Montag, 21. Dezember 2020

Jeff Bezos wird zum Wahlkampf nach Georgia abgeschoben, daddelt aber lieber Cyberpunk2077 im Europäischen Parlament - Vermischtes 21.12.2020

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Jeff Bezos became even richer thanks to Covid-19. But he still won't protect Amazon workers

Bezos has accumulated so much added wealth over the last nine months that he could give every Amazon employee $105,000 and still be as rich as he was before the pandemic. [...] Decades ago, employees in most large corporations could remedy unsafe working conditions by complaining to their union, which pressured their employer to fix the problems, or to the Occupational Safety and Health Administration (founded in 1970), which levied fines. Alternatively, they could embarrass their companies by going public with their complaints. As a last resort, they could sue. None of these routes is readily available to Amazon warehouse workers – nor, for that matter, to warehouse workers at Walmart, or to most workers in other super-spreader Covid workplaces such as meatpacking plants and nursing homes. [...] Amazon employees who go public with their complaints are likely to lose their jobs. The corporation prohibits its workers from commenting publicly on any aspect of its business, without prior approval from executives. [...] All of which reveals the utter fatuousness of the US Senate majority leader Mitch McConnell’s and his fellow senate Republicans’ demand that any new coronavirus economic relief package must include a corporate “liability shield” against Covid cases. [...] Bezos and Amazon, as well as every major employer in America, can easily afford to protect their workers. And the richest nation in the world can easily afford to provide every American adequate income support during this national emergency. But under Scrooge capitalism, they will not do so unless forced. (Robert Reich, Guardian)

Ich kann mich erinnern, dem Konzept von MilliardärInnen gegenüber generell nicht sonderlich aufgeschlossen zu sein. Die oft gehörte Rechtfertigung bezüglich karitativer Tätigkeiten kann man bei Bezos getrost ignorieren; der Mann leistet nicht einmal dieses absolute Minimum. Es gibt auch keine Entschuldigung für die Arbeitsumstände bei Amazon. So sehr ich den Laden für die Effizienz und Dienstleistung liebe, die er erbringt, so absolut untragbar sind die Arbeitsumstände. Und natürlich die Tatsache, dass diese Umstände legal sind. Wie so oft macht der freie Markt hier nur, was der freie Markt halt macht (auch wenn die meisten Marktteilnehmer nicht ganz so unmenschlich und schweinisch agieren wie Bezos, zugegeben). Aber Fakt ist halt, dass Amazon keine Auflagen hat, die Gesundheit seiner ArbeiterInnen einzuhalten. Also wird jemand, der unmenschlich ist, das nicht tun. Angebot und Nachfrage, Anreiz und Handlung.

2) Hilft ja nichts

Endlich haben die Länderchefs mit der Kanzlerin eine klare Entscheidung getroffen. Sie hätte viel früher fallen können und müssen. Viele Menschen mussten sterben, damit die Regierungschefs endlich den Mut fassen konnten: Mut zur Verantwortung für harte, aber überfällige Maßnahmen. [...] Wenn es erlaubt ist, wird es schon in Ordnung sein, sonst wäre es ja wohl verboten – diese Haltung ist menschlich. Niemand kann Eltern einen Vorwurf machen, wenn sie ihr Kind in die Kita bringen, denn die Kita ist doch offen. Niemand kann einem notleidenden Gastronomen vorwerfen, dass er Glühwein auf der Straße verkauft, denn das war doch erlaubt, und er musste Geld verdienen. Und niemand kann sich wundern, wenn Menschen dann diesen Glühwein kaufen und sich vielleicht sogar gegenseitig zuprosten. Der Mensch will vielleicht vernünftig sein, aber das geht nicht ständig, er sucht sich Schlupflöcher. Das Virus schlüpft stets mit hindurch. Schon jetzt ächzt das Gesundheitssystem, manche Intensivstation ist bereits voll, das Personal erschöpft. Noch viele werden sterben müssen. So schrecklich die hohen Todeszahlen sind, so beängstigend die immer stärker ansteigenden Infektionen – diesen Schock hat das Land offenbar gebraucht, um zu begreifen: Ohne klare Regeln können wir diese Pandemie nicht aufhalten. Weil die Länderchefs noch Verordnungen aufsetzen und ihre Parlamente einbeziehen müssen, gelten sie erst ab Mittwoch. Vielleicht schaffen wir es ja, uns schon vorher zusammenzureißen. (Stefan Kuzmany, SpiegelOnline)

