Freitag, 18. März 2022

Rezension: Bill Watterson - Calvin and Hobbes Complete Edition

 

Bill Watterson - Complete Calvin&Hobbes Complete Edition (Hardcover) (Paperback)

Calvin and Hobbes ist zwar vielleicht nicht der berühmteste, aber wohl einer der einflussreichsten Comic-Strips, die je in US-Zeitungen erschienen sind. Zwischen 1985 und 1995 (eine vergleichsweise kurze Zeit für einen solchen Strip) erschien er wöchentlich und zog ein großes Publikum an. Ich hatte bisher keinen großen Bezug dazu. Einzelne Strips oder sogar nur Panels tauchten immer wieder in meinem Orbit auf, als Memes oder auszugsweise in der Timeline. Aber ich hatte mich nie groß damit beschäftigt. Ich hatte es aber immer auf der (stets zu langen) To-Do-Liste, und dieses Jahr habe ich mich entschlossen, diese Bildungslücke endlich zu füllen und meine Comicsammlung mit einer Calvin&Hobbes-Gesamtausgabe zu bereichern.

Ich muss sagen, es war die nicht ganz günstige Anschaffung wert. Ich habe die Strips überwiegend sehr genossen, und das nicht auf diese "milde amüsiert sein"-Art, wie sie etwa "Garfield" oder "Baby Blues" oder was der zahlreichen sonstigen Erzeugnisse der funny pages mehr sind. Stattdessen bietet Calvin&Hobbes meist einen feineren Humor, wenngleich nicht alle Strips diesbezüglich gleich zu betrachten sind.

Worum geht es?

Calvin ist ein sechsjähriger Junge, der davon überzeugt ist, dass sein Lieblingskuscheltier, ein Tiger namens Hobbes, lebendig ist. Er ist sein bester Freund und begleitet ihn fast überall hin (außer in die Schule) und dient meist als teils ironischer, teils auch sardonischer Kommentator des Geschehens. Die Strips folgen einige Leitmotiven, die immer wieder auftauchen und häufig in eine Woche umspannenden Mini-Serien verfolgt werden. Sie folgen dabei den realen Jahreszeiten; Strips, die im Dezember erscheinen, thematisieren Weihnachten, und so weiter.

Die Strips umfassen genretypisch ein sehr überschaubares Repertoire an Charakteren. Calvins namenlose Eltern (Hausfrau und als Patentbeamter arbeitender Vater), den Babysitter Rosalyn, das Nachbarsmädchen Susie, der Schulhofschläger Moe, die Lehrerin Mrs. Wormwood. Die Mehrzahl der Strips enthält auch nur Calvin und Hobbes selbst. Immer wiederkehrende Motive sind Moes Angriffe auf Calvin, Calvins geistige Abwesenheit im Unterricht, sein Terror gegen den Babysitter, sein nie endender Kampf gegen Susie (einerseits, weil sie ein Mädchen ist, andererseits, weil sie sein Spiegelbild ist - gut in der Schule und brav) und seine nie endenden Versuche, nur von Fastfood zu leben und seine Bettgehzeit zu verlängern und sich gegen das Baden zu wehren.

So weit, so normal. Wer aber Comic-Strips haben will, die lustig "die Realitäten" des Elternseins und der Existenz junger Kinder aufs Korn nehmen (sie wollen nicht schlafen, hohoho), der ist mit Formaten wie "Baby Blues" bestens bedient. Zwar gibt es das auch gelegentlich bei Calvin&Hobbes. Aber der Comic hat seine Beliebtheit und Berühmtheit nicht deswegen erlangt, weil er eben diesen harmlosen Humor bedient, sondern weil er tiefgründiger arbeitet.

