1) AfD fällt auf niedrigsten Wert seit September 2017
So mies wie in diesen Tagen dürfte die Stimmung in der AfD selten gewesen sein. Die Partei ist im „Sonntagstrend“ der „Bild am Sonntag“ auf den niedrigsten Wert seit September 2017 gefallen. In der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar verliert die Partei zum vierten Mal in Folge einen Prozentpunkt im Vergleich zur Vorwoche und liegt nun bei acht Prozent. Beobachter sehen verschiedene Gründe für diesen Trend: Die Führung der AfD ist zerstritten. Die Angst vor einer möglichen Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz sorgt für zusätzliche Unruhe. (dpa, Welt Online)Ich sage es seit 2017 in einem Fort: Wenn man einfach aufhört, ständig über die Flüchtlinge zu reden, hat sich das Thema. Der Erfolg der AfD war eine Schimäre des "besorgen Bürgers zuhören" und der willfährigen medialen Bereitschaft, ihr Thema zu bedienen. Das sieht man ja auch deutlich bei den Grünen: Seit Corona das Klimathema wieder aus den Schlagzeilen verdrängt hat, hat die Partei in den Umfragen auch verloren. Spannend indes ist übrigens die andere Seite des politischen Spektrums: Die Linke scheint wie festgenagelt, befindet der Spiegel. Gründe sind effektiv unbekannt. Die Partei ist wie festbetoniert. Mir ist auch etwas unklar, woher der Sinkflug der FDP kommt. Ich meine, ich weiß, warum ich die Partei nicht mag, aber was hat sich für den Rest der Republik im letzten halben Jahr geändert?
2) Polarized Politics Has Infected American Diplomacy
If that seemed like a new low in reflexive partisan opposition, President Donald Trump—as with most everything else he does—proved he could dig even deeper. He has scrapped one agreement after another, with disruptive glee and no regard for Plan B. The Iran nuclear deal (“an embarrassment”), the Paris climate accord (“very unfair”), and the Trans-Pacific Partnership (“a rape of our country”), all negotiated by the administration of his Democratic predecessor, wound up on the trash heap. New START, following the president’s exit from the Open Skies Treaty, may be next. Meanwhile, the administration is channeling General Buck Turgidson in Dr. Strangelove, threatening to resume nuclear testing and spend rivals “into oblivion” in a new arms race. [...] First, America’s credibility, reliability, and reputation for competence are damaged. Credibility is an overused term in Washington, a town prone to badgering presidents into using force or clinging to collapsing positions to prop up our global currency. But it matters in diplomacy, especially when America’s ability to mobilize other countries around common concerns is becoming more crucial, in a world in which the U.S. can no longer get its way on its own, or by force alone. (William J. Burns, The Atlantic)Das beherrschende Motiv Trumps Handlungen ist alles rückgängig zu machen was Obama gemacht hat. Er hasst den Mann mit der Glut von tausend Sonnen. Das steckt hinter den Kehrtwenden zu Kuba und Iran, das steckt hinter New Start, hinter der Abschaffung von Umweltschutzregulierungen und so weiter. Nur sind persönliche Ressentiments halt ein schlechter Ratgeber, in der Diplomatie aber ganz besonders. Denn hier wird besonders viel Porzellan zerschlagen, und hier ist der Aufbau selbigen Porzellans besonders langwierig und schwierig.
