Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
Fundstücke
1) Rick Scott pushes own GOP agenda as McConnell holds off
The Florida Republican senator is devising a conservative blueprint for Republicans to enact should they win Senate and House majorities this fall. Among Scott’s priorities: completing the border wall and naming it after former President Donald Trump, declaring “there are two genders,” ending any reference to ethnicity on government forms and limiting most federal government workers — including members of Congress — to 12 years of service. It’s a bold move for the first-term senator and National Republican Senatorial Committee chair. But Scott said the 31-page GOP agenda he’s crafted is separate from his work chairing the party’s campaign arm, adding that it’s “important to tell people what we’re gonna do.” It’s a clear break from Senate Minority Leader Mitch McConnell, who has declined to release a GOP agenda heading into the midterms. [...] The 11-point plan is a mix of longtime Republican positions, such as enacting a national voter ID law and shrinking the federal government, combined with culture war politics that define many GOP voters in the pro-Trump wing of the party. Scott said no one should be surprised that he’s devising his own plans, given his past record. (Burgess Everett, Politico)
Die republikanische Agenda besteht bereits seit vielen Jahren aus nichts als grievance politics. Man kann ja die Agenda der Democrats ablehnen, aber sie haben eine, die man ablehnen könnte. Der größte Politzyniker des Jahrhunderts, Mitch McConnell, hat die Lage wieder einmal richtig erkannt, wenn er in bewährter Tradition versucht zu verhindern, dass die Partei irgendwelche Positionen einnimmt. Denn viele ihrer Positionen - wenngleich bei weitem nicht alle! - sind völlig unbeliebt. Aber was an Substanz da ist, ist es. Es ist auch auffällig, wie chaotisch die Partei agiert. Es fällt nur niemandem auf, weil es nicht dem Klischee entspricht ("Democrats in disarray!"), aber ein Machtzentrum existiert nicht. Wenig überraschend: McConnell will 2022 nur die Mehrheit im Senat zurück (dann kann er wieder alles blockieren, und mehr braucht er nicht), und 2024 ist die Plattform ohnehin, welche Spinnerei Trump zur Stunde gerade einfällt.
2) The real reason Putin played a pussycat during the Trump presidency
But it's far more likely he hoped for something very different. As Jonathan Last pointedly suggested on Tuesday in his newsletter for The Bulwark, Trump expressed his desire on numerous occasions for the United States to withdraw from NATO altogether. He did so while campaigning for president in 2016. He did so as president. And apparently, he even made clear to advisers he hoped to make it a reality after he won re-election in 2020. Since such a withdrawal is Putin's fondest wish, it makes far greater sense to suppose his relative restraint during the Trump presidency was a function of a reasonable expectation he might get everything he wanted without having to fire a shot. Only now, with a less … unorthodox American president in charge, has war become Putin's only means of advancing his more immediate aim of ensuring NATO moves no closer to Russian territory. Putin didn't play nice guy from 2017 to 2020 because he was afraid of Donald Trump. He did so because he knew he had nothing to fear from the fanboy in the Oval Office. (Damon Linker, The Week)
Ich weiß nicht, ob das der "real reason" ist, aber er ist in jedem Falle sinnhaltiger als die Idee, dass Trump so abschreckend auf Putin wirkte, dass der sich nicht traute. Laut einigen republikanischen Quislings, etwa John Bolton und Mike Pompeo, plante Trump einen NATO-Austritt in einer zweiten Amtszeit. Ich traue diesen feigen Lügnern kein Stück über den Weg, aber dass Trump das tun wollte, glaub ich sofort. Das wäre natürlich der Hauptpreis für Putin gewesen, und in der Zwischenzeit war es nicht so, als wäre Trump ein Hindernis für seine Pläne gewesen. Wir wissen glaube ich alle gut, wie Trump kriminell in die Ukraine verstrickt war - und wie sich die Republicans weigerten, ihn deswegen zu impeachen.
