Montag, 24. Januar 2022

Putin isst Kunstfleisch in der Schule, während er Obamas Stimulus die BBC und MLK wütend macht - Vermischtes 24.01.2022

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.


1) How Democrats Can Win the Information War

Die Analyse ist nicht schrecklich aufregend; dass die Rechten eine wesentlich effektivere Blase bilden als die Linken ist unstrittig. Auch die notorische Unfähigkeit, einen vergleichbaren Mikrokosmos aufzubauen, ist quasi gesetzt. Aber was folgt daraus? Ich bin mir sehr unsicher, ob es eine Frage der Kompetenz ist, also ob die politische Linke einfach nur seit Jahrzehnten niemanden hat, der das hinkriegt, oder ob hier nicht eher systemischere Ursachen bestehen. Ich denke schon, dass Letzeres eine Rolle spielt.

Die linke Koalition ist viel disparater, flüchtiger als die Rechte, mehr darauf angewiesen, Wähler*innen der Mitte zu gewinnen. Ich würde die These aufstellen, dass die letzten Wahlkämpfe ziemlich eindeutig gezeigt haben, dass die Democrats nur gewinnen, wenn sie breit aufgestellt sind. Das mag man bedauern, aber das ist die Realität. Ich glaube daher, dass die Eindämmung beziehungsweise Angriffe auf die rechte Blase der bessere Weg sind als der Versuch, eine eigene zu bauen, mal davon abgesehen, dass zwei abgeschottete, sich feindlich gegenüberstehende Blasen auch nicht gerade Ausdruck gesunder Demokratie wären.

2) Rich nations could see ‘double climate dividend’ by switching to plant-based foods

High-income countries could cut their agricultural emissions by almost two-thirds through dietary change, the authors find. They add that moving away from animal-based foods could free up an area of land larger than the entire European Union. If this land were all allowed to revert to its natural state, it would capture almost 100bn tonnes of carbon – equal to 14 years of global agricultural emissions – the authors note. They add that this level of carbon capture “could potentially fulfil high-income countries’ CO2 removal obligations needed to limit warming to 1.5C under equality sharing principles”. The US, France, Australia and Germany would collectively see roughly half of the total carbon benefits, the study notes, because meat and dairy production and consumption are high in these countries. [...] The study assumes that any land freed up by a change in diet would be allowed to revert to its natural state through a “natural climate solution” called passive restoration, in which land is allowed to revert to its past state. Behrens explains in a press release that this technique has a range of co-benefits, including “water quality, biodiversity, air pollution and access to nature, to name just a few”. (Ayesha Tandon, Carbon Brief)

Mir ist völlig unklar, wieso die Rolle der Ernährung bei der Bekämpfung des Klimawandels ständig so kleingeredet wird. Schließlich ist die Massentierhaltung für mehr Emissionen verantwortlich als der Transportsektor! Da kommt aber dieser Tage noch etwas mehr dazu; bis dahin möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Idee der Verwilderung lenken, die hier am Rande ausformuliert wird.

Ich bin zum ersten Mal in dem Roman "Ministry of the Future" (hier besprochen) über diese Idee gestolpert, die dort mit "half earth" umschrieben wird: die Hälfte der Erde für die Menschen, die Rest freie Natur. Das gehört zu den (späteren) Maßnahmen gegen die Klimakrise, die in der Romanhandlung ergriffen werden: eine weitreichende Konzentration der Menschheitsbevölkerung zum Einsparen von Emissionen, indem weite Teile der Zivilisation rückgebaut werden: Straßen abgerissen, Dörfer platt gemacht, etc. Ich hatte das bisher gar nicht auf dem Schirm, aber es spielt natürlich in alle Pläne mit rein, mal die Machbarkeit beiseitegelassen.

