Sonntag, 5. Februar 2023

Samuel Adams verkauft in Wolgograd Öl an missverstandene britische Millenials - Vermischtes 06.02.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.

Fundstücke

1) How Russia dodges oil sanctions on an industrial scale

For Russia, an expansion of the grey trade has advantages. It puts more of its export machine outside of the control of Western intermediaries. And it makes pricing less transparent. Western estimates of Urals prices, based on few actual trades, are struggling to track costs. Indian customs data from November—the latest available—show the country bought oil at much lower discounts than those reported at the time, notes a former Russian oil executive. Grey-market intermediaries, which capture costs such as freight, offer a conduit for funnelling money to offshore company accounts that the Kremlin can probably influence. Meanwhile, Russia’s sanctions-dodging will have nasty side-effects for the rest of the world. One will be to further split the oil trade along sharp geopolitical lines. In December several Western majors, including ExxonMobil and Shell, said they would no longer hire tankers that have carried Russian oil, forcing owners to take sides. The other will be to make oil trading a riskier business. A growing chunk of the world’s petroleum is being ferried by firms with no reputation, on ageing ships that make longer and dicier journeys than they have ever done before. Were they to cause an accident, the insurers may be unwilling or unable to cover the damage. Ukraine’s allies have good reasons for wanting to wash their hands of Russian oil. But that will not prevent debris from nearby wreckages from floating to their shores. (The Economist)

Der ganze Artikel ist eine sehr lesenswerte und ausführliche Recherche, die Interessierten sehr empfohlen sei. Ich habe hier das Fazit zitiert. Unter Russlandfreunden ist das Narrativ, dass Russland eher mehr Öl verkauft als vor den Sanktionen, ja schon seit Monaten populär. Das geht aber in meinen Augen am Thema vorbei. Denn relevant ist ja etwas anderes: dass WIR das nicht mehr von Russland kaufen (und ja, klar, wir kaufen auch russisches Öl über die Sekundärmärkte, aber nicht bewusst). Da geht es um strategische Unabhängigkeit. Und zweitens sind wir gerade in einer (künstlichen) Knappheit. Wenn die Transformation der Energiemärkte weitergeht beziehungsweise sich sogar beschleunigt - was sie in meinen Augen tun wird - dann werden die zusätzlichen Transaktionskosten sehr schnell zu einem großen Problem für Russland. Und würde der Westen entschlossener in die Regulierung dieses ganzen Schattenhandels eingreifen, etwa indem man das Unwesen der Entflaggung und solche Geschichten besser angeht, dann würden diese Transaktionskosten noch rapide weitersteigen. Klar ist es aufwändig, die Lieferketten zu verfolgen, aber für was hat man denn Behörden und Geheimdienste?

2) Satirischer Wochenrückblick: RAF es endlich!

So oder so. Die zumeist deutlich unter der Gürtellinie operierenden Attacken auf Franca Lehfeldt sind zwar gleichsam so vorhersehbar wie inakzeptabel, davon unabhängig aber darüber hinaus leider auch an der Tagesordnung. Die Frage, ob ein derartiger Versprecher nicht auch einem selbst unterlaufen könnte (zumal in einer hektischen Situation während einer Live-Nachrichtensendung), stellt sich heutzutage niemand mehr. Ein in seinen grundsätzlichen Ausrichtungen klar definiertes Feindbild gehört selbstverständlich zum guten Ton. Vergehensunabhängig bei jeder kleinsten sich ergebenden Gelegenheit mit der größtmöglichen Wucht auf einen Protagonisten oder eine Protagonistin der vermeintlichen Gegenseite einzutrümmern, offenbar ebenfalls. Die Absurdität dieses Perpetuum Mobile des Echauffierens wird spätestens dann sehr schnell erkennbar, wenn man sich folgende Frage stellt: Was wäre passiert, wenn einer prominenten Journalistin des Öffentlichen Rundfunks derselbe Versprecher passiert wäre. Dunja Hayali etwa. Genau die Pulitzerpreis-Anwärter, die sich tagelang über die eine, versehentlich zusätzlich in Franca Lehfeldts Satz gerutschte Vokabel "Fraktion" empörten, hätten dann in meterlangen Abwiegelungs-Tweets verschiedene Doktorarbeiten dazu geschrieben, dass man ja wohl mal einen kleinen Fehler machen dürfe und wie ehrenrührig und peinlich es doch sei, darauf nun mit so einem großen Furor zu reagieren. Und umgekehrt. Viele von denen, die Franca Lehfeldt nun zur Seite springen, würden im Falle von Frau Hayali vermutlich die grenzenlose Verkommenheit und Inkompetenz des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks beschreien und nichts weniger fordern als die umgehende Abschaffung der Rundfunkgebühren (bei Querdenkern und NZZ-Lesern gerne "Zwangsabgabe" genannt). (Marie van der Benken, Web.de)

