Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Jeff Bezos became even richer thanks to Covid-19. But he still won't protect Amazon workers
Bezos has accumulated so much added wealth over the last nine months that he could give every Amazon employee $105,000 and still be as rich as he was before the pandemic. [...] Decades ago, employees in most large corporations could remedy unsafe working conditions by complaining to their union, which pressured their employer to fix the problems, or to the Occupational Safety and Health Administration (founded in 1970), which levied fines. Alternatively, they could embarrass their companies by going public with their complaints. As a last resort, they could sue. None of these routes is readily available to Amazon warehouse workers – nor, for that matter, to warehouse workers at Walmart, or to most workers in other super-spreader Covid workplaces such as meatpacking plants and nursing homes. [...] Amazon employees who go public with their complaints are likely to lose their jobs. The corporation prohibits its workers from commenting publicly on any aspect of its business, without prior approval from executives. [...] All of which reveals the utter fatuousness of the US Senate majority leader Mitch McConnell’s and his fellow senate Republicans’ demand that any new coronavirus economic relief package must include a corporate “liability shield” against Covid cases. [...] Bezos and Amazon, as well as every major employer in America, can easily afford to protect their workers. And the richest nation in the world can easily afford to provide every American adequate income support during this national emergency. But under Scrooge capitalism, they will not do so unless forced. (Robert Reich, Guardian)
Ich kann mich erinnern, dem Konzept von MilliardärInnen gegenüber generell nicht sonderlich aufgeschlossen zu sein. Die oft gehörte Rechtfertigung bezüglich karitativer Tätigkeiten kann man bei Bezos getrost ignorieren; der Mann leistet nicht einmal dieses absolute Minimum. Es gibt auch keine Entschuldigung für die Arbeitsumstände bei Amazon. So sehr ich den Laden für die Effizienz und Dienstleistung liebe, die er erbringt, so absolut untragbar sind die Arbeitsumstände. Und natürlich die Tatsache, dass diese Umstände legal sind. Wie so oft macht der freie Markt hier nur, was der freie Markt halt macht (auch wenn die meisten Marktteilnehmer nicht ganz so unmenschlich und schweinisch agieren wie Bezos, zugegeben). Aber Fakt ist halt, dass Amazon keine Auflagen hat, die Gesundheit seiner ArbeiterInnen einzuhalten. Also wird jemand, der unmenschlich ist, das nicht tun. Angebot und Nachfrage, Anreiz und Handlung.
Endlich haben die Länderchefs mit der Kanzlerin eine klare Entscheidung getroffen. Sie hätte viel früher fallen können und müssen. Viele Menschen mussten sterben, damit die Regierungschefs endlich den Mut fassen konnten: Mut zur Verantwortung für harte, aber überfällige Maßnahmen. [...] Wenn es erlaubt ist, wird es schon in Ordnung sein, sonst wäre es ja wohl verboten – diese Haltung ist menschlich. Niemand kann Eltern einen Vorwurf machen, wenn sie ihr Kind in die Kita bringen, denn die Kita ist doch offen. Niemand kann einem notleidenden Gastronomen vorwerfen, dass er Glühwein auf der Straße verkauft, denn das war doch erlaubt, und er musste Geld verdienen. Und niemand kann sich wundern, wenn Menschen dann diesen Glühwein kaufen und sich vielleicht sogar gegenseitig zuprosten. Der Mensch will vielleicht vernünftig sein, aber das geht nicht ständig, er sucht sich Schlupflöcher. Das Virus schlüpft stets mit hindurch. Schon jetzt ächzt das Gesundheitssystem, manche Intensivstation ist bereits voll, das Personal erschöpft. Noch viele werden sterben müssen. So schrecklich die hohen Todeszahlen sind, so beängstigend die immer stärker ansteigenden Infektionen – diesen Schock hat das Land offenbar gebraucht, um zu begreifen: Ohne klare Regeln können wir diese Pandemie nicht aufhalten. Weil die Länderchefs noch Verordnungen aufsetzen und ihre Parlamente einbeziehen müssen, gelten sie erst ab Mittwoch. Vielleicht schaffen wir es ja, uns schon vorher zusammenzureißen. (Stefan Kuzmany, SpiegelOnline)