3) Schulschliessungen führten bei Jugendlichen zu mehr Schlaf und besserer Lebensqualität

Nun zeigt eine Studie der Universität Zürich (UZH), dass sich die Homeschooling-Phase auch positiv auf das gesundheitliche Wohlbefinden vieler Jugendlicher ausgewirkt hat. «Die Schülerinnen und Schüler schliefen während des Lockdowns rund 75 Minuten länger. Gleichzeitig stieg ihre Lebensqualität signifikant und der Konsum von Alkohol sowie Koffein sank», sagt Co-Studienleiter Oskar Jenni, UZH-Professor für Entwicklungspädiatrie. Da die Anreise zur Schule wegfiel, konnten die Jugendlichen später aufstehen. [...] Dabei zeigte sich, dass in den drei Monaten im Homeschooling die Jugendlichen an Schultagen rund 90 Minuten später aufstanden, aber nur etwa 15 Minuten später zu Bett gingen – was die Schlafdauer insgesamt um 75 Minuten verlängerte. [...] Die Schülerinnen und Schüler der Lockdown-Gruppe beurteilten ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität besser und gaben an, weniger Alkohol und Koffein zu konsumieren als jene der Vor-Corona-Gruppe. «Obwohl der Lockdown eindeutig zur Verschlechterung von Gesundheit und Wohlbefinden vieler Jugendlichen geführt hat, offenbaren unsere Ergebnisse auch einen positiven Effekt von Schulschliessungen, der bisher vernachlässigt wurde», sagt Jenni. [...] «Unsere Befunde sprechen klar dafür, die morgendlichen Schulstartzeiten zu verschieben, damit die Jugendlichen mehr Schlaf bekommen», betont Jenni. Vermutlich wären die positiven Effekte auf die Gesundheit und Lebensqualität ohne die psychischen Belastungen durch die Pandemie noch viel grösser gewesen. (Deutsches Gesundheitsportal)

Ich finde das einen spannenden Gegenpunkt zu den Erkenntnissen zur Selbstmordrate von Jugendlichen. Es ist ja nicht überraschend, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich reagieren, und dass es sowohl positive als auch negative Folgen der Pandemie gibt. Bevor da also eine sinnlose Debatte "Lockdown gut oder schlecht" ausbricht, gleich die Antwort: sowohl als auch, bei manchen mehr das eine, bei anderen mehr das andere. Aber was diese Studie herausgebracht hat ist nichts Neues.

Dass die Start- und Endzeiten von Schule (und Arbeit!) ungesund sind, ist seit Jahrzehnten bekannt. Die Schule beginnt ja auch nur so früh, damit die Eltern entsprechend früh zur Arbeit können. Ein weiteres von vielen Beispielen, wo völlig ohne Rücksicht auf Kinder und Jugendliche die Interessen der Wirtschaft durchgesetzt werden, was es umso ärgerlicher macht, wenn jetzt plötzlich mit der Begründung des Kindeswohls argumentiert wird, wo es ausnahmsweise mal reinläuft. Das steckt auch hinter dem Präsenzzwang: die Betreuung der Kinder muss gewährleistet sein.

Und das ist verständlich! Ich wüsste auch nicht, wie ich das machen sollte, wenn meine Kinder nicht den ganzen Tag in der Schule wären. Aber man sollte da schon Ursache und Wirkung beieinander behalten.