Mir war von Anfang an völlig unklar, wie sich irgendjemand an einem Versprecher dermaßen aufhängen konnte. Leider habe ich davon in meiner Timeline ziemlich viel gesehen. Und van der Benken hat völlig Recht, dass die Rollen einfach nur 180° vertauscht wären, wenn die Verursacherin dem anderen Lager angehören würde. Das macht diese "Skandale" auch so ungeheuer ermüdend. Man sieht dasselbe übrigens auch an der Causa Klomrath. Die Konservativen und Liberalen malen öffentlich-rechtliche Propaganda-Offensiven an die Wand, während sie gleichzeitig kein Problem mit Christian Lindners Ehe haben. Und das völlig zurecht! Ich muss doch von Profis erwarten können, dass sie das trennen und sich gegebenenfalls für befangen erklären und fertig. Himmel.

3) Hanged on a Venerable Elm

Things were different only a couple of generations ago, when the cult of the founders underpinned consensus. In the 1960s sociologists discussed the role of a non-denominational ‘civil religion’ centred on the founders’ secular scriptures – the Declaration of Independence, the constitution and the Bill of Rights – and a calendar of public observance. Was America’s civil religion a substitute for Christianity, or merely a supplement to it? In the easy-going days before the rise of the evangelical right, it didn’t seem to matter, and the cult of the founders had no ulterior partisan or ideological significance. Indeed, liberals were just as committed to it as conservatives, happily hymning the Jeffersonian separation of Church and state. [...] Inevitably, American history in the second half of the 18th century has become a major theatre in the culture wars, and not only for the right. Lin-Manuel Miranda’s musical Hamilton, which attempts to update and defamiliarise the founders for a multicultural, multiracial America, derived from Ron Chernow’s 2004 biography of Alexander Hamilton. In recent decades many academic historians have turned away from the old civil religion, depicting instead the lives of women, the enslaved and the poor in the era of the American Revolution. Nevertheless, there remains a seemingly unquenchable demand for books on the founders. (Colin Kidd, London Review of Books)

Ich mag diesen Begriff "Zivilreligion"; wenn mich nicht alles täuscht, gibt es den für Frankreich und die dortige Sakralisierung der Republik auch. In den USA ist das nur etwas komplizierter, weil die Zivilreligion mittlerweile untrennbar mit dem Fundamentalismus der Evangelikalen verbunden ist. Das ist vermutlich eine Begleiterscheinung des Wandels der Progressiven: in dem Ausmaß, in dem Political Correctness, Wokeness und Black Studies dort erst salonfähig und dann Mehrheitsmeinung wurden, war die Zivilreligion nicht mehr aufrechtzuerhalten (man denke nur an die Schmerzen in den 2010er Jahren über das Jefferson-Jackson-Dinner und die Jackson-Debatte generell!). Dadurch wurde sie plötzlich parteiisch, und in dem Ausmaß, in dem Kritik an den "Founders" in der Linken populär wurde, wurde spiegelbildlich auf der Rechten jegliche Kritik unmöglich, die Sakralisierung vorangetrieben. - Der verlinkte Artikel ist im übrigen eigentlich eine Rezension eines Buchs über Samuel Adams, die für sich lesenswert ist, ich wollte nur diese Anfangsbeobachtungen kommentieren.

