Aus Politik und Zeitgeschichte - Green New Deals
Spätestens seitdem der linke Flügel der Democrats in den USA den Green New Deal als neuen Schlachtruf für sich entdeckte, ist er als Konzept in der breiten politischen Debatte angekommen. Als Ursula von der Leyen in ihrer Funktion als Kommissionspräsidentin der EU einen "Green Deal" einforderte (wohlgemerkt ohne das allzu sozialdemokratische "New"), war die Vorstellung einer "grünen Transformation" im politischen Mainstream verankert. Nur, Konzepte zum "Green (New) Deal" gibt es zahlreiche, weswegen das vorliegende Heft im Titel auch zu Recht die Pluralform verwendet. Und letztlich verstehen alle unter dem Gummi-Begriff ein Sammelsurium ihrer jeweils eigenen bevorzugten Politiken. Linke fordern massive staatliche Investitionen; worin, ist da eher sekundär. Bei Grünen ist klar, dass jeder Green New Deal eine Abkehr von fossilen und nuklearen Technologien bedeuten muss, während Konservative und Liberale vor allem eine Entfesselung von Markt und Innovation sehen. Einig sind sich aber alle, dass die Zukunft irgendwie grün sein müss. Umso wichtiger, dass hier etwas Licht in den Nebel der Begriffe gebracht wird.
Den Auftakt macht Klaus Dörre, Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie in Jena, der in "Alle reden vom Klima. Perspektiven sozial-ökologischer Transformation" die These einer "Zangenkrise" aufwirft. Er drückt mit diesem Begriff den Dualismus der Klimakrise aus, die sowohl als ökonomische Krise daherkommt - das bisherige, auf Ausbeutung fossiler Energien und endlicher Rohstoffe basierende System gerät absehbar an seine Grenzen - als auch als ökologische Krise, mit Erderwärmung, Umweltverschmutzung und all den daran hängenden Folgen. Er postuliert, dass diese "Zangenkrise" in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmalig sei, auch weil sie alle Lebensbereiche erfasse und sich nicht auf einzelne Teilbereiche reduzierbar sei.
Ein weiterer Dualismus besteht für Dörre in der Gerechtigkeitsfrage: jede Lösung der Zangenkrise muss gleichzeitig innerstaatlichen wie interstaatlichen Gerechtigkeitskriterien genügen. Innerstaatlich, weil die Reichen ein Vielfaches mehr an CO2-Emissionen verursachen als die Armen, während die Hauptlast der Gegenmaßnahmen überproportional die Ärmeren trifft; interestaatlich, weil unter den Staaten effektiv dasselbe passiert. Die reichen Staaten sind hauptverantwortlich für die Klimakrise, aber die Kosten sollen - über stark verringerte Emissionsmöglichkeiten - die aufstrebenden Volkswirtschaften tragen. Das kann nicht funktionieren.
Dörre skizziert vier grundsätzliche Auswege aus der Zangenkrise, die sich natürlich keineswegs ausschließen (wenngleich das in der öffentlichen Debatte ja gerne suggeriert wird und sich leider auch etwas durch den Band selbst zieht): die Marktoption, in der etwa durch Instrumente wie CO2-Bepreisung die Kräfte von Angebot und Nachfrage wirken; die Technikoption, in der etwa Elektromobilität und CO2-Capturing die Lösung bringen; die Staatsoption, in der der Staat Forschung und Wirtschaft stärker als bisher steuert; und die Demokratieoption, in der die Gesellschaft stärker die Verantwortung übernimmt, etwa in Genossenschaftsmodellen.
Keine dieser Optionen ist dabei ein Allheilmittel, und Dörre skizziert die jeweiligen Schwächen auch ziemlich deutlich mit. Als Matrix, innerhalb derer man Lösungen diskutieren kann, halte ich aber die Dualismen der Zangenkrise und die vier Optionen für sehr sinnvoll.
Der folgende Aufsatz "Improvisierend durch die Krise: Der New Deal" von Kiran Klaus Patel, Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in München, ist vor allem strukturell für das Heft wichtig, weil er den historischen New Deal in Kontext setzt. Für mich war da wenig Neues drin; ich verweise da auch auf meine eigene Serie zum Thema. Betont sei hier, dass Patel sinnvollerweise die Natur des New Deal als Sammelsurium von Improvisierungen und Experimenten betont; das deckt sich mit meinen eigenen Forderungen zur Lösung der Klimakrise: wir sollten nicht auf ein Allheilmittel hoffen, wie es leider viel zu viele tun, sondern alles ausprobieren: Ansätze an die Wand werfen und sehen, was kleben bleibt. Es hat schon einmal funktioniert.