4) Fleisch vom Acker, Gemüse aus dem Tank

Die Kuh auf der sattgrünen Bergwiese, die gackernden Hühner vor dem rustikalen Holzverschlag, der fröhliche Kaffeepflücker. Informierte Konsumenten wissen, dass die Bilder auf Verpackungen fast immer schwindeln. Statt auf Alpenpanoramen blicken viele Kühe auf graue Stallwände, dauerschwanger, um viel Milch zu liefern. Die Eier, besonders die in verarbeiteten Produkten, kommen nicht von Omas Hühnerhof, sondern aus gesichts- und fensterlosen Baracken. Und wer Kaffee pflückt, tut das oft für einen Hungerlohn, sieht täglich die mit dem Anbau verbundenen Umweltschäden. Diese Widersprüche stören zunehmend. Manche verzichten vollständig auf tierische Produkte, andere Konsumenten suchen nach Alternativen, die ihnen ethisch günstiger erscheinen. Und so steckt in »gutem Essen mit gutem Gewissen« gewaltiges Marktpotenzial. Laut einer Analyse der Boston Consulting Group (BCG) dürfte im Jahr 2035 mehr als ein Zehntel der üblicherweise tierbezogenen Proteine aus alternativen Quellen stammen. Das entspricht einem Marktvolumen von konservativ geschätzten 290 Milliarden Dollar. Womöglich ist sogar noch viel mehr drin. Das prominenteste Beispiel – echtes Fleisch aus dem Labor – taucht zwar allenthalben in den Medien auf, wird nach Ansicht von Fachleuten aber noch länger auf seinen Durchbruch warten. Viel weiter sind dagegen Fleischalternativen aus Pflanzen. Laut der BCG-Analyse könnten pflanzenbasierte Proteine mit ihren tierischen »Vorbildern« etwa 2023 gleichziehen, was Preis, Geschmack und Textur angeht. Auf gutem Weg sieht die Analyse auch Lebensmittel aus Bioreaktoren, Milchproteine etwa, die von genetisch veränderten Mikroorganismen erzeugt werden. Man kann sie zu Molkereiprodukten verarbeiten, für die keine einzige Kuh gemolken werden muss. Etwa ab 2025 sollen sie mit echter Milch gleichziehen. (Ralf Nestler, Spektrum)

Ich habe diese Entwicklung schon 2015 prophezeit und bin sehr zuversichtlich, dass das weiterhin anhält. Wenn wir endlich die notwendigen Regulierungen bekommen, um diesen Trend unterstützen zu können, dürften da auch weitere große Schritte gehen. Bisher haben zwar viele Menschen eine Präferenz für fleischlosere Ernährung, handeln aber nicht danach.

Die Wirtschaftswissenschaft erklärt problemlos, warum: solange ungesunde und schädliche Nahrung wesentlich billiger ist als gesunde und weniger schädliche, werden Konsument*innen erstere wählen. Vermutlich ist das hauptsächlich eine Generationenfrage, denn nicht nur ist die aktuelle junge Generation mehr als doppelt so häufig vegetarisch, die Präferenzen sind dort auch viel stärker ausgeprägt. Dazu hilft sicher der rapide Qualitätsgewinn der Ersatzprodukte in den letzten Jahren.

5) Chartbook #68 Putin's Challenge to Western hegemony - the 2022 edition.

Crucially, foreign exchange reserves give the regime the capacity to withstand sanctions on the rest of the economy. They can be used to slow a run on the rouble. They can also be used to offset any currency mismatch on private sector balance sheets. As large as a government’s foreign exchange reserves may be, it will be of little help if private debts are in foreign currency. Russia’s private dollar liabilities were painfully exposed in 2008 and 2014, but have since been restructured and restrained. [...] Putin’s stance produces outrage in the West. His assertion of Russia’s autonomy by all means necessary exposes the vanity of the post-Cold War order, that assumed that the boundary between different forms of power - hard, soft and financial - would be drawn by the Western powers, the United States and the EU, on their own terms and to suit their own strengths and preferences. The West has itself always employed a blend of strategies - financial pressure, soft power and military force - to achieve its goals. Russia’s challenge has forced a reshuffling of that pack and new combinations of diplomatic persuasion, soft power, financial and ultimately military threats and coercion. That this should be happening in Europe compounded the scandal. [...] In Eastern Europe the crucial question is how Russia’s neighbors, whether former Soviet Republics, or former Warsaw Pact members navigated the staggering economic and social shocks of the 1990s. In this regard, Poland and the Baltics are at one end of the spectrum. They have rebounded from the 1990s crisis, have relatively high-functioning post-Communist polities and gained membership in NATO and EU in early waves of expansion. Ukraine is, in every respect, at the opposite end of the spectrum. What makes Ukraine into the object of Russian power is not just it geography, but the division of its politics, the factional quality of its elite and its economic failure. [...] Russian nationalist simply dismisses Ukraine’s claim to statehood altogether. That is propaganda. But what is clearly true is that Ukraine’e elite have not come up with a formula for delivering the material basis of legitimacy, i.e. a minimum of stability and sustained economic growth. [...] But Putin is too dug in. He wants to resolve Ukraine. This does not mean annex it. It means achieving what the struggle between 2007 and 2015 was about i.e. drawing a line on western expansion. That needs to be achieved both by consolidating a Russian veto in Ukrainian politics and driving home the message to the West not to attempt a further expansion. (Adam Tooze, Chartbook)