Ihr merkt an diesem Artikel, dass das Vermischte eine Weile darben musste; der Beginn des Lockdowns liegt schon deutlich in der Vergangenheit. Das Problem, das Kuzmany hier beschreibt, ist dadurch aber nicht gerade verschwunden. Der hier angesprochene kleine Bruder des Problems ist das Eintreten für Corona-Schutzmaßnahmen, die andere betreffen. Denn viele Leute, ich eingeschlossen, sind sehr vernünftig, wenn es darum geht, menschliche Kontakte dort zu begrenzen, wo man selbst nicht hingeht. In der Stuttgarter Innenstadt die Läden schließen? Ja bitte, ich kauf da eh nicht ein. An Weihnachten keine Versammlung über 5 Personen? Kein Problem, hatte ich eh nicht vor. Die Mechanik ist dieselbe wie bei Debatten um den Sozialstaat oder die Steuern; es kürzt, verbietet und beschneidet sich dort am leichtesten, wo man nicht selbst betroffen ist. Gerade deswegen braucht es in solchen Zeiten Führungsstärke in der Politik, Leute, die bereit sind, für das große Ganze zu denken und zu handeln. Also das, wofür sie gewählt wurden. Und da hapert es leider auf vielen Ebenen.

3) Will Georgia show Democrats ran the wrong campaign against Trump?

Meanwhile, Democrats went easy on the Trump administration throughout his time in office. House Democrats could have gotten Trump's tax returns from New York state before the election but didn't push for them because they worried it would appear too partisan. Numerous scandals by Trump cabinet officials didn't receive full hearings or threats of impeachment. Even when House Democrats did impeach President Trump, Speaker Nancy Pelosi decided to go for a "narrow" impeachment focused only on the election interference issue. Then that impeachment was barely mentioned by Biden or any other Democrats during the campaign. By comparison, when House Republicans knew they would likely face Hillary Clinton in 2016, over the course of more than two years they spent $7 million holding 33 hearings to produce an 800-page report on just the 2012 terrorist attack in Benghazi. It was a relentless effort that, despite its thin factual premise, laid the groundwork for much of the prolonged controversy over Clinton's use of a private email server which undoubtedly drove down Clinton's favorable numbers and eventually her turnout. (Jon Walker, The Week)

Ich habe mit dem Artikel zwei Probleme. Problem Nummer eins ist, dass Georgia nicht die Nation als Ganzes repräsentiert. Die Ergebnisse aus diesem Bundesstaat sind also so oder so Ergebnisse aus diesem Bundesstaat und können nur sehr schwer auf die Nation als Ganzes ausgerollt werden. Dazu kommt, dass der Runoff die Besonderheit hat, dass wir die restlichen Ergebnisse schon kennen - Präsident und Zusammensetzung des Senats sind bekannt. Diese Ergebnisse können daher schon von sich aus nicht zeigen, was "falsch gelaufen" ist.

Auf der anderen Seite bin ich skeptisch gegenüber der Strategie, Anti-Trump-Wahlkampf zu betreiben. Der Mann war schon so unglaublich negativ, der unbeliebteste Präsident der letzten 70 Jahre. Was hätte mehr negative Wahlwerbung da erreichen sollen? Das funktioniert nur, wenn man jemand in den Dreck ziehen will, der da vorher nicht war (wie etwa jedeR andere KandidatIn der letzten Zeit, ob Romney oder Clinton, McCain oder Obama. Aber bei jemandem, bei dem selbst die eigene Anhängerschaft keinen Zweifel daran lässt, dass sie ihn für einen schlechten Menschen hält - was sollen denn da Negativ-Ads noch ausrichten? Aber vielleicht gibt es gute Argumente, bin gespannt, sie zu hören!