3) Student Shaming – ein Problem im (digitalen) Lehrer*innenzimmer
Damit wird ein Verhalten von Lehrpersonen bezeichnet, die sich über Schwächen oder Regelverstöße von Schüler*innen lustig machen. Das kann vor der Klasse oder hinter verschlossenen Türen im Lehrer*innenzimmer passieren – oder auch halb-anonym auf digitalen Plattformen. Lehrpersonen erzählen sich dumme Sätze, welche Schüler*innen geäußert haben, empören sich über Frechheiten von Lernenden oder tauschen sich über Fehler und Faulheit junger Menschen aus. Aus der Sicht von Lehrpersonen ist Student Shaming oft ein Ventil: Es ist anstrengend und belastend, junge Menschen zum Lernen zu bringen. Viel Engagement verpufft, weil es ignoriert wird. Gute Absichten haben weniger Erfolg als gewünscht. Sich mit Kolleg*innen darüber auszutauschen, entlastet, es befreit. So weit, so verständlich. Doch es gibt zwei grundsätzliche Probleme damit, die Joshua Eyler in einem lesenswerten Essay herausgearbeitet hat: Erstens erzeugen sie ein Bild von einer Opposition zwischen Lehrenden und Lernenden, das nicht mit dem Bild einer Lehrperson zu vereinbaren ist, deren primäres Ziel darin besteht, jungen Menschen bei ihrer Entwicklung zu unterstützen. Zweitens zeigen Lehrpersonen, die Student Shaming betreiben, keine Bereitschaft zu verstehen, weshalb Lernende Fehler machen, gegen Regeln verstoßen, die Hausaufgaben nicht erledigen etc. (Philippe Wampfler, Schule Social Media)
Student Shaming ist ein reales Lehrerzimmerproblem. Ich glaube, einer der Hauptgründe dafür ist auch, dass es kaum anerkannte Möglichkeiten für positive Alltagskommentare über die Schüler*innen und den eigenen Unterricht gibt, zumindest ist das meine Vermutung. Die permanente Negativität bezüglich der Schüler*innen im LZ ist ansteckend. Meine Theorie ist, dass viele Lehrkräfte - mich eingeschlossen - sich nicht trauen, gute Dinge zu sagen. Und das ist verständlich. Wenn ich ins LZ gehe und mal wieder meckere, wie doof alle SuS sind, erreiche ich damit das Lehrkräfteäquivalent, das die meisten Menschen beim Meckern über die Jugend von heute, die Verspätungen der Bahn oder die moderne Technik haben: schnelles, zustimmendes Kopfnicken, ein Lacher, das Schaffen von gemeinsamer Identität. Viel mehr steckt da glaube ich oft nicht dahinter. Es ist eine gegenseitige Versicherung, In-Group zu sein. Wenn ich dagegen ins LZ komme und positive Dinge über SuS sage, ist die Gefahr groß, dass sich Kolleg*innen angegriffen und kritisiert fühlen oder dass es wie Angebnerei wirkt: "Schaut her, was für tollen Unterricht ich mache, ich habe hier eine Prahl-Geschichte."
Diese Gefahr besteht beim Meckern nicht, wo wir immer eine Gemeinschaft bilden. Berichte ich etwas positives, ist die Wahrscheinlichkeit für diese Gemeinschaftsbildung viel geringer. Das ist eine sehr toxisch Dynamik, aber sie existiert zweifelsohne und ist mit Sicherheit auch nicht LZ-spezifisch. Das gibt es in jedem Beruf. Dieses Meckern ist immer da, dient immer der Abgrenzung. Wir gegen die. Um Zweifel die Deppen aus Abteilung B, über die sich alle in Abteilung A lustig machen - und umgekehrt. In unserem Beruf hat das nur drastischere Konsequenzen als wenn ich mich bei den Kolleg*innen im Einkauf versichere, dass die Leute aus der Produktion doof sind. Weil das bei uns junge Menschen in der Entwicklung beeinträchtigt. Diese Verantwortung haben wir, uns deswegen stehen wir auch in größerer Pflicht, etwas dagegen zu tun. Ich überlege da schon eine Weile, was möglich ist. Mein aktueller Gedanke: Eine "Pflicht", jeden Tag was Positives zu sagen. Tolle Geschichten sharen.
