Dienstag, 1. Juni 2021

Konservative Klimaflüchtlinge bestechen falschparkende Transatlantiker in den Vorwahlen - Vermischtes 01.06.2021

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) „Klimakrise begünstigt Genozide“ (Interview mit Jürgen Zimmerer)

Ihr Appell zeichnet noch ein weit größeres Gewaltszenario mit Millionen Toten.

Ja. Mit der Größe der Krise steigt nicht nur die Wahrscheinlichkeit für genozidale Gewalt, sondern auch deren Dimension. Sei es durch multiple Gewaltkonflikte, sei es durch ineinander übergehende Gewaltherde. Wie wir wissen, beeinflussen Konflikte kaskadenhaft auch die jeweils umliegenden Gebiete, und sei es durch Migrationsbewegungen. Was wir jetzt an coronabedingten staatlichen Einschränkungen unserer Freiheitsrechte erleben, ist nichts im Vergleich zu dem, was kommen wird, wenn das Polareis geschmolzen und halb Kalifornien abgebrannt ist, die Niederlande und Bangladesch unter Wasser stehen. Und je später wir die Kurskorrektur einleiten, desto drastischer werden die Maßnahmen sein.

Auch die Migration wird zunehmen.

Ja, und Europa wird sich nicht abschotten können. Damit stellt sich die Frage: Wird Europa bereit sein, seine Grenzen noch stärker mit Waffengewalt gegen Klimageflüchtete zu verteidigen, wird man auf Menschen schießen lassen? Und was macht das mit dem Liberalen, Freiheitlichen, Humanitären, auf das sich Europas Selbstverständnis gründet? Wird das autoritäre Tendenzen weiter stärken? Wir erleben schon jetzt einen Rechtsruck, eine Verteidigungsbewegung, um die Welt, wie man sie kennt, aufrecht zu erhalten. Dabei ist gerade dies fatal: Eingefrorene Gesellschaften sind notorisch unflexibel, um auf neue Herausforderungen zu reagieren. Was wir stattdessen brauchen, ist ein völlig neues Denken über die Welt. [...]

Welchen Beitrag kann die Genozidforschung da leisten?

Sie muss ihre Perspektive ändern. Die Genozidforschung hat sich bislang stark auf ideologische Ursachen konzentriert. Das liegt daran, dass sie aus der Holocaust-Forschung kommt und deren Blick auf das ideologische Moment – Antisemitismus etwa – übernommen und strukturelle Ursachen zu wenig berücksichtigt hat. Wenn man aber nur ideologisch „irregeleitete“, pathologische Verbrecher für Gewaltausbrüche verantwortlich macht, heißt das auch: Wir anderen sind es nicht. Wir sind die „Guten“. (Petra Schellen, taz)

Die zu erwartenden Migrationsbewegungen wegen des Klimawandels sind in der Tat eine tickende Zeitbombe. Wie bereits bei den großen Fluchtbewegungen des vergangenen Jahrzehnts wird sich die Aufmerksamkeit voraussichtlich vor allem auf den kleinen Teil der Menschen richten, die sich gen Europa aufmachen, aber wenn die Erfahrung der letzten Jahre ein Indikator ist, werden die wenigsten von ihnen das "gelobte Land" erreichen und noch viel weniger hier erfolgreiche Bleibe finden.

Der größte Teil dagegen wird Binnenmigration sein, zumindest aus europäischer Sicht: Wanderungen innerhalb der meistbetroffenen Kontinente. Mit dem Klimawandel umzugehen ist schon für die Industriestaaten eine gewaltige Herausforderung, aber für die chronisch gebeutelten afrikanischen Staaten ist es nur ein weiterer in einer Serie von Tiefschlägen.

Die Schuld, die der Westen dabei auf sich geladen hat, ist gigantisch. Nach mehreren Jahrhunderten brutaler kolonialer Unterdrückung mit ihren bis heute deutlich spürbaren Langzeitfolgen erleidet Afrika nun die Hauptfolgen des Klimawandels ohne auch nur die geringste Aussicht auf Zugang zu den Ressourcen, die zu seiner Bewältigung notwendig sind. Stattdessen stehen Wellen von Flüchtlingen, genozidale Gewalt und staatlichen Zusammenbruchs ins Haus. Das ist ein bedrückendes Bild.