4) Nicht viel verpasst

Ob und was Schüler im Shutdown verpasst hatten, wusste niemand genau. Als erstes und vorläufig einziges Bundesland nun hat Hamburg diese Frage mit Leistungstests beantwortet – mit einem überraschenden Ergebnis: Offenbar haben die Schüler nicht viel verpasst! Für alle vier Jahrgangsstufen, die nach den Sommerferien getestet wurden – dazu gehörten die dritten, vierten, fünften und siebten Klassen –, vermeldet die Schulbehörde: "Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse der Lernstandserhebungen auf keinerlei Lernrückstände hindeuteten." Kurz gesagt: Schüler und Schülerinnen haben so viel gelernt wie in den Vorjahren. [...] Was sagt das aus? Dass der Fernunterricht (zumindest in Hamburg) besser funktioniert hat, als das vermeintliche "Homeschooling-Desaster" (spiegel.de) vermuten ließ? Dass die physische Anwesenheit im Klassenraum fürs Lernen gar nicht so wichtig ist? Oder dass – Gott bewahre! – Schule insgesamt überschätzt wird und acht Wochen mit oder ohne Unterricht am Ende keinen Unterschied machen? Die Hamburger Schulbehörde verkündete ihre Ergebnisse jedenfalls nicht selbst mit viel Trara, sondern ziemlich versteckt als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Freilich gibt es gute Gründe, keine allzu weitreichenden Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen zu ziehen. (Martin Spiewak, ZEIT)

Ich sehe es nicht ganz so entspannt, denke das Bild ist komplizierter und sehr individuell. Grundsätzlich sind die Horrorszenarien, die man gerade in der Presse lesen darf - vor allem der Blödsinn so genannter Bildungsökonomen von 10.000 Euro Verlust über das ganze Leben - übertrieben. Verlorener Stoff ist in den seltensten Fällen das Problem; den haben die SchülerInnen ja üblicherweise schon zwei Wochen nach der Klausur wieder vergessen. Das ist natürlich nicht für jeden Stoff gleich korrekt; die GrundschülerInnen sollten das schriftliche Multiplizieren schon beherrschen. Aber ob die Feinheiten des Bienentanzes in Biologie oder Wilhelm Tell in Deutsch nun gemacht wurden oder nicht - das ist verschmerzbar.

Problematischer ist der Verlust erlernter Kompetenzen (wem diese Begrifflichkeiten nicht klar sind, der lese noch einmal meinen Artikel zum Aufbau von Unterricht). Und hier zeigen sich die Qualitätsunterschiede im Fernunterricht auch massiv. Hier hinein fallen Grundtechniken des Arbeitens. Für meine Fächer in der Oberstufe wäre das etwa die Fähigkeit, einen Text zu interpretieren oder eine Quelle auszuwerten zu nennen. Ob wir das anhand dreier Werke der Weltliteratur gemacht haben oder an zweien, ob wir Weimar vollständig behandelt haben oder nicht, ist demgegenüber eher zweitrangig.

5) Farah pflegt schwerkranke Corona-Patienten – jetzt soll sie abgeschoben werden

Obwohl die Fachkrankenpflegerin bereits seit 34 Jahren in Deutschland lebt, besitzt sie keinen Ausweis. Mit zwei Jahren floh sie mit ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg im Libanon. Das war im Jahr 1986, seitdem ist sie staatenlos. Laut Aufenthaltsgesetz gilt sie als „geduldete Person mit ungeklärter Identität.“ Dank ihrer Geburtsurkunde aus dem Libanon soll die 36-Jährige bis 2005 noch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung besessen haben. [...] Frau Demir würde bereits seit Jahren bei Ministerien und Härtefallkommissionen um Unterstützung beten – jedoch erfolglos. Dies stelle eine psychische Dauerbelastung für eine in Deutschland aufgewachsene und voll integrierte Person dar. Der Präsident der Hochschule fügt im Gespräch mit der „HAZ“ hinzu, Demir sei eine „tadellose und bewährte Pflegekraft.“ Man werde sich „auf allen Kanälen“ für sie einsetzen. (Agentur, Focus.de)