4) Volkes Stimmen
Dabei verrät gerade der historische Kontext, wieso man die Rede von der „vierten Gewalt“ besser dort gelassen hätte, wo sie hingehört: im neunzehnten Jahrhundert. [...] Seit demokratisch gewählte Abgeordnete das Kabinett stellen und keiner königlichen Exekutive mehr gegenüberstehen, hat die Rede von der „vierten Gewalt“ als strenger Kontrollinstanz ihren Sinn verloren. Denn logischerweise muss in der Presse der Standpunkt der Regierung selbst verfochten werden können, wenn diese Regierung von einer Bürgermehrheit getragen wird – schon in Henry Reeves „viertem Stand“ findet auch die Position der Herrschenden ihren Platz. [...] Alles andere wäre absurd: Wie könnte die Gesellschaft selbst politisch Macht ausüben, wenn dieselbe Machtausübung in den Organen ihrer Öffentlichkeit der folgenlosen, unverantwortlichen Kritik ausgeliefert würde? Die Begleitung der Arbeit der Regierung mit stützenden Gründen kann nicht verwerflich sein, wenn eine gesellschaftliche Majorität sie doch aus ebendiesen Gründen ins Amt gewählt hat. Natürlich muss die Presse auch eine gewählte Regierung weiterhin kritisieren – schon deswegen, weil ein Teil der Bürger sich in Opposition befindet und auch in einer parlamentarisch verantwortlichen Regierung Korruption und Misswirtschaft blühen. Reeve wies darauf hin, dass in der Presse die Inhaber „ungewöhnlicher Meinungen“ zu Wort kommen, die im Parlament naturgemäß unterrepräsentiert sind. Ein Unterlassen in dieser Rücksicht wäre öffentlich anzuklagen. Aber dass berufsmäßige Kommentatoren auch in großer Zahl einschneidende Pandemiemaßnahmen stützen oder gar stärkere fordern, kann in einer Republik an sich kein Vorwurf sein. Die Presse ist seit der allgemeinen Durchsetzung der Demokratie eben keine „vierte Gewalt“ mehr – nicht aus innerem Versagen, sondern im Gegenteil, weil sie erreicht hat, was sie erreichen wollte. (Oliver Weber, FAZ)
Ich finde das einen sehr guten Artikel, der einen wertvollen Kontext herstellt. Die Vorstellung, die Presse müsse die Regierung immer kritisieren und angreifen, ist unglaublich schädlich. Denn dadurch entsteht der weit verbreitete Eindruck, sie mache "alles falsch", "alle Politiker*innen" seien korrupt, und so weiter. Es fördert Demokratieverdrossenheit. Ich glaube, das hängt auch stark mit dem Wegfall offener parteiischer Presse seit den 1980er Jahren zusammen. Vorher wusste ich klar: die ZEIT ist pro FDP, die FAZ ist pro CDU, der SPIEGEL ist pro SPD. Klar waren die parteiisch, in wesentlich größerem Ausmaß als heute (glaubt mir, ich hab meine Staatsexamensarbeit zum Thema geschrieben und hatte das vorher überhaupt nicht auf dem Schirm). Das ist ja auch einer der Gründe, warum ich eher für mehr denn weniger Meinungsartikel und klare Haltung argumentiere.
5) Warum demonstriert niemand gegen Putin?