Ihr merkt an diesem Artikel, dass das Vermischte eine Weile darben musste; der Beginn des Lockdowns liegt schon deutlich in der Vergangenheit. Das Problem, das Kuzmany hier beschreibt, ist dadurch aber nicht gerade verschwunden. Der hier angesprochene kleine Bruder des Problems ist das Eintreten für Corona-Schutzmaßnahmen, die andere betreffen. Denn viele Leute, ich eingeschlossen, sind sehr vernünftig, wenn es darum geht, menschliche Kontakte dort zu begrenzen, wo man selbst nicht hingeht. In der Stuttgarter Innenstadt die Läden schließen? Ja bitte, ich kauf da eh nicht ein. An Weihnachten keine Versammlung über 5 Personen? Kein Problem, hatte ich eh nicht vor. Die Mechanik ist dieselbe wie bei Debatten um den Sozialstaat oder die Steuern; es kürzt, verbietet und beschneidet sich dort am leichtesten, wo man nicht selbst betroffen ist. Gerade deswegen braucht es in solchen Zeiten Führungsstärke in der Politik, Leute, die bereit sind, für das große Ganze zu denken und zu handeln. Also das, wofür sie gewählt wurden. Und da hapert es leider auf vielen Ebenen.
3) Will Georgia show Democrats ran the wrong campaign against Trump?
Meanwhile, Democrats went easy on the Trump administration throughout his time in office. House Democrats could have gotten Trump's tax returns from New York state before the election but didn't push for them because they worried it would appear too partisan. Numerous scandals by Trump cabinet officials didn't receive full hearings or threats of impeachment. Even when House Democrats did impeach President Trump, Speaker Nancy Pelosi decided to go for a "narrow" impeachment focused only on the election interference issue. Then that impeachment was barely mentioned by Biden or any other Democrats during the campaign. By comparison, when House Republicans knew they would likely face Hillary Clinton in 2016, over the course of more than two years they spent $7 million holding 33 hearings to produce an 800-page report on just the 2012 terrorist attack in Benghazi. It was a relentless effort that, despite its thin factual premise, laid the groundwork for much of the prolonged controversy over Clinton's use of a private email server which undoubtedly drove down Clinton's favorable numbers and eventually her turnout. (Jon Walker, The Week)
Ich habe mit dem Artikel zwei Probleme. Problem Nummer eins ist, dass Georgia nicht die Nation als Ganzes repräsentiert. Die Ergebnisse aus diesem Bundesstaat sind also so oder so Ergebnisse aus diesem Bundesstaat und können nur sehr schwer auf die Nation als Ganzes ausgerollt werden. Dazu kommt, dass der Runoff die Besonderheit hat, dass wir die restlichen Ergebnisse schon kennen - Präsident und Zusammensetzung des Senats sind bekannt. Diese Ergebnisse können daher schon von sich aus nicht zeigen, was "falsch gelaufen" ist.
Auf der anderen Seite bin ich skeptisch gegenüber der Strategie, Anti-Trump-Wahlkampf zu betreiben. Der Mann war schon so unglaublich negativ, der unbeliebteste Präsident der letzten 70 Jahre. Was hätte mehr negative Wahlwerbung da erreichen sollen? Das funktioniert nur, wenn man jemand in den Dreck ziehen will, der da vorher nicht war (wie etwa jedeR andere KandidatIn der letzten Zeit, ob Romney oder Clinton, McCain oder Obama. Aber bei jemandem, bei dem selbst die eigene Anhängerschaft keinen Zweifel daran lässt, dass sie ihn für einen schlechten Menschen hält - was sollen denn da Negativ-Ads noch ausrichten? Aber vielleicht gibt es gute Argumente, bin gespannt, sie zu hören!
