiten das Framing von Links völlig dominiert? Ich glaube, wer diese Gleichzeitigkeit übersieht und sich allzu leicht in Fantasien des völligen Siegs dieser oder jener Geistesströmung ergibt, niemals die aktuellen Entwicklungen wird analysieren und immer in einem Reich der Fieberträume bleiben wird.

5) Tweet
Ich muss ehrlich sagen, ich kann diese Zahlen nicht verifizieren oder auch nur in Kontext setzen. Ich möchte dies daher mit einer Bitte und einer Feststellung stehen lassen. Einerseits die Bitte an die, die sich auskennen: Was hat es damit auf sich? Ist die Analyse dieses Tweets tragfähig? Und andererseits die Feststellung: Wir hatten in der Debatte zur Euro-Einführung ja die Behauptung seitens Stefan Pietschs, dass Italien et al die Euro-Gewinner und Deutschland der Euro-Verlierer sei, was ich damals schon bezweifelt habe. Diese Zahlen scheinen mir schon darauf hinzudeuten, dass das Thema deutlich komplexer ist und sich in diesen nationalistischen Kategorien nicht fassen lässt.

6) The history of the British Empire is not being taught
None of this seems to have been unusual. When I asked friends (well; Twitter), I found that most of those whose schools did cover the empire in any depth did so at GCSE or A-level – a point at which most kids had stopped studying history at all. And while some schools may have taught classes on the Atlantic slave trade, this was sometimes merely a necessary precursor to talking about Britain’s role in its abolition. That was certainly more likely to come up than the links between the slave trade and imperialism, or the role its profits played in shaping cities like Bristol and Glasgow, or the possibility it may have funded the Industrial Revolution. Not only don’t we talk about what the British Empire did to the world; we don’t talk about what it did to Britain. And because we don’t want to talk about empire, we talk surprisingly little about much else that was happening in the 18th or 19th centuries. Sure, those years were critical in terms of shaping both the country we live in and the world today. But on the other hand they’re a bit embarrassing, aren’t they? Best stick to the Tudors instead. (John Elledge, The New Statesman)
Der Geschichtsunterricht in Großbritannien ist fast legendär schlecht. Ich erinnere mich noch an einen Spiegel-Artikel von 2004 (or thereabouts), in dem das von einem Exil-Briten bemängelt wurde. Dazu trägt auch maßgeblich bei, dass anders als bei uns das Fach abgewählt werden kann, weswegen die GeschichtslehrerInnen versuchen müssen, den "coolen" Stoff zu machen und die SchülerInnen bei der Stange zu halten, was auf eine unbotmäßige Konzentration auf die Weltkriege hinausläuft. Auf der anderen Seite sind aber auch die Lehrpläne unterirdisch. Was im obigen Kommentar bemängelt wird kann ich aus eigener Anschauung bestätigen; ich habe im Referendariat eine Zusatzausbildung für bilingualen Geschichtsunterricht gemacht, in der wir auch britische Geschichtsbücher angeschaut haben, und die Konzentration auf die "Greatest Hits" der angeblichen britischen Geschichte (ohnehin ein irriges Konstrukt) mit "1066 and all that" und dann wieder auf den Imperialismus ist...problematisch, to say the least. Nicht dass unsere Deutschland-Zentriertheit im Bildungsplan so viel besser wäre, aber das britische Niveau ist schon echt unterirdisch. Der absolute Mangel an kritischem Hinterfragen der eigenen Geschichtsmythen, selbst von britischen Akademikern, betoniert diese Defizite und packt sie gleichsam unter das Brennglas. Die Churchill-Hagiographie, die sich dieses Land leistet, ist etwa völlig Banane.

7) Tweet
Ich zitiere mal meinen eigenen Tweet, weil das Format dieser Artikelserie nach einer Quelle verlangt und der Gedanke mir keinen eigenen Artikel rechtfertigt ;) Ich frage mich das angesichts dieser atemlosen Wahlkampf-Debatten aber immer wieder. In den US-Zeitungen ist das völlige Zerlegen des Slogans von "Defund the Police" gerade genauso angesagt wie vorher das Kritisieren studentischer Aktivisten und Beschwören ihrer Bedrohung der Meinungsfreiheit (siehe Fundstück 3 oder dieser Kommentarstrang). Dabei gibt es meines Wissens nach keine Gruppe mit irgendwelcher politischer Gestaltungsmacht oder auch nur mit halbwegs großer Vernetzung, die diese  Forderung aktuell vertritt. Stattdessen war es ein Slogan, der auf einigen Plakaten zu sehen war und sich sehr gut eignete, um im Wahlkampf als Waffe verwendet zu werden (wenig überraschend, würde ich auch nicht anders machen). Seither gibt es in den US-Medien eine Riesen-Diskussion um "Defund the Police", aber mir scheint, das fordert eigentlich gar niemand? Ist echt wild.