Wenn die Massen für das, was ohnehin die herrschende und offizielle Meinung ist, auf die Straßen gehen, dann fühlt man sich bloß an Iran erinnert, wo es die Herrschenden schon nötig haben werden, den Einklang mit den Massen zu zelebrieren. In der liberalen Demokratie wäre es redundant und eine Zeitverschwendung, die Zustimmung zur Politik der Regierung laut zu demonstrieren. [...] Die Aktivisten der „Letzten Generation“ dagegen sind als junge Menschen schon demographisch in der Minderheit gegenüber den Alten, denen die schlimmsten Folgen des Klimawandels erspart bleiben werden. Wenn sie Gesetze brechen, werden sie sich dafür verantworten müssen. Aber dass sie, mit relativ drastischen Methoden, die Mehrheit der Indifferenten erschrecken wollen, schon weil, bis sie die entscheidenden Machtpositionen erreicht haben, es vermutlich zu spät sein wird: Das ist der Grund, weshalb Demonstrationen erfunden worden sind. (Claudius Seidl, FAZ)
Genauso wie in Fundstück 4 haben wir hier eine kluge Einordnung. Es ist redundant, für etwas zu demonstrieren, das ohnehin von allen geteilt wird. Demonstrationen dienen dazu, die "soziale Erlaubnis" herzustellen, sich zu etwas zu bekennen, zu zeigen, dass man nicht alleine ist und dadurch Verbündeten zu ermöglichen, sich offen zu zeigen. David Roberts hat diesen Mechanismus, nicht nur für Demonstrationen, in diesem Twitterthread schön aufgeschrieben.
6) Democrats need to back Biden more loudly on Ukraine
Democrats generally seem less inclined than Republicans to loudly boast about what they've done, and I've always ascribed this partly to a lack of conviction: They're afraid of committing themselves for fear that things might go sour later on and they'll look stupid. As Brian says, we pay a price for this. We haven't boasted much about the stimulus bill getting the economy back on track, so the void has been filled by conservatives and the media going crazy about inflation. Everyone stayed quiet about the Afghanistan withdrawal, so the void was filled with nonstop coverage of "chaos" and bad planning. Right now, Dems are mostly fairly quiet about Biden's rather remarkable diplomatic successes over Ukraine—which are fairly subtle and need explaining—so the void is filled with Fox News talking heads claiming that Biden is "weak" and Putin isn't afraid of him. I dunno. I've never understood this. Am I wrong about Democrats' aversion to boasting about what they (or their president) have done? Are they talking a lot and I'm just not hearing it? Or what? (Kevin Drum, Jabberwocky)
Ich habe meine Bekannten aus den Reihen der Politikberatung gefragt, ob Drums Einschätzung stimmt und woran das liegt. Deren Antwort war effektiv ein "Yeah, we've always been bad at this." Aber ein Problem zu erkennen ist ja immerhin schon einmal ein Fortschritt, wenn auch ein kleiner. Und ein Problem ist es. - Siehe zu diesem Thema auch der Artikel "The Shadow Congress" im Atlantic, der kritisiert, dass vom Kongress praktisch nichts zu sehen ist. Angesichts der dräuenden Midterms sicherlich auch nicht gerade die beste Situation.
7) Kids Have No Place in a Liberal Democracy
Our world is structured around the core notion that people are free and equal, and that ideally they ought to be left alone by state and neighbor to manage their own affairs, so long as their activities don’t impose upon others. From these simple premises and a handful of others that follow in close rhyme, we derive our democratic republic; our freedoms of thought, assembly, religion, association, and speech; and our indignation at being told what to do. In that sense, children are a paradox for liberalism. On the one hand, it’s crucial that they obey adults in their daily life, because they rely on adult competence and judgment to stand in while they develop their own. On the other, the helplessness of children, coupled with the fact that they too are wholly human persons, obligates others to them—meaning, in short, that children both take orders and give them by nature of their very existence. Children are bundles of obligations, theirs and ours to them, and their vulnerability and needs leave little room for the sort of political freedom the imaginary liberal subject is presumed to have. [...] And so in liberalism, as in life, children throw things into chaos and uproar. (Believe me when I say I find this to be one of their many charms.) They make a mess of things. They break the rules. They test limits. They create situations, to put it lightly, wherein adults behave in ways they wouldn’t normally. Nowhere is this clearer than in schools, which is where all of these philosophical problems manifest as screaming matches at town halls. (Elizabeth Bruenig, The Atlantic)
Es ist ein interessantes Problem, das dem Liberalismus inhärent ist. Grundsätzlich sollen alle Bürger gleiche Rechte erhalten, aber die Grenze dessen, was den "Bürger" konstituiert, ist ständig umstritten. War es in der Anfangszeit des Liberalismus noch eine kleine Oberschicht reicher Männer, so weitete sich diese Schicht nach und nach über das 19. Jahrhundert auf alle Männer aus, ehe sie Anfang des 20. Jahrhunderts auch alle Frauen umfasste. Seither senken wir die Grenze beim Alter sacht nach unten ab (von 25 auf 16), aber die Grundidee, dass nur Erwachsene mündige Bürger*innen und damit Inhabende der vollen Bürgerrechte sein können, ist weiterhin prävalent. Die Existenz von Kindern ist ein Paradox des Liberalismus, das vor allem dadurch gelöst wird, dass man sie in die Vormundschaft von Bürger*innen gibt - ihren Eltern, üblicherweise.