4) Trouble at the millennials

None of that history of the last 15 years will come as a shock to anyone – but it is important to see it all together. There are people who have been in the workforce for 15 years now, who have known nothing but constant economic and political crisis. We have experienced only bust. “Booms” we only really know about from our half-remembered university classes – or as the reason that we can’t buy a house anywhere near where we can get a good job.  [...] While we millennials are accepting our status as bagholders – a term of art for the person left with the mess at the end of a crash – we should think about the ultimate bagholding: the heavy lift of preventing catastrophic climate change is still ahead of us. Society is making the easier steps now, but has chronically under-invested and ducked the hard decisions. The big changes, the big sacrifices, and the big effort is still ahead – and that’s without considering any of the debates around mitigating the effects of climate change, compensating the countries that are most affected, and managing the effects of global climate refugee movements. When it comes to climate, our hard times are ahead. (James Ball, The New European)

Es ist nicht nur so, dass Millenials diesen Generationenkampf verloren haben, bevor sie auch nur wussten, dass er überhaupt geführt wurde. Sie bestreiten oft auch, dass es diese Benachteiligung gibt. Aber von den Gehältern über die Zusatzleistungen, überall stinken sie (im Schnitt, natürlich) gegen die Boomer ab. Gleichzeitig gibt es aber einen tiefen Pessimismus: ich kenne niemanden aus dieser Generation, der die Erwartung hat, dass alles besser wird als früher. Im Gegenteil; der "status as bagholders", wie Ball das so schön nennt, ist tief verwurzelt. Mein Gefühl ist, dass die Millenials wieder in den Modus der Nachkriegsgenerationen zurückfallen: "unseren Kindern soll es einmal besser gehen als uns." Vermutlich war die vorhergehende Kohorte da echt die Ausnahme.

5) »Noch mehr Arbeit für die, die noch stehen«

Im Ernst: Lehrerinnen und Lehrern, die längst am Limit sind, erst zusätzliche Arbeit aufzubürden und ihnen dann Resilienztraining anzubieten, das ist schon frech. Denn diese Trainings vermitteln unterschwellig, dass es der Einzelne schon irgendwie schaffen kann, dem systemischen Versagen mit dem Lotussitz zu begegnen. Aus dieser Idee sprechen pure Hilflosigkeit und sogar Fahrlässigkeit. Die Botschaft ist, dass die politisch zu verantwortende Misere individuell an der Front behoben werden muss. Dabei sind Kollateralschäden zwangsläufig. Die Stimmung unter den Lehrkräften war auch zuvor oftmals schon auf dem Nullpunkt. Angesichts immer höherer Erwartungen auf der einen und zusätzlicher Arbeit ohne entsprechende Ressourcen auf der anderen Seite wird ein Gedanke nun immer attraktiver: das System zu verlassen. Oder sich zu verteidigen – mit mehr Teilzeit, Dienst nach Vorschrift, weniger Engagement. Aus Selbstschutz. [...] Zynisch könnte man sagen: Es gibt auch Positives. Die Maßnahmen kosten keinen Cent. Und wer die Probleme kurzfristig so angeht, kann zugleich hoffen, dass der Langzeiteffekt dieser Scheinlösung erst dann einschlägt, wenn die Legislaturperiode auch diese Verantwortung umverteilt hat. Denn darum handelt es sich: Mehrarbeit für Lehrkräfte ist eine Lösungsimitation, mehr nicht. Denn sie zeigt nur, dass es keine Lösung für das Problem gibt, außer seine Folgen für weitere Jahre nach hinten zu verschieben. (Bob Blume, SpiegelOnline)

In der Lehrkräftebubble zumindest haben die Vorschläge der Ständigen Kommission für einige Erregung gesorgt. Ich bin tendenziell bei Bobs Einschätzung hier: Die Vorschläge sind alle eher eine Kapitulation als alles andere. Mir ist klar, dass die Kommission durch die Parameter der KMK gebunden war, aber in meinen Augen sorgt das lächerliche Ergebnis gerade dafür zu zeigen, wie problematisch diese Parameter sind: man versucht, wie ja auch schon in der Pandemie, mit aller Macht den Status Quo aufrechtzuerhalten.