8) The coming political whiplash
These trends, combined with polls showing a big, rapid shift in the direction of support for Black Lives Matter, are convincing some on the left that the dam has finally broken — that years of quasi-fascist trolling by Trump has triggered a long-hoped-for lurch to the left in public opinion. But this is premature. The far more likely scenario is that the left will overreach — indeed, that it already has — and that even if a sizable portion of the electorate decides that it's time for Trump to go in November, this shift will be followed by a rapid rebound in the other direction. That's because we now live in an era of polarization and centrifugal ideological forces that aren't just going to be dissipated by a single electoral repudiation of the Republicans. Such is the dynamic in a time of tilt-a-whirl politics that a big landslide for the left might actually be the best possible scenario for the GOP, just as Trump himself was rocket fuel for Democrats in 2018 and perhaps this year as well. That's because while Trump has practiced and shown the electoral viability of a harder right form of politics, his distinctive incompetence and malevolent narcissism have made him an atrocious president by any measure. A Trump trouncing in 2020 would enable the GOP to coalesce around a less flamboyantly terrible model of leadership for the future of the party and the country. Tom Cotton, Nikki Haley, Mike Pompeo, Mike Pence, Marco Rubio, Tucker Carlson — any of these and possibly many other potential presidential candidates would be nicely set up by a Trump defeat for a strong run in 2024. But that scenario will not only be rendered more likely by Trump getting booted from the White House in November. It will also be advanced by the left overplaying its cards. (Damon Linker, The Week)
Ich teile die Befürchtungen Damon Linkers absolut und denke, er hat mit den beschriebenen Mechanismen grundsätzlich Recht. Ich denke allerdings, dass es dazu nicht kommen wird, denn die Democrats sind einfach viel zu moderat. Sollten sie tatsächlich die Regierungsmehrheit erringen, würden Chuck Schumer, Nancy Pelosi und Joe Biden die drei relevanten Organe anführen, während der Supreme Court weiterhin fest in der Hand der Rechten wäre. Sieht irgendjemand in dieser Konstellation einen krassen overreach kommen? Dazu schreibt auch Matthew Walters in seinem Artikel "The Revolution is not coming". Auch Ryan Cooper, der eine Chance für ein "Ende des war on crime" beschwört, ist sehr pessimistisch. Gleichzeitig gehe ich aber vollständig davon aus, dass der von Cooper beschriebene wiplash trotzdem mit voller Härte erfolgen wird. Der Grund dafür sind die Medien. Diese werden sich nämlich garantiert ihrer alten Routinen erinnern und jede Initiative der Democrats als linksradikale Übertreibung geißeln, wo sie vorher noch angesichts von Konzentrationslagern an der mexikanischen Grenze dem Bothsiderismus gefröhnt haben. Da habe ich keinerlei Zweifel.

9) America Is Giving Up on the Pandemic
But as the pandemic persists, more and more states are pulling back on the measures they’d instituted to slow the virus. The Trump administration’s Coronavirus Task Force is winding down its activities. Its testing czar is returning to his day job at the Department of Health and Human Services. As the long, hot summer of 2020 begins, the facts suggest that the U.S. is not going to beat the coronavirus. Collectively, we slowly seem to be giving up. It is a bitter and unmistakably American cruelty that the people who might suffer most are also fighting for justice in a way that almost certainly increases their risk of being infected. [...] Few people believe that the U.S. is doing all it can to contain the virus. A brief glance at Covid Exit Strategy, a site that tracks state-by-state progress, reveals that most states are not actually hitting the reopening marks suggested by public-health experts. Yet state leaders have not stuck with the kinds of lockdowns that suppressed the virus in other countries; nobody has suggested that cases must be brought to negligible levels before normal activity can resume. No federal official has shared a plan for preventing transmission among states that have outbreaks of varying intensity. The Trump administration did not use the eight weeks of intense social distancing to significantly expand our suppression capacity. What our colleague Ed Yong called “the patchwork pandemic” appears to have confused the American public about what is going on. The virus is not following one single course through the nation, but, like a tornado, is taking a meandering and at times incomprehensible path through cities and counties. Why this workplace but not another? Why this city or state but not others? (Alexis C. Madrigal, The Atlantic)
Dieser Aufgeben-Effekt scheint mir recht weit verbreitet  zu sein. Er ist menschlich auch sehr verständlich. Gerade der Erfolg der Präventionsmaßnahmen hat jedes Gefühl für die Dringlichkeit der Krise verschwinden lassen, und die auf die Gesamtbevölkerung gerechnet immer noch recht niedrige Zahl von Fällen tut ihr Übriges dazu. Wenn man von der Corona-Bedrohung immer nur hört, sie aber im eigenen Umfeld nicht erleben kann, wird sie irgendwann unwirklich. In den USA ist das besonders dramatisch, weil die Krisenpolitik der Trump-Regierung so chaotisch war. Nachdem bereits im Mai die Totenzahlen die des Vietnam-Kriegs überschritten, hat Covid-19 nun mehr Opfer gefordert als der Erste Weltkrieg. Wenn das so weitergeht, knacken die USA auch noch den Zweiten Weltkrieg. Die Wirkung, die von einer inkompetenten Regierung ausgeht, ist absolut verheerend. Man sieht das jenseits des Atlantiks ebenso deutlich wie jenseits des Kanals, wo Boris Johnson ein ähnliches Desaster hinterlassen hat.

