Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.
Diesen Monat in Büchern: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Winterkrieg, Teenager-Hirn.
Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Wir schaffen das, Deutsche Einheit, Die Karibik
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Montag, 31. August 2020
Weibliche Faschisten haben größere Erfolge bei der Integration muslimischer Polizisten als Ampelfrauen von der FDP - Vermischtes 29.08.2020
Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
Sonntag, 30. August 2020
Eine überbewertete Demo
Am gestrigen Samstag demonstrierten rund 30.000 Menschen in Berlin gegen eine Reihe verschiedener echter oder eingebildeter Zustände. Die Demo hatte bereits im Vorfeld für reichlich Wirbel gesorgt; die Stadt Berlin hatte sie in einer fragwürdigen Entscheidung mit einer noch viel fragwürdigeren Begründung zu verbieten versucht. Wenig überraschend hob das Gericht diese Entscheidung wieder auf und erlaubte die Demonstration - unter Auflagen, wie die Einhaltung von Sicherheitsabständen und das Tragen von Masken. Dass eine Demonstration gegen das Einhalten von Sicherheitsabständen und das Tragen von Masken den Sicherheitsabstand nicht einhalten und die Maske nicht tragen würde, dürfte ebenso wenig überraschend gewesen sein. Folgerichtig löste die Polizei die Veranstaltung auf, worauf die Demonstration, begleitet von sporadischen Festnahmen, noch einige Stunden weiterging, ehe sie ihren Höhepunkt in dem "Sturm" einiger DemonstrantInnen auf den Reichstag fand, wo sie von drei Polizisten abgehalten wurden das Gebäude zu betreten, bis Verstärkung eintraf und dem Spuk ein Ende bereitet. Diese Ereignisse halten Bundesdeutschland mittlerweile seit drei Tagen in Atem.
Donnerstag, 27. August 2020
Die Simulation von Widerstand als kollektive Seelenmassage
Geschichten über das Leben in der Diktatur erfreuen sich einer ungebrochenen Beliebtheit, was angesichts unserer Erfahrungen mit solchen - die zwölf Jahre des Dritten Reiches und, für diejenigen, die das Pech hatten auf der östlichen Seite der Zonengrenze zu leben, weitere vierzig Jahre "realsozialistische" Diktatur - wenig verwundern dürfte. Oftmals drehen sich solche Geschichten entweder zentral um Widerstand gegen diese Diktaturen oder sie haben widerständlerische Elemente in einigen oder allen Charakteren. Mir ist dabei ein Trend aufgefallen: Deutsche Geschichten dieser Art, ob in Roman oder Film, neigen zu einer entpolitisierten, existenziellen Art des Widerstands. Und ich halte das für ein Problem.
Die Mär vom Wirtschaftswunder
Jeder Staat hat seinen Gründungsmythos. Das Deutsche Reich hatte Sedan, die Weimarer Republik den Versailler Vertrag und die Revolution von 1918/19, Frankreich die Französische Revolution, England die Glorious Revolution, die USA den Unabhängigkeitskrieg. Die UdSSR hatte die Oktoberrevolution, China hat den Langen Marsch, Vietnam den Krieg gegen Frankreich und Israel den Krieg von 1948, den es mit Palästina als Gründungsmythos teilt. Die obige Aufzählung zeigt, dass Gründungsmythen nicht immer, aber doch meist positiv sind. Was die obige Darstellung noch nicht zeigt, was aber kurz skizziert werden soll, ist, dass diese Gründungsmythen historisch nie haltbar sind und stark eine bestimmte Deutung forcieren, die wichtige Tatsachen unter den Tisch fallen lässt. Sedan ist hier noch am Ehrlichsten; die gewonnene Schlacht gegen die Franzosen und anschließend die Ausrufung des Reiches im Spiegelsaal von Versailles sind faktisch belegte Ereignisse; freilich unterscheidet sich ihre Interpretation.
Mittwoch, 26. August 2020
Destruktive Politik auf dem Mars zwingt Kamala Harris zum Falschparken - Vermischtes 26.08.2020
Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
Montag, 24. August 2020
Schrödingers Debatte - Existiert die Cancel Culture?
Ein gedankliches Problem, das die Physik bereits seit 100 Jahren beschäftigt, ist die Quantenmechanik. Hier können so genannte überlagernde Zustände auftreten: ein Teilchen hat zwei mögliche Zustände, und erst die Messung legt diese fest. Der Physiker Schrödinger hat dieses Konzept im Gedankenspiel der Katze popularisiert, die, in einen Kasten gesperrt, einem an zerfallende Atome gehefteten Mordmechanismus ausgeliefert ist. Ob die Katze tot ist oder nicht erfährt man nur, wenn man den Kasten öffnet. Vorher ist die Katze sowohl tot als auch nicht tot. Eine ähnliche Zustandsüberlagerung umgibt gerade die Debatte um die so genannte Cancel Culture. Sie existiert und existiert nicht zur gleichen Zeit.
Samstag, 15. August 2020
Joe Biden repariert mit Maske die Beziehungen zwischen Tutsi, Putin und der CDU - Vermischtes 15.08-2020
Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) U.S.-German ties are bad under Trump — if Biden wins he may struggle to repair them
2) Lax Covid-19 Strategy Doesn’t Save the Economy, Research Finds
3) Tweet
4) Genozid an Ezid*innen: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist eine Kriegswaffe
5) Why Obama still drives Republicans nuts
6) Nicht schon wieder zuhören
7) Vladimir Putin Wants to Rewrite the History of World War II
8) Tom Cotton Introduces Campus Free-Speech Bill
9) Böse Männer, gute Frauen?
