Mittwoch, 30. Dezember 2020

Bücherliste Dezember 2020

 

Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.

Diesen Monat in Büchern: Obamas Biographie, Überreichtum, Rassismus und V2

Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Verbrechen, Rauschmittel

BÜCHER

Barack Obama - A promised land (Barack Obama - Ein verheißungsvolles Land)

Der erste Teil von Obamas autobiographischer Abarbeitung seiner Präsidentschaft ist erschienen. Als Bestseller konkurriert er vor allem mit seiner eigenen Frau, deren "Becoming" (deutsch) derart erfolgreich war, dass es noch eine eigene Netflix-Doku wurde. Das ist wenig überraschend. Bereits mit "Dreams of my father" hat Obama ein auch literarisch nicht zu verachtendes Werk hingelegt; auch "A Promised Land" ist allein hier von großer Güte. Daran ändert auch der stattliche Seitenumfang wenig; Obama war noch nie dafür bekannt, sich kurz zu fassen, wie er auch selbst freimütig zugibt.

Inhaltlich gibt der Ex-Präsident nur eine Kurzversion seiner Lebensgeschichte vor 2004/2008 ab, die uns hauptsächlich den politischen Menschen Obama zeigt. Alles läuft dabei auf die spätere Präsidentschaft hinaus. Auffällig ist vor allem der Ehrgeiz, der deutlich wird. Obama schreibt sehr offen darüber, bereits im Jurastudium auf eine hochrangige politische Karriere geschaut zu haben. Dabei streift er, beinahe peinlich berührt, auch seine eher egoistische Haltung gegenüber der ablehnenden Haltung seiner Frau zu diesen Ambitionen.

Die eigentliche Geschichte beginnt dann 2004 mit der Rede auf dem DNC für John Kerry, die ihn schlagartig zu einer nationalen Berühmtheit machte. Von dort geht es mit unerbittlicher Zielstrebigkeit zur Präsidentschaftskandidatur; wie viel Glaubwürdigkeit man dabei zugesteht, dass er erst 2006 wirklich den Entschluss fasste, ist den Lesenden selbst überlassen. Eindrücklich bleibt die Beschreibung eines Albtraums, in dem er seine eigene, kurz aufflackernde Unsicherheit angesichts der inhärenten Hybris des Projekts zum Ausdruck brachte (hier ausführlicher analysiert).

Die Biographie zeichnet wenig überraschend ein positives Bild, aber Obama übt sich an mehr Selbstkritik, als man dies aus solchen Werken kennt. Zum Teil verbirgt sich dahinter humble-bragging, eine Art von "vielleicht war ich zu intelligent für diese Umgebung". Auch das gehört praktisch zum Genre, aber der Mann kann es deutlich besser als die meisten anderen PolitikerInnen.

Einen großen Wert aber hat sie vor allem aus zwei Gründen. Einerseits gibt Obama beachtliche Einblicke in den Alltag der Präsidentschaft, sowohl über banale logistische Fragen (Schlafzimmer, Essen, die Fahrten in der gepanzerten Limousine oder Flüge in Air Force One) als auch die politischen Abläufe hinter den Kulissen. Ganz in Form garniert er diese Erzählungen immer mit ausführlichen Erklärungen. Ob er drei Seiten lang die Geschichte des filibusters darlegt, ehe er in in Kontext seiner eigenen Präsidentschaft setzt, oder die Geschichte des Nahen Ostens und der US-Politik in der Region darlegt, ehe er die eigene Reaktion auf den Arabischen Frühling behandelt, stets erklärt er ausführlich, um was es geht.

LeserInnen dieses Buches werden diese Ausführungen in den meisten Fällen nicht benötigen, aber darum geht es in meinen Augen auch nicht. Was diese Erklärungen Obamas so wertvoll macht ist, dass sie seinen Referenzrahmen deutlich machen. Sie zeigen uns als Lesenden, in welchen Kategorien er denkt und wo er seine Schwerpunkte setzt.

Wie auch Hillary Clintons "What happened" (das ich seinerzeit ausführlich hier im Blog besprochen habe) zeigt "A Promised Land" dabei unabsichtlich die klaren Schwächen und Probleme des Menschen auf. Zeigte sich bei Clintons Buch die Unfähigkeit, ein klares, zentrales Narrativ zu entwickeln, neigt Obama immer noch zu Übererklärungen und einem geradezu naiven Glauben an die Überzeugungskraft der Argumente. Noch schlimmer aber ist sein Unwille, bestimmte Fehler als solche zu erkennen. Am drastischsten wird das bei den Diskussionen um den stimulus 2009 deutlich, wo er die Prämissen Larry Summers' und Thimothy Geithners bezüglich der politischen Machbarkeit einfach akzeptierte.

