Montag, 7. März 2022

Putins Wasserträger und Springers Narrenreigen, Teil 1: Die Linkshänder

Die Furcht vor einem Atomkrieg erreicht derzeit Höchststände, wie seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr gesehen wurden. Hamsterkäufe von Notfallvorräten werden unternommen, und die Fensterscheiben wackeln, weil Alarmrotten der Bundeswehr über Wohnvierteln die Schallmauer durchbrechen. Würden sie funktionieren, hätten wir vermutlich auch einen Test der Notfallsirenen gehört. Der illegale Angriffskrieg Putins auf die Ukraine hat, je nach Sichtweise, entweder Illusionen über die Welt zerstört oder eine Zeitenwende der internationalen Beziehungen eingeleitet. Eine ganze Reihe von früheren Wasserträgern Putins sieht inzwischen ziemlich blöd aus - was diese leider nicht davon abhält, weiter Unsinn zu reden -, während sich auf der anderen Seite ein Narrenreigen formiert, der am liebsten sofort auf dem grünen Tisch die Leopard Kampfpanzer auf die ukrainische Steppe befehligen würde.

Der Narrenreigen

Der Journalist Frank Lübberding greift zur Erklärung des Phänomens zum maximal möglichen Vergleich mit der Kubakrise¹. Soweit sind wir glücklicherweise noch nicht, auch wenn das Kennedy-Zitat "keine Regierung und kein Gesellschaftssystem sind so schlecht, dass man den unter ihnen lebenden Menschen jede Tugend absprechen muss“ reichlich zeitgemäß ist. Anders allerdings als in der aufgeheizten Stimmung des Kalten Kriegs, die der Kubakrise vorausging, müssen sich die westlichen Regierungen allerdings an dieser rhetorischen Eskalation, anders als Lübberding insinuiert, keiner Schuld bewusst sein. Nicht sie sind es, die Putin als "Irren" abstempeln oder dazu aufrufen. Stattdessen haben Joe Biden, Emmanuel Macron, Annalena Baerbock² und Olaf Scholz (Pars pro Toto) von Anfang an in ihren Äußerungen sehr, sehr bedacht eine deutliche Grenze zwischen Putin, dem Diktator, und dem russischen Volk, ja, sogar dem russischen Staat ziehen.

Unzweifelhaft aber gibt es genug Leute, die gerade in einer blau-gelben Besoffenheit versinken, in der jegliche Maßstäbe abhanden kommen und die eine durchaus gefährliche Stimmung erzeugen können. Die Politik hält sich glücklicherweise weitgehend zurück; Ausnahmen wären hier so etwas wie die Forderungen zur nuklearen Abschreckung von Ruprecht Polenz, der aber nicht eben zur ersten Reihe aktiver Politiker*innen zählt. In anderen Ländern sind die Leute leider weniger zurückhaltend, ob Analysten oder Republicans wie Lindsay Graham, die schon mal eine Flugverbotszone (!) oder die Ermordung Putins durch die CIA (!!) fordern.

Anders dagegen sieht es leider im rechtsbürgerlichen Medienspektrum aus. Gerade Lübberdings eigener Arbeitgeber, der Springer-Konzern, steht da ganz vorne dabei.

So etwa Matthias Döpfner. Der Konzernchef persönlich fordert in einem BILD-Leitartikel den Einmarsch der NATO in Kiew. Soldaten des Bündnisses sollen die Stadt gegen anrückende russische Truppen verteidigen. Das ist eine Narretei, die ihresgleichen sucht, bei der sogar die NZZ Schnappatmung bekommt. Der Hausberichterstatter von der Front, BILD-Reporter Julian Röpcke, entschuldigt schon mal vorab Kriegsverbrechen: "jeder sollte sich fragen, was er in so einer Situation machen würde". Dieses Imaginieren in die Rolle (natürlich männlicher) Widerstandskämpfer gegen die Horden aus dem Osten ist dabei kein Prärogativ der Springer-Leute, sondern geistert durch die kompletten sozialen Netzwerke. Der falsch verstandene Überschwung reicht auch gerne soweit wie im Falle von Stern-Redakteuren, die zu Straftaten aufrufen, natürlich alles im Geiste der guten Sache. Als wäre digitale Sabotage russischer Server dasselbe wie die Blockade eines Castortransports in Deutschland.