10) SPD attackiert Unionsvize: Absurd, befremdlich, inakzeptabel
11) Staat ohne Gott
1) U.S.-German ties are bad under Trump — if Biden wins he may struggle to repair them
Ich wäre sehr dafür, die amerikanisch-deutschen Beziehungen zu verbessern. Ich fürchte aber, dass ein Biden zwar eine leichte Verbesserung gegenüber dem aktuellen Status darstellt, aber dass es angesichts des tief verwurzelten Anti-Amerikanismus in der deutschen Bevölkerung damit nicht getan sein dürfte. Wenn es den USA ernst damit ist, die Beziehungen nachhaltig zu verbessern, müssten sie ähnlich in sie investieren wie zu Beginn des Kalten Krieges: Kulturzentren aufbauen, Austausche organisieren, um Multiplikatoren werben. Aber das kostet Geld und Aufwand. Als eine Seitenbemerkung: Es fasziniert mich, wie überbewertet Reagan generell und der "Tear down this wall"-Moment im Speziellen in der amerikanischen Hagiographie ist. Obama hielt 2008 eine groß publizierte Rede an der Siegessäule. Hunderttausende kamen. Was hat es zum deutsch-amerikanischen Verhältnis substanziell beigetragen? Nichts. Ich in echt kein Fan dieser Art der Personalisierung.This alliance is no stranger to crises. In 1987, Kornblum, then a senior U.S. official in Berlin, felt he had to take drastic action to repair a growing rift with what was then West Germany. The West Germans were angry that American intermediate-range nuclear missiles were deployed on their soil. The Americans worried their allies would lose faith and try to make a deal with the Soviet Union. Kornblum's solution started with a scrawled idea on a cocktail napkin at a reception, and ended with one of the most significant speeches in modern history. On June 12 that year, President Ronald Reagan demanded, "Mr. Gorbachev, tear down this wall!" in front of the Brandenburg Gate, an address Kornblum says he choreographed to reassure the Germans that the Americans still had their backs. "We started planning it a year before as an important, high-level romantic symbol — and it worked," Kornblum said. Two years later, the Berlin Wall fell. Reagan’s speech is now seen as a historic turning point in a relationship that's become emblematic of postwar liberal multilateralism. [...] Whatever "the outcome of the election, the U.S. will no longer be available as a security partner in the same capacity as they were in the past," German Foreign Minister Heiko Maas said at a briefing last month following a question from NBC News. [...] Even if Biden does try to revive the more amiable days of his old boss, in truth Obama was no less relentless in pressuring Germany to spend more on defense, just less rude. Furthermore, Obama's "Pivot to Asia" was widely seen as a step away from old European alliances to refocus on China, which has already become a central battleground between Trump and Biden. Biden's campaign website suggests he will keep up the pressure on NATO, vowing to keep its "military capabilities sharp" and making sure allies "recommit to their responsibilities as members of a democratic alliance." (Alexander Smith/Carlo Angerer, NBC)
2) Lax Covid-19 Strategy Doesn’t Save the Economy, Research Finds
Sweden’s “light-touch approach” to curtailing the spread of Covid-19 has produced only limited economic benefits, according to research that compared spending patterns in the Scandinavian country and in Denmark, where far more restrictive policies were adopted. Unlike elsewhere in Europe, Sweden did not go into lockdown, keeping shops, schools and restaurants open and relying on voluntary social distancing instead. While the strategy has resulted in a much higher mortality rate, researchers at the University of Copenhagen found that consumer spending in Sweden fell only 4 percentage points less than in neighboring Denmark -- 25% compared to 29%. [...] “If you accept that the difference in mortality in Sweden and Denmark is caused by the different policy choices, then our findings suggest that you actually don’t lose that much extra spending for each extra life you save,” Sheridan said. [...] The European Union is forecasting similar drops in gross domestic product for Sweden and, Denmark this year. (Frances Schwartzkopff, Bloomberg)Schweden ist sowas wie die Kontrollgruppe sowohl für die Covid-Pandemie generell als auch, innenpolitisch, für Laschet und Lindner (pars pro toto). Wir sehen an seinem Beispiel, was passiert wäre, wenn wir weniger drastische Maßnahmen ergriffen und "der Wirtschaft" mehr Freiheit gelassen hätten: Nicht nur wesentlich mehr Tote, sondern auch zusätzlich noch kein wirtschaftlicher Gewinn. Wir sehen das auch in Großbritannien. Das Land hat nicht nur die höchste Zahl an Covid-Toten in Europa, sondern gleichzeitig auch den tiefsten Wirtschaftseinbruch erlitten. Auch in den USA sehen wir: laxes Management, viele Tote, großer Wirtschaftseinbruch. Die Kritik aus diesen Ecken gegenüber der Krisenpolitik unter anderem der deutschen Regierung ist durch diese "Kontrollgruppen" völlig diskreditiert, aber noch immer behandelt man diese mit ihren unveränderten Orakeleien bezüglich eines zweiten Lockdowns, als wären es ernstzunehmende Stimmen. Wie oft muss man denn falsch liegen? Wir hören doch auch nicht mehr auf Planwirtschaftler. Wir hatten Beispiele, wo Leute es mit anderen Konzepten versucht haben. Sollte nicht laut der Theorie für solche disparaten Lösungsansätze jetzt der Punkt kommen, an dem alle den Modellen folgen, die sich bewährt haben?
3) Tweet
Es ist mir unbegreiflich, wie dieselben Fehler immer und immer wieder ad nauseam wiederholt werden können. Inzwischen müsste doch wirklich auch dem letzten klar geworden sein, dass Bothsiderismus und Balance gegenüber Trump und der GOP nicht funktionieren. Wie kann man eine geradezu karikaturhaft schlechte Überschrift dieser Art einstellen? Es ist auch eine völlige Verantwortungslosigkeit in den entsprechenden Redaktionsstuben, gibt es doch genügend Studien die zeigen, dass ein Großteil der zu Überschriften gehörigen Artikeln nicht gelesen wird und deswegen die Überschriften sind, was hängen bleibt. Es ist so traurig. Es macht so wütend.This is journalistic malpractice: https://t.co/IdpszZi51l— @ijbailey (@ijbailey) August 2, 2020
4) Genozid an Ezid*innen: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist eine Kriegswaffe
Der sexuelle Missbrauch von Frauen wird dabei bis heute gezielt als Waffe eingesetzt, um die Männer sowie die Familien innerhalb der ezidischen Gemeinschaft zu demütigen. Das soziale Gefüge der Ezid*innen soll dadurch geschwächt und möglichst zerstört werden. Innerhalb dieser patriarchalen Machtordnung gilt die sexualisierte Gewalt als Privileg des vermeintlichen Siegers. Der Soziologe und Sozialpsychologe Rolf Pohl verweist in diesem Zusammenhang auf das folgende Motiv: „Bei Vergewaltigungen steht direkt und indirekt der Kontakt unter Männern im Vordergrund.“ Direkt, wenn der sexuelle Missbrauch vor den Augen der Ehemänner und Väter geschieht und indirekt, um das kollektive und individuelle Selbstverständnis der Männer als patriarchale Beschützer und Machtinhaber der Gesellschafts- und Familienordnung zu treffen. So tragen Männer also ihre Kriege bewusst auf den Körpern von Frauen aus, die sie der verfeindeten Seite zugehörig verstehen. Diese gezielt zerstörerische Gewalt gegen Frauen wird in den derzeitigen IS-Prozessen in Deutschland verstärkt thematisiert, vor allem bei dem Prozess am Oberlandesgericht in Frankfurt, wo es explizit um den Völkermord an den Ezid*innen geht. So fordert die Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Düzen Tekkal, dass auch sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe anerkannt und die verübten Vergewaltigungen an den ezidischen Frauen und Mädchen als genozidale Strategie des IS begriffen werden. (Ferda Berze, ze.tt)Es ist gut, dass die Forschung neuerdings diese Thematik etwas mehr in den Blick nimmt. Vergewaltigung im Krieg wurde bislang tatsächlich mehr oder minder unter Kollateralschäden verbucht, genauso wie Massaker, Brandstiftung und Plündereien. Ich glaube, das liegt generell daran, dass die Konfliktforschung erst seit recht kurzer Zeit von der klassischen, militärhistorischen Betrachtung von Konflikten weggekommen ist. Früher hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft mit wenigen Ausnahmen ohnehin kaum mit dem Thema beschäftigt, aber seit ungefähr 20 Jahren ist Konflikt- und Friedensforschung ein veritables, auch interdisziplinäres Forschungsfeld geworden. Gerade meine alma mater Tübingen hatte da lange Jahre einen ordentlich ausgestatteten Sonderforschungsbereich zu. Aber gerade im Zusammenhang mit dem IS, Boko Haram, den Hutu-Mordbanden und den anderen Gruppen dieser Art geriet die Thematik mehr ins Blickfeld. Der IS macht ja überhaupt kein Geheimnis daraus, etwa beim Völkermord an den Jesiden Sexualität und Vergewaltigung aktiv als Waffe zu missbrauchen. Aber gerade der Völkermord an den Tutsi in Ruanda zeigt deutlich, dass bei ethnischer Gewalt dasselbe passiert. Und die historische Forschung hat, den Blick im Lichte dieser Erkenntnisse nach hinten gerichtet, festgestellt, dass dies auch früher(tm) ein großes Thema war. Angesichts der babylonischen Reliefs ist es durchaus sinnvoll anzunehmen, dass dieses Verhalten so alt wie die Menschheit ist.