Auffällig ist für mich auch zweierlei: dass man einerseits mal wieder die Lehrkräfte nicht gefragt hat. Natürlich liegt hier die "wer den Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen"-Antwort nahe, aber es geht ja eben gar nicht um Sümpfe. Denn die Lehrkräfte können ja nichts für den Personalmangel. Würde die Kommission Missstände im Bildungssystem angehen, wäre das tragfähig, aber das tut sie nicht. Sie verlangt große Opfer von den Beschäftigten, aber die werden nicht mit einbezogen. Muss man natürlich zumindest bei den Beamten auch nicht, das ist ja der große Vorteil des Beamtenstatus' für den Staat, aber sinnvoll wäre es schon. Und andererseits besteht weiterhin der für alle Bildungsdiskussionen auffällige Mangel an Empirie. Viele Annahmen sind zwar theoretisch durchaus wohl fundiert, aber die Unterrichtsforschung ist einfach zu klein und produziert zu wenig vernünftige Daten.

Natürlich gibt es Kritik auch in die andere Richtung, die möchte ich an der Stelle nicht verleugnen, genausowenig wie positive Würdigungen der Arbeit der Ständigen Kommission, wie sie etwa bei dieser sehr positive Würdigung bei Jan-Martin Wiarda zu finden sind.

6) Klärung einiger nicht unbedeutender Missverständnisse

Eigentlich ist alles ganz einfach: Die Qualifikation für ein politisches Amt liegt in einer Präposition. [...] Wer für die Politik lebt, der betreibt sie mit Leidenschaft – nicht zu verwechseln mit Aufgeregtheit! – im Sinne von Sachlichkeit, sprich: leidenschaftlicher Hingabe an eine Sache, dem Hineinfuchsen in die Herausforderungen und Themen, um sich in Sachen Kompetenz von niemandem schlagen zu lassen (der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist da sicher ein gutes Beispiel). Hinzukommen sollten Verantwortungsgefühl und – als Notbremse vor zu viel Leidenschaft – Augenmaß (dazu gehört auch eine gewisse Distanz zu den Dingen und sich selbst, was vor Eitelkeit, nach Weber eine der schlimmsten Sünden von Politikern, schützt). [...] Mit diesen Qualifikationen ausgestattet – und man sollte ein wenig Erfahrung, Durchsetzungskraft und Nervenstärke ruhig noch hinzurechnen – ist man für ein Amt, das politische Leitlinien, gut begründete Entscheidungen, Vorausschau, Strategien und mithin Führung braucht, gut gewappnet. Für die besondere Expertise, das administrative Kleinklein, die politische Umsetzung hat der Minister oder die Ministerin ja Staatssekretäre und einen „Apparat“: ein gut ausgestattetes Ministerium, eine manchmal gewaltige, kompetente Institution für das gute Regieren. Doch ein Problem bleibt: die „Erfahrungsleere“, die vollständige gesellschaftliche Isolation durch Sitzungen, Aktenlektüre, Gesetzesvorlagen, Reden, Termine und noch mehr Termine. Hans Magnus Enzensberger konstatierte einmal: „Der Eintritt in die Politik ist der Abschied vom Leben, der Kuss des Todes.“ Viele Politiker wissen um das Problem, sie versuchen es mit Bataillonen aus Beratern, Experten, Spin-Doktoren, Coaches, persönlichen Referenten, Think Tanks mehr oder weniger zu kompensieren. [...] Vor fünfzig Jahren war alles viel einfacher. Es gab noch kein Twitter und nur zwei Talkshows: den „Internationalen Frühshoppen“ und Dietmar Schönherrs „Je später der Abend“. Dort wurde geraucht, geflucht, gesoffen. Und man wusste, wen man einlud, wenn es um Politik ging: Politiker, Journalisten und Intellektuelle. Letztere konnten Wissenschaftler sein, aber auch Künstler, vor allem aber olympische Schriftsteller wir Böll, Grass, Frisch. Größer war der Kreis im Wesentlichen nicht. Heute, im Zeitalter der Sozialen Medien, der Spartenkanäle und unzähligen Gesprächsrunden, in denen Wasser gepredigt und Wasser getrunken wird, hat sich der Kreis verändert und zugleich erweitert: Zu den Politikern und Journalisten sind Aktivisten, Promis, Betroffene und Experten gestoßen. (Bernd Rheinberg, Salonkolumnisten)