Letztlich aber zeigt das Buch wesentlich mehr als solche Schattenseiten die Größe Obamas. Nicht nur im Hinblick auf seinen unbestreitbaren Intellekt, seine umfassende Bildung und seine spielerische Leichtigkeit, mit der er sie einzusetzen und zu kontextualisieren vermag. Auch die Größe seines Charakters wird wieder und wieder deutlich. Zwar überwand er Michelle Obamas Widerstände gegen seine politische Karriere. Aber wieder und wieder wird deutlich, in welchem Ausmaß er sich um andere Menschen sorgt, wie er in Kleinigkeiten auf sie achtet, wie er sich selbst ständig hinterfragt, schlicht: was für ein guter Mensch er ist. Gerade angesichts seines Nachfolgers kann man sich einer gewissen Wehmütigkeit nicht erwehren, wenn man das wieder vor Augen geführt bekommt.

Martin Schürz - Überreichtum

Meine Abneigung gegenüber Milliardären ist mittlerweile hinreichend dokumentiert. Dieses Buch tendiert in eine ähnliche Richtung und unterscheidet zwischen normalem Reichtum, also Leuten die viel Geld besitzen, und Überreichtum, also Leuten, die zu viel Geld besitzen. Die Kernfrage, die in dieser Diskussion eigentlich immer auftaucht, ist natürlich: Was ist zu viel?

Glücklicherweise fällt Schürz nicht in die Falle, sich allzu sehr auf Zahlenspiele einzulassen. Das gesamte Buch stellt stattdessen eher philosophische Überlegungen in den Mittelpunkt. Hierzu greift Schürz stark auf verschiedene Philosophen von Aristoteles über Kant zurück, zitiert antike Texte und vieles mehr.

In dieser Betonung der Klassiker fand ich auch den größten Nachteil des Werks; meinem Gefühl nach hätte man sich ein Drittel des Umfangs sparen können, hätte der Autor seiner eigenen Argumentation mehr vertraut. Letztlich läuft die zentrale Erkenntnis, die über die Machtfragen hinausgeht (die ich ja in meinen eigenen Überlegungen schon hinreichend ausgebreitet habe), darauf hinaus, dass Gerechtigkeit ein wichtiger Wert ist.

Zentral ist für Schürz dabei allerdings, dass diese ein durchaus diffuser Begriff ist. Was jeweils als gerecht empfunden wird schwankt stark. Auffallend ist aber - und hier sind die Rückgriffe auf die Philosophen tatsächlich hilfreich - dass es zu allen Zeiten Kritik an Überreichtum gegeben hat und dass das jeweilige Äquivalent heutiger Milliardäre immer von deutlichen Mehrheiten als illegitim empfunden wurde, ganz im Gegensatz zu "normalem" Reichtum.

Alice Hasters - Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Ich muss zugeben: Das ist das erste Mal, dass ich einen Wutkauf getätigt habe. Nachdem Dieter Nuhr sich wieder einmal nicht zu fein war, hochbezahlt zur besten Sendezeit eine junge Frau für das unentschuldbare Vergehen zu attackieren, eine andere Meinung zu haben als er (das ist mittlerweile ein so offensichtliches Muster, dass es schmerzhaft peinlich ist) und er sich nicht einmal die Mühe machte, auch nur in Erfahrung zu bringen, dass Alice Hasters eine Deutsche ist, entschloss ich mich, ihr Buch zu kaufen und zu lesen.

Hasters ehrenwertes Ziel ist es, mit diesem Buch eine stark persönlich gefärbte Erklärung des Phänomens Rassismus zu bieten. Sie tut das, indem sie ihre eigenen Erfahrungen in Deutschland in den Kontext von Erklärungen setzt. Wenn man diese Grundkonzepte bereits kennt (cultural appropriation und Ähnliches) ist der Erkenntnisgewinn auf dieser Seite eher gering; kennt man sie noch nicht, lernt man sehr viel dazu.

Hasters' Buch ist aber auch in ersterem Fall die Lektüre wert, von daher bin ich Nuhr dankbar. Denn durch das ständige Kontextualisieren dieser Theorien (die sehr leicht verständlich und ohne viel Jargon am Rand bleiben dürfen) mit ihren eigenen Erfahrungen entsteht ein gutes Sittengemälde einer BIPoC (Black, Indigineous or Person of Color, die Selbstzuschreibung vieler ethnischer Minderheiten) in Deutschland. Von Körpererfahrungen zu Beziehungen mit weißen Männern über Diskriminierungserfahrungen ist alles dabei. Sehr lesenswert.

Robert Harris - V2 (Robert Harris - Vergeltung)

Dieses Buch ist eine kleine Mogelpackung. Zugegebenermaßen kennt man das Problem von Harris' Romanen zumindest zum Teil; "Vaterland" oder "Enigma" hatten ja dasselbe. Die Mogelpackung ist, dass es eigentlich kein Roman ist. Oh, sicher, es gibt eine Handlung, Hauptfiguren, direkte Rede, das ganze Programm. Aber eigentlich ist V2 ein Sachbuch, das sich nur als Roman tarnt. Harris ist sehr gut darin, solche Pseudo-Romane zu schreiben, aber ein guter Romanautor ist er nicht. Die Charaktere sind lachhaft, die Dialoge bestenfalls funktional, die auktoriale Erzählerstimme ohne jede Ambivalenz, Feingefühl oder menschliche Regung.