Ich habe das Problem schon vor Jahren in meinem Artikel zum Pfad zur Staatsbürgerschaft beschrieben. Es ist kompletter Irrsinn, wie hierzulande die ohnehin viel zu unzureichenden Ressourcen bei der Abarbeitung von Asylanträgen einerseits und dem Abschieben von Leuten andererseits benutzt werden. Jemand, der seit 34 Jahren (!) im Land ist, abzuschieben - wie irre kann ein System eigentlich sein? In der Zeit verjährt außer Mord jede Straftat. Was soll denn der Quatsch? Besonders da die Person, um die es hier konkret geht, eine sozial äußerst wertvolle Arbeit leistet, Sozialversicherungsbeiträge und Steuern bezahlt und auch sonst unauffällig gewesen zu sein scheint. Könnte der Bundestag in der nächsten Legislaturperiode bitte, bitte endlich das Einwanderungsrecht überarbeiten und solche Fälle künftig ausschließen? Holt euch doch einfach die FDP mit ins Boot, die haben da ja durchaus wohl durchdachte und konsensfähige Ideen. Die könnten eventuell die Brücke zwischen CDU-Nationalismus und Grünen-Idealismus an der Stelle bilden.

6) The Cyberpunk 2077 Review Drama

There was a time when game reviews appeared to be held in a very different esteem. Back in the ‘80s and ‘90s, paper magazines were released once a month, and keen readers would pore through them to learn all the news and opinions about their chosen medium of gaming. Each magazine would have a Reviews section, in which the team of writers shared their thoughts and feelings about the latest games, and then, inevitably, gave them a score. [...] Come the widespread access to the internet and that authority became immediately diluted. Not only could people immediately access a range of alternative scores and opinions, but—more insidiously—they could gather information about the games directly from the creators and publishers. While print gaming magazines had their significant flaws and their (rare) scandals, they were at least a filter between the people who wanted money, and the people who had the money. The internet broke that barrier down, and now the optimistic spin and outright lies of the publishers could reach the players directly. [...] While obviously 2014’s “GamerGate” clusterfuck was always at its core about obliterating the voices of women and minorities in games criticism/journalism, the lie of “ethics in games journalism” caught a large number in its wake. This notion that the entire process was institutionally corrupt, run by a cabal of venal shills, went from the silly whispering of the few to a broad outcry of so many. The disenfranchised, the lonely, the rejected and the naive were swept up by the cruel and the crazy, and coalesced around an identity that relied on there being this Evil Empire for them to oppose. Gaming wasn’t broadening its appeal to more people because more people were making games—it was because of the Evil Empire forcing their progressive politics down our throats. Never mind that vastly more of the types of games this audience demanded were being released than ever before, never mind that white dudes holding giant guns still appeared on the boxes of every other game, their culture was being stolen from them, and all the bad, sad feelings inside them were because of Them. (John Walker, Kotaku)