Dasselbe Vorgehen nutzt der Liberalismus beim Umgang mit Minderheiten und nutzt es historisch für Frauen. Die Konstruktion, die Bruenig hier beschreibt - "bundles of obligation" - wurde genutzt, um Frauen, Minderheiten und Arme von liberalen Rechten auszuschließen, ohne dabei die Fiktion eines freien Staatswesens aufs Spiel zu setzen. Wie bei Kindern - als die sie sowohl sprachlich als auch rechtlich gehandelt wurden - hatten sie nicht die Fähigkeit, verantwortlich am Staatswesen teilzunehmen, und waren daher Mündel derjenigen, die es waren.
Der Liberalismus hat heute noch nicht nur das Problem mit Kindern, sondern auch mit Einwander*innen, die in einem merkwürdigen Spannungsfeld von Rechten einerseits und Obligationen beziehungsweise Entmündigung andererseits leben. Ich würde die These in den Raum werfen, dass dies auch der Konstruktion der Menschenrechte zu verdanken ist, die den Bereich der Bürgerrechte zwar überlappen, aber nicht deckungsgleich sind. Wo die Kreise dieses Venn-Diagramms sich nicht berühren, entstehen Konflikte.
8) Amazon's $31b "ad business" isn't
To make this clear: Amazon retail business today is as an intermediary, a chokepoint capitalist marketplace with customers corralled on one side and merchants on the other, with a gate in between where it collects rent to let one side talk to other. [...] Remember when Amazon's screen real estate was given over to "Customers who bought this also bought this" and "Customers who viewed also viewed"? Today those slots are filled with "Sponsored products related to" and "Brands related to this category." In other words, Amazon has converted its "customer-centric" personalization system, which emphasized the products it predicted you would like best, into an auction house, where the products that have paid the most come first. [...] There is one major seller that is immune from this arms-race to buy your business from Amazon: Amazon itself. Amazon's own-brand business – which data-mines its business customers' sales data, manufacturing information, and other commercial intel, and then knocks them off – doesn't have to buy the top of the page. Amazon's own products get those slots for free. Which means that Amazon has tied a $32b anchor around its sellers' necks, then asked them to compete with its knockoffs of their products by outbidding them in search- and product-pages, on which Amazon can top any third-party bid by writing an unlimited check to itself. Amazon became Amazon because of extremely specific, explicit political choices that were made by a string of US administrations, starting with Ronald Reagan and ending with Donald Trump. (Cory Doctorow, Pluralistic)
Mir ist das auch schon aufgefallen. Die Suchergebnisse bei Amazon wie bei Google sind voller Werbung, die Bewertungen praktisch nutzlos. Wenn man das weiß - und Leute, die sich im Internet auskennen, wissen das üblicherweise, sind aber nur ein Bruchteil der Nutzendenschaft - kann man darum herum arbeiten, auch wenn es nervt. Aber das Einkaufserlebnis hat sich wesentlich verschlechtert.
Das war völlig absehbar. Amazons Strategie war von Beginn an, Monopolist zu werden und dann den fetten Reibach zu machen. Die waren ziemlich offen damit. Und wie Doctorow in dem Artikel ja auch darlegt: sie taten das mit dem Einverständnis eines Staates, der sich weigerte, den Laden vernünftig zu regulieren. Die Einzelhändler haben zwei Jahrzehnte lang Zeter und Mordio geschrieen, während Amazon sie aus dem Markt gedrängt hat. Jetzt ist der Moloch so mächtig, dass es schon eine herkuleische Zerschlagung bräuchte. Wie so oft arbeiten Großkapitalisten und staatliche Regulateure Hand in Hand.