Rheinberg hat hier einen insgesamt sehr lesenswerten Artikel geschrieben, den ich unbedingt empfehlen möchte. Ich will hier zwei Dinge betonen. Einerseits den Kampf gegen das nicht totzukriegende Argument, Minister bräuchten irgendwie Erfahrung aus dem Bereich, den sie übernehmen: nein, brauchen sie nicht, aus den von Rheinberg genannten Gründen. Und zweitens, der Verlust der Meinungshoheit bestimmter Gruppen. Viele aktuelle Konflikte gehen darauf zurück, dass mittlerweile einfach viel mehr Menschen als früher sich am politischen und gesellschaftlichen Diskurs beteiligen. Das hat zwangsläufig zu einem Machtverlust der alten Eliten geführt, die diesen früher dominiert haben. Und die reagieren darauf reichlich angekäst.

7) The College Board Strips Down Its A.P. Curriculum for African American Studies

The College Board purged the names of many Black writers and scholars associated with critical race theory, the queer experience and Black feminism. It ushered out some politically fraught topics, like Black Lives Matter, from the formal curriculum. [...] In January, Governor DeSantis of Florida, a Republican who is expected to run for president, announced he would ban the curriculum, citing the draft version. State education officials said it was not historically accurate and violated state law that regulates how race-related issues are taught in public schools. The attack on the A.P. course turned out to be the prelude to a much larger agenda. On Tuesday, Governor DeSantis unveiled a proposal to overhaul higher education that would eliminate what he called “ideological conformity” by, among other things, mandating courses in Western civilization. [...] And even that list, in a nod to local laws, “can be refined by local states and districts.” The expunged writers and scholars include Kimberlé W. Crenshaw, a law professor at Columbia, which touts her work as “foundational in critical race theory”; Roderick Ferguson, a Yale professor who has written about queer social movements; and Ta-Nehisi Coates, the author who has made the case for reparations for slavery. Gone, too, is bell hooks, the writer who shaped discussions about race, feminism and class. (Anemona Hartocollis/, New York Times)

Und das, liebe Kinder, ist Cancel Culture. Eine staatliche Institution verbietet aus ideologischen Gründen im akademischen und schulischen Sektor die Werke bestimmter Autoren und verhindert jede Beschäftigung mit ihnen. Wer es dennoch tut, wird entlassen. DAS ist echte Cancel Culture, nicht ein paar demonstrierende Knalltüten. Und das ist auch die Gefahr. Die entsteht immer dann, wenn die Macht staatlicher Institutionen dahintersteht, nicht dann, wenn sich irgendwelche Sparren mit Schildern vor den Hörsaal stellen und Sprüche schreien oder sich Leute auf die Straße kleben. Als interessante Seitenbemerkung: Ron de Santis, der Trump-Erbe in spe, hat mit der Entscheidung wohl nichts zu tun, pflegt aber gerne die Vorstellung, dass dem so wäre, um seine Anti-Bildungs-credibility aufzubürsten. Dass man bei den Republicans gegen die Bildung auftreten muss, um erfolgreich zu sein, ist auch so ein Faktor für sich, mit fatalen Folgen für eine Hälfte des politischen Spektrums.