Ich bleibe dabei, dass die #Gamergate-Kontroverse von 2014 ein sehr gutes Prisma abgibt, um den Aufstieg des Rechtspopulismus' weltweit zu verstehen, schon allein deswegen, weil das Thema scheinbar so weit entfernt von der ach so seriösen Politik ist. Wir hatten es erst letzthin im Vermischten anhand des Themas von "Kingdom Come: Deliverance", wo auch rechte Narrative gepusht wurden. Das ist in Cyberpunk2077 jetzt nicht der Fall, aber hier geht es auch eher um soziale Vorgänge. Denn dieses Fantum, dieses Abschließen in eine Blase, in die keine noch so rationale Kritik zu dringen vermag, eine Selbstradikalisierung - wenn das nicht ein Problem der Gesellschaft als Ganzes ist, dann weiß ich auch nicht. Gleiches gilt für den rapiden Vertrauensverlust der einstigen Gatekeeper. Ich erinnere mich noch zu gut an die Zeit, als die monatlich erscheinenden PC-Spiele-Zeitschriften (ich las PC Action, Gamestar und PC Games parallel!) der einzige Zugang zu Informationen waren und gerade der monatliche Rhythmus und die redaktionelle Begleitung die Debatten bestimmten und in Bahnen hielten. Das hatte natürlich diverse negative Folgeeffekte, was Korruption anbelangte oder dem Verfallen von Hypes wegen begrenzten Zugangs (erinnert sich noch jemand an das Desaster von Black&White im Jahr 2001? Und die wurden dann als Deckmantel für die unglaubliche mysogyne Hasswelle für #Gamergate genutzt. Wie gesagt, die Parallelen sind offenkundig.

7) Trump nach Niederlage "so enttäuscht" über Supreme Court

Trump sieht sich durch Wahlbetrug um seinen Sieg gebracht. Weder er noch seine Anwälte oder seine Unterstützer haben dafür aber überzeugende Beweise vorgelegt. Das Oberste Gericht hatte am Freitag eine Klage des republikanischen Justizminister von Texas, Ken Paxton, und mehrerer seiner republikanischen Kollegen aus anderen Bundesstaaten abgewiesen. Trump hatte sich der Klage angeschlossen, mit der Bidens Sieg in den Bundesstaaten Pennsylvania, Georgia, Wisconsin und Michigan gekippt werden sollte. [...] Das Trump-Lager hat bislang mehr als 50 juristische Niederlagen kassiert. In keinem einzigen Bundesstaat konnten die Befürworter des Präsidenten das Ergebnis der Wahl vom 3. November ändern. Der Supreme Court hatte erst am vergangenen Dienstag einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung zurückgewiesen, mit der das Trump-Lager das Wahlergebnis in Pennsylvania kippen wollte. Kritiker sehen hinter Trumps Weigerung, seine Niederlage anzuerkennen, den Versuch, weiter Spenden von Unterstützern einzusammeln. (dpa, SZ)

Ich möchte noch einmal betonen, dass diese ganzen Klagen von geradezu absurder Inkompetenz sind. Es ist das letzte Geschenk der Trumpianer an ihre Partei, bevor sie das Amt verlassen. Die ganzen rechtsradikalen RichterInnen, die in den letzten Jahren installiert wurden, können sich anhand dieser albernen Klagen mit rechtsstaatlichen Meriten schmücken. Die eigentliche Gefahr ist deswegen aber nicht gebannt. Über die Hälfte der Republicans in Kongress und Bundesstaaten haben sich diesen Klagen angeschlossen - Klagen, die offensichtlicher Blödsinn und völlig inkompetent waren. Selbst diese Klagen wurden in manchen Gerichten anhand von party-line votes, also entlang der Parteigrenzen, abschlägig beschieden. Eine knappere Wahl und etwas kompetenteres Personal, und der Putsch ist durch. Das ist keine Zeit für ein Zurücklehnen und beruhigt Aufatmen. Wir sind, wenn man die arg in Mitleidenschaft gezogene Weimar-Parallele heranziehen will, noch lange nicht an 1933 vorbei. Bestenfalls in den frühen 1930ern.

8) Tweet


Das kommt gerade immer mehr. Die Reaktionären verlieren den Kampf um die "Identitätspolitik" ganz klassisch: marktwirtschaftlich. In dem Maß, in dem Unternehmen auf diversity setzen, das in ihrer Außendarstellung betonen und in ihre Personalauswahl einbeziehen, wird der Widerstand schwinden und irrelevant werden. Geschlechtergerechte Sprache wird auch in unternehmensinterner Kommunikation kommen, Quoten werden sich durchsetzen, einfach weil das Thema durch die ruhelosen Aktivitäten der AktivistInnen auf der Agenda blieb und mittlerweile so viel Unterstützung genießt, dass es den Unternehmen es nicht wert ist, den Streit zu riskieren, und weil Leute an Entscheidungsstellen kommen, für die diese Entwicklungen natürlich sind. Gesellschaftlicher Wandel. Wie er immer so passiert.