2) Nebentätigkeit: Bundestag // Tweet

An einem Freitag im April 2021 änderte sich plötzlich etwas auf den Internetseiten des Bundestags. Im Porträt des Abgeordneten Joachim Pfeiffer von der CDU erschienen überraschend neue Informationen zu seinen Nebentätigkeiten, die er dort teilweise seit vier Jahren hätte erwähnen müssen. Pfeiffer hatte sich zuvor an die Bundestagsverwaltung gewandt und 23 Kunden nachgemeldet, die er mit seiner Consultingfirma Maconso GmbH in der aktuellen Legislaturperiode beraten hatte. Joachim Pfeiffer ist nicht nur Politiker, sondern auch Unternehmensberater. Recherchen der ZEIT hatten gezeigt, dass der CDU-Mann 27 Funktionen in Unternehmen, Vereinen und Stiftungen einnimmt und seine Rollen als Unternehmer und Politiker nicht immer klar getrennt hatte. Nachdem Pfeiffer 2002 in den Bundestag eingezogen war, hat er zwei Beratungsfirmen gegründet. Rechnungen zeigen, dass er für seine Beraterarbeit einen Tagessatz von bis zu 3.000 Euro veranschlagt. Pfeiffer beriet unter anderem Energieunternehmen. Das brachte ihn in einen Interessenkonflikt. Denn Pfeiffer war energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Die SPD beendete daraufhin im März die Verhandlungen um die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetz, an denen Pfeiffer federführend beteiligt war.  (Christian Fuchs/Martin Reyher, ZEIT)

Mal eine ernsthafte Frage: woher kommt dieses krasse Missverhältnis zwischen der CSU und allen anderen Parteien? Sind das die paar schwarzen Schafe wie Gauweiler, die da den Schnitt verzerren, oder ist die Partei einfach wesentlich mehr als alle anderen verfilzt? Meine Vermutung wäre, dass die Dominanz der CSU in Bayern so viele sichere Mandate schafft, dass derartige Praktiken leichter möglich sind, weil ja keinerlei Bestrafung durch die Wählendenschaft zu erwarten ist, aber wenn jemand mehr Einblicke hat, ich wäre wirklich gespannt.

Generell sollte man denke ich immer im Kopf behalten, dass diese Zahlen stark verzerrt sind: die meisten Abgeordneten haben wenig bis keine Nebeneinkünfte, auch in den bürgerlichen Parteien. Leute wie Joachim Pfeiffer sind nicht repräsentativ für das Parlament. Aber: die bürgerlichen Parteien haben offensichtlich kein Problem damit, dass ein Viertel bis Fünftel ihrer Abgeordneten ihr Mandat effektiv als Selbstbedienungsladen missbraucht.

Gerade Leute wie Pfeiffer sind extreme Fälle, und das häufig gebrauchte Argument, dass die Nebentätigkeiten eine vitale Verbindung zur "realen Welt" jenseits des Parlaments aufrechterhalten, ist hier auch nur sehr schwer zu verwenden. Pfeiffers Interessenkonflikte sind zu offensichtlich, seine Korruption zu eindeutig. Gerade sein Fall ist aber auch gleichzeitig etwas komplizierter: Pfeiffer ist der Abgeordnete meines Wahlkreises, den er seit ich denken kann praktisch konkurrenzlos gewonnen hat.

Er hat aber anders als manche andere nebentätige Abgeordnete sein Abgeordnetenmandat AUCH so ausgefüllt, wie man es ausfüllen sollte. Ich erinnere mich etwa daran, in den 2000er Jahren über Abgeordnetenwatch mehrfach kritische Fragen an ihn gestellt zu haben, die er persönlich beantwortet hat. Er hat sein Amt also, anders als etwa die Gauweilers dieser Welt, durchaus ausgefüllt. Es scheint, als hätte er den Verlockungen der bezahlten Einflussnahme erst nach und nach stattgegeben, aber so genau habe ich seine Karriere dann auch wieder nicht verfolgt.

