Teil 1 hier.
Man sollte sich aber nicht dem Fehler hingeben zu glauben, dass das alles blutleer ablaufen soll. Die Fantasien des Trump-Teams und der affiliierten Think-Tanks sind durchaus gewalttägig und basieren auf der bereits in der Trump-Administration verfolgten Idee, den Insurrection Act (ein Gesetz zur Aufstandsbekämpfung) für den Putsch zu benutzen:
Much of the planning for a second term has been unofficially outsourced to a partnership of right-wing think tanks in Washington. Dubbed “Project 2025,” the group is developing a plan, to include draft executive orders, that would deploy the military domestically under the Insurrection Act [...] Trump has publicly expressed regret about not deploying more federal force and said he would not hesitate to do so in the future. (Washington Post)
Jeffrey Clark, a fellow at Vought’s think tank, is leading the work on the Insurrection Act under Project 2025. The Post has reported that Clark is one of six unnamed co-conspirators whose actions are described in Trump’s indictment in the federal election interference case. Clark was also charged in Fulton County, Georgia, with violating the state anti-racketeering law and attempting to create a false statement, as part of the district attorney’s case accusing Trump and co-conspirators of interfering in the 2020 election. Clark has pleaded not guilty. As a Justice Department official after the 2020 election, Clark pressured superiors to investigate nonexistent election crimes and to encourage state officials to submit phony certificates to the electoral college, according to the indictment. [...] In one conversation described in the federal indictment, a deputy White House counsel warned Clark that Trump’s refusing to leave office would lead to “riots in every major city.” Clark responded, according to the indictment, “That’s why there’s an Insurrection Act.” [...] “I think that the supposedly independent DOJ is an illusion,” Clark said in an interview. (Washington Post)
Der Schlüssel zu dieser Nutzung des Insurrection Acts und der Zerstörung des Rechtsstaats ist die Idee, dass der Rechtsstaat ohnehin bereits nicht mehr existiert. Der Probelauf dafür fand bereits im Wahlkampf 2016 statt, als Trump verkündete, dass wenn er verliere die Wahl gefälscht sei, wenn er aber gewinne, alles mit rechten Dingen zugegangen sei (er entschied sich am Ende, einfach beides zu vereinen, consistency be damned, und eine demokratische Verschwörung in Kalifornien zu erfinden, die dort Millionen Stimmen gefälscht habe - warum dort und nicht in Staaten, die man hauchdünn verlor, blieb sein Geheimnis). 2020 begann dann, was seither als "Big Lie" bezeichnet wird: die Wahl sei gestohlen, Biden habe nie gewonnen. Die Zertifizierung der Wahlergebnisse unter Brian Kemp in Georgia und Vizepräsident Mike Pence (den die Aufständischen vom 6. Januar hängen wollten, ein Ziel, das Trump sicherlich teilt) war in diesem Zusammenhang der große Verrat. Und gegen Verräter und Putschisten von links ist jedes Mittel Recht, um das Land zu retten. Auch hier ist keine Küchentischpsychologie notwendig; Trump erklärt das völlig offen:
“We pledge to you that we will root out the communists, Marxists, fascists and the radical left thugs that live like vermin within the confines of our country that lie and steal and cheat on elections,” Trump said toward the end of his speech, repeating his false claims that the 2020 election was stolen. “They’ll do anything, whether legally or illegally, to destroy America and to destroy the American Dream.” Trump went on further to state: “the threat from outside forces is far less sinister, dangerous and grave than the threat from within. Our threat is from within. Because if you have a capable, competent, smart, tough leader, Russia, China, North Korea, they’re not going to want to play with us.”Steven Cheung, a Trump campaign spokesman, told The Post “those who try to make that ridiculous assertion are clearly snowflakes grasping for anything because they are suffering from Trump Derangement Syndrome and their entire existence will be crushed when President Trump returns to the White House.” Trump also received widespread criticism and condemnation recently from groups such as the Anti-Defamation League for saying in an interview that undocumented immigrants were “poisoning the blood of our country.” (Washington Post)
Trumps Rhetorik gleitet auch immer mehr in die faschistische Richtung ab.
In honor of our great Veterans on Veteran's Day, we pledge to you that we will root out the Communists, Marxists, Fascists, and Radical Left Thugs that live like vermin within the confines of our Country, lie, steal, and cheat on Elections, and will do anything possible, whether legally or illegally, to destroy America, and the American Dream. The threat from outside forces is far less sinister, dangerous, and grave, than the threat from within. Despite the hatred and anger of the Radical Left Lunatics who want to destroy our Country, we will MAKE AMERICA GREAT AGAIN! (Jabberwocking)
2024 is our final battle. With you at my side, we will demolish the Deep State, we will expel the warmongers from our government, we will drive out the globalists, we will cast out the Communists, Marxists, and Fascists, we will throw off the sick political class that hates our Country, we will rout the Fake News Media, we will evict Joe Biden from the White House, and we will FINISH THE JOB ONCE AND FOR ALL! (Bluesky)
Natürlich richtet sich das Gewaltversprechen auch gegen Migrant*innen:
During his interview with Acevedo, Trump also sought to defend his administration’s controversial decision to separate migrant parents from their children at the U.S.-Mexico border, saying it prevented more migrants from illegally coming into the United States. Dozens of lawsuits have been filed against the federal government seeking damages for allegedly intentionally inflicting emotional distress on migrant families as a result of the separation policy. (The Atlantic)
Das ist nicht die Rhetorik eines demokratisch gewählten Präsidenten, sondern die eines faschistischen Schlägers. Sie lässt sich auch nicht mehr als rhetorisches Stilmittel verbrämen, oder als Übertreibung, als Scherz, wie das während seiner Präsidentschaft und auch im Nachgang des Putschversuchs vom 6. Januar noch ständig geschah. Der Mann meint es ernst. Und es ist wichtig, dass er ernstgenommen wird. Ich bin mir deswegen auch nicht sicher, ob das Framing als "verrückt" oder "geisteskrank", das immer wieder vor allem durch liberalere Medien geistert (siehe etwa The Atlantic oder Washington Monthly), sonderlich hilfreich ist. Letztlich verharmlost es ihn. Aber das ist gar nicht das größte Problem.