Aber das entlässt die Konkurrenz nicht aus der Verantwortung. Ja, Amazon wurde auch mit aggressiven Preistaktiken und den oben beschriebenen Methoden zu dem Moloch, der es jetzt ist, aber es bietet eben auch einen nach wie vor uneingeholten Kundenservice, ist immer noch die bequemste Einkaufsmethode und ist zuverlässig. Genauso wie die traditionellen Medien geschlafen haben und dann um vorteilhafte Gesetze gegen Google, Facebook und Co schrieen, so schliefen die traditionellen Einzelhändler gegen Amazon. Das darf man halt auch nicht vergessen.
9) Urteil zum aufgesetzten Parken: 50.000 Autos in Bremen müssten umparken
Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen sorgt für Denkfalten im dortigen Senat. Es geht darum, eine Lösung zu finden für tausende Autos, die momentan in der Stadt illegal parken. Eigentümer und Bewohner von Wohnhäusern in drei Bremer Stadtteilen hatten von der Straßenverkehrsbehörde verlangt, gegen die seit Jahren an beiden Straßenseiten auf Gehwegen aufgesetzt parkenden Autos einzuschreiten. Da die Behörde dies Mitte 2019 ablehnte, gingen die Beschwerdeführer gegen die zuständige Verkehrssenatorin vor das Verwaltungsgericht. [...] Die Straßenverkehrsbehörde hatte argumentiert, sie habe keinen Handlungsspielraum, wenn sich die für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden Ordnungsamt, Polizei und kommunaler Ordnungsdienst nach ihrem Ermessen gegen ein Einschreiten entschieden. Verkehrsschilder müssten nicht aufgestellt werden, da den Autofahrern die Parkvorschriften bekannt seien. Das Gericht meint hingegen, die Straßenverkehrsbehörde sei nicht darauf beschränkt, Verkehrsschilder aufzustellen. Sie sei spezialisiert auf weitere Vorkehrungen, dazu gehören auch Verwaltungsvollstreckungen. Ihr stehe grundsätzlich ein Ermessen zu, ob sie gegen das aufgesetzte Gehwegparken einschreitet. Dabei dürfe die Behörde sich wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht grundsätzlich gegen ein Einschreiten entscheiden. Schließlich seien die Kläger wegen der Dauer und Häufigkeit der Verstöße erheblich in ihrem Recht beeinträchtigt, die Gehwege beim Verlassen und Wiederaufsuchen ihrer Wohnhäuser zu nutzen. [...] Die Straßenverkehrsbehörde könne die Kläger auch nicht darauf verweisen, sich an die Ordnungsbehörden zu wenden, da diese in den betroffenen Wohnstraßen meist nicht einschritten, die Kläger seien damit faktisch rechtsschutzlos gestellt. Die betroffenen Autofahrer könnten sich nicht auf ein "Gewohnheitsrecht" berufen. [...] Der Bremer Innensenator meint, das Urteil gehe an der Realität vorbei. Würde es konsequent umgesetzt, hätten Zehntausende Autofahrer keinen Parkplatz mehr für ihr Auto, erklärte Sprecherin Rose Gerdts-Schiffler laut Weser-Kurier. (Andreas Wilkens, heise)
Ich sage es immer wieder: der massenhafte Rechtsbruch von Autofahrenden wird hingenommen und ist akzeptiert, wird nicht verfolgt. Ohne diesen massiven Rechtsbruch funktioniert das ganze System nicht. Besonders auffällig wird das wenn sich, wie hier, die Behörden schlichtweg weigern, geltendes Recht durchzusetzen. Und klar geht das Urteil an der Realität vorbei. An der Realität geht schon seit Längerem vorbei, welche Kollateralschäden die Pkw haben. Zumindest die Großstädte müssen so weit wie möglich von dieser Last befreit werden, und das erfordert einen massiven Wandel der Infrastruktur. Der Wahnsinn, dass wir zwei Drittel unserer Fläche als Abstellfläche für Fahrzeuge versiegeln und bereitstellen, die 23 Stunden am Tag nur herumstehen, muss aufhören.