Ob und was Schüler im Shutdown verpasst hatten, wusste niemand genau. Als erstes und vorläufig einziges Bundesland nun hat Hamburg diese Frage mit Leistungstests beantwortet – mit einem überraschenden Ergebnis: Offenbar haben die Schüler nicht viel verpasst! Für alle vier Jahrgangsstufen, die nach den Sommerferien getestet wurden – dazu gehörten die dritten, vierten, fünften und siebten Klassen –, vermeldet die Schulbehörde: "Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse der Lernstandserhebungen auf keinerlei Lernrückstände hindeuteten." Kurz gesagt: Schüler und Schülerinnen haben so viel gelernt wie in den Vorjahren. [...] Was sagt das aus? Dass der Fernunterricht (zumindest in Hamburg) besser funktioniert hat, als das vermeintliche "Homeschooling-Desaster" (spiegel.de) vermuten ließ? Dass die physische Anwesenheit im Klassenraum fürs Lernen gar nicht so wichtig ist? Oder dass – Gott bewahre! – Schule insgesamt überschätzt wird und acht Wochen mit oder ohne Unterricht am Ende keinen Unterschied machen? Die Hamburger Schulbehörde verkündete ihre Ergebnisse jedenfalls nicht selbst mit viel Trara, sondern ziemlich versteckt als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Freilich gibt es gute Gründe, keine allzu weitreichenden Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen zu ziehen. (Martin Spiewak, ZEIT)
Ich sehe es nicht ganz so entspannt, denke das Bild ist komplizierter und sehr individuell. Grundsätzlich sind die Horrorszenarien, die man gerade in der Presse lesen darf - vor allem der Blödsinn so genannter Bildungsökonomen von 10.000 Euro Verlust über das ganze Leben - übertrieben. Verlorener Stoff ist in den seltensten Fällen das Problem; den haben die SchülerInnen ja üblicherweise schon zwei Wochen nach der Klausur wieder vergessen. Das ist natürlich nicht für jeden Stoff gleich korrekt; die GrundschülerInnen sollten das schriftliche Multiplizieren schon beherrschen. Aber ob die Feinheiten des Bienentanzes in Biologie oder Wilhelm Tell in Deutsch nun gemacht wurden oder nicht - das ist verschmerzbar.
Problematischer ist der Verlust erlernter Kompetenzen (wem diese Begrifflichkeiten nicht klar sind, der lese noch einmal meinen Artikel zum Aufbau von Unterricht). Und hier zeigen sich die Qualitätsunterschiede im Fernunterricht auch massiv. Hier hinein fallen Grundtechniken des Arbeitens. Für meine Fächer in der Oberstufe wäre das etwa die Fähigkeit, einen Text zu interpretieren oder eine Quelle auszuwerten zu nennen. Ob wir das anhand dreier Werke der Weltliteratur gemacht haben oder an zweien, ob wir Weimar vollständig behandelt haben oder nicht, ist demgegenüber eher zweitrangig.
5) Farah pflegt schwerkranke Corona-Patienten – jetzt soll sie abgeschoben werden
Obwohl die Fachkrankenpflegerin bereits seit 34 Jahren in Deutschland lebt, besitzt sie keinen Ausweis. Mit zwei Jahren floh sie mit ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg im Libanon. Das war im Jahr 1986, seitdem ist sie staatenlos. Laut Aufenthaltsgesetz gilt sie als „geduldete Person mit ungeklärter Identität.“ Dank ihrer Geburtsurkunde aus dem Libanon soll die 36-Jährige bis 2005 noch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung besessen haben. [...] Frau Demir würde bereits seit Jahren bei Ministerien und Härtefallkommissionen um Unterstützung beten – jedoch erfolglos. Dies stelle eine psychische Dauerbelastung für eine in Deutschland aufgewachsene und voll integrierte Person dar. Der Präsident der Hochschule fügt im Gespräch mit der „HAZ“ hinzu, Demir sei eine „tadellose und bewährte Pflegekraft.“ Man werde sich „auf allen Kanälen“ für sie einsetzen. (Agentur, Focus.de)
Ich habe das Problem schon vor Jahren in meinem Artikel zum Pfad zur Staatsbürgerschaft beschrieben. Es ist kompletter Irrsinn, wie hierzulande die ohnehin viel zu unzureichenden Ressourcen bei der Abarbeitung von Asylanträgen einerseits und dem Abschieben von Leuten andererseits benutzt werden. Jemand, der seit 34 Jahren (!) im Land ist, abzuschieben - wie irre kann ein System eigentlich sein? In der Zeit verjährt außer Mord jede Straftat. Was soll denn der Quatsch? Besonders da die Person, um die es hier konkret geht, eine sozial äußerst wertvolle Arbeit leistet, Sozialversicherungsbeiträge und Steuern bezahlt und auch sonst unauffällig gewesen zu sein scheint. Könnte der Bundestag in der nächsten Legislaturperiode bitte, bitte endlich das Einwanderungsrecht überarbeiten und solche Fälle künftig ausschließen? Holt euch doch einfach die FDP mit ins Boot, die haben da ja durchaus wohl durchdachte und konsensfähige Ideen. Die könnten eventuell die Brücke zwischen CDU-Nationalismus und Grünen-Idealismus an der Stelle bilden.