9) CDU und CSU müssen sich endlich gegen Fidesz positionieren

Die unsägliche Beleidigung erfolgte, nachdem Weber den Rechtsstaatsmechanismus verteidigt hatte, mit dem die gerade in Ungarn grassierende Korruption eingedämmt werden soll und im Ernstfall EU-Fördergelder gestrichen werden können. Wie Orbán den Mechanismus zu verhindern suchte, war erpresserisch, unsolidarisch - und entlarvend. Spätestens dieses Verhalten sollte allen in der EVP klargemacht haben, dass Orbán sie benutzt und kein Interesse hat, Vertrauen wieder aufzubauen. Er selbst widerlegt das Argument, durch die Mitgliedschaft von Fidesz in der Fraktion behielte man Einfluss und öffne Gesprächskanäle. Da der EU-Haushalt bis 2027 nun beschlossen ist, gibt es keinen Grund mehr, Orbán zu stützen, der die EU tagein, tagaus verhöhnt und diese schwächen will. Schwach aussehen würden hingegen die 23 Europa-Abgeordneten der CDU und die sechs CSU-Parlamentarier, wenn sie nicht für den Rauswurf votieren. Dies würde zeigen, dass sie sich wirklich alles gefallen lassen - und sie würden auch die Verantwortung nicht nutzen, die sie in der EVP haben. Wenn sich CDU und CSU positionieren, trauen sich andere aus der Deckung. Und bald wäre die Hängepartie über die Suspendierung von Fidesz beendet: Wird der Chef der Fidesz-Delegation rausgeworfen, dann folgen ihm die anderen Abgeordneten und Orbán dürfte Fidesz selbst aus der EVP führen. Wenn CDU und CSU an ihre Konzepte glauben, sollten sie keine Angst haben vor Orbán als politischem Gegner - in Wahrheit ist er das längst. (Matthias Kolb, SZ)

Das Verhalten der CDU und CSU im Streit um die Fidesz ist unerträglich. Immerhin hat Horst Seehofer aufgehört, diese Gruppe öffentlich zu hofieren, um sich im identitätspolitischen Wettkampf zu positionieren. Neben Faschisten zu stehen, scheint inzwischen auch ihm zu heiß, Gott sei Dank. Aber auf die Stimmen von Fidesz verzichten möchte man immer noch nicht. Gerade die Wahl von der Leyens hat deutlich gezeigt, dass die ChristdemokratInnen im Europäischen Parlament auf diesen Machtblock angewiesen sind. Aber welchen Wert hat es, gerade angesichts des Konflikts um den Rechtsstaatsmechanismus, mit solchen Anti-DemokratInnen in einer Fraktion zu sein? Die Kompromisse, zu denen die EVP gezwungen ist, um die Fidesz im Boot zu halten, höhlen die europäische Demokratie völlig aus. Das ist nicht mehr haltbar.

Das Problem ist übrigens nicht nur Horst Seehofer oder die CSU. Auch von Angela Merkel hört man in dieser Beziehung praktisch nichts. Es ist einer der vielen, vielen Fälle, in der ihr "Abwarten und nichts tun"-Ansatz eine blanke Katastrophe mit gewaltigen Flurschäden ist, auch wenn er - wie im Fall der Personalie von der Leyen - die Machtverhältnisse stabilisiert und für den kurzfristigen Machterhalt der Union positiv sein mag.