5) Why Obama still drives Republicans nuts
Obama, by contrast, doesn't know how to speak in any other rhetorical register than above and beyond the partisan fray. He invariably sounds reasonable, his tone fair-minded, objective. He speaks of the grand sweep of American history, renders Solomonic judgments, and looks down on the disputants on the field of battle, even as his proposals invariably advance the liberal-progressive side of the clashes taking place below him. That is what drives — and has always driven — the right nuts about Obama. It's his supposed pretense to elevation, to speaking in dispassionate terms about "us," about what's morally righteous and true, and rendering sometimes severe moral judgments of his opponents. He's a master of using a rhetoric of elevation to ennoble himself and his allies while casting implicit moral aspersions on his political foes, whom he portrays as self-evidently dishonorable, all the while sounding as if he's merely reciting the indisputable facts of the case. His tone at all times is that of a disapproving parent: You should be ashamed of yourselves. It's understandable that Republicans would dislike being talked to like this, especially when it proved so politically effective from 2008 to 2016. But the ferocity of the response cries out for a fuller explanation — and we find one in the distinction between the politics of democracy and the politics of populism. The politics of democracy is a contest to win the greatest number of votes — a plurality; or even better, a bare majority; and best of all, an overwhelming majority. This aim is what drove politics in this country through most of the 20th century. [...] That's also why Democrats need to follow Obama's example and keep aiming higher — and broader, electorally. In striving to speak for more of the country than present-day Republicans, Democrats validate their aspiration to speak also for what's right for the country, and to lead the effort to make it better and more perfect — and to expose their opponents' efforts to do the reverse. (Damon Linker, The Week)Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass die Republicans in den letzten 30 Jahren - seit der Präsidentschaftswahl von 1992 - nur ein einziges Mal eine Mehrheit in den Wahlen zu erringen imstande waren (Bush, 2004). In allen anderen Wahlen verloren sie das popular vote. Diese Absurdität ist mittlerweile so eingegraben, dass niemand etwas dabei findet Artikel darüber zu schreiben, dass etwa bei den Midterms die Democrats 5-7% mehr Stimmen brauchen als die Republicans, nur um die Chance zu haben gleichzuziehen. Wer aber 30 Jahre lang Politik für eine Minderheit betreibt, wird davon geprägt. Deswegen geht es der GOP auch nicht darum, um Mehrheiten zu werden. Daher der Dauerversuch, demokratische Mechanismen zu zerstören und die Stimmenabgabe zu unterdrücken. Umgekehrt sind die Democrats dazu gezwungen, eine Mehrheit zu finden, und zwar eine möglichst breite - daher die für die linke Parteibasis so irritierende Neigung der Parteiführung, nur kleine Schritte zu gehen und einen moderaten Kurs zu fahren.
6) Nicht schon wieder zuhören
Mir ist das auch völlig unklar. Als vor einigen Wochen die MLPD eine Lenin-Statue errichtete und damit kurz in die Nachrichten kam, forderte auch keiner, diesem Spinnerklub zuhören zu müssen oder dass diese Typen irgendeine relevante Bevölkerungsströmung vertreten würden. Stattdessen hat sich die Mehrheitsgesellschaft performativ abgegrenzt und sie dann ignoriert. Warum gelingt das angesichts der Verschwörungsspinner nicht? Warum sollte ich Menschen zuhören, die behaupten, Angela Merkel trinke das von UNICEF bereitgestellte Blut entführter Kinder, um ihre Macht zu behalten?Und es gehört zu dieser Rhetorik ("Mehr Zuhören!", "Sorgen und Ängste ernst nehmen" und so weiter), jede Abweichung, jede Irritation, jeden Konflikt einer Gesellschaft lediglich zum Produkt verfehlter oder ausgebliebener Kommunikationsprozesse zu erklären, dem man nun mit noch mehr Reden oder noch mehr Zuhören beikommen könne, als seien Menschen nicht auch ein wenig selbst dafür verantwortlich, was sie so denken und von sich geben. Im Fall von Corona könnte man sagen, dass es wohl weniger ein Versagen von Aufklärung ist, als vielmehr ein Erfolg der Gegenaufklärung, die dankbar auf schon vorhandene Ressentiments gefallen ist. Je pompöser dieses Zuhören nun eingefordert wird, desto unklarer wird ohnehin, was aus diesem Vorgang überhaupt erfolgen soll: Entweder das Zuhören ist eine symbolische, paternalistische Geste, die letzthin die Demonstranten zu emotional verwirrten, launenhaften Kindern verniedlicht, die nach etwas mehr Anerkennung ihrer Sorgeberechtigten rufen. Oder das Zuhören wird zum relativistischen Wahrheitsprinzip selbst erhoben, an dessen Ende alles nur noch in "Meinungen" aufgeht und im Zweifel die Ansicht eines Virologen gleichberechtigt neben der des Mannes steht, der glaubt, Angela Merkel sei von Echsenmenschen gesteuert oder womöglich selbst einer. Oder, als dritte, aus der jüngeren Geschichte heraus eher unwahrscheinliche Möglichkeit, entsteht tatsächlich etwas, was man möglicherweise Diskurs nennen könnte. Der setzte allerdings voraus, gewisse wissenschaftliche Fakten anzuerkennen, und auch die Einsicht, dass "starke Gefühle", so wenig sie vielleicht wegrationalisiert werden können, als erkenntnistheoretische Begründung selten etwas taugen. Wer diese basalen Vereinbarungen nicht einhält, sollte sich indessen nicht wundern, wenn man ihn nicht mehr ernst nimmt in einem Gespräch, zu dem er ja offensichtlich nichts Substanzielles beizutragen hat oder es gar nicht will. Und wenn übrigens Wolfgang Kubicki nach den Berliner Protesten sagt, die Politik habe versäumt, den Menschen genau zu erklären, was eigentlich das Ziel der gesamten Maßnahmen sei, dann ließe sich fragen, wer denn die ganzen vergangenen Monate eigentlich besser hätte zuhören müssen. (David Hugendick, ZEIT)
7) Vladimir Putin Wants to Rewrite the History of World War II
Putin’s penchant for historical references is well known, but his remarks last month were unusual—even by his standards. He spoke on the subject for nearly an hour to eight fellow leaders, who looked on stone-faced (though President Aleksandr Lukashenko of Belarus appeared to be taking notes). [...] Putin’s claims can be grouped into three categories: First, he argues that the Molotov-Ribbentrop Pact of August 1939, an agreement that mainstream historians would agree, contributed handsomely to the outbreak of World War II by partitioning Poland, was not particularly unusual in the context of the times. Putin draws attention to the 1938 Munich Agreement, which allowed Nazi Germany to gobble up parts of Czechoslovakia with the full endorsement of Britain and France. [...] The second part of Putin’s revisionist narrative concerns Poland’s policies in the run-up to World War II. In a nutshell, he argues that Poland was an architect of many of its misfortunes as it not just prevented the Soviets from helping Czechoslovakia but actively colluded with Germany to partition it. [...] The third part of Putin’s history lesson zeroed in specifically on anti-Soviet and anti-Semitic statements made by various Polish leaders. One piece of evidence here comes from a Sept. 20, 1938, conversation between Adolf Hitler and the Polish ambassador in Germany, Józef Lipski. In that particular conversation, Hitler told Lipski that he had been thinking of exiling Jews to the colonies (presumably to Africa), if the Polish, Hungarians, and Romanians agreed to this solution. According to Lipski’s report to Beck, he responded that “if this were resolved, we would erect him [Hitler] a wonderful monument in Warsaw.” [...] Given this twisting of facts and several glaring omissions, Putin’s revisionist history lessons are not convincing, even though some of the evidence he cites is valid on its own merits, and his broader point about shared responsibility for the outbreak of World War II is not unreasonable. [...] But the Russian president knows that weaponized history does not require peer review. The intended audience for his revisionist account is ordinary Russians, who will likely remember one important lesson from the would-be professor Putin—that the West is out to deny them the glory that their forefathers earned on the battlefield. (Sergej Radschenko, Foreign Policy)Die Gefahr bei Revisionismus der Marke Putin oder auch anderer, die solche Ideen vertreten, ist, dass die Narrative natürlich einen wahren Kern aufweisen. Denn Polen war ja eine expansiv-aggressive Macht, hat sich etwa 1938 durchaus an einem Teil der Tschechoslowakei gütlich getan. Dass die Polen ziemlich antisemitisch waren, ist ebenfalls nicht gerade ein Geheimnis. Nur begeht Putin natürlich den "Fehler" vieler Amateur-Historiker, diese vereinzelten Fakten aus dem Kontext zu reißen und in sein eigenes revisionistisches Narrativ einzubauen. Was Putin tut, ist Geschichte als Waffe zu benutzen und eine verzerrte Version russischer Geschichte zu erstellen, in der das Land mit der Sowjetunion und dem Zarenreich in eine lange Reihe gestellt wird (angesichts der Grenzverläufe beider Staatswesen extrem gefährlich), sie dann von allen negativen Elementen (Völkermorde, politische Massenmorde, diktatorische Unterdrückung, Pogrome, das ganze Programm) zu reinigen und stattdessen das westliche Ausland zum Bösewicht zu erklären. Darauf sollte man nicht hereinfallen, aber russische Propaganda-Instrumente wie RT Deutschland und natürlich die Trollfabriken des Kremls tragen den Mist auch nach Deutschland. Und da finden ihn dann wieder die Verschwörungsfans auf Youtube und sonstwo.