8) Mittlerweile bekommen auch gute Schüler Nachhilfe (um noch besser zu werden)

20 Prozent der Nachhilfeschülerinnen und -schüler starten mit «befriedigend» oder einer noch besseren Note in die Nachhilfe. Laut Einschätzung des VNN wollen viele gute Schüler durch den Zusatzunterricht ihre Noten sichern oder weiter verbessern, weil sie einen bestimmten Durchschnitt für Ausbildung oder Studium brauchen. 47 Prozent haben zu Beginn der Nachhilfe die Note «ausreichend» in dem Nachhilfefach, 33 Prozent «mangelhaft» oder «ungenügend». Spitzenreiter unter den Nachhilfefächern ist mit Abstand Mathematik: 48 Prozent der Nachhilfeschülerinnen und -schüler bekommen Zusatzunterricht in diesem Fach. Deutlich abgeschlagen folgen danach Deutsch mit 24 Prozent und Englisch mit 21 Prozent Anteil. (News4Teachers)

Ich weiß nicht, inwieweit das Etikett "mittlerweile" verdient ist - ich würde vermuten, das hat es schon immer gegeben - aber ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass dem so ist. Der Nachhilfesektor ist ohnehin ungemein gewachsen. Die Zahl der Schüler*innen, die Nachhilfe nehmen, und die Zahl der professionellen wie unprofessionellen Anbieter ist gewaltig. Das Schlimme ist, dass die meiste dieser Nachhilfe völlig für den Popo ist. Da werden Milliardenbeträge in ein Loch geschaufelt und angezündet, metaphorisch gesprochen. Der Grund dafür ist in meinen Augen, dass die überwiegende Mehrheit der Kund*innen keine Nachhilfe will. Was die kaufen, ist ein gutes Gewissen. Und genau das kriegen sie auch, aber das ist halt was anderes als ein Erkenntnis- oder Lernzuwachs. Ebenfalls auffällig - und in der Debatte total ignoriert - ist das Ausmaß der Leute, die Probleme mit Mathe haben. Das ist auch meine Erfahrung in der Schule: wenn in Deutsch eine Klausur mit einem Schnitt von 3,7 produziert wird, fragen sich alle, was da schiefgelaufen ist. In Mathe zucken alle die Schultern. Ist halt Mathe. Da war ich auch schlecht. Seit Jahrzehnten sind die deutschen Schüler*innen furchtbar in Mathe, und das wird einfach als naturgegeben hingenommen.

9) Britain Is Much Worse Off Than It Understands

If the U.K.’s economic performance is so poor, why are comparisons with the 1970s considered outlandish? Narratives are often crafted by those who have profited from the changes, especially if those winners are powerful people in politics and media. The policy shifts in the late 1970s and early 1980s benefited particular groups within society—the better off, primarily—leading to a steep rise in inequality. The United Kingdom remains one of the most unequal developed countries to this day, according to the Equality Trust. In a very unequal society, people with the influence to sustain narratives tend to be insulated from what is happening to most of the population. Many individuals genuinely think the country’s economic situation is better than it is because their personal circumstances are strong. They are among the higher earners and have wealth to cushion themselves against risk. In the U.K., they also tend to have generous private pensions and usually bought their houses before prices rose dramatically relative to earnings. [...] The bigger the gap between the dominant narrative and reality experienced by most people, the greater the political risk. A government needs to be honest about the challenges a country faces and put in place long-term strategies to address them. Voters do not expect miracles, but they need to feel confident that things are moving in the right direction. If not, the way is open for social unrest, a loss of respect for political institutions, and growing ungovernability. (Simon Tilford, Foreign Policy)

