Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)
Noch immer sind Videospiele ein vergleichsweise junges Medium. Wenn sie überhaupt als Kunst anerkannt werden, dann üblicherweise in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Diejenigen, die das ändern wollen, versuchen durch allerlei Meinungsstücke, Analysen und Geschichtsschreibung, hier Fortschritte zu machen. Ein solcher Versuch liegt mit „Replay“ vor, dessen Autor Tristan Donovan versucht, eine Gesamtgeschichte des Mediums vorzulegen, die sich vor allem auf die Innovationen und wichtigen Entwicklungsschritte und weniger auf die berühmtesten und bekanntesten Titel fokussiert.
In Kapitel 1, "Hey! Let's Play Games!", starten wir in den 1940er und 1950er Jahren mit den ersten Computern, die damals noch Lochkarten nutzten und ganze Zimmerkomplexe füllten, um die Funktion der heutigen Taschenrechnerapps auszufüllen. Diese ersten Ansätze kamen von den wenigen Computer-Nerds der damaligen Zeit und waren natürlich blanke Spielerei, weil schon allein die Vorstellung, dass die sündteuren, riesigen Geräte jemals für private Spielereien gebraucht werden können, völlig absurd schien. Als in den Universitäten und im Pentagon in den 1960er Jahren aber erstmals halbwegs brauchbare Computerformate standen, gab es auch Leute, die darauf erste - sogar grafische - Spiele programmierten. Der überwiegende Teil der Informatiker war allerdings der Überzeugung, dass Computer eine unglaublich ernsthafte Sache seien, zu denen keinesfalls Spielereien passten.
Das änderte sich allerdings, als die privaten Spielereien einige Systemadministratoren von Leuten entdeckt wurden, die Begeisterung für das neue Medium mit Geschäftssinn und paarten. Kapitel 2, "Avoid missing ball for high score", führt uns zum ersten Phänomen des Computerspielzeitalters: Pong. Das Spiel verbreitete sich rasant in den Arkaden, die bisher die Heimat von Pinball-Maschinen waren und denen ein Image von Sünde und organisierter Kriminalität anhaftete. Anders als Pinball aber begeisterten die neuen elektronischen Automaten nicht die Arbeiterklasse, die nach Feierabend ihr hat erarbeitetes Geld in den Maschinen verschwinden ließ, sondern die Jugendlichen#, die damals zum ersten Mal als eigene Konsumentenklasse entdeckt wurden.
Die Technik, selbstverständlich, ließ damals noch zu wünschen übrig. Es war vor allem der Neuigkeitswert der Maschinen und die Erschließung bisher ungenutzter Kundenpotentiale, die sie plötzlich interessant machten. Nachdem bei den ersten Computersystemen die Auseinandersetzung vor allem zwischen den ernsthaften Informatikern und den Spielern gewesen war, trat in den 1960er Jahren zum ersten Mal ein prägender anderer Konflikt auf: der zwischen Geeks und Unternehmern. Während erstere vor allem die Grenzen der Technik ausreizen und möglichst anspruchsvolle Spiele gestalten wollten, Interessierten sich letztere für die Vermarktbarkeit. Immer wieder prallten diese Vorstellungen aufeinander, befruchten sich aber gleichzeitig gegenseitig und sollten in den 1970er Jahren zur Eroberung der Wohnzimmer beitragen.
In Kapitel 3, "A Good Home Recreation Thing", sehen wir die Entstehung der ersten Konsolen. Sie wurden als TV-Spiele vermarktet und benutzt, was der Technik klare Grenzen auferlegte. Zwar war es, anders als bei den existierenden und ihren Privathaushalten praktisch nicht verbreiteten Computern, auf diesen Konsolen möglich, grafische Spiele zu erstellen. Diesen Bemühungen waren allerdings klare Grenzen gesetzt, wie die Hardware von Computern, entsprechende Bildschirme und finanzielle Feuerkraft vorausgesetzt, würde sprengen können. Dies allerdings war zu jener Zeit noch Zukunftsmusik.
