Montag, 14. Dezember 2020

Trump macht sich als Kritiker der ARD selbstständig und richtet grüne Antisemiten hin - Vermischtes 14.12.2020

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Der deutsche Staat verachtet Selbstständige und Kreative

»Soloselbstständige« ist ein ebenfalls sozialdemokratisch geprägtes Wort, das auf halbem Weg zum Kampfbegriff ist. Absurderweise zielt es darauf ab, ob Selbstständige Angestellte haben oder nicht. Selbstständige arbeiten seit ungefähr immer gemeinschaftlich intensiv in Netzwerken – definiert werden sie trotzdem über die Festanstellung. Auch hier schwingt mit, dass die doofen Selbstständigen nicht Teil der Gemeinschaft sind, nämlich »solo«. Stephan Weil beschwert sich genau deshalb, dass jetzt der Staat einspringen müsse mit Transferleistungen an die fiesen unsolidarischen Selbstständigen. Dieser Satz ist eine Unverschämtheit planetarischen Ausmaßes, weil »Transferleistung« bedeutet, dass es keine Gegenleistung gibt und nie gab. Transferleistung heißt Almosen. Abgesehen davon, dass Weil tut, als hätten Selbstständige keine Steuern bezahlt, sind es SPD und Union, die seit zwanzig Jahren versäumen, funktionierende Instrumente zu gestalten, die nicht Festangestellte in die Sozialsysteme einbinden könnten. Es gibt reichlich Lippenbekenntnisse zur Wissensgesellschaft oder zur Kreativ- und Kulturindustrie, aber die mit Abstand wichtigste Arbeitsform dafür wird geringst geschätzt. Ist gut genug, ein bisschen Glanz und Schmuck ins Haus zu bringen, aber im Zweifel sollen die Kreativen und Selbstständigen bitte aus dem Weg gehen und diejenigen nicht nerven, die richtig arbeiten. Also fest angestellt. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)

Generell wird eine Verachtung gegenüber bestimmten Berufsgruppen und eine Privilegierung von anderen, zumindest in der Wertschätzung, deutlich. Ich habe ja am Wochenende explizit darüber geschrieben, dass Lehrkräfte und Eltern wenn nicht benachteiligt werden so dem Staat doch zumindest scheißegal sind. Aber Lobos Kritik an der Ignoranz gegenüber Selbstständigen und der Absolutsetzung des "Normalarbeitsverhältnisses" gehört da auch mit rein. Genauso wie beim Mindestlohn ist es auffällig, dass die Agenda2010-Reformen zwar angetreten sind, um diese alten Absolutsetzungen aufzubrechen, aber auf halbem Weg stehengeblieben sind.

So wurden zwar Initiativen zur Stärkung der Selbstständigkeit unternommen, wie etwa die Ich-AG, und es gab eine Menge entsprechender Rhetorik. Aber die krassen Nachteile des Selbstständigenstatus', besonders was die Absicherung angeht, wurden nie in Angriff genommen. Man denke allein an die Rentenkassen. Letztlich ist das ein Beispiel, das gut die Kritik aufzeigt, die ich sonst eher im gesellschaftspolitischen Teil hier anspreche: Prämissen sind wichtig und prägen Strukturen. Wird davon ausgegangen, dass der Festangestellte in Vollzeit der Standard ist, wird alles andere als Abweichung betrachtet, als unnormaler, vielleicht temporärer Zustand. Und das hat Konsequenzen, von den Corona-Hilfen für Selbstständige zu der Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt.

2) Trump is winning

Trump’s post-election fight has been designed to short-circuit each of these steps.

  • Trump will not leave the public eye.
  • His insistence that he won increased the activation of the Republican base.
  • The base’s acceptance of his claim forced the partisan media to toe his line and even created demand for more partisan options when Fox wavered in its willingness to deny reality. (The explosion of Newsmax and OAN as they went full-2020 Truther can only force Fox further away from the mainstream and into outright propaganda.)
  • This entire dynamic has stopped cold any questions of blame assigning or intra-party fighting.
  • Consider: It is the Democrats—who won a large victory!—who are engaged in recriminations and the re-thinking of their electoral pitch. There has been absolutely none of this—zero—on the Republican side. You can’t ask “what went wrong” when you’re not allowed to admit that you lost.
  • The next generation of ambitious elected Republicans isn’t just frozen in place. They’re subjugated. They’ve looked at the voters and realized that the best path forward is demonstrating absolute fealty to Trump. Which means that their incentive is to outbid their peers in expressing support for Trump’s claim of victory.