3) Biden Has Changed—For the Better
In the face of upheaval, he’s given reason to hope that the traits that were his supposed weaknesses could prove to be his great strengths. If one of the ultimate purposes of protest is to push politicians, he’s shown himself a politician willing to be pushed. His tendency to channel the zeitgeist has supplied him with the potential to meet a very difficult moment. [...] What was so striking about his speech in Philadelphia was that it acknowledged that he had gotten it wrong. The country couldn’t return to a prelapsarian state of tolerance, because one didn’t exist. “I wish I could say that hate began with Donald Trump and will end with him. It didn’t and it won’t. American history isn’t a fairy tale with a guaranteed happy ending.” Faith in progress is the nostrum of liberal politics, yet Biden broke with that faith in Philadelphia, and by so doing, he seemed to concede his own failure to appreciate the depths of American racism. (Franklin Foer, The Atlantic)Das ist eben der Vorteil, den man mit einem Kandidaten wie Biden hat. Der Mann ist nicht für irgendwelche spezifischen Überzeugungen bekannt und kann deswegen recht flexibel zu den Parteiflügeln Kompromisse eingehen. Darin ist er ein bisschen wie Merkel, die konnte auch die Kandidatin des Leipziger Parteitags und die Kanzlerin der Großen Koalition sein, ohne in einer der beiden Rollen unglaubwürdig zu sein - einfach, weil sie sich nie festlegte. Da in den USA gerade der linke Flügel der Democrats im Aufwind ist, kann Biden nun denen Zugeständnisse machen, ohne dass das wie eine Kapitulation wirken würde. Er kann sich hinstellen und sagen, dass er dazugelernt hat, und dann auch noch Applaus dafür bekommen. Das ist ein Pfad, der Trump nicht offen steht. Dafür positioniert er sich wesentlich zu absolut und aggressiv. Er kann nicht eingestehen, etwas bisher nicht oder falsch gesehen zu haben. Das ist eine Schwäche, die kein Staatschef haben sollte.
4) The Christians Who Loved Trump’s Stunt
A few hours after the dystopian spectacle, I spoke on the phone with Robert Jeffress, a Dallas megachurch pastor and indefatigable Trump ally. He sounded almost gleeful. “I thought it was completely appropriate for the president to stand in front of that church,” Jeffress told me. “And by holding up the Bible, he was showing us that it teaches that, yes, God hates racism, it’s despicable—but God also hates lawlessness.” “So,” he added, “I’m happy.” [...] “I don’t know about you but I’ll take a president with a Bible in his hand in front of a church over far left violent radicals setting a church on fire any day of the week,” wrote David Brody, a news anchor at the Christian Broadcasting Network. (Trump selected St. John’s, which has hosted presidents since James Madison for worship services, because protesters had set a fire in its nursery the night before.) “I will never forget seeing [Trump] slowly & in-total-command walk … across Lafayette Square to St. John’s Church defying those who aim to derail our national healing by spreading fear, hate & anarchy,” wrote Johnnie Moore, the president of the Congress of Christian Leaders. [...] That Trump’s religious posturing has little to do with religion has long been a matter of conventional wisdom (see: Corinthians, Two); fewer have grasped the extent to which that’s true of Trump’s “religious” base as well. [...] To Trump, the Bible and the church are not symbols of faith; they are weapons of culture war. And to many of his Christian supporters watching at home, the pandering wasn’t an act of inauthenticity; it was a sign of allegiance—and shared dominance. (McCay Koppins, The Atlantic)Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass der beherrschende Faktor nicht Religiosität ist; es geht um Identitätspolitik. Trump ist der Avatar der christlichen Rechten, ihr Champion. Seine Werte und eigene Religiosität sind ihnen völlig egal, es geht ihnen um den performativen Akt. Der Kontext des performativen Akts ist ihnen dabei völlig egal. Das ist wahrlich kein auf die christliche Rechte beschränktes Phänomen, aber wegen deren selbst ernannten moralischen Status', wegen ihrer über mittlerweile Jahrzehnte immer wieder aggressiv und offen behaupteten moralischen Überlegenheit besonders auffällig und kritikwürdig. Es zeigt auch, dass die christliche Rechte eine in sich abgekapselte, fanatische Gruppe ist, die für Argumente oder Überzeugung überhaupt nicht mehr zugänglich ist. Wenn ihre Anführer (und es sind alles Männer) sich durch Trumps bisheriges Verhalten, seine bisherige Performance, seine bisher offen, geradezu herausfordernd zur Schau gestellte Unkenntnis, Ignoranz und Respektlosigkeit für die eigentlichen Inhalte und Symbole des christlichen Glaubens nicht in ihrer Treue erschüttern lassen, dann gibt es nichts, was sie davon abbringen wird.