8) Tom Cotton Introduces Campus Free-Speech Bill
I am pleased to announce that today Senator Tom Cotton has introduced the “Campus Free Speech Restoration Act” (CAFSRA). Under CAFSRA, public colleges and universities that promulgate restrictive speech codes, so-called free-speech zones, and other unconstitutional speech policies will lose their eligibility to receive federal student loans and grants through the Higher Education Act. Private universities will also lose eligibility unless they both fully disclose their policies on free expression and accept contractual responsibility for enforcing those policies. Decades of successful court challenges to unconstitutional campus speech codes and zones have failed to end these practices. With many public colleges still evading their constitutional responsibilities, it is time for the hammer to come down. Only the prospect of losing federal aid can prevent public colleges from thumbing their noses at the First Amendment. [...] Tom Cotton understands the new cancel culture from the inside, having seen the New York Times go to war with itself over the perfectly legitimate decision to publish his op-ed on the use of force to quell riots. With hostility to free speech migrating from the campus to the culture at large, America’s civil peace is now at risk. Given our fraying commitment to liberty, an energetic effort to pass Cotton’s campus free-speech bill will do wonders — not just for our college campuses but for the country as a whole. In short, Tom Cotton’s Campus Free Speech Restoration Act is at the leading edge of the fight to restore liberty and constitutional principle to our college campuses — and to our country. Cotton’s bill should, and likely will, spark a major national debate. (Stanley Kurtz, National Review)Diese als Artikel getarnte Presseerklärung im National Review ist im Hinblick auf die beknackte Cancel-Culture-Debatte vor allem deswegen interessant, weil derselbe Tom Cotton noch eine Woche zuvor ein Gesetz in den Kongress eingebracht hat, der das das Unterrichten des 1619-Projekts unter Strafe gestellt hätte. Gegen das demokratische Repräsentantenhaus kam diese virtue-signaling-Initiative natürlich nicht an, aber sie zeigt deutlich, dass diese komplette Debatte in bad faith geführt wird. Tatsächlich ist die Rede von der cancel culture ein reines politisches Kampfinstrument. Sie ist lediglich ein neues Wort für Identitätspolitik, die wiederum nur ein neues Wort für political correctness war. Die Debatten sind jedes Mal die exakt gleichen, die Argumente sind die exakt gleichen, die Proponenten sind die exakt gleichen. Man siehe dazu auch Friedrich Merz' billigen Versuch, sich an die Debatte anzuhängen und ein paar schnelle Punkte zu machen. Andrea Geier hat einen guten Artikel dazu, ebenso Journal.de, und die aktuelle Debatte in Sachsen um eine Kunstausstellung, die von einer Allianz aus CDU, FDP und AfD gecancelt wird ohne auch nur die geringste Aufmerksamkeit oder die entsprechende Zuschreibung von cancel culture zu finden zeigt ebenfalls deutlich, wes geistig Kind die Debatte eigentlich ist - und dass es nur eine politische Waffe ist.
9) Böse Männer, gute Frauen?
Wie Psychologen um Steve Stewart-Williams im British Journal of Psychology berichten, werden solche für Männer positiven Studienergebnisse reflexhaft in Zweifel gezogen - von Männern wie Frauen gleichermaßen. Offenbart sich in vergleichbarer Forschung hingegen eine weibliche Überlegenheit, ergibt sich ein anderes Bild. Solchen Ergebnissen wird größeres Vertrauen entgegengebracht, die Methodik eher gelobt und die Aussagen als relevant bezeichnet. Auch hier gilt: Männer und Frauen reagieren gleichermaßen auf diese Weise auf Aussagen, die Frauen überlegen dastehen lassen. [...] Die Reaktion der Geschlechter unterschied sich dabei nur in Nuancen: Frauen bewerteten Ergebnisse sogar teils als gefährlich, wenn sie Männer besser dastehen ließen. Beide Geschlechter unterstellten dem jeweils anderen zudem, das eigene zu bevorzugen - was in diesem Fall aber nur auf Frauen zutraf. [...] Handelt es sich hier um Nebenwirkungen einer grellen, feministischen Wut, die ein Männerbild kommuniziert, das einer finsteren Karikatur gleicht? Eher nein, sagen die Forscher um Stewart-Williams. Sie wiederholten die gleiche Studie nämlich noch einmal in Südostasien, wo aus westlicher Sicht oft eher überkommene Rollenbilder gepflegt werden. In diesem Kulturkreis ergaben sich die gleichen Ergebnisse: Positive Aussagen über Männer gelten im Vergleich als unglaubwürdig. (Sebastian Herrmann, Süddeutsche Zeitung)Mir ist unklar, warum der gesamte Artikel einen so ironischen Ton beieinander hat. Es ist nämlich sehr problematisch, dass Männer automatisch als gefährlicher und böser gesehen werden, selbst von ihnen selbst. Das ist jetzt allerdings nicht Ausdruck einer durchgeknallten cancel culture, Identitätspolitik oder political correctness (siehe Fundstück 8), sondern das übliche Problem: Das Patriarchat schadet allen. Die Idee, dass es derartige natürliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gäbe, ist gefährlich, egal aus welcher Ecke sie kommt. Bestimmte Strömungen des Feminismus haben sich mit ihrer Männerfeindlichkeit da sicher keinen Gefallen getan, genauso wenig wie die männlichen Identitätskrieger, die permanent behaupten, dass Masken oder Kondome sie unmännlich machen, dass sie die Ehre "ihrer" Frauen verteidigen müssen und so weiter.
