Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Maaßen vergleicht „kulturfremde Ausländer“ mit Krebs – Fachleute sind entsetzt
Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, dass diese Dynamik typisch ist. Jemand beginnt den Weg ins politische Rampenlicht mit "sagen, wie es ist", einem Verstoß gegen "political correctness" (oder was dafür gehalten wird), mit leicht anstößigen, aber jederzeit relativierbaren und in den Raum des Akzeptablen zurückzuholenden Aussagen. Das generiert für ein, zwei Medienzyklen Aufmerksamkeit, vielleicht reicht es für einen Buchdeal, eine Kolumne bei NIUS oder einen YouTube-Kanal. Ob aus Sucht nach der neu erlebten Aufmerksamkeit oder einfach um relevant zu bleiben und das neue Geschäftsmodell weiter nutzen zu können, es wird immer weiter eskaliert. Es folgt der nächste Tabubruch, und der nächste, und der nächste, und jedes Mal geht man weiter als vorher. Bei manchen Leuten sorgt das für Fehltritte, die mal mehr, mal weniger nachhaltig sanktioniert werden (Verlust von Kolumnen etc.), führt oft genug auch zu einer neuen Bescheidung danach, um Gras über die Sache wachsen zu lassen (Rainer Meyer ist da Experte drin, oder Sahra Wagenknecht). Bei anderen geht die Spirale immer weiter in den Abgrund (Sarrazin, Maaßen).
Ich glaube, das liegt einerseits an den mangelnden Fähigkeiten (weder Sarrazin noch Maaßen sind politische Genies), andererseits aber daran, dass es nicht nur ein rhetorisches Spiel war, von dem man jederzeit ohne Schaden für die eigene Identität zurücktreten kann, sondern Ausdruck tiefer Überzeugungen. Sarrazin war schon immer jemand mit biologistischem Rassismus, Maaßen schon immer jemand mit rechtsradikalen Ansichten. Sie fielen nur vorher nicht auf. Maaßen ist auch kein Konservativer (mehr), seine Rhetorik ist nicht konservativ. Diese Bezeichnung funktioniert höchstens in den USA, nicht aber in Deutschland. Konservative wollen keine "Krebsgeschwüre" aus dem deutschen Volkskörper chemotherapieren. Das ist die Sprache rechtsradikaler Hetzer.
2) CSU fordert Aberkennung von Doppelpässen bei schweren Straftaten
Die CSU fordert hier etwas, das offensichtlich gegen die Verfassung in ihrer aktuellen Form verstößt und fordert das Problem dadurch zu beheben, dass man die Verfassung ändern müsse. Das Muster durchzieht übrigens den gesamten Prozess der Flüchtlings- und Migrationsdebatte. Merkwürdigerweise haben all jene, die sich gar nicht genug über grüne Forderungen nach einer Reform der Schuldenbremse echauffieren können, da gar kein Problem damit. - Ich bleibe dabei: die Forderung nach einer Verfassungsänderung ist natürlich grundsätzlich legitim. Ich halte Herrmanns Forderung für kompletten, rassistisch begründeten Bullshit, die zudem mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft und dem de facto Ausstoß aus Deutschland ein zweirangiges Staatsbürgerschaftsrecht aufmacht, in dem Menschen mit Doppelpass eine erkennbar niedrigrangigere Stellung innehaben. Das ist ekelhaft, besonders wenn man bedenkt, wie wenig Probleme die Partei mit Aiwanger und seinen Spießgesellen hat. Aber das Problem besteht auf inhaltlicher Ebene; Herrmann ist kein Verfassungsfeind. Nebenbei bemerkt: ich weiß nicht, wie viele Leute es gibt, die fordern, dass schwere Straftäter*innen oder solche, die menschenverachtende Handlungen begangen haben, eine deutsche Staatsbürgerschaft bekommen sollen. Kann mir nicht vorstellen, dass das viele sind.
