Mittwoch, 17. Juni 2020

Der jüngste alte weiße Mann im Bundestag

Es hätte ein Warnsignal sein sollen. Als der bisher nicht durch politische Meinungsbildung aufgefallene YouTube-Star Rezo anno 2019 (fühlt sich auch an als wäre es eine Ewigkeit her!) das Video "Die Zerstörung der CDU" postete und damit 1,2 Millionen Abrufe erzielte, legte er einen wunden Nerv der letzten Volkspartei offen. Die Union war vieles, eine Partei der jungen Menschen und ihrer Lebenswelt aber war sie sicherlich nicht. Von einer dankbaren Medienlandschaft begierig aufgegriffen wurde das Video zum Fanal des Niedergangs, wurde Rezo zur Nemesis einer Partei, die in den Umfragen zum ersten Mal eine zwei auf dem Zehnerwert sah und den Weg der SPD zu gehen schien (was der Autor dieser Zeilen damals ähnlich sah). Dann kam Corona, und alles ward anders. Aber 2019 hoffte die CDU, Rezo ihre eigene Wunderwaffe entgegenstellen zu können. Sie hieß Philipp Amthor.

Amthor war einer breiteren Öffentlichkeit bis dahin sicherlich nicht vertraut. Seinen Aufstieg in die bundespolitische Bühne verdankte er ausgerechnet einer demographischen Quote: Er war der jüngste Bundestagsabgeordnete, und die Regeln des politischen Spiels verlangten, dass jemand aus der Partei nun glaubhaft für "die Jungen" sprach und Rezo ein eigenes Video auf diesem...wie hieß es doch...diesem neuen Dingsda...diesem YouTube entgegensetzte. War das dasselbe wie dieser tätowierte junge Herr, der 2015 Angela Merkel so brav interviewt hatte? Damals, vor der Flüchtlingskrise? Gute Zeiten waren das gewesen.

Also wurde ein Antwortvideo mit Amthor gedreht. Den Verantwortlichen muss schnell klar geworden sein, was für eine unglaublich dumme Idee das war. Das Video verschwand im Giftschrank des Konrad-Adenauer-Hauses. Die Partei entschied sich statt für die größtmögliche Blamage für die berechenbare Blamage, stellte ein zweieinhalbseitiges PDF auf ihre Homepage und entschied sich, ihren inneren Helmut Kohl zu kanalisieren und die Sache auszusitzen. Das war im Rückblick sicher die bessere Entscheidung. Es gab ein paar lahme Gags über Amthors Erscheinung, er hatte den ein oder anderen Talkshowauftritt, der ein gutes Gefühl für die Qualität des Videos vermittelte (oder besser den Mangel daran) und das war es dann auch.

Aber Karrieren wurden schon mit weniger gestartet, und Amthor ist offensichtlich nicht der Typ, der sich solche Gelegenheiten entgehen lässt. Man sollte sich von Amthors Alter nicht täuschen lassen. Körperlich mag er jung sein, geistig aber ist er, wie auch Stefan Kuzmany im Spiegel befindet, sehr alt.

Der Mecklenburger trat 2008 im zarten Alter von 16 Jahren in die Junge Union ein. Mit 18 war er bereits Mitglied im Landesvorstand der JU. Mit 20 war er Kreisvorsitzender, mit 22 bekleidete er sein erstes gewähltes Amt im Sozialausschuss des Kreistages. Ähnlich zielgerichtet das Studium der Rechtswissenschaft (was sonst?): 2011 bis 2017 Studium mit Prädikat, seither Arbeit an der Disseration. Im gleichen Jahr wurde er in den Bundestag gewählt. 2019 ließ er sich katholisch taufen, 2020 in den höchsten Laienrat der Kirche Berlins berufen. Themen mit denen er in der Zeit bis zum Rezo-Video sein Profil schärfte: Widerstand gegen Gender-Mainstreaming.

Das ist, höflich gesagt, ein kleiner Unterschied zur Biographie Rezos. Und, entscheidend, auch ein Unterschied zur Biographie von 90% seiner AltersgenosInnen. Das ist nicht als Vorwurf zu verstehen. Amthors Lebensentwurf ist genauso legitim wie der von von Rezo, mir und jedem und jeder meiner SchülerInnen. Wie irgendjemand in der CDU diese Biographie anschauen und auch nur für eine Sekunde glauben könnte, hier das Gesicht gefunden zu haben, das die CDU glaubhaft gegenüber der Generation 16-25 vertreten könnte, ist mir dagegen völlig schleierhaft. Aber zum Glück für die Union haben sie ja noch rechtzeitig die Reißleine gezogen.