Thomas Döring, Professor für Politik und Institutionen in Darmstadt, wirft einen weiteren Blick in die Geschichte, auf die berühmte Studie zu den "Grenzen des Wachstums", die dieses Jahr ihren 50. Geburtstag feiert (siehe dazu auch dieser informative Podcast). In seinem Essay "50 Jahre "Grenzen des Wachstums". Von der Wachstums- zur Post-Wachstumsökonomie?" skizziert er kurz die Geschichte der berühmten Studie, eher er zu dem leider wenig bekannten Ergebnis kommt, dass diese Studie ziemlich richtig lag (in der populären Version der Geschichte lag der Club of Rome grotesk falsch und wird gerne verlacht, was aber vor allem an der Unkenntnis darüber liegt, dass er Szenarien durchrechnete und dass das Verlachte immer das ist, dass sich vom Stand 1972 nichts ändert; eine Annahme, die auch der Club of Rome unrealistisch fand). Es wäre an der Zeit, wieder wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf Prognosemodelle zu legen.
Notwendigen sachlichen Hintergrund für die aktuelle politische Debatte steuert Susanne Dröge, Ökonomin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, mit ihrem Aufsatz "Der Europäische Green Deal. Ziele, Hintergründe und globale Dimension" zu von der Leyens Initiative bei. Wie zu erwarten ist es ein detailliertes Abtauchen in die EU-Politik, aber schnell zeigt Dröge auf, wo die eigentlichen Probleme liegen: wie bei der EU üblich formuliert der Green Deal zwar einige Ziele, aber diese sind gleichzeitig sehr anspruchsvoll - ihre Umsetzung wird von den üblichen Verdächtigen blockiert - und unzureichend. Es bleibt abzuwarten, gerade auch vor der seit der Veröffentlichung erfolgten Prioritätenverschiebung der EU durch den Ukrainekrieg, was von dem Green Deal bleibt.
Die folgenden Essays befassen sich dann mit konkreten Umsetzungen einer grünen Transformation.
In "Entwicklung statt Wachstum" erteilt Rainer Land, Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler am THünen-Institut, sowohl Degrowth-Fantasien eine Absage. Stattdessen erklärt er, dass statt einer quasi horizontalen Wachstumsperspektive - also einem "mehr", wie Wirtschaftswachstum bisher verstanden wird - eine eher vertikale Perspektive folgen müsste, in der die Entwicklung im Vordergrund steht, also ein ökologischer Umbau. Er favorisiert, sozusagen in Dörres Diktion, die Technologieoption.
Johannes Müller-Salo, Philosoph aus der Uni Hannover, und Rupert Pritzl, Beschäftigter im bayrischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, vertreten in ihrem gemeinsamen Essay " Klimaschutz durch Innovation und Marktwirtschaft" wenig überraschend die Marktoption; der Titel verrät das ja bereits. Etwas überraschend befassen sie sich dann erst einmal vorrangig mit der Gerechtigkeitsfrage, nämlich der von Dörre eingangs festgestellten Problematik, dass der Wandel vor allem die Ärmeren betrifft. Sie fordern daher den Vorrang der Effizienz und eine Technologieoffenheit; beides soll durch eine Stärkung der Marktkräfte sichergestellt werden. Dadurch erhoffen sie sich auch eine größere gesellschaftliche Akzeptanz.
Das letzte Essay von Birgit Mahnkopf, emeritierte Professoin für Europäische Gesellschaftspolitik in Berlin, mit dem Titel "Der große Selbstbetrug. "Klimaneutralität" durch "grünes Wachstum"", zeigt noch einmal die Schwächen des Green Deal auf. Sie postuliert die Notwendigkeit eines "ökologischen Imperativs", also der Ausrichtung der Politik auf das Verhindern der Klimakatastrophe, und zeigt auf, warum dem Green Deal das trotz guter Ansätze nicht gelingt. Danach wird sie grundsätzlicher und diskutiert, warum "die Politik den Wandel bewirken könnte - dies aber nicht tut". Vor allem eine Fundamentalkritik des Wachstumsimperativs und der zerstörerischen Kräfte des Lobbyismus spielen hier eine Rolle. Mahnkopf vertritt also am ehesten die Staatsoption.
Ich mochte den Aufbau dieses Heftes insgesamt sehr, weil es mehr als häufig üblich die Aufsätze in sinnige Struktur gruppiert: zuerst der theoretische Unterbau (Dörre), dann der historische Kontext (Patel, Dörring), dann die konkrete Politik (Dröge), ehe verschiedene Perspektiven gleichberechtigt nebeneinander diskutiert werden (Land, Salo/Pritzl und Mahnkopf). Das Einzige, was wieder etwas stört, ist ein zu wenig entschlossenes Lektorat: nachdem das dritte Essay die Probleme klassischer Wachstumsvorstellungen in seiner Einleitung skizziert, verdreht man nur noch die Augen. Da dürfte gerne mehr Koordination existieren. Aber davon unbeeindruckt sei die Lektüre des Heftes Interessierten unbedingt empfohlen. Es ist ohnehin kostenlos.
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