5) Die Schattenkanzlerin
Esken ist tatsächlich eine positive Überraschung aus dem halben Desaster des Mitgliedervotums zur SPD-Parteiführung. Ihre Arbeit am Konjunkturpaket hat ihm einen deutlich sozialdemokratischen Anstrich gegeben; angesichts der Schwäche der Partei ein klarer Erfolg und sicherlich in einer klugen Nutzung der Ministerien begründet, über die die Partei dank ihrer starken Verhandlungsposition 2017 verfügt. Ariane würde jetzt sicher noch das Loblied auf Frau Giffey anstimmen. Generell sind Esken und Giffey hier symptomatisch für die SPD: Stille Verantwortung und Sachkompetenz, das ist die SPD in der Großen Koalition. Und das ist auch ihr Fluch. Denn es ist ja toll, dass die Partei dem Konjunkturpaket so ihren Stempel aufdrücken konnte. Das macht es deutlich besser und näher an den Wünschen der Leute, denn wenn etwas seit Merkels Amtsantritt 2005 wahr ist, dann dass die Sozialdemokratisierung der CDU und ihrer Regierungspolitik populär ist. Nur, wer weiß schon, dass die SPD verantwortlich für die populären Teile ist? Keiner. Erfolge werden immer der KanzlerInnenpartei zugeschrieben. Ein "wir machen Merkels Politik besser" ist kein Grund, die SPD zu wählen. Das war es nicht 2009, nicht 2013, nicht 2017. Und das wird es auch 2021 nicht sein. Schon allein, weil Merkel da nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
6) Der ewige Vorwurf des Generalverdachts
Der Versuch, strukturelle Missstände zu thematisieren, die über Verfehlungen von einzelnen Beamten hinausgehen, wird durch den Vorwurf des Generalverdachts personalisiert und moralisiert. Aus der Problematisierung von Strukturen wird Misstrauen gegen Individuen, ein Angriff auf die Ehre und Integrität jedes Beamten. Und die Polizei, die staatliche Gewalt ausübt und deshalb in einem Rechtsstaat selbstverständlich durch das Gesetz eingeschränkt wird und immer besonders rechenschaftspflichtig ist, wird dabei zu einer Ansammlung von Bürgern. Das ist sie, aber sie ist eben auch mehr. [...] Da ist viel Raum für politische Uneinigkeit, gute Ideen, ernsthafte Auseinandersetzung und politische Tätigkeit. Nur kann Politik nichts anderes, als abstrakte, überindividuelle Regeln festzulegen. Sie ist immer generell in ihrem Vorgehen, nie persönlich. Solange ihr daraus im Zusammenhang mit der Polizei der Vorwurf gestrickt wird, sie hege Misstrauen und behandle den Einzelnen ungerecht, ist die einzige Alternative: Untätigkeit. (Jonas Schaible, SpiegelOnline)Wir hatten dieselbe, moralisierende Debatte in den vergangenen Jahren hier im Blog schon öfter, wenn ich oder andere eher liberalere und progressive Kommentatoren und Autoren hier festgestellt haben, dass es schon Probleme mit strukturellem Rassismus und Sympathien nach Rechts in Polizei und Bundeswehr gibt. Jedes Mal kam aus dem rechtsdemokratischen Spektrum hier im Blog sofort der moralinsaure Zeigefinger, mit dem voller Empörung der Vorwurf zurückgewiesen wurde. Aber wie Schaible richtig schreibt, ist die Polizei durch die Gewalt, die sie ausüben kann, darf und muss, einer besonderen Rechenschaftspflicht unterliegend. Man kann nicht so tun, als seien die PolizistInnen des Landes einfach nur lauter Individuen, die nur zufällig die gleiche Kleidung anhaben, wenn es um Fehlverhalten geht. Es gibt nun einmal institutionelle Verhaltenskodexe, systemische Probleme und so weiter. Die gibt es in jedem Beruf, in jedem Unternehmen, in jeder Institution. Die Augen davor zu verschließen hilft halt nicht. Als Ergänzung sei noch dieser Artikel aus Süddeutschen Zeitung über Rassismus in der Polizei beigefügt.