Auch zum Glück von Amthor, übrigens. Zwar hätten ihm selbst im Erfolgsfall die zehn Minuten Ruhm als das junge Gesicht der CDU sicherlich ein großes bundespolitisches Profil eingebracht. Aber danach wäre seine Karriere eher vorbei gewesen, hätte ihm stets ein Ruch angehangen, den er nicht mehr losgeworden wäre. Die CDU ist, im Guten wie im Schlechten, eine Partei, in der immer noch die Ochsentour dominiert. Das weiß Amthor auch, sein ganzer Lebenslauf beweist, dass er das weiß. Er atmet den Geist dieser CDU. Er ist letztlich eine junge Ausgabe von Roland Koch. Ich meine, ernsthaft, vergleicht mal die Bilder.

Anders wäre Amthor in der CDU ja auch nie so weit gekommen. Er hat einen Karrierepfad eingeschlagen, in dem er die Stammwähler der Partei, nicht eben legendär jung, davon überzeugen muss, ihn zu wählen - in einem agrarisch geprägten Flächenland, no less. Das geht nur, wenn er als Geistesverwandter akzeptiert wird, als jemand, der zwar noch jung ist, bei dem aber völlig absehbar ist, dass er letztlich ein Zeitreisender ist. Ein alter Mann in einem jungen Körper.

Und das bringt uns zum aktuellen Skandal um seine Person. Zur Erinnerung: Amthor ist Direktor in einem amerikanischen Startup, in das er keine offensichtlichen Fähigkeiten oder Kapital eingebracht hätte. Er hält darin einen ordentlichen Batzen Aktienoptionen, falls das Ding (was angesichts der Verbindungen, die er und die anderen Direktoren präsentieren, mehr als wahrscheinlich ist) mal was wert wird und verkauft wird. Der spätere Verkauf ist auch der einzige Zweck des Unternehmens. So weit, so normal.

Was jedoch nicht normal ist, sind zwei andere Dinge. Amthor hat, während er diese Funktion bekleidete, einerseits Lobbying für diese Firma bei Wirtschaftsminister Altmaier betrieben und dazu Ressourcen des Bundestags benutzt. Andererseits hat er sich im Bundestag vehement gegen mehr Transparenz für Nebentätigkeiten gewehrt und eine leidenschaftliche Rede dagegen gehalten. In beiden Fällen machte er nicht deutlich, dass er finanzielle Interessen damit verband. Neben der offensichtlichen Hoffnung auf einen rain day bei einem Verkauf von Augustus Intelligence ließ sich Amthor Luxusreisen auf Firmenkosten zukommen.

Dieser Skandal ist an und für sich nicht besonders berichtenswert. Es geht nicht um einen "Lobby-Skandal", wie es oft in den Medien heißt; das Problem ist nicht Lobbying. Das ist grundgesetzlich abgesichert erlaubt und in einer Demokratie auch notwendig, wie ich in meiner Serie zum politischen System Deutschlands auch dargelegt habe. Das Problem ist der Vorwurf der Bestechlichkeit. Die Summen um die es geht sind gering; ein Gerhard Schröder etwa könnte darüber nur lachen. De facto handelt es sich überwiegend um geldwerte Vorteile. Was das Ganze für Amthor und die CDU so bedrohlich macht ist einerseits der Umgang mit dem Skandal, etwa Amthors Nicht-Entschuldigung und der unsägliche Kommentar des Unionsfraktionsvizevorsitzenden Wadepuhl er sei "eben noch jung", und andererseits was es über Amthor und die CDU aussagt.

Zuerst die missglückte Verteidigung. Als ich 27 zwar, hat mein Referendariat als Gymnasiallehrer angefangen. In der Ausbildung wurde uns eingebläut, dass wir keinerlei Geschenke mit einem Gegenwert von mehr als 10 Euro annehmen dürften. Explizit beinhaltete dies so etwas wie Obstkörbe oder einen Blumenstrauß von der Elternvertretung am Ende des Schuljahrs. Das waren Verstöße gegen das Beamtenrecht, die disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würden. Deswegen kann ich auch nur emphatisch diesen Tweet unterstreichen: Sowohl Amthor als auch die CDU kommunizieren deutlich, dass Regeln für andere gelten. Sie selbst gehören zu einer privilegierten und abgehobenen Schicht, die sich an so etwas Plebejisches nicht gebunden fühlt. Dasselbe Selbstverständnis lag bereits der Guttenberg-Affäre seinerzeit zugrunde, und es ist sicherlich kein Zufall, dass Amthor ausgerechnet mit dem ehemaligen Verteidigungsminister in Augustus Intelligence zusammenarbeitet.