Ich empfehle den kompletten, recht langen Artikel zu dieser Darstellung, und an und für sich auch gleich das ganze Buch "Crashed" (hier und hier besprochen), in dem diese Gedanken wesenlich ausführlicher besprochen werden. Mir zeigt diese Analyse vor allem das mangelnde strategische Bewusstsein in Deutschland. Es scheint hierzulande ein Buch mit Sieben Siegeln zu sein, warum Russland eigentlich handelt; bestenfalls bekommt diese dämliche Legende von der Einkreisung durch die NATO wegen des angeblichen Wortbruchs gegenüber Gorbatschow. Da sind uns die meisten anderen Länder echt Lichtjahre voraus (darauf wies ja auch Alexander Clarkson bei uns im Podcast hin).

6) The Biden-Trump stimulus shows how badly Obama's 2009 plan failed

Let me start by reviewing the story of the past year. When President Biden was inaugurated last January, the unemployment rate was 6.4 percent, and the fraction of prime working-aged people (25 to 54) with a job was 76.4 percent. That's roughly where those figures were in 2014, halfway through Obama's second term. One year later, the unemployment rate has fallen by nearly half, and the prime age employment rate is up to 79.0 percent — or about where those numbers were in 2018. In other words, the post-2008 recovery was so weak that in 2020 we replicated four years of that era's growth in a single year. The past 12 months have seen about 6.4 million jobs created — more than half of the net total of Obama's entire presidency. What accounts for the difference? There's one big and obvious answer: stimulus. [...] So how did Democrats screw up so badly? Obama apologists often argue that there was no way to get more stimulus out of Congress, but that's hardly a complete story. [...] They didn't aim high with the expectation of getting bargained down to a still-high number. They started far too low. Obama himself failed to insist he would veto any stimulus that wasn't large enough, after which he could have relied on the resulting stock market crash and general panic to force a bigger bill past Congress (this is exactly how the bank bailout got jammed through mere months prior). More concretely, as Obama fundraiser Reed Hundt details in his book A Crisis Wasted, Summers and other key aides, like Tim Geithner and Peter Orszag, all rejected tricks that would have boosted the effect of the stimulus without raising its headline price. [...] The didn't do any of that because decision-makers in the Democratic Party didn't want sufficient stimulus. They doomed their party to total wipeout in the 2010 midterms. (Ryan Cooper, The Week)

Es ist völlig korrekt, dass der Stimulus 2009 deutlich unterambitioniert war. Ob Obama tatsächlich Spielraum für einen größeren Stimulus gehabt hätte, weiß ich nicht - ich finde die Argumentation, dass er zu wenig gefordert hat, überzeugend, zweifle aber, dass er einen ähnlich großen Betrag hätte heraushandeln können wie Biden 2021.

Der Grund dafür ist der von mir bereits im Zusammenhang mit der Inflation angesprochene Paradigmen-Wechsel, der neue Möglichkeitsspielräume eröffnet hat, die zu Obamas Zeit einfach nicht gegeben waren. Zwar hatte Obama eine größere Mehrheit im Senat - 60 Senator*innen! -, aber diese waren im Schnitt wesentlich weniger progressiv, als dies die heutige Mehrheit ist. Obama musste mit Leuten wie Joe Lieberman arbeiten! Was wir übrigens auch sehen können, ist dass die Renaissance des Keynesianismus, über die ich ja geschrieben habe, für die USA soweit sehr positiv sind.