3) Jetzt kommen die Klima-»Querdenker«

Die Themen, an denen die aktuelle Unterdrückungs- und Verschwörungserzählung festgemacht wird, wandeln sich – Ukraine, Islam, Flüchtlinge, jetzt Corona. Die Kernüberzeugung bleibt. Neue Namen und Marketingmaßnahmen werden ausprobiert, um ein größeres Publikum anzuziehen. [...] Dem Verfassungsschutz scheint diese Kontinuität bis vor Kurzem entgangen zu sein. Vielleicht lag es an seinem langjährigen Chef. [...] Noch immer sind die Zahlen vergleichsweise lächerlich: Auch einige Zehntausend »Querdenker« werden in Deutschland niemals nennenswerten Einfluss an der Wahlurne entfalten können. Politik und Medienlandschaft fallen jedoch noch immer auf die gleichen Mechanismen der Trollpolitik herein: schreiende Zwerge, die sich online als Riesen ausgeben und mit spektakulären Aktionen wie der Stürmung der Reichstagstreppe Aufmerksamkeit binden. Immer wieder. Das muss sich dringend ändern. Das Ziel des harten Kerns dieser chamäleonhaft changierenden »Bewegung« ist, völlig unabhängig vom aktuellen Thema, immer gleich: Die liberale Demokratie zu schwächen, sie als getarnte »Diktatur« hinzustellen und stattdessen Rechtspopulisten und Autokraten als leuchtende Beispiele zu präsentieren. Mit den Coronamaßnahmen hat dieser Dreh besonders gut funktioniert. Offenbar auch bei Leuten, die früher noch keinen Hang zur rechtsextremen Verschwörungserzählung hatten. [...] Hier deshalb eine klare Prognose: Wenn die Pandemie so weit eingedämmt ist, dass in Deutschland wieder ein halbwegs normales Alltagsleben möglich ist, kommt das Geschwätz von der »Klimalüge« ins Zentrum. Man wird alles tun, damit sich das nun mithilfe von Corona mühsam zusammengeschaufelte Spaltungspotenzial nicht einfach wieder verläuft. [...] Wie ihre Vorgängervarianten mit den Themen Putin, Islam und Corona wird auch diese nun neu lackierte »Bewegung« niemals auch nur in die Nähe relevanter politischer Mehrheiten kommen. Es wäre schön, wenn die übrigen Parteien in Deutschland dieser Tatsache endlich Rechnung tragen würden: indem sie aufhören, sich von den schreienden Zwergen treiben oder bremsen zu lassen – und stattdessen einfach das tun, was – auch wirtschaftlich! – dringend notwendig ist. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)

Es kann kein Zweifel bestehen, dass praktisch die gleichen Leute, die in der Corona-Pandemie mit unwissenschaftlichem Unfug auf die Straße gegangen sind und gegen die vermeintliche "Impfdiktatur" (und was des Verschwörungsunfugs nicht noch mehr war) protestierten, problemlos auf die nächste große Verschwörungserzählung umschwenken werden. Wir wissen das, weil für das Gros dieser Leute ja auch die Corona-Leugnung nicht die erste solche Station war. Wir wissen aus der Forschung auch, dass wer eine Verschwörungstheorie glaubt gerne mehreren anhängt und problemlos stets neue aufbaut.

Man muss nur mal in Richtung Compact schauen oder auf die Karriere von Leuten wie Jürgen Elsässer, um das bestätigt zu bekommen. Die Medien täten gut daran, ihnen beim nächsten Mal weniger Aufmerksamkeit zu schenken, aber das ist natürlich nur ein frommer Wunsch. Wir werden für die Klimakrise die gleichen beknackten Diskurse wieder durchmachen. Ich gehe jede Wette ein, dass ein Stefan Homburg auch hier an vorderster Front seinen Unsinn mit dem Professorentitel untermauern wird. Um nur ein Beispiel zu nennen.

4) The Future Could Actually Be Bright for Republicans

The most common political narrative outside MAGA-land is that the Republican Party is screwed, and richly deserves the ignominious future it faces. [...] That’s the narrative you hear a lot. But there’s another way to look at political trends that points in a very different direction, and it begins with a stubborn fact: Republicans will almost certainly win back the House in 2022. [...] Indeed, the polarized climate encourages outlandish and immoral “base mobilization” efforts of the sort Trump deployed so regularly. Some Republicans partisans shook their heads sadly and voted the straight GOP ticket anyway, And to the extent there were swing voters they tended strongly to believe (in part because key elements of the news media reinforced this view) that both parties were equally guilty of excessive partisanship, and/or that all politicians are worthless scum, so why not vote for the worthless scum under whom the economy hummed? None of these dynamics show any sign of changing between now and 2024, whether or not Trump attempts a comeback and wins or loses his party’s nomination. If he does pack it in, Republicans have plenty of options among potential candidates who can simultaneously play to the MAGA crowd while implicitly representing a more respectable brand of politics. In any event, there is no reason to believe they will enter the 2024 cycle at some sort of terrible disadvantage. [...] To the extent Democrats might have a thumb on the scales in 2024, it would be in the form of presidential incumbency. And no matter what he is currently saying, I don’t know any knowledgeable political observer who really thinks Joe Biden is going to put himself through the rigors of a real presidential contest (not likely one in which his time and energy will be protected by pandemic conditions) at the age of 81. [...] The bottom line is that anyone who assumes Republicans are in irreversible decline in presidential elections really hasn’t been paying attention. (Ed Kilgore, New York Magazine)