Die Heroisierung des Abwehrkampfs der Ukraine nimmt dabei groteske Formen an. Er wird als klares Statement gegen den Genderstern gesehen (natürlich), als Gegenbild zu einer eingebildeten "Dekadenz" des Westens (dem Lieblingsnarrativ der Rechten mindestens seit Oswald Spengler), als Wiederaneignung einer Männlichkeitsvorstellung, die in westlichen Gesellschaften zurecht im Orkus der Geschichte verschwand. Kommentierende überschlagen sich mit Betonungen darüber, wie "hart" man nun sein müsse, erfreuen sich am Verschwinden von "Illusionen", beschreiben in großem Duktus die "Realitäten" der Welt. Gleichzeitig wird der ukrainische Präsident Selensky als Verteidiger wahlweise der Demokratie, der Freiheit, der westlichen Kultur oder allem zusammen gefeiert, wird noch der letzte mit drei Tagen "Ausbildung" ohne Ausrüstung in den Kampf geworfene neu Wehrpflichtige als Held stilisiert, anstatt dass man auch in diesem Menschen die Opfer eines furchtbaren Verbrechens sieht, die sie sind. Dazu kommt der allgegenwärtige Rassismus und Sexismus gegen Flüchtende.

Aber diese Idiotien, gegen die etwa Carolin Emcke und Hedwig Richter wortgewaltig anschreiben, sind vermutlich mit einer sehr geringen Halbwertszeit ausgestattet und dürften, sobald die erste Welle der Besoffenheit abgeklungen ist, bald vorüber sind. In einem Monat wird sich an diesen Narrenreigen aller Wahrscheinlichkeit nach niemand mehr erinnern. Wesentlich bedenklicher bleiben die Wasserträger Putins, denn sie waren für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte willige Helfer des russischen Diktators und sind es in allzuvielen Fällen auch weiterhin. Und da sind wir noch nicht einmal bei dem aktiven Einfluss, den russische Propagandstellen auf den Westen ausübten und ausüben.

Das Büro für kulturelle Angelegenheiten³

Denn der ist massiv und wurde in den letzten Jahren permanent unterschätzt. Die russischen Geheimdienste arbeiteten Hand in Hand mit Hackerzentren, Söldnertruppen und Propagandast*innen. Schon 2014, ein Jahr, bevor Pegida das Wort richtig salonfähig machte, beschimpften Mietmäuler des Kreml die Medien als "Lügenpresse", weil diese es wagten, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim als solche zu kritisieren. Etwas über ein Jahr später waren sie mittendrin, als im Zuge der Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof der große Backlash gegen die "Willkommenskultur" als Hasswelle gegen Geflüchtete über Deutschland hereinbrach. Der "Fall Lisa" sorgte in den sozialen Medien für Furore. Das 11jährige Mädchen, vergewaltigt von barbarischen Muslimen, passte voll in den Zeitgeist. Der Haken war, dass die Geschichte eine Erfindung russischer Propagandisten war, um die deutsche Gesellschaft zu spalten - nicht, dass diese noch großen Anschubs bedurft hätte.

Im selben Jahr verbreiteten die Dienste massive Desinformationen und Hetze in Großbritannien und leisteten ihren Beitrag zum Ausgang des Brexit-Votums. Nur kurz darauf gelang ihnen der größte Coup, als sie den "Freund des Hauses" Donald Trump ins Weiße Haus hieven halfen. 2017 war die Einflussnahme des russischen Geheimdiensts in den Wahlen in Frankreich und Deutschland bereits Wahlkampfthema. Es profitierten Marine Le Pen und die AfD. Beide verloren glücklicherweise.

Doch der Einfluss russischer Geheimdienste wurde, vielleicht auch gerade wegen der Trendwende 2017, weiter unterschätzt. Bei den amerikanischen Wahlen 2020 und den deutschen 2021 war das Thema Covid allgegenwärtig; die Hoffnung auf eine Erneuerung des identitätspolitischen Kulturkampfs von 2016 erfüllte sich nicht. Doch auch so hatte die russische Einflussnahme neue Tiefen erreicht: während der Pandemie streuten die russischen Stellen, von plumper Propaganda über den Wunderimpfstoff Sputnik V abgesehen, Desinformation in gewaltigem Maßstab. Niemand dürfte als einzelner Akteur so viel Einfluss auf die Entstehung des Querdenker-Milieus gehabt haben wie Russland, das von Lügen über die Gefährlichkeit von Masken zu Warnungen vor den Impfungen von Biontech, AstraZeneca und Johnson alles im Programm hatte. Das Netz der Lügen, das sich während der Covid-Krise über die westlichen Länder spannte, ist gigantisch.

Es brauchte wohl den Angriff auf die Ukraine, um dieses Problem endlich ins Zentraum zu rücken. Aber leider ist der russische Geheimdienst gar nicht notwendig, um im Westen Putins Positionen zu vertreten. Der Mann kann sich auf eine ganze Reihe von Wasserträgern stützen, die sein Geschäft auch ohne hilfreiches kompromat4 erledigen.

Die linkshändigen Wasserträger

Seit 1917 eine verlässliche Quelle solcher Schützenhilfe ist die radikale Linke, die in Russland stets die missverstandene Alternative zu erkennen glaubte, und wenn auch noch so viele Eier für das sozialistische Omlett zerschlagen werden mussten. Nicht dass Putins Regime irgendetwas mit linken Idealen zu tun hätte; hier regiert einerseits eine Nostalgie nach den politischen Frontlinien des Kalten Krieges und, vor allem, ein solides "der Feind meines Feindes ist mein Freund"-Denken. Und das war noch immer der zuverlässigste Schalter für das Verhindern jeglichen kritischen Denkens.