7) Chart of the day: Anger in the United States

The red line is from a CNN poll asking people if they're angry about the way things are going. Unfortunately, it only goes back to 2008, so I've overlaid it with the blue line, which is a Gallup poll asking people if they're dissatisfied with the way things are going. From 2008-2021 they follow each other pretty closely, so it's reasonable to think they're measuring roughly the same thing. I've also marked off economic recessions with the gray bars. During the first two recessions, in 1981 and 1989, the public response follows a similar path: people are angry as the economy gets worse, but then anger subsides as the economy improves. That makes sense. But look at what happens in 2000: Anger starts to rise before the recession begins. And then it keeps going up, even though the recession was short and mild. It keeps going up through 2008 and then doesn't respond to the Great Recession at all. Nor does it respond to the 2020 recession—which began before the COVID pandemic—or even to the pandemic itself. In a nutshell, anger rises sharply all through the aughts and then stays at a seething, red-faced level for the next decade. So what are we all so angry about? In the past, it was pretty easy to say: we got mad when the economy sucked. But not anymore. We're just angry all the time. Do I have to explain why? (Kevin Drum, Jabberwocky)

Ich kann die Grafiken hier nicht mitzitieren, daher unbedingt dem Link folgen und kurz die Grafiken anschauen.

Es ist für mich ziemlich offenkundig, dass die Wut im Endeffekt dasselbe ist wie die Kategorie "Zufriedenheit", die wiederum zu großen Teilen auch nur Ausdruck der parteilichen Präferenzen ist. Schließlich bewertet praktisch niemand die eigene Regierung nach einem objektiven Set von Evaluationsmaßstäben, sondern lässt persönliche Präferenzen einfließen.

Die Rolle von FOX News und Konsorten in diesem Prozess ist ebenfalls sehr offenkundig. Würde diese rechte Blase (siehe Fundstück 1) aus FOX, OAN, Sinclair und wie sie alle heißen nicht existieren, wäre das politische Klima der USA mit Sicherheit wesentlich gesünder. Es ist ja auch nicht eben so, als hätte die Verbreitung von RT den deutschen demokratischen Diskurs übermäßig verbessert.

8) Why is so little known about the 1930s coup attempt against FDR?

The Gray Shirts of New York organized to remove “Communist college professors” from the nation’s education system, and the Tennessee-based White Shirts wore a Crusader cross and agitated for the takeover of Washington. [...] The putsch called for him to lead a massive army of veterans – funded by $30m from Wall Street titans and with weapons supplied by Remington Arms – to march on Washington, oust Roosevelt and the entire line of succession, and establish a fascist dictatorship backed by a private army of 500,000 former soldiers. [...] The final report by the congressional committee tasked with investigating the allegations, delivered in February 1935, concluded: “[The committee] received evidence showing that certain persons had made an attempt to establish a fascist organization in this country”, adding “There is no question that these attempts were discussed, were planned, and might have been placed in execution when and if the financial backers deemed it expedient.” [...] There is still much that is not known about the coup attempt. Butler demanded to know why the names of the country’s richest men were removed from the final version of the committee’s report. “Like most committees, it has slaughtered the little and allowed the big to escape,” Butler said in a Philadelphia radio interview in 1935. “The big shots weren’t even called to testify. They were all mentioned in the testimony. Why was all mention of these names suppressed from this testimony?” (Sally Denton, The Guardian)

Zum Einen: Welche Ereignisse erinnert werden, ist zu einem gewissen Teil auch arbiträr. Historische Erinnerung lässt sich nur eingeschränkt steuern, vor allem bei solchen eher arkanen Ereignissen, die den Zeitgenoss*innen ja gar nicht groß bekannt waren und die auch zur damaligen Zeit keinen großen Eindruck hinterließen. Das liegt in der Natur der Sache.

Zum Anderen: Das Interesse an diesen Ereignissen heutzutage kommt natürlich von dem Putschversuch der Rechten in den USA und den angehenden Vorbereitungen für den nächsten. Hier nach historischen Analogien zu suchen, ist verständlich. Auffällig finde ich, dass der Versuch 1933 am gleichen Grund scheiterte wie der 2021: einzelne Individuen, die sich dem Ganzen in den Weg stellten. Hitler wurde 1933 Kanzler, weil es auf der deutschen Rechten solche Menschen nicht gab. Andere scheiterten, weil es sie gab. Beruhigend ist das allerdings nicht.