Ich verstehe überhaupt nicht, wie irgendjemand nach den Ereignissen der letzten Jahre und den Ergebnissen der Wahl 2020 der Meinung sein kann, die Republicans seien auf dem absteigenden Ast. Dass sie keine demokratischen Wahlen gewinnen können ist recht irrelevant, wenn eine demokratische Wahl (in dem Sinne, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen innerhalb des Staates oder der Nation entscheidend ist) nicht das ist, was sie sich stellen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Democrats 2022 den Kongress verlieren, halte ich für etwa 2:1, und dass sie 2024 die Präsidentschaft verteidigen bestenfalls 50:50. Natürlich mag sich bis dahin einiges verändern, mag ein Wunder geschehen, mögen die Republicans wie in Georgia 2020/21 erneut über ihre eigenen Füße stolpern. Aber darauf kann man sich kaum verlassen.

5) Altbundespräsident Gauck fordert mehr Toleranz für Querdenker und Impfgegner

Altbundespräsident Gauck hat mehr Toleranz für sogenannte Querdenker und Impfgegner gefordert. Die Ausmaße, die Querfront von Links- bis Rechtsaußen sowie das Esoterische schrecke zwar ab, sagte Gauck dem „Tagesspiegel“. Aber nicht alle, die dort mitliefen, seien eine Gefahr für die Demokratie. Man könne nicht alle ausgrenzen, die mit der Corona-Politik unzufrieden seien. Gauck hatte bereits Anfang 2020 eine erweiterte Toleranz gegenüber AfD-Wählern angemahnt. Dies gelte nun auch für „Querdenker“ und „Impfgegner“, betonte er. (DLF)

Er, der notorisch ohne jede Toleranz gegenüber Leuten ist, die seine Meinung nicht teilen, und drei Dekaden ausgegrenzt hat. Verdammer moralinsauerer Heuchler. A trip down the memory lane? Na dann los. 2014 hat Gauck sich gegen eine*n LINKE-Ministerpräsident*in ausgesprochen. In seinem überparteilichen BuPrä-Amt, wohlgemerkt. Ebenfalls 2014 "äußerte er Zweifel", dass die LINKE "an der Regierung beteiligt sein könne": Aber klar, Ausgrenzung ist echt total schlecht. 2011 warnte Gauck vor einer "rot-roten Koalition", die "das Land zum Stillstand bringt". Ich lese wenig von Toleranzaufrufen gegenüber Andersdenkenden, mir scheint das ziemlich ausgrenzend zu sein. Während Querdenker unbedingt integriert und keinesfalls ausgegrenzt werden dürfen, forderte Gauck 2012, dass die LINKE vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsse. Die ganze Partei übrigens. Ebenfalls 2012 kritisierte er die "politische Moral" der LINKEn. Für die AfD gilt das alles übrigens nicht. "Toleranz ist manchmal eine Zumutung", schreibt er dazu und fordert, dass man die doch bitte nicht außerhalb der Demokratie stelle.

Sprich: Toleranz gibt es nur dort, wo man sie haben möchte. Gauck ist rechts, er hat Toleranz gegen rechts. Das ist alles. Und es war nie anders. Das ist typisch für das bürgerliche Lager, das so voller Inbrunst den Progressiven "Moralisieren" oder "mangelnde Toleranz" vorwirft, aber nie selbst um Moralisieren oder Ausgrenzung verlegen ist. Da mache ich es lieber ehrlich und stehe offen zu meiner Moral und zeige keine Toleranz mit den Intoleranten. Gauck ist ein verdammter Heuchler und der wohl überschätztetste Kandidat, den wir je für das Bundespräsidentenamt hatten.