7) US-General nennt Trumps Abzugsbefehl "kolossalen Fehler"
Die Kritik des Topmilitärs ist beißend. Die Entscheidung von Donald Trumps Kernteam im Weißen Haus geißelte er als "rein politisches Manöver". Niemand in der Administration habe vorher einen militärischen Rat eingeholt, was der Truppenabzug für die US-Präsenz in Europa eigentlich bedeutet. "Die Entscheidung illustriert, dass der Präsident nicht verstanden hat, wie essenziell die in Deutschland stationierten US-Truppen für die Sicherheit Amerikas sind", sagte Hodges. [...] Amerikanische und deutsche Militärs zeigten sich verwundert über die Obergrenze, da man sich aus Sicht der Strategen damit selbst in seinen Möglichkeiten limitiere. Die USA nutzen Deutschland wie eine Art Brückenkopf für Militärmissionen und Übungen in ganz Europa. Auch die Missionen im Irak oder Afghanistan werden über Deutschland versorgt. Dabei sind teils Tausende US-Soldaten kurzzeitig in Deutschland, dies wäre durch die Obergrenze wohl nicht mehr möglich. [...] Der erfahrene General Hodges wertete den Abzug auch außenpolitisch als fatales Signal in Richtung Russland. "Der Kreml hat nichts getan, um ein solches Geschenk zu bekommen, weder in der Ukrainekrise noch in Syrien hat Moskau auch nur ein bisschen eingelenkt", erläuterte er. Dass die USA nun ausgerechnet aus Deutschland gut ein Viertel ihrer Soldaten abziehen, müsse für Moskau wie ein Zeichen der Schwäche und der Uneinigkeit innerhalb der Nato wirken. (Matthias Gebauer, SpiegelOnline)Trump ist ein hirnverbrannter Idiot. Er macht das, weil er seine eigene Rhetorik von der NATO als Schutzgelderpressungsorganisation glaubt und mittlerweile Deutschland als seinen Hauptgegner ausgemacht hat, hauptsächlich aus falsch verstandenen wirtschaftspolitischen Gründen. Es ist der Wahnsinn, einen so ungebildeten und lernunwilligen Typen solche Entscheidungen treffen zu lassen. Und das war offensichtlich eine nicht abgesprochene Entscheidung! Weder Pentagon noch Kongress noch Botschafter noch Bundesregierung wurden informiert, der Präsident tweetete es einfach raus. Diese Art Diplomatie ist der blanke Wahnsinn. Dass die LINKE es zum Anlass nimmt, den kompletten Abzug der US-Truppen zu fordern, setzt der ganzen Spinnerei nur noch die Krone auf.
8) Tweet
Niemand macht den Rechten was vor, wenn es um Identitätspolitik geht. Nach dem von linken Aktivisten betriebenen Statuensturz in Bristol und der Beschmierung von Churchills Standbild plustern sich nun in Großbritannien die Konservativen auf, um ihre Idole zu verteidigen, wenngleich das hier in geradezu schmerzhafter Weise die Probleme verdeutlicht werden. Aber der gleiche Unfug ist ja mit der Verteidigung konföderierter Menschenrechtsverbrecher in den USA durch die Republicans oder mit den irregeleiteten Versuchen deutscher Konservativer, die von-Trotha-Straßen dieser Welt zu retten, zu beobachten. Der Bullshit findet sich zu beiden Seiten des Spektrums, immer.When you're just a bit too literal. https://t.co/cGbJH5t78m— Stefan Sasse 🇪🇺 (@StefanSasse) June 9, 2020
9) Polizei wehrt sich gegen Rassismus-Vorwurf