Aber darum geht es auch nicht. Harris liest man, weil man eine bestimmte Stimmung, ein Setting erleben möchte. Und man muss es dem Mann lassen, er beherrscht seine Recherche. Und diese Recherche vermag er dann in beeindruckendes literarisches Gemälde zu verpacken.

In diesem Fall geht es um die V2-Raketen, die vor allem im Herbst 1944 auf London niedergingen. Harris' zentrale Prämisse lässt sich in etwa so zusammentragen: Das V2-Programm war ein vollkommen absurdes Projekt. Es band Unsummen für einen lächerlichen militärischen Effekt. Seine Schöpfer waren an Waffen nicht interessiert, sie wollten Raumfahrtforschung betreiben.

Das führt zu der nicht reizlosen Konstellation, dass der Gegner für den deutschen Hauptcharakter (einen unpolitischen und völlig jeden Charakters beraubten Ingenieur) weniger die Briten als die Gestapo ist. Aber letztlich tut Harris damit nicht viel. Die über 20.000 Toten, die der Bau der V2 allein hervorbrachte, werden zwar wie in einem Gruselkabinett zur Schau gestellt; die emotionslose Kamera, die hier als Hauptfigur fungiert, nimmt darauf aber nur wenig Bezug, genauso wenig wie der sehr enigmatisch bleibende Wernher von Braun. Das ist Malen nach Zahlen, um überhaupt so etwas wie einen Plot zu stricken, der so dünn ist, dass Harris kein Problem hat, in demselben Kapitel Raum eine Begegnung zwischen Hitler und von Braun nachzuerzählen, in dem er auch die Hauptfigur eine Widerstandskämpferin retten lässt (natürlich).

Ähnlich sieht es auf der Gegenseite aus. Die Figur einer weiblichen Stabsoffizierin im Geheimdienst ist ein abgeschmackter Abklatsch von "Enigma", und die Tatsache, dass ihre Arbeit völlig bedeutungslos bleibt, hilft nicht eben, sie interessanter zu gestalten. Wie auch ihr männliches Gegenpart bei den Deutschen ist sie nur eine laufende Kamera, damit Harris uns an den Gegenmaßnahmen der Briten und den Auswirkungen der V2 auf London teilhaben lassen kann. Sie hat eine Affäre mit einem hochrangigen Offizier (natürlich), sie deckt einen versteckten Kollaborateur auf, aber nichts von alledem ist...relevant.

Was relevant ist, ist der historische Hintergrund, die Einbettung dieser belanglosen Plots in das absolut faszinierende V2-Projekt, über das - und das dürfte die wichtigste Erkenntnis Harris' sein - viel zu wenig bekannt ist. Das allein rechtfertigt die Lektüre dieses recht kurzen Romans.

ZEITSCHRIFTEN

GEO Epoche - Verbrechen der Vergangenheit

In diesem Heft wird von den Pharaonen bis in die 1980er Jahre das Verbrechen behandelt. Häufig ist die Idee dabei, das erste dokumentierte große Auftreten eines bestimmten Verbrechens - oder wenigstens sein wichtigstes - aufzuzeigen. Der Mord an einem Pharao oder die Entdeckung von Fingerabdrücken, die Giftmorde von Paris oder der Aufstieg der Cosa Nostra finden sich so in einem Band.

In der Theorie ist das eine gute Idee, die für einen gewissen verbindenden Rahmen sorgt. In der Praxis funktioniert es leider nur sehr eingeschränkt, denn die einzelnen Beiträge stehen alle nur für sich, was jeden größeren Zusammenhang verhindert - und damit auch eine gewisse Oberflächlichkeit bedingt, die von den Heften mit klarerem Fokus nicht getragen wird. Leider keine Empfehlung für diese Ausgabe.

Aus Politik und Zeitgeschichte - Rauschmittel und Drogen

Ohne Empfehlung bleibt auch dieses Exemplar der APuZ. Vielleicht liegt es auch an meiner generellen Ferne zum Thema; ich habe keinerlei Bezug zum Konsum von Drogen, weder legalen noch illegalen. Aber auch sonst bleiben die Beiträge hier überwiegend eher oberflächlich. Ich empfand sie häufiger als überlang, gemessen an dem, was in ihnen gesagt wird. Ein eher forschungsnaher Artikel strotzte vor Fachbegriffen, die wenig zur Erhellung der Thematik beitrugen; ein anderer verbrachte sechs Seiten mit der Erkenntnis, dass die nationale Drogenpolitik stark von internationalen Vertragswerken abhängt, was für mich zwar eine neue und durchaus überraschende Erkenntnis war, aber gleichzeitig nicht so viel Raum bedurft hätte. Auch die Auswirkungen von Alkoholkonsum oder Cannabis-Genuss blieben in einem merkwürdigen Zwischenraum von unterkomplex und überausführlich. Eine gewisse Beliebigkeit und Belanglosigkeit war der vorherrschende Eindruck meiner Lektüre. Ich möchte aber erneut dezidiert die Möglichkeit offenlassen, dass dies an meinem eigenen mangelnden Bezug liegt.

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