Ich glaube, das Narrativ des "British Decline" in den 1970er Jahren war einfach so festgefahren (genauso wie die angebliche Erholung unter Thatcher), dass es mit den Fakten eh nicht mehr viel zu tun hat. Und das ist aktuell für den Brexit nicht der Fall, zumindest noch nicht. Ich vermute, das liegt mit daran, dass es eine so selbst zugefügte Wunde ist. Ein Akt kollektiven Blödsinns, für den niemand die Verantwortung übernehmen will, und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, gibt man sich weiterhin irgendwelchen Fantasien hin. Aber wie Tilford richtig sagt, irgendwann ist Zahltag, und die britischen Wähler*innen wären die ersten, die ihre Politiker*innen damit entschuldigten, dass sie einsehen, dass sie mindestens genauso schuld an der Misere sind. Und deswegen macht man keine Volksabstimmungen über solche Fragen: sei diffundieren Verantwortlichkeiten.

10) Nicht auf Augenhöhe

Am gestrigen 80. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad besuchte der Vorsitzende der Alternative für Deutschland, Tino Chrupalla, die Kriegsgräberstätte in Seelow – wo kurz vor Kriegsende 1945 erbittert gekämpft und die Schlacht um Berlin eingeläutet wurde. Den Ort, so schreibt der Parteichef anschließend, habe man als Ersatz gewählt, weil es die „aktuelle Situation leider nicht zuläßt, Wolgograd zu besuchen“. [...] „Gedenk- und Kriegsgräberstätten sind Orte des gemeinsamen Gedenkens“, schreibt Chrupalla ganz richtig. Es gehe dabei „um menschliche Werte, wie Mitgefühl und Anteilnahme“, man müsse eine „gemeinsame Erinnerungskultur pflegen“. Die russische Botschaft resümiert das Treffen der beiden Männer etwas anderslautend: Am Jahrestag der „Zerschlagung der deutsch-faschistischen Truppen“ bei Stalingrad hätten Botschafter Sergej Netschajew und der AfD-Vorsitzende „gemeinsam der Soldaten der Roten Armee gedacht, die im Kampf gegen den deutschen Nazismus gefallen sind …“ Im Klartext: Der deutschen Gefallenen gedachte der Deutsche allein, und zusammen mit dem Vertreter Rußlands nur der sowjetischen. Ist das dann ein „gemeinsames Gedenken“, steht das für – gegenseitiges – Mitgefühl und Anteilnahme? Und ist es jetzt ernsthaft Lesart einer deutschen konservativen Partei, in der man sich gern besonders patriotisch gibt, daß die in Stalingrad unter entsetzlichen Umständen krepierten Soldaten der Wehrmacht, die Hunderttausenden, die anschließend in sowjetischer Kriegsgefangenschaft starben, „faschistisch“ und Teil des „deutschen Nazismus“ waren? Ganz zu schweigen vom Wüten und den Massenvergewaltigungen der Sowjet-Soldaten in Deutschland. Was folgt als nächstes? Ein Antrag der AfD-Bundestagsfraktion, den 8. Mai zum arbeitsfreien „Tag der Befreiung“ zu machen? Oder Reemtsmas Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ in der Parteigeschäftsstelle? Ein Lenin-Orden für verdiente Parteiaktivisten? Liebe AfD, daß Ihr für mehr Schwarz-Rot-Gold eintretet, ist gut – aber bitte nicht für das mit Hammer und Zirkel! Frieden, Versöhnung, ja gern – aber auf Augenhöhe, nicht als fünfte Kolonne. Eine eigenständige Position gegen den aktuellen Mainstream – warum nicht? Aber doch nicht als schmückendes Beiwerk für die Propaganda fremder Mächte. Deutsche Interessen vertreten, mehr nationale Souveränität einfordern ist das Gegenteil von: anderen in den Hintern kriechen. (Christian Vollradt, Junge Freiheit)

Ich zitiere das Schmutzblatt der Jungen Freiheit vor allem deswegen, weil es interessant zu sehen ist, welche Geisteshaltung diese Rechtsextremisten haben: das Problem ist nicht die gemeinsame Kranzniederlegung mit den Russen (die übrigens en passant ignoriert, dass "Russland" und "Sowjetunion" nicht dasselbe sind, wie das leider ständig passiert), sondern dass die Russen nicht die Leiden der Wehrmacht und SS anerkennen! Für diese Spinner ist man schon kurz vor Linksextremismus, wenn man das macht. Blanker Irrsinn.