10) SPD attackiert Unionsvize: Absurd, befremdlich, inakzeptabel
Der Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz ist mit seinen harschen Vorwürfen gegen die Berliner Polizei auf deutlichen Widerspruch in der Opposition und beim Regierungspartner SPD gestoßen. Vaatz hatte der Polizei in einem Beitrag für das rechte Meinungsblog "Tichys Einblick" anlässlich der Anti-Corona-Demo in Berlin "dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen" vorgeworfen. Das "entspricht in etwa dem Geschwätz von der 'Zusammenrottung einiger weniger Rowdys', mit der die DDR-Medien anfangs die Demonstrationen im Herbst 1989 kleinrechneten", schrieb Vaatz. Belege führte er dafür nicht an, Recherchen mehrerer Medien sprechen dagegen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert sprach von "inakzeptablen Äußerungen". "Vor kurzem warnte die Union noch vor der Diffamierung unserer Polizei", sagte Kühnert zu t-online.de. "Heute kann ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender eben dieser Union der Polizei DDR-Methoden unterstellen, ohne dass ihm vernehmbar widersprochen würde. Ich halte das für befremdlich." [...] Aus der Union ist bislang wenig zu Vaatz zu hören. Ein Fraktionssprecher sagte Focus Online: "Herr Vaatz hat in dem Meinungsbeitrag seine persönliche Auffassung als MdB geäußert – diese spiegelt nicht die Haltung der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag wider." (Johannes Bebermaier/Jonas Mueller-Toewe, T-Online)Ideologische Nachbarschaft, ich sage es immer wieder. Relevant ist weniger, dass die SPD den Mann attackiert. Das ist natürlich relevant, schon allein, weil es Handlungsdruck bei der Union erzeugt. Wirklich wichtig ist aber, dass die Union selbst sich distanziert. Es ist schon einmal gut, dass die Partei sich offiziell distanziert, aber ansonsten ist die Reaktion doch recht weichgespült. Aber: Die Reaktion der CDU zeigt, dass die demokratischen Regeln und Sicherheitsinstrumente in Deutschland noch funktionieren. Und das ist sehr beruhigend.
11) Staat ohne Gott
Auch ohne Gottesschwur: Gott mischt kräftig mit in der deutschen Politik. In den Parlamenten, den Parteien, den Institutionen. Dabei wird so getan, als hätte er ein ganz natürliches Anrecht darauf, als gehörte er zur politischen Grundausstattung, zum politischen Personal der Bundesrepublik, zur »deutschen Demokratie«. Dass unsere heutige Demokratie un-streitbar auch auf einem Menschenbild gründet, das viel mit dem Christentum zu tun hat, will niemand infrage stellen. Aber die Geschichte zeigt, dass die christlichen Kirchen nicht unbedingt Trägerinnen der Demokratie waren – und sind. Was heute Staat und Staatsbürger ausmacht, ist gegen die christlichen Kirchen erkämpft worden. Das dürfen wir festhalten. [...] Wer Beamter, Staatsanwalt oder Richter werden möchte, schwört auf die Verfassung, nicht auf die Bibel oder den Koran. Deutschland ist ein Verfassungs- und kein Gottes-Staat, das ist die Voraussetzung für Religionsfreiheit. Alle Bürger dürfen ihren Gott, auch ihre Götter haben – der Staat aber muss in einer modernen, säkularen Grundrechtsdemokratie gottlos sein. Entscheidend sind nicht religiöse Präferenzen, sondern Verfassungstreue. [...] Es geht hier nicht um die Austreibung Gottes aus der Welt. Glaubens- und Religionsfreiheit ist Menschenrecht. Im Gegenteil: Demokratische Staaten garantieren religiösen Gruppen, Gemeinschaften oder Kirchen, dass sie frei agieren können, soweit sie nicht die Freiheiten anderer gefährden oder die Gesetze verletzen. Aber wir hätten keinerlei Einwände, wenn das Neutralitätsgebot endlich Anwendung fände und der Einfluss der Religionen – hierzulande vor allem der der beiden großen christlichen Konfessionen – entscheidend eingeschränkt und zurückgedrängt würde, inklusive aller Privilegien und Ressourcen, Subventionen und Ordnungsgelder. Es muss Schluss damit sein, dass Bischofsgehälter aus dem allgemeinen Steuertopf bezahlt werden, dass die Kirchen das Arbeitsrecht aushebeln können, dass schwerstkranken Menschen das Recht verwehrt wird, selbstbestimmt zu sterben. (Helmut Ortner, Salonkolumnisten)Genauso wie Leute, die christlich geprägte Schulen wollen, einen florierenden Privatschulsektor haben, ist unklar, warum andere staatliche Bereiche hier ausgenommen sein sollten. Ja, wir können über irgendwelche historischen Situationen reden, in denen das Grundgesetz geschrieben wurde, aber es lässt grundsätzlich die Freiheit für einen säkularen Staat. Die könnte man durchaus nutzen, denn die Zeit, in der die Amtskirchen über die CDU aktiven Einfluss auf die Politik hatten, sind lange vorbei. Die Amtskirchen sind heute weitgehend unpolitisch, und der Staat eigentlich auch. Es sind noch einige verirrte Reste dieser früheren, oppressiveren Kultur übrig, aber die dürfen durchaus noch fallen. Dazu gehören auch die nicht zu rechtfertigen Ausnahmeregeln für die Kirchen in Arbeits- und Tarifrecht. Und so weiter.
Dienstag, 11. August 2020
Die Bundestagswahl 2021 - Ein Zwischenstand
Freitag, 7. August 2020
Echte und eingebildete Verschwörungen, Geschlechterbilder, Nationale Stereotype und Putschisten - Vermischtes 07.08.2020
Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
Donnerstag, 6. August 2020
Der Sinn der Quote
Angesichts von Stefan Pietschs Artikel zu Sinn und Unsinn der Frauenquote (er lehnt sie erwartungsgemäß ab) entbrannte eine Diskussion, in deren Verlauf ich versprach, meine eigenen Gedanken zu dem Thema kohärent in einem Artikel statt verteilt über diverse Kommentare zu fassen. Dieses Versprechen will ich hiermit erfüllen. Ich fühle mich wie Haldir in Helms Klamm, quasi.
Mein Hauptproblem mit der ganzen Debatte für und wider die Quote ist, mit welch bescheuerten Prämissen sie oftmals geführt wird. Ich war früher selbst sehr ablehnend gegenüber der Frauenquote (ich erinnere etwa an diesen Artikel von mir), habe meine Meinung dazu aber mittlerweile geändert. Ich möchte hier erklären, warum. Ihr könnt mich jetzt umarmen.
Gleich vorweg gestellt: Ich bin kein Jurist. Ich gehe davon aus, dass es durchaus möglich ist, Frauenquoten oder Paritätsgesetze verfassungsgemäß zu erstellen, aber ich habe keine Ahnung wie und bin an den juristischen Spitzfindigkeiten auch nicht interessiert. Es gibt solche Quoten in vielen Bereichen bereits (Vorstände, in diversen Parteien, Betriebsräte, Behörden, etc.), ohne dass es ein Problem mit der Verfassung gab; das scheint mir eher ein Thema der konkreten Ausgestaltung zu sein. Selbst wenn das von Stefan Pietsch konkret kritisierte Paritätsgesetz gar nicht möglich wäre, so sagte dies immer noch wenig über andere Quotenlösungen aus, und ich will hier etwas allgemeiner werden.
Mit diesem Caveat müssen wir nun grundsätzlich werden. Denn die ganze Quotendiskussion hängt von grundsätzlichen Prämissen ab, die man teilen muss, um die jeweilige Seite nachvollziehen zu können. Es handelt sich nämlich um keine Diskussion über geeignete policy-Maßnahmen, deren Wirksamkeit leicht überprüft und argumentativ ausgefochten werden kann.