6) Competition Can Be Good for the Developing World

The United States and China are locked in a contest for influence over the rest of the world. The new great-power competition looks in this sense very much like the one that took place during the Cold War between the United States and the Soviet Union. But back then, the United States had a compelling economic and political model to offer developing countries. Today, China has seized the initiative by offering practical investments in tangible projects, free of political interference. The United States can compete on this field. But in order to do so, it needs a new model—one that rests not on the pieties of the past or on soft demands for institutional change but on a willingness to invest concretely, as China has done, in the well-being of those in developing nations. [...] The rise of China and the sudden Western need to counter its influence have laid bare an uncomfortable fact: the United States and the European Union no longer have a clear philosophy of development with implementable lessons to offer other countries. If a minister of a poor country were to ask American diplomats or economists for advice about development, he or she would likely be given a rather tedious lecture about human rights, fighting corruption, freedom of the press, and the like. These are laudable objectives. But they require a long-term institutional transformation that can be brought about only through consistent policies pursued over a period of several decades. Such advice does not address the pressing concerns of most low- and middle-income countries, such as jump-starting economic growth in remote regions, finding jobs for graduating students, or reducing crime driven by economic destitution. Rather, the advice is inapplicable to conditions on the ground, takes a long time to bear fruit, and does not come with funds. Most governments of developing countries would probably prefer fewer lectures and more money. Fortunately for the United States, China doesn’t have coherent or consistent precepts to offer, either. China owes its own economic rise not to well-thought-out policies that Beijing might “package” into a toolkit to give to developing countries. Rather, the country followed a heuristic path to growth, groping through a process of trial and error and gradually identifying and implementing the good policies and weeding out the bad ones. This process took place under very special conditions that may be unique to China: decentralized regional governments were free to experiment, knowing that a very centralized party would ultimately choose what worked and reward the successful policymakers. (Branko Milanovic, Foreign Affairs)

Der Hinweis, dass China keine systemische Alternative zum Westen bietet - den ich meiner Serie zur verdrängten Dekade auch gebracht habe - ist an dieser Stelle hervorzuheben. Stattdessen gilt, was bereits im letzten Vermischten betont wurde: es lohnt sich für staatliche Politik, eine Bereitschaft zum Scheitern zu haben und daraus zu lernen. Die westliche Entwicklungspolitik jedenfalls darf, so glaube ich, mit Fug und Recht als gescheitert betrachtet werden. Da wäre durchaus Raum, neue Konzepte zu probieren. Gerade angesichts der großen Herausforderungen für die Dritte Welt in den kommenden Jahrzehnten, die - siehe Fundstück 1 - auch auf uns große Auswirkungen haben wird, ist das kaum geringzuschätzen.

7) Falschparker abblitzen lassen // Tweet

An das Bild haben sich viele längst gewöhnt: Autos stehen in zweiter Reihe und im Halteverbot, blockieren Feuerwehreinfahrten und ragen mit Heck oder Bug in Straßen und Kreuzungen hinein. Eigentlich ist das aus gutem Grund verboten. Jeder vierte Fußgängerunfall und jeder siebte Fahrradunfall innerorts stehen in Zusammenhang mit geparkten Fahrzeugen, hat eine Studie der Unfallforscher der Versicherer (UDV) im vergangenen Jahr gezeigt. Vielen Ordnungsämtern fehlt Personal, um effektiv zu kontrollieren. [...] Damit Falschparken unattraktiv wird, braucht es außerdem abschreckende Bußgelder. Neben den Parkgebühren waren auch die Strafen fürs Falschparken lange Zeit mit 15 Euro so niedrig, dass die Lenkungswirkung fehlte, sagt Bauer. Jetzt liegen sie bei 55 Euro. Das sei ein erster Schritt, aber immer noch nicht ausreichend. "Die Falschparker preisen die Wahrscheinlichkeit ein, kontrolliert zu werden. Wenn fünfmal falsch geparkt werden kann, ohne erwischt zu werden, sind 55 Euro immer noch preiswert", sagt Bauer. Deshalb seien regelmäßige Kontrollen wichtig, wie die Scan-Fahrzeuge sie möglich machen. Wenn es nach Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität der Stadt Bremen, geht, sollten Scan-Fahrzeuge auch gleich den Abschleppwagen rufen, wenn Falschparker die Wege für Rettungsfahrzeuge versperren oder die Gehwege zuparken. (Andrea Riedl, ZEIT)


Es bleibt dabei, dass in diesem Land ein struktureller Bias zugunsten von Autos besteht, der auch auf Recht und Gesetz Einfluss hat. Letztlich sind Deutschlands Straßen ein "rechtsfreier Raum", was zahlreiche Verstöße gegen die StVO angeht. Sie werden allenfall punktuell verfolgt und sind mit so geringen Strafen belegt, dass eine Abschreckungswirkung praktisch nicht besteht. Das gilt für Geschwindigkeitsübertretungen, das gilt für Falschparken, das gilt für das Gefährden von Fußgängern und Fahrrad Fahrenden (Stichwort Sicherheitsabstand), das gilt für das Fahrverhalten auf der Autobahn (Stichworte Mindestabstand, Rechtsfahrgebot, Überholen). Es braucht hier ein Umdenken, das auch Niederschlag in der Polizeipraxis und der Rechtsgebung haben muss.

8) Kostet dieses Brötchen mehr als die Pandemie?