9) BBC soll ab 2027 keine Gebühren mehr fordern dürfen

Der britische öffentliche Sender BBC bangt um seine Zukunft. Die britische Regierung plant, die Finanzierung der BBC für zwei Jahre einzufrieren und langfristig das Modell der Gebührenfinanzierung abzuschaffen. Das teilte laut mehreren britischen Medien wie The Guardian die britische Kulturministerin Nadine Dorries am Wochenende in einem Schreiben mit. [...] Seit 2010 haben konservative Regierungen in England immer wieder das bisherige Finanzierungsmodell des Öffentlichen Senders diskutiert. Künftig soll sich die BBC – nach dem Vorbild von Netflix oder YouTube – durch Abo-Modelle und eine Teilprivatisierung finanzieren.  [...] Britische Kommentatoren sehen in der Ankündigung eine Maßnahme, die dem Regierungschef Boris Johnson in seiner aktuellen Glaubwürdigkeitskrise mehr Zustimmung verschaffen soll. Außerdem wird befürchtet, dass die BBC angesichts der bevorstehenden Verhandlungen über neue Finanzierungsmodelle nicht mehr unabhängig und kritisch über die aktuelle konservative Regierung berichten kann und wird. (wh, ZEIT)

Wenn etwas die Populisten dieser Welt vereint, dann ihr Hass auf unabhängige, öffentlich-rechtliche Medien. Sie wissen, dass von diesen eine Gefahr für sie ausgeht. Dass Johnson der BBC den Saft abdreht ist das Kronjuwel konservativer Medienpolitik in Großbritannien. In den USA wurden sie bereits zu Reagans Zeiten faktisch erledigt. In Deutschland gibt es seit 2020 wieder eine vermehrte Bewegung von rechts gegen die Öffentlich-Rechtlichen, die teils Natur einer Kampagne annahm. Die CDU Sachsen-Anhalt tut sich gerade damit hervor, zu fordern, die ARD "langfristig abzuschaffen" und, wie könnte es bei den Kulturkriegern anders sein, "Gendersprache zu verbieten". Diese Cancel Culture ist gefährlich.

10) Feindbild "Turbo-Abi"

Auch weil die Chancen, die G8 bot, von vielen bis heute nicht verstanden und noch seltener genutzt worden sind: die längst überfällige Entrümpelung der Stundenpläne, das Aushandeln eines Bildungskanons fürs 21. Jahrhundert, eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis, welche die in Deutschland so tiefe Kluft zwischen akademischer und beruflicher Bildung ein Stückweit schließten könnte. [...] Aufwändige Studien kamen zu der immer gleichen Schlussfolgerung: dass G8 und G9 zu identischen Lernergebnissen führten, aber auch zu ähnlichen Stresslevels bei den Schülern. Eine Rückkehr biete daher keine positiven Folgen [...] Er sagt: "Jugendliche brauchen mehr Zeit, um den wirklich immer mehr wachsenden Anforderungen gerecht zu werden". Daher wolle man den Schülern wieder ein Jahr mehr geben, "zum Leben, zum Arbeiten, zum Forschen", zitiert der Saarländische Rundfunk den Ministerpräsidenten, der gern Ministerpräsident bleiben will. [...] Schon bezeichnend, dass all das wieder einmal nur mit mehr Zeit möglich sein soll, als die vorhandene Zeit bestmöglich einzusetzen.  Doch hätte dies eben Konflikte zwischen den unterschiedlichen an den Gymnasien vertreten Fächern bedeutet. Konflikte, die Bildungspolitik wie Lehrerverbände immer gescheut haben. [...] Ist den Schülern und Eltern klar, dass sich die Schultage bei G9 nicht wesentlich entzerren/entstressen werden, sondern dass sie mit zusätzlichem Stoff bepackt werden dürften? Mit dem Ergebnis, dass abseits einer echten Priorisierung einfach alle Fächer ein bisschen mehr von dem machen dürften, was sie sich schon lange gewünscht haben? (Jan-Martin Wiarda)