Viele Medien des moderaten Spektrums haben offensichtlich immer noch den Schuss nicht gehört:
To facilitate Trump’s ability to direct Justice Department actions, his associates have been drafting plans to dispense with 50 years of policy and practice intended to shield criminal prosecutions from political considerations. Critics have called such ideas dangerous and unconstitutional. (Washington Post)
Der Tonfall, den die Washington Post hier in demselben Artikel anschlägt, in dem sie detailliert die Erkenntnisse ihrer brillanten Recherche zu Trumps Umsturzplänen darlegt, ist einfach verstörend. Dieses "Partei A sagt dieses, Partei B entgegnet jenes" ist für die existenzielle Gefahr für die Demokratie, um die es hier geht, überhaupt nicht angemessen. Ob sie es will oder nicht, die Washington Post, die New York Times (deren Überschriften geradezu legendär schlecht sind und die die Lektion von 2016 überhaupt nicht gelernt hat) und wie sie alle heißen sind Konfliktparteien. Denn Trump und seine Verbündeten betrachten sie als Feind. Sie wollten von Beginn an den staatlichen Repressionsapparat gegen sie einsetzen; was sie abhielt war nur, dass sie aus der Bürokratie blockiert wurden und keine Erfolgsaussichten hatten - beides Faktoren, die sie, wie gezeigt, zu beseitigen hoffen.
Immerhin erkennen immer mehr Journalist*innen die Schwere der Situation. Tom Nichols im The Atlantic (auch hier), Jack Shafer in Politico, Dan Drezner auf seinem Substack, der Economist auf seiner Titelseite, Dahlia Lithwick in Slate - zwar nimmt das Bewusstsein zu, aber wie die Beispiele der Washington Post oder praktisch jeder Blick in die New York Times zeigt, ist das Grundproblem völlig ungelöst: wie soll über Trump und den republikanischen Umsturzversuch berichtet werden, so dass die Schwere der Situation auch kommuniziert wird? Für große Teile der Öffentlichkeit wirkt das Ganze, in Dahlia Lithwicks Worten, wie ein "cage-match between fascism and democracy", nur mit dem Problem, dass "nobody cares".
Auf eine gewisse Art ist das sicher auch die Folge, dass schon einige Male "Wolf" geschrieen wurde, aber keiner kam. Sich allerdings immer auf die Inkompetenz des Wolfs zu verlassen ist eine Rechnung, die in der Geschichte schon oft fehlschlug, und sich andererseits darauf zu verlassen, dass schon "a few good men" zwischen den Trumpisten und der Demokratie stehen würden, ist ebenfalls bestenfalls dubios, schon allein, weil das davon ausgeht, dass die Democrats ständig die Wahlen gewinnen.
Denn das ist ja die andere Dimension des Problems: die Entwicklung seit den späten 2000er Jahren, in der sich die GOP rapide von einer demokratischen Partei wegentwickelt, hat seit 2021 noch einmal einen Schub erhalten. Man sehe sich nur das Repräsentantenhaus an, in dem der "Freedom Caucus" von einer spinnerten Randgruppe zur erdrückenden Mehrheitsfraktion wurde. Die Partei ist keine Gegenspielerin Trumps; vielmehr hat sie bereits an zahlreichen Stellen ihre schützende Hand über ihn gehalten. So ist Trump de facto von den Wahlkampffinanzierungsregeln befreit, gegen die er zwar ständig verstößt. Diese Verstöße aber werden von dem paritätisch besetzten Gremium gedeckt, so dass er effektiv straffrei ausgeht. Gleiches ist zunehmend in der Judikative zu beobachten, wo die Trumpisten Kandidat*innen einsetzen, die bereit sind, das Recht einseitig zugunsten der Rechtsbrecher auszulegen - und die Partei bestätigt diese Leute ins Amt.
Die Situation ist daher ernst. "Unternehmen Rache" bedeutet die größte Gefahr für die amerikanische Demokratie seit den frühen 1930er Jahren und eine mögliche Rückkehr in die Zustände im Süden nach dem Ende der Reconstruction. Politische Gewalt, Unterdrückung und die Zerstörung von Freiheit und Rechtsstaat sind eklatante Bedrohungen, die auch Auswirkungen auf den Rest der Welt haben werden.
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