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, hat die deutsche Polizei gegenüber Rassismusverdächtigungen in Schutz genommen. Er sehe in der Polizei "erheblich weniger" Rassismus als in der Gesamtbevölkerung, sagte er. "Polizistinnen und Polizisten leisten einen Amtseid auf unsere Verfassung und fühlen sich an diesen Eid, der die Würde des Menschen ins Zentrum stellt, ein Leben lang gebunden." In den vergangenen Jahrzehnten habe sich die Polizei als rechtsstaatliche, demokratische Bürgerpolizei bewiesen. Zahlreiche interne Kontrollinstanzen seien darauf bedacht, diskriminierende, rassistische oder andere menschenverachtende Einstellungen zu identifizieren, sagte er. "Die Polizei duldet keine Extremisten in ihren Reihen." Bei Verstößen würden die erforderlichen straf- und dienstrechtlichen Konsequenzen gezogen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft stehe zu diesen Kontrollmechanismen, sagte Wendt. "Deshalb sind wir empört darüber, wie leichtfertig beispielsweise Frau Esken über latenten Rassismus in der Polizei schwadroniert." Die SPD-Vorsitzende verunsichere die Einsatzkräfte und hetze diejenigen auf, die ohnehin schon "ein gestörtes Verhältnis zum Staat und seinen Institutionen" hätten. Die Polizei sei auf Rückhalt in der politischen Führung angewiesen und habe auch einen Anspruch darauf. (dpa, ZEIT)
Dass die DPolG mit harschen Worten Stellung bezieht ist natürlich Teil seiner Jobbeschreibung, von daher will ich das Wendt gar nicht vorwerfen, schon allein, weil er damit endlich mal für sein Geld arbeitet. Aber die Vorstellung, dass die Realität auf eine bestimmte Weise sein muss, weil wir sagen, dass sie so ist, ist völlig behämmert. Wir Lehrer sind ja auch den Prinzipien der Gleichbehandlung verpflichtet, und jedeR kennt aus seiner oder ihrer Schulzeit irgendeine Geschichte, wo man sich unfair benachteiligt gefühlt hat. Der Amtseid ist ein Ideal, ein Zielpunkt, nach dem man strebt. Nur weil der Amtseid abgelegt wird, heißt nicht, dass er erfüllt wird. Das zu behaupten ist völlig lächerlich. Dementsprechend harsch muss man auch über Wendts Aussage urteilen, Esken habe "ein gestörtes Verhältnis zum Staat und seinen Institutionen". Denn wenn Wendt behauptet, er und die Polizei hätten "Anspruch auf Rückhalt", dann offenbart er ein gestörtes Verhältnis. Aus großer Macht wächst große Verantwortung, und von der spricht Wendt bezeichnenderweise überhaupt nicht.
Man könnte fast meinen, der Arbeitsmarkt unterliege gelegentlich den Prinzipien von Angebot und Nachfrage. Ich weiß gar nicht, was ich perverser finden soll: Dass die ganzen Unternehmen urplötzlich die Marktwirtschaft blöd finden, wenn sie ihnen Probleme macht, dass Amazon in der Lage ist, in einer Region mit knapp 10 Euro pro Stunde unschlagbar gut zu bezahlen oder dass bereits seit Monaten in dieser Region Vollbeschäftigung herrscht und der einzige Lohndruck von Amazon kommt, die einen so miesen Ruf als Arbeitgeber haben, dass sie gar keine andere Wahl als höhere Löhne haben. Es ist alles zum Heulen.In einigen Firmen der Region, besonders in Achim, geht bereits die Sorge um. „Wir werden Mühe haben, unsere Leute zu halten“, heißt es schon vereinzelt. Der Bammel ist nicht unbegründet. „Wir halten Kontakt zur Arbeitsagentur Winsen, dort ist zuletzt ein Amazon-Center entstanden“, sagt Büge, „das war und ist eine besondere Herausforderung.“ Auswirkungen habe die Ansiedlung des Versandriesen nicht nur auf vergleichbare Unternehmen, sondern auch auf Gastronomie, Hotelerie und Logistik-Unternehmen. Die Vorgehensweise der Amazon-Personalbüros kennt man bereits an der Aller. „Sie werden sich den örtlichen Arbeitsmarkt anschauen, sie werden das Lohngefüge sondieren, sie werden mit ihren Gehalts-Angeboten leicht über dem Durchschnitt liegen.“ Ein Irrglaube sei es jedenfalls, Amazon werde lediglich den Mindestlohn von gegenwärtig 9,35 Euro pro Stunde zahlen. „Da gehen sie in der Regel drüber.“ (Heinrich Kracke, Kreiszeitung)