6) The Cyberpunk 2077 Review Drama
There was a time when game reviews appeared to be held in a very different esteem. Back in the ‘80s and ‘90s, paper magazines were released once a month, and keen readers would pore through them to learn all the news and opinions about their chosen medium of gaming. Each magazine would have a Reviews section, in which the team of writers shared their thoughts and feelings about the latest games, and then, inevitably, gave them a score. [...] Come the widespread access to the internet and that authority became immediately diluted. Not only could people immediately access a range of alternative scores and opinions, but—more insidiously—they could gather information about the games directly from the creators and publishers. While print gaming magazines had their significant flaws and their (rare) scandals, they were at least a filter between the people who wanted money, and the people who had the money. The internet broke that barrier down, and now the optimistic spin and outright lies of the publishers could reach the players directly. [...] While obviously 2014’s “GamerGate” clusterfuck was always at its core about obliterating the voices of women and minorities in games criticism/journalism, the lie of “ethics in games journalism” caught a large number in its wake. This notion that the entire process was institutionally corrupt, run by a cabal of venal shills, went from the silly whispering of the few to a broad outcry of so many. The disenfranchised, the lonely, the rejected and the naive were swept up by the cruel and the crazy, and coalesced around an identity that relied on there being this Evil Empire for them to oppose. Gaming wasn’t broadening its appeal to more people because more people were making games—it was because of the Evil Empire forcing their progressive politics down our throats. Never mind that vastly more of the types of games this audience demanded were being released than ever before, never mind that white dudes holding giant guns still appeared on the boxes of every other game, their culture was being stolen from them, and all the bad, sad feelings inside them were because of Them. (John Walker, Kotaku)
Ich bleibe dabei, dass die #Gamergate-Kontroverse von 2014 ein sehr gutes Prisma abgibt, um den Aufstieg des Rechtspopulismus' weltweit zu verstehen, schon allein deswegen, weil das Thema scheinbar so weit entfernt von der ach so seriösen Politik ist. Wir hatten es erst letzthin im Vermischten anhand des Themas von "Kingdom Come: Deliverance", wo auch rechte Narrative gepusht wurden. Das ist in Cyberpunk2077 jetzt nicht der Fall, aber hier geht es auch eher um soziale Vorgänge. Denn dieses Fantum, dieses Abschließen in eine Blase, in die keine noch so rationale Kritik zu dringen vermag, eine Selbstradikalisierung - wenn das nicht ein Problem der Gesellschaft als Ganzes ist, dann weiß ich auch nicht. Gleiches gilt für den rapiden Vertrauensverlust der einstigen Gatekeeper. Ich erinnere mich noch zu gut an die Zeit, als die monatlich erscheinenden PC-Spiele-Zeitschriften (ich las PC Action, Gamestar und PC Games parallel!) der einzige Zugang zu Informationen waren und gerade der monatliche Rhythmus und die redaktionelle Begleitung die Debatten bestimmten und in Bahnen hielten. Das hatte natürlich diverse negative Folgeeffekte, was Korruption anbelangte oder dem Verfallen von Hypes wegen begrenzten Zugangs (erinnert sich noch jemand an das Desaster von Black&White im Jahr 2001? Und die wurden dann als Deckmantel für die unglaubliche mysogyne Hasswelle für #Gamergate genutzt. Wie gesagt, die Parallelen sind offenkundig.
7) Trump nach Niederlage "so enttäuscht" über Supreme Court
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