Mir war bisher nicht so bekannt, dass es keine messbaren Unterschiede beim Stresslevel von G8 und G9 gibt; das widerspricht der gefühlten Realität. Aber da täuscht man sich ja gerne, von daher: spannende Erkenntnis. Ich halte das Hauptargument für G9 im luftleeren Raum aber eher für eines der Reife: Die jungen Menschen wissen einfach noch nicht, was sie tun wollen, und machen stattdessen häufig (so zumindest meine anekdotische Erfahrung) Sabbatjahre nach dem Abi, kommen also auch nicht früher in die Wirtschaft. Problematisch ist es auch im Unterricht, wo bei vielen Themen die Reife und Lebenserfahrung beziehungsweise ihr Fehlen sich klar bemerkbar macht.

Relevanter aber ist Wiardas anderer Punkt: die Entrümpelung der Bildungspläne. Diese bleiben einfach wesentlich zu voll gestopft. Da ist natürlich auch die Rückkehr zu G9 keine Hilfe. Auch die Stundenpläne sind zu voll. Es ist zu viel Unterricht mit zu viel Stoff. Und die Lebenslüge aller Beteiligten ist, dass das zu mehr Lerneffekt führt. Aber genau das passiert nicht. Reformen müssten daher viel mehr auf Eigenständigkeit der Lehrkräfte bauen, echten Lerngewinn statt Stoffvermittlung ins Zentrum stellen.

11) The Forgotten Economic Vision of Martin Luther King

Yet even with this astute observation, there is no avoiding the fact that these moments of coronation of King have turned him into exactly the kind of untouchable, mythological-historical power that he and his fellow activists sought to disrupt and challenge. [...] As Brandon Terry recently argued so skillfully, that process of would-be honorific myth-making robs us all of a living relationship to leaders such as King by presenting him as “an icon to quote, not a thinker and public philosopher to engage.” [...] King’s position in history signals part of the danger afflicting us all: Something, possibly rooted in our insistence upon simplicity, polices American history and transforms things we come to understand—even each other and ourselves—into untouchable objects. Rare exceptions who can’t be kept silent or neutralized in coronation, are attacked, undermined, and destroyed. Then, after they’re destroyed, the process of neutralization ensues, and by no means always by their opponents. One key to revivifying the living passion and power of King’s late vision is found in his increasingly explicit insistence upon economics and the tangles of inter-generational and cross-cultural complexity and potential that came with that insistence. [...] Far less well known than King’s increasingly vocal opposition to the American War in Vietnam and his emerging concentration on American poverty was his determination to create a broadly cross-racial and inter-cultural coalition. (Ed Pavlic, Institute for New Economic Thinking)

Die Erstarrung Martin Luther Kings als eine leere Statue ist jedes Jahr aufs Neue zu beobachten. Alle bekennen sich zu dieser Statue, aber wenige zu dem, was er wirklich gesagt hat. Es wurde völlig verdrängt, was für eine kontroverse Figur er seinerzeit war, wie verhasst bei der weißen Mehrheitsbevölkerung. Genauso ist die "offizielle", bereinigte King-Rezeption die eines schwammigen "Rassismus ist irgendwie doof", hinter der sich alle versammeln können. Aber das ist gleichzeitig auch bedeutunglos, zum Ritual erstarrt.

Wir haben in Deutschland ja seit Langem eine ähnliche Diskussion über die Holocaust-Rezeption, die ebenfalls immer wieder in Gefahr läuft, zum Ritual zu werden. Deutschland tut sich schwer damit, immer noch bestehenden Antisemitismus zu thematisieren, wie Amerika sich schwer tut, die weiter bestehende White Supremacy anzugehen, weil man sich allzugerne einredet, dass man das alles vor langer Zeit überwunden hat. Dabei ist es ein stetiger Prozess, nichts, das abgeschlossen ist.

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