Man könnte also sagen: Die Pandemie kostet 1,446 Billionen Euro, die Eindämmung des Artensterbens 1,78 Billionen Euro, der Kampf gegen den Klimawandel 28 Billionen Euro. So wie ein Brötchen 30 Cent kostet, ein Paar Schuhe 90 Euro oder eine Waschmaschine 400 Euro. [...] Noch komplizierter ist die Sachlage zum Beispiel beim Impfen. Der Bund hat für die Beschaffung von Coronaimpfstoffen in diesem Jahr 8,8 Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt. Die Durchimpfung der deutschen Bevölkerung verursacht demzufolge also Kosten in Höhe von 8,8 Milliarden Euro. Das ist viel Geld, und die für die Bestellung der Präparate zuständige Europäische Kommission hat auch deshalb mit den Impfstoffherstellern lange um den Preis gefeilscht. Sie befürchtete, die Europäer könnten sich den Impfstoff nicht leisten. So wie man sich als Normalverdiener keinen Ferrari und kein Einfamilienhaus in München leisten kann. Auf der anderen Seite ermöglicht der Impfschutz, Abstandsregeln und Ausgangssperren aufzuheben und zum wirtschaftlichen Normalbetrieb zurückzukehren. Durch den Wegfall der Einschränkungen steigt nach Schätzung des Münchner Ifo-Instituts die wöchentliche Wertschöpfung um 2,5 Milliarden Euro. Ist es also überhaupt sinnvoll, zu sagen, das Impfen koste 8,8 Milliarden Euro? Oder müsste man nicht vielmehr sagen, es bringe schon nach einem Zeitraum von vier Wochen letztlich etwas ein? Und hätten sich die Europäer dann nicht auch deutlich höhere Preise leisten können, wenn dadurch im Ergebnis schneller geimpft worden wäre? (Mark Schieritz, ZEIT)

Der volkswirtschaftliche Diskurs in Deutschland ist ohnehin unterirdisch, von daher ist es sehr willkommen, worauf Mark Schieritz hier aufmerksam macht. In der Diskussion um die Kosten der Pandemiebekämpfung kommen, bei allem Versagen von Jens Spahn und aller Korruption der CDU/CSU, die Opportunitätskosten zu wenig zur Sprache. Sicher, der ganze Kram ist teuer, angefangen von Masken zu Schnelltests zu Impfungen, vom Lockdown und Kurzarbeitergeld gar nicht zu reden. Aber es dürfte außer für Corona-Leugnende außer Frage stehen, dass das alles wesentlich billiger ist als eine unkontrolliert wütende Pandemie mit hunderrttausenden von Todesopfern und einer Bevölkerung, die sich ängstlich in ihren Wohnungen einschließt.

Und ja, wir werden diese Argumentation in den kommenden Jahren noch sehr oft durchkauen, denn sie ist elementar für die Bekämpfung des Klimawandels. Diese ist auch teuer, und sie erfordert massive Kosten der öffentlichen Hand (die die einzige Quelle für viele der Kosten ist, weil diese die Allgemeinheit betreffen und nicht vom Privatsektor geleistet werden können). Und diese Kosten sind ein Klacks gegen die Kosten, die Nichtstun mit sich bringt. Hätten wir vor 20 Jahren damit begonnen, würden wir wesentlich weniger bezahlen, als wir das heute tun müssen. Und fangen wir erst in 10 Jahren an, wird es noch einmal wesentlich teurer. Aber so viel volkswirtschaftlicher Verstand ist leider von den bürgerlichen Parteien nicht zu erwarten.