10) No, Democrats Didn’t Question the Legitimacy of the 2016 Election

Goldberg is right, of course, but in the least of the ways that this is ridiculous. The primary way this is ridiculous is that there’s a huge difference between: Publicly conceding an election, congratulating the winner, beginning the transition process, and occasionally griping that Russia helped Trump win and refusing to concede, filing dozens of lawsuits, tweeting endlessly about Democrats stealing votes, stalling the transition process, and insisting that Biden isn’t truly the winner. To pretend that these two things are even comparable, let alone the same, is nuts. If Fox News wants to blather on about it, that’s fine. There’s nothing we can do about that. But surely no one else should join in on this nonsense. (Kevin Drum, Mother Jones)

Bereits Wochen vor Bidens offizieller Amtseinführung ist der bad faith überall kaum zu ertragen. Nachdem die Gefahr für die Demokratie durch die skrupellose Machtpolitik der GOP jahrelang de facto ignoriert wurde, erfolgen geradezu gierige Gleichsetzungen mit den harmlosesten Konflikten, in die die Republicans die Democrats gerade zwingen können. Seit vier Jahren versuchen republikanische PolitikerInnen, das Narrativ zu pushen, dass die Democrats Trumps Wahlsieg nicht anerkannt hätten, was völlig lachhaft ist. Clinton rief Trump am Tag der Wahl an und gab die Wahl verloren, was Trump bereits 2016 offen angekündigt hatte, im umgekehrten Fall nicht tun zu wollen! Die Lawine an Nonsens setzt sich bereits in Bewegung, und sie wird den Republicans bei ihren Versuchen helfen, die Demokratie weiter auszuhöhlen und spätestens 2024 einen erneuten Versuch zu machen, die Macht ohne Wahlgewinn zu übernehmen - falls sie die Wahl nicht eh gewinnen, was alles andere als unwahrscheinlich ist.

11) Impatience: a deep cause of Western failure in handling the pandemic?

The failure is most starkly seen when contrasted with East Asian countries which, whether democratic or authoritarian, have had outcomes that are not moderately but several orders of magnitude superior to those of Western countries. How was this possible? People have argued that it might be due to Asian countries’ prior exposure to epidemics like SARS, or Asian collectivism as opposed to Western individualism. I would like to propose another deeper cause of the debacle. It is a soft cause. It is a speculation. It cannot be proven empirically. It has never been measured and perhaps it is impossible to measure with any degree of exactness. That explanation is impatience. When one looks at Western countries’ reaction to the pandemic, one is struck by its stop-and-go character. Lockdown measures were imposed, often reluctantly, in the Spring when the epidemic seemed to be at the peak, just to be released as soon as there was an improvement. The improvement was perceived by the public as the end of the epidemic. The governments were happy to participate in that self-deception. Then, in the Fall, the epidemic came back with vengeance, and again the tough measures were imposed half-heartedly, under pressure, and with the (already once-chastened) hope that they could be rescinded for the holidays. [...] The public, and thus I think, the governments were unwilling to take the East Asian approach to the pandemic because of a culture of impatience, of desire to quickly solve all problems, to bear only very limited costs. That delusion however did not work with covid. (Branko Milanovic, Global Inequality)
Im Deutschen haben wir ein schönes Wort für das Phänomen, das Milanovic hier mit "Ungeduld" etwas ungelenk umschreibt: Wohlstandsverwahrlosung. Die ganze deutsche Gesellschaft hat sich völlig eingenistet in ihrer satten Selbstzufriedenheit. "It can't happen here!" Aber genau das tat es. Noch heute scheint es in vielen Bereichen geradezu unwirklich zu sein, dass wir in einer mörderischen Pandemie stecken. Wir sehen das ja selbst hier im Blog bei einigen Leuten. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Dazu sortierte man sich gleich in die altbekannten Narrative ein und betrachtete die Pandemie einfach nur als einen weiteren Konflikt, als wäre es die Mütterrente oder so etwas, wo man ritualisiert entweder gesellschaftliche Solidarität und Gerechtigkeit beschwört oder vom dräuenden Sozialismus warnt. Diese abgeschmackten Konfliktlinien haben uns in der zweiten Welle das Genick brechen geholfen.

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