11) Die Zeit der Neutralität ist vorbei
Als Donald Trump vor fünf Jahren als Präsidentschaftskandidat die politische Bühne betrat, ist nicht nur die "New York Times" mit ihrem Ausgewogenheitsanspruch an ihm zerschellt. Das Zulassen anderer Meinungen und Sichtweisen funktioniert nur so lange, wie man sich innerhalb einer Bandbreite gemeinsamer Fakten befindet. Dadurch ließen sich früher Propaganda, Verschwörungstheorien und Hassreden als Unsinn aus dem öffentlichen Diskurs im Wesentlichen aussperren. Die Trump-Regierung mit ihren permanenten Lügen und Fehlinformationen hat diese Grenzen verschoben, und seitdem funktioniert der Neutralitätsjournalismus nicht mehr. Im Trump-Zeitalter gilt das Verbreiten noch so obszöner Verschwörungstheorien - wie zum Beispiel jener, Hillary Clinton betreibe einen Kinderpornografie-Ring aus einer Washingtoner Pizzeria heraus - als Meinungsäußerung. [...] Das Scheitern der sogenannten Mainstream-Medien an Donald Trump und seinen Anhängern liegt genau darin begründet. Donald Trump konnte überhaupt nur gewählt werden, weil die "New York Times" oder der Nachrichtensender CNN mit ihrem Anspruch auf journalistische Fairness den abstrusesten Faktenverdrehungen immer wieder Raum gegeben haben. Michelle Goldberg, selbst Kommentatorin bei der "New York Times", schreibt: "Die Trump-Präsidentschaft ist demagogisch und weitgehend faktenfrei. Was ist, wenn es gar nicht möglich ist, diese Regierung zu verteidigen, ohne sich der Hetze oder Demagogie zu bedienen - oder sich Sachen gleich auszudenken? Es ist diese Sorte Frage, der die Meinungsredakteure der "New York Times" immer versucht haben, aus dem Weg zu gehen. Sie wollten die Frage als unmöglich deklarieren. Und durch den Versuch des Aus-dem-Weg-Gehens und Als-unmöglich-Deklarierens hat James Bennet erst die Orientierung und dann seinen Job verloren." (Philipp Oehmke, SpiegelOnline)Über dieses Problem in der New York Times habe ich hier ja auch schon oft genug geklagt. Es ist über die letzten Jahre auch hinreichend deutlich geworden, in einer epistemologischen Krise nach der anderen. Geändert hat sich nichts - bis jetzt. Tom Cottons Op-Ed ist zwar wahrscheinlich der Höhepunkt einer langen Kette von Geschmacksentgleisungen, die diese Seiten haben hinnehmen müssen, aber sicherlich nicht die einzige. Die NYT sah sich ja auch als deutlich über der Kritik an Bret Stephens erhaben, dem sie im Rahmen der "Meinungspluralität" eine Bühne für Klimawandelleugnung zu geben müssen glaubte. Wir haben hierzulande eine ähnliche Reise in die intellektuelle Wildnis beobachten können. Höhepunkt dieses Bullshits war in meinen Augen die ZEIT, die ergebnissoffen mit Pro und Contra die Frage diskutierte, ob man Füchtlinge im Mittelmeer ersaufen lassen sollte ("Oder soll man es lassen?"). Wer derart die Orientierung verliert und sich in seine eigene, selbst-besoffene Neutralitätsidee verrennt, der muss von der Zivilgesellschaft durch Protest zur Ordnung gerufen werden. Diese Art von Neutralität ist die die, die die Schweiz im Zweiten Weltkrieg vertreten hat. Sie ist letztlich eine intellektuelle und moralische Bankrotterklärung.
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