Stattdessen liegt der Quotendiskussion ein Streit um das richtige Menschenbild zugrunde, ein Streit also, den die Menschheit führt seit sie philosophischer Gedanken mächtig ist, der noch nie abschließend geklärt werden konnte und der auch nie abschließend geklärt sein wird. Grundsätzlich gehen Quotengegner von mehreren Prämissen aus:
Warum schreibe ich diesen Artikel überhaupt? Weil dies die Quote zu einer eminent politischen Fragestellung macht. Da es kein objektiv feststellbares "richtig" oder "falsch" gibt, ist die entscheidende Frage, welches der beiden Prämissenbündel sich im politischen Wettstreit durchzusetzen und Mehrheiten hinter sich zu versammeln vermag. Es geht um den uralten Streit zwischen konservativen und progressiven Ideen, und der wird nie abschließend entschieden sein. Ich will daher hier vor allem darlegen, was die eigentliche Argumentation für Quoten ist.
Denn die bescheuertste Argumentation ist sicher anzunehmen, dass man 40% der Aufsichtsräte mit Frauen besetzt und dann magisch die Emanzipation erreicht ist. Das fordert natürlich so niemand, aber es ist ein schöner Strohmann, auf den man als Quotengegner eindreschen kann. Ich möchte daher versuchen, so ehrlich wie möglich zu erläutern, warum ich inzwischen für die Quote bin - und warum ich die Argumente der Gegner für nicht stichhaltig befinde.
Nachdem wir diese ganze theoretische Vorrede aus dem Weg geräumt habe, in medias res.
Ich will jetzt die schlechteste Prämisse angehen, die Quotengegner gerne ins Feld führen (und die sich selbst, wie ich schamhaft eingestehen muss, auch lange Zeit verteidigt habe): Die Idee, dass eine Quote dazu führt, dass das allgemeine Kompetenzniveau sinkt.
Die grundsätzliche Idee ist ungefähr die: Führt man nun eine Quote ein, führt dies zur Beförderung weniger geeigneter BewerberInnen und damit zu einem Qualitätsverfall der Institution, ob nun Unternehmen, Behörde oder Hochschule.
Auf den ersten Blick klingt dieses Argument sinnvoll. Ist es aber nicht. Den Grund dafür liefert Kristina Lunz in einem Spiegel-Interview:
Zuerst zum analytischen. Selbstverständlich werden massenhaft inkompetente Männer in Spitzenpositionen befördert. Je nachdem, wie ernst man das Peterchen-Prinzip nimmt, sogar ein sehr großer Teil. Das als eine Art Männerquote zu begreifen hilft, die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Dynamiken zu erkennen und einzubeziehen.
Es hat aber auch den politischen Vorteil, dass es eine leicht greifbare Gegenerzählung zum oben angerissenen Narrativ der Quotengegner bietet. Es ist quasi ein Cousin des Gender-Paygap. Nicht hunderprozentig zutreffend, aber leicht verständlich und die Thematik abdeckend.
Tatsächlich ist so, dass die Quote ein forciertes Abschöpfen eines aktuell völlig brachliegenden Potenzials bedeuten würde, die durchschnittliche Qualität also mitnichten senken, sondern stattdessen erhöhen würde.
Aber, so mag man nun einwenden, woher sollen denn die qualifizierten Frauen kommen (oder andere Personen, die bisher strukturell benachteiligt werden und deswegen unterrepräsentiert sind)? Sie sind ja aktuell in den entsprechenden Bereichen kaum vertreten. Wie soll ich als Führungskraft in einem Bereich, in dem 90% der Beschäftigten männlich sind, 40% Frauen als Führungskräfte herbekommen? Muss ich da nicht zwangsläufig alles nehmen, was zwei X-Chromosomen hat?
Nun, grundsätzlich ist das natürlich nicht falsch. Aber es gehört zum unehrlichen Teil der Debatte um die Frauenquote, diesen Zustand einfach fortzuschreiben. Denn natürlich wäre es eine krasse Klientelpolitik, einfach nur in diesem System quasi alle verfügbaren Frauen zu befördern und so die Quote zu erfüllen. Und es würde definitiv zum Absinken der Qualität führen, schon allein, weil zahlreiche plötzlich abgebrochene Karrierepfade zu massivem Ressentiment und innerer Kündigung mit Dienst nach Vorschrift führen würden, selbst wenn die neuen weiblichen Vorgesetzten alle top wären.
Aber die Idee der Quote ist ja nicht, da stehen zu bleiben. Sie ist ein grobes Instrument, das an einer deutlich sichtbaren Stelle - der Spitze - ansetzt. Aber das eigentliche Ziel ist eine grundlegende Transformation.
Ich habe das lange selbst nicht verstanden und die Idee von 40% der Aufsichtsräte für reine Symbolpolitik gehalten. Auf einer gewissen Ebene ist es das natürlich auch. Das übersieht aber zwei Punkte. Erstens sind die Aufsichtsräte als überbezahlte Kaffeekränzchen ohnehin das falsche Instrument, weswegen das Paritätsgesetz schon eher in die richtige Richtung zielt.
Aber auf der anderen Seite sollte man nie vergessen, welche Wirkung Symbole haben. Politik läuft praktisch ausschließlich über Symbole. Sie haben Macht. Gegnern des Dieselfahrverbots geht es ja nicht in erster Linie um die Rettung einer spezifischen Technologie; der Diesel ist das Symbol für einen Grundsatzstreit in der Verkehrspolitik, dem Kampf um den motorisierten Individualverkehr. Genauso ist die Quote vorrangig ein Symbol für konkrete Emanzipationspolitik; sie kann kein Ersatz derselben sein.
Und das führt zum in meinen Augen wichtigsten Argument für die Quote, dem Argument, das meine eigene Sicht auf die Dinge geändert hat.
Denn die Quotengegner begehen einen fundamentalen Fehler, wenn sie das obige 90%-Beispiel verwenden. Es ist ein Trugschluss, wenngleich ein verständlicher. Unsere Hirne neigen dazu, den Status Quo unendlich in die Zukunft zu projizieren, es ist eine Methode, mit dem unser Bewusstsein den Irrsinn unendlicher Möglichkeiten eindämmt und uns unsere geistige Gesundheit bewahren lässt. Aber die Idee ist ja nicht, dass künftig zu 40% Frauen über eine zu 90% männliche Branche herrschen.
Die Idee ist stattdessen, die Branche insgesamt - und die Gesellschaft im Ganzen - zu transformieren. Im Kleinen wird das ja seit mittlerweile Jahrzehnten mit dem Girl's Day (und glücklicherweise seit etwas kürzerer Zeit auch dem Boy's Day) unternommen.
Denn wenn eine grundlegende Prämisse der Quotengegner richtig ist - und davon bin ich überzeugt - dass nämlich die Marktwirtschaft grundsätzlich funktioniert und dass sich die besten BewerberInnen durchsetzen werden, so wird gerade die unsichtbare Hand des Markts für den Erfolg der staatlich mandatierten Quote sorgen. Das klingt erst einmal widersprüchlich.
Was meine ich damit? Da die oben beschriebene Dynamik offensichtlich ist, muss es im Interesse jedes unter Marktbedingungen operierenden Unternehmens sein, die Rekrutierungsbasis für weibliche Führungskräfte zu vergrößern. Das kann, wie wir festgestellt haben, offensichtlich nicht funktionieren, indem wir quasi per Fallschirm alle verfügbaren Frauen innerhalb der Organisation greifen und möglichst weit nach oben befördern.