I’ve said it before and I’ll say it again: For anyone who wants a future in Republican politics, the price of admission is not admitting that Joe Biden won the 2020 election. You have to either skirt this reality, or outright deny it. But this isn’t just a question of a fact, it’s a mindset. Because it means that the minimum ante for Republican politics is now support for an insane conspiracy theory. (Jonathan Last, The Bulwark)

Ich halte es immer noch zu früh, um solch pauschale Urteile zu fällen. Stefan Pietsch hatte in den Kommentaren zu meinem Artikel ja ähnlich argumentiert, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Trump versuchen wird, seinen Einfluss aufrechtzuerhalten. Ob es ihm gelingt, ist völlig unklar. Noch nie hat ein Präsident nach seiner Abwahl versucht, die komplette Kontrolle über seine Partei zu wahren und danach wieder anzutreten. Und nein, Grover Cleveland zählt nicht.

Völlig wirr bleibt auch, wie sich die Democrats verhalten, als hätten sie die Wahl verloren. Ja, es lief nicht so toll wie man es sich vorgestellt hatte, aber umgekehrt würde niemals eine solche Introspektive, ein solch schmerzhaftes Sich-in-Frage-Stellen vorkommen, und würde das auch völlig anders geframt werden. Ein Sich-in-Frage-Stellen übrigens, das völlig seine Berechtigung hat; es ist nur so völlig wirr, dass bei den Republicans nicht der leiseste Zweifel besteht und auch von außen nicht erhoben wird.

3) The Cabinet Selection Process Is Veering Off Course

Heitkamp represented the corporate Ag establishment, a stalking horse for the big seed and meat processing and dairy conglomerates that have been mowing down family farmers for decades. When coastal liberals say that rural Americans vote against their own interests, they’re mistaken, because those interests are assuredly not being met by Big Ag and its backers. It’s led to hollowed-out communities, families giving up livelihoods that have lasted generations, and significant despair. That’s what the fight was about: Big Ag versus a new way forward. Biden chose Big Ag. [...] But the so-called “compromise” choice was Tom Vilsack, Ag Secretary under Obama for both terms. However, he is fully aligned with Heitkamp’s corporate Ag, export-driven strategy. Vilsack spent the past four years as a dairy industry lobbyist with a trade group called the U.S. Dairy Export Council; almost no other agricultural sector has grown more concentrated in that time, led by Dairy Farmers of America, a for-profit cooperative being sued by its own farmers for colluding to hold down milk prices. I’ve talked to a lot of family farmers over the past few years, for my book and other reporting. Vilsack’s name is a four-letter word to them. [...] Biden sought throughout the campaign to return normalcy to Washington, to put adults back in charge and show that experience matters. That’s not how things are working out, and the process badly needs to get back on track. (David Dayen, prospect.org)

Der Zentrist Biden ernennt zentristische PolitikerInnen auf Ministerialposten? Color me shocked. Die Überraschung darüber, welches Personal Biden bevorzugt, kann nur auf einer kollektiven Sinntäuschung beruhen. Einmal durch die permanente Propaganda von rechts, dass irgendwie die radikale Linke an die Macht kommen würde (ein ausgeleiertes Narrativ, das bei jeder Wahl völlig ungeachtet der Kandidierenden erneut ausgepackt und trotzdem mit schöner Zuverlässigkeit aufgegriffen wird), andererseits durch AktivistInnen von links, die sich etwas vorgemacht haben. Biden ist wie Obama auch ein moderater Zentrist, und entsprechend wählt er sein Personal aus. Das kann man bedauern (das tu ich sicherlich), aber überraschen kann es nicht. Und Bidens Auswahlprozess enthält ja neben solchen eher dem rechten Flügel der Democrats zuzurechnenden Personen auch einige Zuckerlis für die Linken in der Partei. Fast so, als wäre der Mann ein Zentrist, der die komplette Partei befrieden will...

Nachdem wir das aus dem Weg haben, bleiben wir für einen Moment bei Vilsack spezifisch. Ich bin nicht genug in der Materie drin, um beurteilen zu können, inwieweit der Mann elektorales Gift für die ländlichen Regionen ist. Es ist ja nun nicht eben so, als ob die Trump-Regierung nicht mit Lobbyisten für Big Ag am Start gewesen wäre, was die Landbevölkerung nicht gerade davon abhielt, ihr Kreuz bei ihm zu machen. Ich denke vielmehr, dass AktivistInnen solche Personalien wesentlich zu überschätzen neigen.