9) Die wundersame Amerika-Liebe der Grünen

"Die Grünen-Vorsitzenden haben bislang tatsächlich die ambitionierteste transatlantische Agenda vorgelegt", sagt der Politologe Thorsten Benner, Mitgründer der Denkfabrik Global Public Policy Institute zu t-online. Aus dem Kanzleramt sei hingegen derzeit komplette Funkstille hinsichtlich der Biden-Regierung zu vernehmen. "Auch Armin Laschet und Olaf Scholz sind bislang eher wenig durch konkrete Vorschläge aufgefallen", sagt Benner. Gegenüber China und Russland hätten die Grünen die prononcierteste Haltung. "Das ist sowohl für die Amerikaner interessant als auch für das eigene Wählerklientel. Damit lässt sich punkten", sagt Benner. [...] Die Grünen haben einen beachtlichen Weg hinter sich: Noch 1994 war im damaligen Bundestagswahlprogramm der Grünen zu lesen: "Die Entmilitarisierung der Politik – dies bedeutet auch die Auflösung der Nato – und der Aufbau ziviler Strukturen sind Prozesse, die parallel laufen müssen" und "Die Politik einer Ausdehnung der Nato nach Osten stellt kein Konzept für die Schaffung von Sicherheit in Europa dar". Heute kann Robert Habeck den Wunsch der Ukraine nach Aufnahme in die Nato nachvollziehen. Als Hindernis gab er in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk" nur an, dass das Militärbündnis in dieser Frage noch uneins sei. [...] Tatsächlich wirbt der frühere SPD-Politiker und heutige grüne Europaparlamentarier Lagodinsky besonders deutlich für den neuen Transatlantik-Kurs seiner Partei. Im Gespräch mit t-online sagt er: "Das heutige transatlantische Verhältnis der Grünen beruht nicht mehr auf den Mustern aus dem Kalten Krieg." Es gebe heute eine andere ideologische Begründung und diese sei "die eines liberal-demokratisch geprägten Anti-Autoritarismus." Lagodinsky hatte sich in der Vergangenheit insbesondere in Fragen zu Russland immer wieder für einer härtere Gangart ausgesprochen. (Bastian Brauns, T-Online)

Ich empfehle grundsätzlich den ganzen, ausführlichen Artikel zur Lektüre, den ich hier nur in einem kurzen Auszug wiedergebe und kommentiere. Ich finde es immer noch geradezu surreal, dass die Grünen mittlerweile die "transatlantischste" aller Parteien sind. Abgesehen davon, dass dieser Wandel gegenüber den Anfängen der Partei mehr als beachtlich sit (in welche Richtung man das auch immer bewerten möchte), so finde ich es auch vor dem Hintergrund des Schreckgespensts von R2G relevant. Der größte Knackpunkt dort ist und bleibt die Außenpolitik, und je mehr die Grünen sich hier nach rechts verschieben, desto unwahrscheinlicher wird R2G. Man sollte nicht vergessen, dass die SPD über ein Jahrzehnt R2G deswegen abgelehnt hat; die Grünen sind mittlerweile deutlich rechter als alles, was die SPD in dem Spektrum je eingenommen hat.

Spannend ist außerdem der Verweis darauf, dass man "nicht den Mustern des Kalten Krieges" anhänge. Dasselbe gilt sicher auch für die CDU, die sich gerade von ihrer fast sieben Jahrzehnte alten transatlantischen Ausrichtung löst. Das ist eigentlich weniger überraschend als die Tatsache, dass diese so lange gehalten hat. Vor der Westbindung waren die Konservativen in Deutschland ziemlich stramme Antiamerikaner. Es ist die ewige Versuchung deutscher Außenpolitik, sich als unabhängige Mittler zwischen Ost und West zu begreifen. Ich halte das für eine Mirage und bin deswegen froh über den Wandel der Grünen - und umso besorgter über das massive Abrutschen von SPD und FDP und das sanfte Abgleiten der CDU in dieser Frage; LINKE und AfD sind da ja eh hoffnungslose Fälle...

10) Sie ist sein Schicksal

Mal liegen in Umfragen die Grünen vorne, mal die Union. Schon jetzt ist klar: Die Grünen können sich den Partner aussuchen, während Armin Laschet sie unbedingt braucht. Eine Geschichte über zwei Parteien, die miteinander wollen müssen. [...] Damit ist klar: Wenn Armin Laschet Kanzler werden will, wenn die Union überhaupt noch regieren will, dann braucht er die Grünen als Koalitionspartner. [...] Denn nach allem, was bisher abzusehen ist, werden die Grünen für alle wirklich realistischen Koalitionen gebraucht. Sie wären die Königsmacher. Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz geht sowieso nicht ohne sie. Aber eben auch die Ampel aus Grünen, SPD und FDP nicht. Dafür müssten zwar auch SPD und FDP mitspielen. Allerdings wäre es für sie wohl die einzige Möglichkeit zu regieren. Denn mehr realistische Optionen gibt es eigentlich nicht: Grün-Rot-Rot lehnen führende Grüne und Sozialdemokraten vor allem wegen der außenpolitischen Hardliner bei der Linken ab. Einer nochmaligen Neuauflage von Schwarz-Rot können selbst einstige Befürworter bei der SPD nichts mehr abgewinnen – wenn das Wahlergebnis denn überhaupt dafür reicht. Und die theoretisch mögliche "Deutschlandkoalition" aus Union, SPD und FDP ist nicht nur für die SPD noch unattraktiver. Ob sich die Grünen nach der Wahl für Schwarz-Grün oder die Ampel entscheiden würden? Auf diese Frage lautet die grüne Standardantwort: Es kommt auf die Inhalte an. Den Parteichefs werden Sympathien für ein Bündnis mit der Union nachgesagt, weil es letztlich wohl leichter zu koordinieren wäre als eine Dreierkoalition. (Johannes Bebermeier/Tim Kummert, T-Online)