Ein immer wiederkehrendes Leitmotiv etwa ist Kritik an Kunst und Geisteswissenschaft, die Watterson gerne durch einen parodisierenden Calvin aufs Korn nimmt. Über den wohl berühmtesten Strip mit diesem Thema hatte ich übrigens auch meinen Erstkontakt mit dem Comic. Auch den schwarzen Humor bedient Watterson gerne. Jeden Winter baut Calvin (unrealistisch) elaborierte Schneemänner, die von existentialistischem Nihilismus zu Anspielungen auf die französische Revolution über solchen auf Katastrophenfilme alles beinhalten. Einige Konzepte des SciFi oder der Philosophie werden über Calvins Spiel mit Kartons, die alle möglichen fantastischen Maschinen darstellen, thematisiert. Das Spiel "Calvinball", bei dem Calvin und Hobbes die Regeln on the fly verändern und dessen einzige Regel ist, dass keine Regel zweimal hintereinander angewendet werden darf, führt zu den absurdesten Ergebnissen, ebenso ihr selbstgegründeter Club G.R.O.S.S. (Get Rid Of Slimy Girls), der die Meetingkultur aufs Korn nimmt. Visuell am berühmtestens sind vermutlich die Wagen- oder Schlittenfahrten, in denen Calvin und Hobbes irgendwelche Abhänge hinunterrasen und währenddessen irgendwelche philosophischen Konzepte diskutieren. Zuletzt genannt werden sollten noch die Alter Egos Calvins, etwa Spaceman Spiff, aus dessen Perspektive er seine großen Gegner (Schule und häusliche Pflichten) als gefährliche Planeten fasst, Tracer Bullet, ein Noir-Privatdetektiv, der zum Einsatz kommt um seine Untaten zu verdecken, und Stupendous Man, ein Superheld, der zuverlässig nicht in der Lage ist, Calvin aus brenzligen Situationen zu holen, sondern diese ebenso zuverlässig verschlimmert.

Es ist schwierig, in einer Besprechung wie dieser den eigentlichen Reiz der Comic-Strips zu erklären, denn diese liegt jenseits der reinen Motive und Ploterklärungen. Was mich anzieht ist vor allem die Sprache. Das Vokabular, das Calvin benutzt (und nur er), ist geradezu lächerlich anspruchsvoll. Der Clou ist, dass dieses Vokabular mit der Geisteswelt und dem Horizont eines Sechsjährigen kombiniert wird: Calvin versteht die Welt aus der Sicht eines Kindes, aber er fasst seine Erkenntnisse in das Vokabular eines wohl gebildeten Erwachsenen. Allein aus diesem Gegensatz entstehen wundervollste Kombinationen und viel subtiler, feinsinniger Humor.

Gleichzeitig ist Calvin&Hobbes aber auch ein Blick in die 1980er und 1990er Jahre. Wenig überraschend ist das stark veraltete Geschlechterbild; Calvins Mutter ist eine klassische Hausfrau, sein Vater kann es oft kaum erwarten zur Arbeit zu gehen um dem Stress von zuhause zu entkommen und beteiligt sich null an der Hausarbeit, und so weiter und so fort. Das wird auch von Calvin selbst weder wahrgenommen nocht kritisiert, was angesichts seiner sonstigen Perzeptionsfähigkeiten eine auffällige Leerstelle darstellt. Auch ist das gesamte hier zur Schau gestellte Amerika weiß und suburban, was für das Genre wahrlich keine Ausnahme darstellt, aber ebenfalls nicht ohne seine Probleme ist und von Calvin ebenfalls nie thematisiert wird.

Auffällig für mich war aber der Umgang mit Freizeit und Erziehung, wie er dargestellt wird. Nicht nur verfügt Calvin über gewaltige Zeiten für freies Spiel in der Natur, diese werden auch exzessiv genutzt - und zwar in einem großen örtlichen Radius. Bedenkt man, dass Calvin gerade einmal sechs Jahre alt ist, ist die zur Schau gestellte "geh raus zum Spielen" und seine Reichweite für solches Spiel, ebenso das genutzte Spielgerät, beachtlich. Natürlich wird das für den Strip deutlich übertrieben, aber Watterson fand es offenkundig nur eine Überzeichnung, während es aus heutiger Perspektive keinen Bezug mehr zur Realität hat. Gleiches gilt für die Erziehungsmethoden. Das Verhältnis zwischen Calvin und seinen Eltern einerseits und seinen Autoritätspersonen (Mrs. Wormwood und Rosalyn) andererseits ist sehr viel konfrontativer, als das aus heutiger Perspektive der Fall wäre.

Aus der Meta-Perspektive betrachtet ist es so eine Merkwürdigkeit, dass das Format des wöchentlichen Comicstrips es nie nach Deutschland geschafft hat. Deutschland ist generell kein fruchtbarer Boden für Comics - letztlich kommt kein einziger kulturell relevanter Comic von hier, wir importieren alles aus Dänemark und Italien (Lustige Taschenbücher), Frankreich und Belgien sowie den USA. Aber meines Wissens nach sind auch Comic-Strips keine feste Größe in deutschen Zeitungen und auch nie gewesen. Ich glaube, das sagt etwas über unsere Kultur aus, aber ich bin nicht ganz sicher, was.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.