3) Das Problem hat einen Namen: FDP
Ich stimme Herrmann insoweit zu, als dass es sich um ein politisches Problem handelt und nicht um ein rechtliches; das haben wir ja bereits hinreichend diskutiert. Der Rest des Artikels aber ist in meinen Augen Unfug. Ich verstehe diese Weigerung auf der Linken, die roten Linien der FDP zu erkennen, einfach nicht. Ich halte die Schuldenbremse ja auch für Unfug, aber die FDP-Wählendenschaft halt nicht. Sie einzuhalten war das zentrale Versprechen von Lindners Wahlkampf 2021, und dass er nun gezwungen ist, sie für 2023 erneut auszusetzen (mit vergleichsweise hanebüchenen Konstruktionen) und in realer Gefahr steht, es 2024 noch einmal tun zu müssen, könnte der Partei bei den Wahlen 2025 (oder früher, wenn es dumm läuft) das Genick brechen. Die CDU wetzt schon die Messer. Wenn die Ampelkoalition halten soll, MUSS man die rote Linie der Schuldenbremse mitbedenken. Sollte die FDP ihre Haltung ändern? Sicher. Wird sie das tun? Kaum. Sie befindet sich in einer ähnlichen Situation wie 2010/11, als sie die überkommenen EU-Fiskalregeln um jeden Preis erhalten wollte. Ich würde argumentieren, dass sie sich ein wenig selbst in diese Sackgasse manövriert hat, aber das ändert nichts an der grundlegenden Bedeutung des Themas für die liberale Identität. Die Atomkraftwerke abzuschalten war auch nicht eben etwas, das mit den Grünen verhandelbar war. Schon die Verlängerung um drei Monate führte zu heftigem Rumoren an der grünen Basis; warum sollte das bei der FDP und der Schuldenbremse anders sein? Man koaliert mit real existierenden Parteien, nicht mit Wunschkonstruktionen, und man sollte aufpassen, wo die Bruchpunkte liegen.
Nicht nur die FDP ist angesichts der aktuellen Krise in heftigen Problemen, sondern auch die Grünen. Dieser Kommentar ist, anders als Fundstück 3, in meinen Augen wesentlich realistischer, was die Lage angeht. Die Grünen hängen stabil zwischen 14% und 18%, je nach Umfrage (die ständige Berichterstattung über ihre angeblichen Verluste ist angesichts der Zahlen von FDP und SPD sehr merkwürdig, siehe auch Resterampe l). Eine echte Machtoption fehlt ihnen gerade aber. Mit Ausnahme der AfD ist gerade schlicht keine Partei in einer sonderlich günstigen Lage. Alle stehen zwischen der Aufgabe von Kernpositionen (Schuldenbremse, Migrationspolitik, etc.), überall sind "schmutzige" Kompromisse nötig, müssen Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht werden. Die Schuld bei den anderen zu suchen ist sicher verlockend, aber wenig zielführend.
5) Verfassungswidrige Sprachverbote
Ich lasse das hauptsächlich mal hier um zu zeigen, dass Forderungen von irgendwelchen Sachen vielleicht verfassungswidrig sein könnten, man das aber nicht weiß, bis es ein entsprechendes Urteil vorliegt. Mein begrenzter juristischer Sachverstand sagt zu Lembkes Ausführungen, dass das eine vergleichsweise weitreichende Betrachtung des Gleichberechtigungsartikels durch das BVerfG erfordern würde - aber es ist jetzt nicht eben so, als sei eine weitreichende Auslegung von Grundrechten in unerwartete Richtungen etwas, das keine Präzedenzfälle mit dem Gericht hätte. Die Forderung von Verboten und potenziell verfassungswidrigen Maßnahmen ist immer kein Problem, wenn man ihnen zustimmt; da kann man dann die juristischen Argumente als vom ideologischen Gegner motiviert verwerfen und das Verbot entsprechend umdeuten. Aber das ändert wenig daran, dass das Ausmaß nicht absehbar ist, bevor man ein Urteil auf dem Tisch liegen hat.
Resterampe
a) Fie FAZ hat was zum krassen Einbruch der Kirchenmitgliedschaften.
b) Drei Gründe, die gegen eine EU-Armee sprechen. Dauerdiskurs zur Vermeidung des eigentlichen Diskurses, in meinen Augen.
c) Diese Analyse zum Grünen-Programm von Jonas Schaible von 2021 ist ziemlich gut gealtert.
d) Has Anyone Noticed That Trump Is Really Old? Eines der vielen Medienversagen, über die ich geschrieben habe.
e) Nochmal zwei Artikel zu Argentinien.
f) Eine Kritik am BVerfG-Urteil zur Schuldenbremse aus juristischer Sicht.
g) Der Spiegel hat eine großartige Übersicht über Sparpotenziale beim Sozialhaushalt.
h) Ein indirektes Streitgespräch zwischen Rudi Bachmann und Lars Feld über eine Reform der Schuldenbremse.
i) Noch mehr Kritik am Zusammenhaltsbericht. (Bluesky)
j) Have You Listened Lately to What Trump Is Saying?
k) Diese Umfragenberichterstattung ist echt nur nervig.
l) Intellektuelle Unaufrichtigkeit bei der Bürgergelddebatte ist leider auch Standard.
m) Die Welt hat einen ausführlichen Artikel zu Wissings Scheitern bei eFuels.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.