Ich kann diese Art von Artikeln überhaupt nicht leiden. Bis zum Wahltag ist noch lange hin, da kann noch jede Menge passieren. Klar, nach den aktuellen Umfragen geht nichts gegen die Grünen und ist Schwarz-Grün die wahrscheinlichste Regierungsoption. Aber wer weiß, was bis September noch passiert. Man sollte nicht so tun, als wären die aktuellen Trends linear fortzuschreiben.

Dass die Grünen eine Vorliebe für das Bündnis mit der CDU haben, ist ebenfalls ziemlich deutlich sichtbar. Ich hoffe allerdings inbrünstig, dass sie die Chance ergreifen werden, eine Koalition ohne die CDU zu führen, sofern dies möglich ist. Nach Lage der Dinge heißt das: Ampel. Das Dumme für die Grünen ist die grundlegende Dynamik hier: mit der CDU werden sie paradoxerweise mehr inhaltliche Schnittmengen haben.

Stefan Pietsch hat da immer wieder darauf hingewiesen: für die FDP ist die Ampel nur machbar, wenn sie sehr große Zugeständnisse von SPD und Grünen bekommen. Ich halte diese Analyse für grundsätzlich richtig. Ich denke aber, dieser Preis ist es wert, weil die CDU unbedingt aus der Regierung ausscheiden muss. Die Korruption dieser Partei und ihre Fortschrittsverhinderung sind zu große Mühlsteine um den Hals des Landes.

11) Republicans could easily win fair-and-square. They're choosing Trump instead.

So it's not hard to imagine a Republican Party that could build a majority coalition. Just throw the working and middle classes a bone or two by advocating nationalist foreign policy that ends expensive wars, promote domestic economic production with trade reforms, endorse some token regulation of business (particularly anti-trust, which would not require raising taxes), but keep all that modest to keep the donor class on side. Then double down on tax subsidies for the comfortable and affluent to peel off Biden's suburban voters. [...] But for this to work, the GOP would need a leader who cuts back on the frenzied culture war rhetoric, and doesn't sound like a deranged maniac — an ordinary politician who projects a soothing, competent affect that would give fussy upper-middle class suburbanites permission to vote their interests. Baker, Hogan, or Scott as a presidential candidate would fit this bill perfectly, and any of them would be a very serious challenger to Biden in terms of votes. That is obviously impossible. The GOP is a personality cult of Donald Trump — all his critics are being driven out of office, and even putative critics who have left office like former Speaker of the House Paul Ryan are too chicken to even criticize him personally. One reason Baker is so popular is he occasionally mildly criticized Trump, and for that he will likely face a primary challenge. All that just makes the party even more unpopular. As John Ganz writes at Unpopular Front, "The American Right is stuck in a cycle where it alienates public opinion through its strangeness, bitterness, and aggressiveness and then views that very alienation as evidence of the need to become even stranger and more bitter and more aggressive." (Ryan Cooper, The Week)

Noch eine Art von Artikel, die mir Bauchschmerzen bereitet. In der Theorie klingt das alles sehr überzeugend, aber dasselbe gilt ja auch für Democrats. Die müssten auf dem Papier auch "nur" ein bisschen mehr Rassismus zulassen und Identitätspolitik für die weiße ländliche Bevölkerung machen und hätten dann eine sehr breite Koalition. Nur gilt in beiden Fällen: die Parteibasis, die über Wahlen entscheidet, goutiert solche Schritte nicht. Man muss sich ja Leute wie Chuck Schumer nur einmal ansehen um zu erkennen, welche Politik die gerne machne wüden. Können sie nur nicht.

Und bevor hier Missveständnisse auftreten, es geht nicht um die eigentlichen Wahlen, sondern um die Vorwahlen. Hier entscheidet sich, welche Kandidat*innen überhaupt bei den eigentlichen Wahlen zur Wahl stehen. Und die Vorwahlen werden von einem harten Kern hochmotivierter Basismitglieder entschieden, und die fallen nicht eben durch ihren Hang zu moderaten Positionen auf. Das ist eine Grunddynamik der US-Politik, die diese seit nunmehr Jahrzehnten treibt und maßgeblich zu der starken Polarisierung beiträgt. Man kann das natürlich ignorieren, aber dann kommen Artikel wie der oben raus.

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