10) Die seltsame Verwunderung über die Aufnahmebereitschaft der Osteuropäer
Wer von der Offenheit der Osteuropäer für die Ukrainer tatsächlich überrascht ist, nimmt offenbar wesentliche Unterschiede zwischen dieser Migrationsbewegung und den abgelehnten Wanderungsströmen nicht wahr. [...] Ebenso offensichtlich: Ukrainer sind anderen Osteuropäern nicht nur räumlich, sondern auch kulturell nahe. Sie teilen häufig den christlichen Glauben, und wenn nicht, dann eine gewisse Prägung durch das Christentum und seine kulturellen Niederschläge. Ihre Staaten entstanden in historischen Wechselwirkungen und die Nachbarvölker wissen, wie Schnaps und Schinken schmecken. Es fällt einem Ungarn leichter, Blicke, Mimik und Gestik eines Ukrainers richtig zu deuten als die eines in Afghanistan sozialisierten Menschen. Nach Polen kamen schon seit der Krim-Annexion 2014 anderthalb Millionen Ukrainer, ohne dass es dort in nennenswertem Umfang zu dem gekommen wäre, was man in Deutschland „Integrationsprobleme“ nennt. [...] Bei den Ukrainern, die über die Grenze kommen, handelt es sich außerdem vor allem um Frauen und Kinder. Seit der Generalmobilmachung kontrollieren die ukrainischen Grenzpolizisten jedes Auto, dass ins Ausland fahren möchte. Männer zwischen 18 und 60 Jahren müssen bleiben und sich in den Reservistenverbänden melden. Viele Ukrainer kehren sogar aus dem sicheren Ausland zurück, um zu kämpfen. Bei der Asylmigration aus dem Nahen Osten und Afrika, die von den osteuropäischen Regierungen behindert wird, sind hingegen junge Männer überrepräsentiert. (Marcel Leubecher, Welt)
Ich bin überhaupt nicht verwundert, aber ich bin Marcel Leubecher sehr dankbar, dass er den zugrundeliegenden Rassismus so offen ausspricht. Leute wie ich haben schließlich seit Jahren gesagt, dass das Problem Rassismus ist, nur um von Leuten wie Leubecher belehrt zu werden, dass, nein, nein, das sind nur berechtigte Sorgen über Integrationsfähigkeit und bla und blubb. Alles, um das es in Wahrheit schon immer ging, war: diese Leute sehen anders aus, und das mag ich nicht. Die kleinbürgerliche Borniertheit als Todesurteil für Zehntausende. Trevor Noah hat noch einen schönen Schnippsel, der zeigt, dass dieses rassistische Phänomen sich natürlich auch andernorts findet.
Resterampe
- Der texanische Gouverneur hat angeordnet, dass alle Eltern von Transkindern offiziell wegen Kindesmisshandlung verfolgt werden sollen. Erzählt mir bitte noch mal, wie viel schlimmer die Linken sind.
- Wer in Reaktion auf meinen Artikel zur Zeitenwende an mehr Informationen zu Verteidigungsausgaben des Westens und der Struktur derselben interessiert ist, wird hier fündig.
- Nachdem die Republicans gerade das Recht auf Abtreibung abschaffen, haben sie bereits das nächste Ziel im Auge: Verhütungsmittel. Die gehen echt voll in Richtung Gilead.
- Wer mehr Angst haben will, kann diesen Thread zur Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs lesen.
- Eine Rezension zu Mulders "The Econonmic Weapon", das ich ja hier auch rezensiert habe, und ein ergänzender Twitterthread mögen geneigte Lesende interessieren. Weitere Rezension hier.
- Dieser Artikel von Sabine Rennefanz versucht sich an Erklärungen für das "Verständnis" der Ostdeutschen zu Putin und Russland, kommt aber kaum über paternalistisches "sind halt die Ostdeutschen" hinaus, das die Bürgerlichen noch empört zurückwiesen, als es um Impfungen ging.