10) Der Ernstfall
Ich habe dieses Problem mit schöner Regelmäßigkeit hier im Blog diskutiert, nur um jedes Mal die Kritik zurückzubekommen, dass ich da völlig übertreiben würde und es sich um Einzelfälle handle. Man fragt sich, wann der Punkt erreicht ist, an dem die Masse der Einzelfälle zu einem systemischen Problem wird. Dass gerade das KSK voll von Rechtsextremisten ist, ist seit Jahren ein offenes Geheimnis. Das jetzt als große und erschreckende Enthüllung zu sehen ist geradezu lächerlich. Von der Leyen hatte mit ihrer Aussage vom "Haltungsproblem" völlig Recht.

11) Wenn Männer über Männer reden, reden Männer Männern nach
Umfangreiches Forschungs­material für mehrere Sprachen – auch für das Deutsche – und mit verschiedenen Methoden zeigt aber konsistent: Wir Menschen denken seltener an Frauen, wenn wir generisch maskuline Formen hören. Bei Lesern, Patienten, Wissenschaftlern denken wir zunächst an Männer. [...] Gerade bei Berufs­bezeichnungen liegt der Einwand nahe, dass es nicht die Sprache ist, die diese einseitigen Zuschreibungen bewirkt, sondern stereotype Rollenbilder in der Gesellschaft. Bauarbeiter oder Chirurg nehmen wir als männliche Berufe wahr und denken eher an Männer. Kosmetik umgekehrt wird eher als weiblicher Beruf wahr­genommen, und deshalb denken wir beim Wort Kosmetiker … ebenfalls an Männer. Die generisch maskuline Form ist hier, wie Studien gezeigt haben, offen­sichtlich stärker als das Klischee. Es ist also die Sprache, die Männer in unsere Köpfe setzt, nicht das Stereotyp. [...] Manchmal geht es sogar um Leben und Tod. Männer haben bessere Möglich­keiten als Frauen, sich vor dem Corona­virus zu schützen, weil Masken und Schutz­kleidung für männliche Körper optimiert sind. Männer haben bessere Chancen als Frauen, einen Herz­infarkt zu überleben, weil die Symptome bei Männern bekannter sind und Medikamente vor allem an Männern erforscht wurden. Männer haben bessere Chancen als Frauen, einen schweren Auto­unfall zu überleben, weil Autos mit Crashtest-Dummys getestet werden, die der männlichen Anatomie nachempfunden sind. Nun lässt sich gut argumentieren, dass solche Effekte nicht viel mit Sprache zu tun haben, sondern vielmehr damit, dass Männer in vielen Bereichen immer noch im Vorder­grund stehen. Schaut man aber etwas genauer hin, so wird der Zusammen­hang mit Sprache sichtbar. Frauen wurden zu wenig mitgedacht, weil die Forscher, die Ärzte, die Ingenieure über lange Zeit zur Mehrheit Männer waren und die weibliche Perspektive auf die Frage­stellungen fehlte. (David Bauer/Marie-José Kolly, Republic.ch)
Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf verwiesen, dass die häufige gehörte Verteidigung des generischen Maskulinums - dass Frauen mitgemeint seien und dass es keine negativen Effekte habe - von Studie hinter Studie widerlegt wird. Sprache definiert unsere Umgebung und unsere Wahrnehmung. Auf welche Art und Weise man am Besten das Problem angehen sollte, weiß ich nicht. Mir ist klar, dass mein eigener Versuch der Etablierung des Binnen-I bestenfalls durchmischte Ergebnisse mit sich bringt. Aber ich bin nicht bereit, hier länger tatenlos zu bleiben. Dafür ist das Thema offensichtlich zu bedeutend. Über konstruktive Vorschläge wäre ich daher dankbar.

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