Das andere Thema beschreibt Stefan Kuzmany im eingangs bereits verlinkten Spiegel-Artikel "Ganz alte Schule" am besten:
Die Tränen mögen trocknen. Die schreckliche Modernisierung der CDU, so stellt sich dieser Tage heraus, hat es nie gegeben. Blicken wir auf Philipp Amthor, den aussichtsreichsten Kandidaten für den Posten des CDU-Chefs in Mecklenburg-Vorpommern, die deutsche Antwort auf den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, dann können wir beruhigt feststellen: Wenn die Union so ist wie ihr 27-jähriger Hoffnungsträger, dann ist sie ganz die alte geblieben. Die ganze Geschichte von Amthors Geschäftchen mit dem US-Start-up Augustus Intelligence liest sich, als wäre sie nicht hochaktuell, sondern angestaubten CDU-Erinnerungsbänden entsprungen, aus einer Zeit, als die Union noch ein markiger Männerbund war und die Anhäufung von Kapital für die richtigen Leute ihr höchster Daseinszweck. Offenbar geblendet von einer Gruppe jünglicher Unternehmer mit Milliardenambitionen und einem Lebensstil auf großem Fuß, ließ sich der nach eigener Darstellung doch eigentlich sehr bodenständige Amthor auf luxuriöse Geschäftstreffen in angenehmstem Ambiente ein. [...] Amthor erhielt den ehrenamtlichen Posten eines Direktors, durfte wohl glauben, man sei an seinem hochkompetenten Input bei der Entwicklung von fortschrittlichster Technik interessiert, und erwarb die Option, in der Zukunft ein schönes Aktienpaket zum Preis von gestern zu erwerben, das er übermorgen, wenn Augustus ganz sicher den Markt beherrscht, mit ordentlichem Gewinn wieder hätte abstoßen können. Und als sei diese Geschichte nicht schon so auffällig ähnlich einer Karikatur vom gierigen Aufsteiger, der sich in blendende Gesellschaft verirrt, traf Amthor bei seinem Ausflug in die große Welt ausgerechnet auf zwei weitere komische Kumpel aus dem Milieu, das für die alte Union steht: auf den Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, den gernegroßen Rhetoriker wider die Migration, und Karl-Theodor zu Guttenberg, den unbestrittenen König der politischen Hochstapler. (Stefan Kuzmany, SpiegelOnline)
Es ist diese Kombination aus Privileg und der Parallelwelt des unverdienten Geldes, die so enervierend ist. Und das ist eben das, für das Amthor steht. Es ist eine Parallelgesellschaft, in der die richtigen Seilschaften, die richtigen Studienverbindungen und das richtige Glaubensbekenntnis für einen kometenhaften Aufstieg sorgen, auf einer vorgefertigten Bahn, von der herunterzufallen praktisch unmöglich ist - er ist ja noch jung. Der Fehler, den Amthor gemacht hat, daran lassen weder seine CDU-Verteidiger noch seine eigene Nicht-Entschuldigung einen Zweifel, ist nicht, was er getan hat, sondern dass er sich hat erwischen lassen. Guttenberg und Maaßen (wie auch Gerhard Schröder, der Gottvater frecher Korruption) warteten wenigstens, bis sie ihr Amt verlassen hatten.

Amthor gehört zu einer abgeschotteten, wohl behüteten Bevölkerungsgruppe, die ihre Privilegien so verinnerlicht hat, dass sie sie überhaupt nicht als solche wahrnimmt. Nur in einer solchen Gruppe kann es völliges Unverständnis darüber geben, dass ein 25jähriger Jura-Student vielleicht nicht Kraft seiner brillanten Expertise über künstliche Intelligenz in einem amerikanischen Startup unterkommt, sondern weil er ein Versprechen auf die nächsten 40 Jahre Bundestags-Connections mit sich bringt - die er wiederum ebenfalls auf der Überholspur erreicht hat. Und erneut, gut für ihn. Daran ist erstmal ja nichts Illegales, es ist nicht einmal illegitim.

Aber der Rest der Gesellschaft muss ja nicht bereit sein, diese Art von Privilegiertheit weiterhin hinzunehmen. Wir müssen uns glaube ich klar machen, dass der Amthor-Skandal ein sehr gutes Zeichen ist. Noch vor fünfzehn Jahren wäre er kein riesiger Spiegel-Scoop gewesen, sondern schlicht normal. Und in den 1970er Jahren, oder gar den 1950er Jahren, hätte man das alles völlig offen gemacht. Wir sind in Sachen Korruption und Transparenz mittlerweile so weit gekommen, dass kleine Fische wie Philipp Amthor große Wellen schlagen können.

Die abwartende Haltung eines großen Teils der CDU, die offene Kritik einiger weniger aufrechterer ParteigenossInnnen (die auch nicht in seine Netzwerke gehören) sind daher ein gutes Zeichen. Sie schauen, woher der Wind weht. Kommt Amthor damit noch durch? Dann hat Kuzmany Recht, und wir sehen die alte CDU ihr Haupt erheben und sich selbst beweisen. Kommt er damit nicht durch, ist die CDU doch deutlich weiter gekommen, entfernt sich auch nach Merkel weiter davon, eine Partei der weißen, alten Männer zu sein - auch wenn diese erst 27 sind.

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