4) Ach ja, der Tod, da war doch was

Das Gesundheitsministerium lässt Plakate aufhängen, die zum Masketragen, Lüften, Kontaktreduzieren auffordern. Auf einem der Plakate sieht man einen Mann, dazu das Zitat: »Ich will bald wieder in meine Stammkneipe. Dafür trag' ich jetzt Maske.« Auf anderen Plakaten sieht man andere Leute, sie sagen: »Ich will wieder reisen« oder »Ich will wieder in mein Lieblingsrestaurant«. Alles nachvollziehbare Wünsche, ich teile das alles, aber: Ist es das? Wäre es sinnloser Alarmismus oder zu viel Pathos, zu sagen: Hallo, es sterben gerade richtig viele Menschen – wäre das nicht Motivation genug? Sind die Leute so kalt, dass sie die Aussicht auf Biertrinken und Sushi so viel mehr berührt als die Tatsache, dass jeden Tag Hunderte Menschen sterben? [...] Verdrängung des Leidens anderer ist bis zu einem gewissen Grad ein Überlebensmechanismus. Sie ist aber, wenn sie zum Prinzip wird, ein Tötungsmechanismus. Deswegen ist es ein schlechtes Argument, wenn rücksichtsloses Verhalten in der aktuellen Welle der Corona-Pandemie damit erklärt wird, dass die Leute Skireisen, Shoppen, Glühweintrinken in engen Gruppen, heimlich zu Hause treffen, Ausnahmen über »Ausnahmen«,... dass sie das ja bräuchten, um psychisch irgendwie noch klarzukommen. Ja, sicher, es wird ihnen wohl schon guttun. Aber um welchen Preis? Wäre es für diejenigen, die sich jetzt trotz der extrem ernsten Lage immer noch unvorsichtig verhalten, nicht doch etwas sinnvoller, das Thema Tod irgendwie präsenter zu machen? Nicht, um den Leuten noch mehr Drama zuzumuten, sondern um die Leute besser zu schützen? (Margarete Stokowski, SpiegelOnline)

Ich lasse die Fragen mal stehen, ich kann sie nämlich auch nicht beantworten. Auf der einen Seite bin ich emotional bei Stokowski, aber auf der anderen Seite bezweifle ich, dass Plakate mit großen Warnungen vor schrecklichem Erstickungstod im Intensivbett ihre Funktion erfüllen würden. Das völlige Missverhältnis der diskutierten Themen, von Glühwein zum Skiurlaub, mit der Schwere der Pandemie - sowohl was den Krankheitsverlauf als auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen angeht - ist augenfällig, aber ich bin von einem Kommunikationsstandpunkt aus sehr unsicher, wie das besser zu machen ist. Würde eine drastische Kampagne zu Corona analog zu den Bildchen auf Zigarettenpackungen helfen? Keine Ahnung. Bin gespannt auf eure Meinung.

5) Querdenker wählen laut Untersuchung häufig Grüne, Linke und AfD

Sozialstrukturell handele es sich um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung. Das Durchschnittsalter betrage 47 Jahre, 31 Prozent hätten Abitur, 34 Prozent einen Studienabschluss, der Anteil Selbstständiger sei deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. "Bei der letzten Bundestagswahl haben nach unserer Befragung 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt. Der AfD haben 14 Prozent ihre Stimme gegeben. Bei der nächsten Bundestagswahl wollen nun aber 30 Prozent der AfD ihre Stimme geben", sagte Nachtwey. Charakteristisch für die neue Bewegung sei eine Entfremdung von den Institutionen des politischen Systems, den etablierten Medien und den alten Volksparteien. "Es ist eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich." [...] Stattdessen sei für viele Querdenker, die die Gefahren des Coronavirus leugneten, ein ausgesprochener Hang zur Naturromantik charakteristisch: So vertrauen 41 Prozent der Befragten ihren "Gefühlen mehr als Institutionen und Experten", stark ausgeprägt sei der Wunsch, Schulmedizin und alternative Heilmethoden gleich zu behandeln. (ZEIT)

Diese Ergebnisse überraschen mich keine Sekunde. LINKE und AfD profitieren seit jeher von Leuten, die in irgendeiner Art und Weise dagegen sind. Ehrlich gesagt überrascht mich die Beharrungskraft der LINKEn angesichts der Herausforderung durch die AfD generell; die hat völlig neue Wählerpotenziale erschlossen, statt zu sehr an den bisherigen ProtestwählerInnen zu kannibalisieren. Genausowenig überraschend ist, dass sie die massive Gewinnerin unter den "QuerdenkerInnen" ist; schließlich ist sie auch die einzige Partei, die aktiv um CoronaleugnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen wirbt (ein strategisches Problem übrigens, um das ich die LINKE nicht beneide).

Dass ein so ordentlicher Anteil von den Grünen kommt sollte ebenfalls nicht überraschen. Ich habe hier im Blog schon öfter meinem Unmut über den Esoterikerflügel dieser Partei Luft gemacht, und das kommt eben davon, wenn man drei Jahrzehnte lang die Globuli- und ImpfgegnerInnenfraktion hofiert. Für die grüne Parteiführung wird, je näher die Regierungsverantwortung rückt, der Umgang mit dieser speziellen Gruppe (Stichwort Prenzlauer Berg) immer schwieriger, schon allein, weil sie sehr aktiv, gut vernetzt und gut situiert ist. Auch ein Problem, um das ich die Parteiführung nicht beneide.

6) Die Fehler von ARD und ZDF

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.