Stattdessen kann es nur funktionieren, indem von der Pike an explizite Förderung der bisher benachteiligten Gruppen betrieben wird. Unternehmen sind also gezwungen, Frauen von Beginn an zu umwerben und zu fördern. Das heißt, dass die bisherigen sich permanent reproduzierenden Männerclubs aufgebrochen werden müssen, in denen Männer vor allem deswegen herablassend über freie Entscheidungen von Frauen zu Elternzeit reden können, weil sie patriarchalische Muster in ihren eigenen Beziehungen reproduzieren und die Care-Arbeit auf ihre Partnerinnen abladen, während sie sich beim Geschäftsessen ihrer eigenen chauvinistischen Größe versichern.
Das werden Unternehmen tun, und das wird die Gesellschaft tun, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Dafür muss meine eigene Prämisse stimmen, dass es diese Umstände sind, die den Status Quo prägen. Und ich bin überzeugt davon, dass diese Prämisse korrekt ist.
Das Ironische an der ganzen Debatte ist, dass wir die Quotenlösungen ausgerechnet in den Organisationen hervorragend funktionieren sehen, die eher weniger mit Effizienz und Wettbewerbsgedanken verknüpft sind: staatlichen Institutionen und Behörden. Die haben nämlich schon seit fast zwanzig Jahren entsprechende Programme, und siehe da: Frauen rückten auf, und die Qualität litt nicht. Ganz im Gegenteil.
Also, liebe deutsche Wirtschaft: Wenn die staatliche Bürokratie das kann, dann kriegt die unsichtbare Hand das doch quasi mit links hin, während sie mit rechts die Produktivitätsgewinne in neuen Wohlstand verwandelt. Auf geht's!
Gleich vorweg gestellt: Ich bin kein Jurist. Ich gehe davon aus, dass es durchaus möglich ist, Frauenquoten oder Paritätsgesetze verfassungsgemäß zu erstellen, aber ich habe keine Ahnung wie und bin an den juristischen Spitzfindigkeiten auch nicht interessiert. Es gibt solche Quoten in vielen Bereichen bereits (Vorstände, in diversen Parteien, Betriebsräte, Behörden, etc.), ohne dass es ein Problem mit der Verfassung gab; das scheint mir eher ein Thema der konkreten Ausgestaltung zu sein. Selbst wenn das von Stefan Pietsch konkret kritisierte Paritätsgesetz gar nicht möglich wäre, so sagte dies immer noch wenig über andere Quotenlösungen aus, und ich will hier etwas allgemeiner werden.
Mit diesem Caveat müssen wir nun grundsätzlich werden. Denn die ganze Quotendiskussion hängt von grundsätzlichen Prämissen ab, die man teilen muss, um die jeweilige Seite nachvollziehen zu können. Es handelt sich nämlich um keine Diskussion über geeignete policy-Maßnahmen, deren Wirksamkeit leicht überprüft und argumentativ ausgefochten werden kann.
Stattdessen liegt der Quotendiskussion ein Streit um das richtige Menschenbild zugrunde, ein Streit also, den die Menschheit führt seit sie philosophischer Gedanken mächtig ist, der noch nie abschließend geklärt werden konnte und der auch nie abschließend geklärt sein wird. Grundsätzlich gehen Quotengegner von mehreren Prämissen aus:
- In einer Marktwirtschaft werden (Ausnahmen bestätigen die Regel) die kompetentesten und/oder ehrgeizigsten und/oder durchsetzungsfähigsten AnwärterInnen befördert und erreichen Spitzenpositionen.
- Unterrepräsentierte Gruppen sind üblicherweise deswegen unterrepräsentiert, weil sie andere Prioritäten haben und deswegen in ihrem Leben andere Entscheidungen trafen, etwa was den Ausbildungsweg oder die Familienplanung angeht. Konkret: Kunstgeschichte studiert statt ein MINT-Fach.
- Männer und Frauen sind durch ihre biologische Veranlagung mit unterschiedlichen Interessen und Verhaltensmustern ausgestattet; diese bedingen eine statistisch höhere Wahrscheinlichkeit, dass die oben beschrieben Punkte auf Männer zutreffen. Frauen indes sind in anderen Berufen überrepräsentiert, etwa in Pflege oder Erziehung, weil dies ihre natürliche Veranlagung mehr trifft.
- Machtverhältnisse reproduzieren sich; Männer mit abgeschlossenem BWL-Studium in Spitzenpositionen suchen sich andere Männer mit abgeschlossenem BWL-Studium als ihre Nachfolger und Protegés aus, weil diese ihnen ähnlich sind.
- Ist eine Gruppe strukturell benachteiligt, wird sie von der Macht ausgeschlossen. Gründe hierfür liegen in der oben beschriebenen Reproduktionstendenz, aber auch in strukturellen Rassismus, Sexismus und Klassismus.
- Männer und Frauen, Türken und Deutsche, Homosexuelle und Heterosexuelle sind grundsätzlich in ihren geistigen Fähigkeiten und Veranlagungen so ähnlich, dass die sozialen Umstände eine wesentlich größere Rolle in ihren Lebensentscheidungen spielen als die Biologie.
Warum schreibe ich diesen Artikel überhaupt? Weil dies die Quote zu einer eminent politischen Fragestellung macht. Da es kein objektiv feststellbares "richtig" oder "falsch" gibt, ist die entscheidende Frage, welches der beiden Prämissenbündel sich im politischen Wettstreit durchzusetzen und Mehrheiten hinter sich zu versammeln vermag. Es geht um den uralten Streit zwischen konservativen und progressiven Ideen, und der wird nie abschließend entschieden sein. Ich will daher hier vor allem darlegen, was die eigentliche Argumentation für Quoten ist.
Denn die bescheuertste Argumentation ist sicher anzunehmen, dass man 40% der Aufsichtsräte mit Frauen besetzt und dann magisch die Emanzipation erreicht ist. Das fordert natürlich so niemand, aber es ist ein schöner Strohmann, auf den man als Quotengegner eindreschen kann. Ich möchte daher versuchen, so ehrlich wie möglich zu erläutern, warum ich inzwischen für die Quote bin - und warum ich die Argumente der Gegner für nicht stichhaltig befinde.
Nachdem wir diese ganze theoretische Vorrede aus dem Weg geräumt habe, in medias res.
Ich will jetzt die schlechteste Prämisse angehen, die Quotengegner gerne ins Feld führen (und die sich selbst, wie ich schamhaft eingestehen muss, auch lange Zeit verteidigt habe): Die Idee, dass eine Quote dazu führt, dass das allgemeine Kompetenzniveau sinkt.
Die grundsätzliche Idee ist ungefähr die: Führt man nun eine Quote ein, führt dies zur Beförderung weniger geeigneter BewerberInnen und damit zu einem Qualitätsverfall der Institution, ob nun Unternehmen, Behörde oder Hochschule.
Auf den ersten Blick klingt dieses Argument sinnvoll. Ist es aber nicht. Den Grund dafür liefert Kristina Lunz in einem Spiegel-Interview:
Wir haben seit Jahrhunderten eine implizite Männerquote. Dabei ist die Fähigkeitsverteilung zwischen Männern und Frauen einfach gleich. Mit einem X-Chromosom oder einem Y-Chromosom kommt nicht mehr oder weniger Intelligenz. Wenn es dann aber eine Überrepräsentierung von Personengruppen gibt, dann bedeutet das, dass diese Gruppe seit Jahrhunderten Privilegien genießt, die ihr in einer gleichberechtigten Welt nicht zustehen. Wir haben also diese fürchterliche Männerquote, die dazu führt, dass es viele unqualifizierte Männer in Führungspositionen gibt. Das ist ein absolutes Drama.Da die Prämissen sich reproduzierender Machtstrukturen und institutionalisierter -ismen aus meiner Sicht absolut zutreffend sind (sonst würde ich sie ja kaum vertreten), hat Lunz' Framing nicht nur klare analytische Vorteile, sondern auch politische.