In dem Zusammenhang spannend sind übrigens diese Worte des sachsen-anhaltinischen Vizechefs der AfD: "Wir, die Normalen, Vernünftigen, Verwurzelten haben erkannt, dass unser Feind das Regenbogenimperium ist, und im Widerstand gegen dieses Imperium steht uns Russland am nächsten. In Russland herrscht eine in der Tradition verwurzelte Lebensweise, die sich mehr und mehr als Gegenentwurf zur traditions-, identitäts- und geschlechtslosen Regenbogengesellschaft des Westens begreift." Man sieht schon deutlich, warum die AfD so mit Russland liebäugelt.

Resterampe

a) Die USA geben pro Verbrechen doppelt so viel für Polizei aus wie noch vor 30 Jahren. Der Erfolg spricht für sich. Nicht.

b) Spannender Thread über die Langzeitwirkung von Huntingtons "Clash of Cultures"-These.

c) Was geht mit Hubert Aiwanger, Teil 2.

d) Überrascht es wen, dass Elon Musk persönlich Leute bei Twitter blockt, die er nicht leiden kann oder die seinen Wirtschaftsinteressen entgegenstehen? Free Speech Absolutism, my ass.

e) Sachsen manchmal, echt ey.

f) Ich finde, das schließt sich überhaupt nicht aus.

g) Wir hatten ja letzthin im Vermischten die Diskussion über die Verantwortung von Medien; dieses Prachtstück der NYT passt da gut dazu.

h) Journalist*innen entlassen und stattdessen den Meinungsteil stärken ist nicht unbedingt eine Garantie für besseren Journalismus...

i) Interessanter Thread zum unterschiedlichen Rechtsverständnis von Deutschen und Schweizern.

j) Guter Thread zum Grundsatzkonflikt in der koalitionären Verkehrspolitik.

k) Dieses Video von Katja Adler über ihre Kritik an "woke" wird gerade viel geteilt, aber ich kann die Kritik nicht nachempfinden. Ich finde das gar nicht so schrecklich. Sie beschreibt letzten Endes das, was "woke" ist (bzw. der Kampf dagegen): ein Gefühl. Sie weiß was es ist, wenn sie es sieht. Und ich verstehe völlig, was sie meint, auch wenn ich ihre Sicht nicht teile. Dagegen ist Tilos Punkt in meinen Augen intellektuell nicht ehrlich. Keine Sau weiß, woher der Begriff "woke" ursprünglich stammt, und im 21. Jahrhundert verwendet ihn keiner in der ursprünglichen Bedeutung. Siehe auch hier.

l) Stefan Pietsch muss jetzt ganz stark sein: der Soli ist verfassungsgemäß - noch.

m) Echt irre Blüten, die das True-Crime-Genre so treibt.

n) Grandioser Thread zur Debattenkultur in Deutschland. Passt auch zum Podcast.

o) Interessante Gedanken zur enshittifaction von Amazon, gerade in Reaktion auf das letzte Vermischte.

p) Kevin Drum fürchtet eine Rezession im nächsten Jahr. Ich gehe mit.

q) Schon merkwürdig, dass sich die LINKE dafür nicht interessiert...

r) Legislative Asymmetrie zwischen Democrats und Republicans. #NotBothSides

s) Spannendes Interview mit Hedwig Richter über die Lehre an einer Bundeswehruni, die politische Haltung von Bundeswehrsoldat*innen und den Kampf gegen die Klimakrise.

t) Iran baut in Russland eine Fabrik zum Bau der Selbstmorddrohnen gegen die Ukraine. Ist der Iran jetzt Kriegspartei? Eskaliert es zum Weltkrieg? Merkwürdig, wie still die ganzen Russlandfreunde sind.

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