Der Feind steht für die Linke seit langer Zeit jenseits des Atlantiks. Als ein Mutterland des Kapitalismus und des Liberalismus einerseits und als Gegner der Sowjetunion andererseits waren die USA stets eine willkommene Projektionsfläche mit großem Andockpotenzial an den ohnehin stets vorhandenen, mindestens latenten, oft genug virulenten Anti-Amerikanismus der Deutschen. Diese Tradition, die sich wenig um irgendwelche Theorie scherte, half der LINKEn lange Zeit zu ihrer Ausnahmestellung in Ostdeutschland. 25 Jahre lang pflegte sie Ressentiments, die dabei im Kern nie so progressiv waren, wie sich manche wohl eingebildet hatten. Der Kater nach dem massenhaften Überlaufen der stets Unzufriedenen ins Lager der AfD lässt sich jedenfalls kaum anders als durch das Platzen dieser Illusion erklären.

Man sollte nicht glauben, dieses Phänomen sei nur auf die LINKE beschränkt. Die trieb ihr Kalter-Krieg-Reenactment zwar in ihrer Pflege des ostdeutschen Ressentiments und westdeutscher K-Gruppen-Nostalgie auf die Spitze, aber auch in der SPD findet sich genug von diesem Blödsinn, vor allem in einem geradezu grotesken Missverständnis der Ostpolitik. Case in point: Der ehemalige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck schrieb jüngst ein Buch "Wir brauchen eine neue Ostpolitik" mit dem Untertitel "Russland als Partner". Mit vulgärpazifistischen Parolen schoss den Vogel erwartungsgemäß der nie um einen rhetorischen Fehlgriff verlegene Ralf Stegner ab:

Nicht nur, dass Kriege durchaus auch militärische Opfer haben, gräbt Stegner auch noch  das ausgelutschte Narrativ aus, dass (natürlich) der Kapitalismus irgendwie Schuld ist. Vermutlich hat Lockheed Martin irgendwie Putin zu diesem Angriff bewegt, man weiß es nicht. Eine unrühmliche Rolle spielt auch mein persönliches idiosynkratisches Konstrukt, Die PARTEI. Ich lehne diesen Haufen mit jeder Faser ab, und dass unter den 637 Abgeordneten im Europäischen Parlament, die den Angriff auf die Ukraine verurteilten, nicht Martin Sonneborn zu finden war, ist nur die letzte unter den permanenten intellektuellen Bankrotterklärungen dieses Haufens.

Doch dieser Anti-Amerikanismus und die Aufgeschlossenheit gegenüber Russland findet sich nicht nur in der politisch organisierten LINKEn, sondern auch in den freundlich verbundenen Medienformaten. Ob Monitor oder Thilo Jung - der hatte im Rahmen des "kritischen" Denkens auch den einen oder anderen Nebelkerzenwerfer bei sich sitzen -, ob "Neues aus der Anstalt" oder die NachDenkSeiten, "kritisch" war man zwar gerne gegenüber den USA (und, es sei fairerweise gesagt, oft genug ja auch zurecht), aber nicht, wenn es um Russland ging. Da war man stets verständnisvoll.

Auch im Ausland finden sich diese Mechaniken. Ob Jeremy Corbyn im Vereinigten Königreich, der gnädigerweise mittlerweile nicht mehr Labour anführt, oder Jill Stein in den USA, die zum Glück weiterhin politisch keine Rolle spielt, die radikale Linke findet sich treu an Putins Seite. Dasselbe gilt, genauso wie in Deutschland, für allzu viele sich kritisch gebende "Journalisten" und Comedians. Da wäre natürlich Glenn fucking Greenwald, der gegenüber Putin mittlerweile offiziell weniger kritisch ist als die Taliban, oder der stets abstoßende Bill Maher.

Aber das ist alles ist nichts Neues; wie gesagt, solche Neigungen verspürt die radikale Linke seit 1917. Viel schwieriger zu erklären ist die Affäre der politischen Rechten mit Russland.

Weiter geht's in Teil 2.


¹ Lübberding idealisiert die Ära des Kalten Krieges in seinem Artikel auch viel zu sehr, aber solche Übertreibungen sind das stilistische Vorrecht des Jounalismus.

² An der Stelle noch ein Shout-Out für Annalena Baerbock. Sie besteht gerade als Außenministerin eine ungeheure Feuerprobe mit Bravour und beweist sich als herausragende Besetzung für das Amt. Für mich echt die größte Überraschung des Kabinetts.

³ Wer seine Kalter-Krieg-Referenzen nicht beisammen hat: der KGB bezeichnete sich in Botschaften als "Büro für kulturelle Angelegenheiten".

4 Russischer Begriff für belastendes Material, mit dem der KGB Leute erpresste.

 

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