Zuerst zum analytischen. Selbstverständlich werden massenhaft inkompetente Männer in Spitzenpositionen befördert. Je nachdem, wie ernst man das Peterchen-Prinzip nimmt, sogar ein sehr großer Teil. Das als eine Art Männerquote zu begreifen hilft, die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Dynamiken zu erkennen und einzubeziehen.
Es hat aber auch den politischen Vorteil, dass es eine leicht greifbare Gegenerzählung zum oben angerissenen Narrativ der Quotengegner bietet. Es ist quasi ein Cousin des Gender-Paygap. Nicht hunderprozentig zutreffend, aber leicht verständlich und die Thematik abdeckend.
Tatsächlich ist so, dass die Quote ein forciertes Abschöpfen eines aktuell völlig brachliegenden Potenzials bedeuten würde, die durchschnittliche Qualität also mitnichten senken, sondern stattdessen erhöhen würde.
Aber, so mag man nun einwenden, woher sollen denn die qualifizierten Frauen kommen (oder andere Personen, die bisher strukturell benachteiligt werden und deswegen unterrepräsentiert sind)? Sie sind ja aktuell in den entsprechenden Bereichen kaum vertreten. Wie soll ich als Führungskraft in einem Bereich, in dem 90% der Beschäftigten männlich sind, 40% Frauen als Führungskräfte herbekommen? Muss ich da nicht zwangsläufig alles nehmen, was zwei X-Chromosomen hat?
Nun, grundsätzlich ist das natürlich nicht falsch. Aber es gehört zum unehrlichen Teil der Debatte um die Frauenquote, diesen Zustand einfach fortzuschreiben. Denn natürlich wäre es eine krasse Klientelpolitik, einfach nur in diesem System quasi alle verfügbaren Frauen zu befördern und so die Quote zu erfüllen. Und es würde definitiv zum Absinken der Qualität führen, schon allein, weil zahlreiche plötzlich abgebrochene Karrierepfade zu massivem Ressentiment und innerer Kündigung mit Dienst nach Vorschrift führen würden, selbst wenn die neuen weiblichen Vorgesetzten alle top wären.
Aber die Idee der Quote ist ja nicht, da stehen zu bleiben. Sie ist ein grobes Instrument, das an einer deutlich sichtbaren Stelle - der Spitze - ansetzt. Aber das eigentliche Ziel ist eine grundlegende Transformation.
Ich habe das lange selbst nicht verstanden und die Idee von 40% der Aufsichtsräte für reine Symbolpolitik gehalten. Auf einer gewissen Ebene ist es das natürlich auch. Das übersieht aber zwei Punkte. Erstens sind die Aufsichtsräte als überbezahlte Kaffeekränzchen ohnehin das falsche Instrument, weswegen das Paritätsgesetz schon eher in die richtige Richtung zielt.
Aber auf der anderen Seite sollte man nie vergessen, welche Wirkung Symbole haben. Politik läuft praktisch ausschließlich über Symbole. Sie haben Macht. Gegnern des Dieselfahrverbots geht es ja nicht in erster Linie um die Rettung einer spezifischen Technologie; der Diesel ist das Symbol für einen Grundsatzstreit in der Verkehrspolitik, dem Kampf um den motorisierten Individualverkehr. Genauso ist die Quote vorrangig ein Symbol für konkrete Emanzipationspolitik; sie kann kein Ersatz derselben sein.
Und das führt zum in meinen Augen wichtigsten Argument für die Quote, dem Argument, das meine eigene Sicht auf die Dinge geändert hat.
Denn die Quotengegner begehen einen fundamentalen Fehler, wenn sie das obige 90%-Beispiel verwenden. Es ist ein Trugschluss, wenngleich ein verständlicher. Unsere Hirne neigen dazu, den Status Quo unendlich in die Zukunft zu projizieren, es ist eine Methode, mit dem unser Bewusstsein den Irrsinn unendlicher Möglichkeiten eindämmt und uns unsere geistige Gesundheit bewahren lässt. Aber die Idee ist ja nicht, dass künftig zu 40% Frauen über eine zu 90% männliche Branche herrschen.
Die Idee ist stattdessen, die Branche insgesamt - und die Gesellschaft im Ganzen - zu transformieren. Im Kleinen wird das ja seit mittlerweile Jahrzehnten mit dem Girl's Day (und glücklicherweise seit etwas kürzerer Zeit auch dem Boy's Day) unternommen.
Denn wenn eine grundlegende Prämisse der Quotengegner richtig ist - und davon bin ich überzeugt - dass nämlich die Marktwirtschaft grundsätzlich funktioniert und dass sich die besten BewerberInnen durchsetzen werden, so wird gerade die unsichtbare Hand des Markts für den Erfolg der staatlich mandatierten Quote sorgen. Das klingt erst einmal widersprüchlich.
Was meine ich damit? Da die oben beschriebene Dynamik offensichtlich ist, muss es im Interesse jedes unter Marktbedingungen operierenden Unternehmens sein, die Rekrutierungsbasis für weibliche Führungskräfte zu vergrößern. Das kann, wie wir festgestellt haben, offensichtlich nicht funktionieren, indem wir quasi per Fallschirm alle verfügbaren Frauen innerhalb der Organisation greifen und möglichst weit nach oben befördern.
Stattdessen kann es nur funktionieren, indem von der Pike an explizite Förderung der bisher benachteiligten Gruppen betrieben wird. Unternehmen sind also gezwungen, Frauen von Beginn an zu umwerben und zu fördern. Das heißt, dass die bisherigen sich permanent reproduzierenden Männerclubs aufgebrochen werden müssen, in denen Männer vor allem deswegen herablassend über freie Entscheidungen von Frauen zu Elternzeit reden können, weil sie patriarchalische Muster in ihren eigenen Beziehungen reproduzieren und die Care-Arbeit auf ihre Partnerinnen abladen, während sie sich beim Geschäftsessen ihrer eigenen chauvinistischen Größe versichern.
Das werden Unternehmen tun, und das wird die Gesellschaft tun, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Dafür muss meine eigene Prämisse stimmen, dass es diese Umstände sind, die den Status Quo prägen. Und ich bin überzeugt davon, dass diese Prämisse korrekt ist.
Das Ironische an der ganzen Debatte ist, dass wir die Quotenlösungen ausgerechnet in den Organisationen hervorragend funktionieren sehen, die eher weniger mit Effizienz und Wettbewerbsgedanken verknüpft sind: staatlichen Institutionen und Behörden. Die haben nämlich schon seit fast zwanzig Jahren entsprechende Programme, und siehe da: Frauen rückten auf, und die Qualität litt nicht. Ganz im Gegenteil.
Also, liebe deutsche Wirtschaft: Wenn die staatliche Bürokratie das kann, dann kriegt die unsichtbare Hand das doch quasi mit links hin, während sie mit rechts die Produktivitätsgewinne in neuen Wohlstand verwandelt. Auf geht's!
Mittwoch, 5. August 2020
Bücherliste Juli 2020
Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.
Diesen Monat in Büchern: Reconstruction und Gilded Age, Feminismus, die Geschichte Frankreichs und eine Biographiensammlung deutscher Parlamentarier. Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: -
Diesen Monat in Büchern: Reconstruction und Gilded Age, Feminismus, die Geschichte Frankreichs und eine Biographiensammlung deutscher Parlamentarier. Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: -
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