Auf Computern indessen fanden Ernsthaftere Spiele eine Heimat, eine Dynamik, die den Gegensatz zwischen Computern und Konsolen noch über viele Jahre prägen sollte. In dieser Periode war der König des Computers das Textadventure, bei dem die Spielenden Texte lasen und sprachliche Befehle eingaben, die je nach Programmierfähigkeiten des Studios unterschiedlich gute Ergebnisse hervorbringen konnten.
In diese Zeit fällt auch der kometenhafte Aufstieg der Firma Atari, den wir in Kapitel 4, "Chewing Gum, Bailing Wire and Spit", verfolgen. Die titelgebenden Materialien waren in einem geflügelten Wort in den Anfangsjahren der Firma das einzige, das die Kisten zusammenhielt. Bei Atari zeigte sich der Konflikt zwischen den Geeks und den Unternehmern am deutlichsten: die hochfliegenden Visionen der Geeks produzierten einige innovative Produkte, die großen Erfolg hatten, aber ihnen fehlten die unternehmerischen Fähigkeiten, um diesen zu verstetigen. Das war dann die Rolle der Unternehmer, die aber gleichzeitig zu einem Abfall der Produktqualität führten - der dann 1982 zur Katastrophe führen sollte.
Eine weitere Firma, die in diesen Tagen ihre Gründung erfuhr, war Apple. Auch sie trat an, um Videospiele in das heimische Wohnzimmer zu transportieren. Der Apple II nahm den auch den Kampf mit anderen Heimrechnern auf. Gleichwohl blieben Computer in dieser Zeit noch ein absolutes Nischenprodukt, während Konsolen wie die von Atari den Markt eroberten.
Die Genres unterschieden sich auch entsprechend deutlich. In Kapitel 5, "The Biggest Eureka Moment Ever", werden die Genres vorgestellt, die die damaligen Computerspiele dominierten. Wegen der Hardwarebeschränkungen konnten Actionspiele, wie sie auf den Konsolen populär waren, nicht hergestellt werden. Stattdessen dominierten Rollenspiele, die sich für eine Adaption auf der Genre der Textadventure hervorragend eigneten und Adaptionen von Brettspielen, vor allem der beliebten Wargames, deren komplexe Regelwerke das Spielen am heimischen Spieltisch neben ihrer großen Länge zu einer Qual machen konnten, beides Faktoren, die der Computer lösen konnte.
Kapitel 6, "High-Strung Primadonnas", wendet den Blick zurück zu Atari. Die Firma wurde durch Warner übernommen, was ihr den dringend benötigten Cash gabt, um ihre aufstrebende Konkurrenz beseitigen und Marktdominanz erreichen zu können. Für die Corporate Culture war dies jedoch ein Schock: die Profis von Warner Konten mit der Nerdkultur bei Atari wenig anfangen und umgekehrt. Zum größten Streit kam es jedoch, als den Kreativen klar wurde, welch großen Anteil sie an den Verkäufen hatte und wie wenig ihnen relativ dazu bezahlt wurde. Warner lehnte eine Beteiligung der Kreativen an den Gewinnen, wie sie etwa in Hollywood üblich war, kategorisch ab, zu einem wahren Exodus dieser Kreativen führte, die ihre Kenntnisse in eigene Startup Firmen mit Namen und Atari Konkurrenz machten.
Doch nicht nur dieses Fleisch vom eigenen Fleisch bedeutete Konkurrenz für Atari. Wie Kapitel 7, "Pac-Man Fever", zeigt, fand in den Arkaden genauso wie bei den Heimkonsolen ein riesiger Boom statt, bei dem technisch ausgereifte und hoch populäre Spiele die sauer verdienten Taschengeldbeträge der Teenager schluckten. Vor allem Space Invaders und Pac Man dominierten diese Phase. Letzteres schaffte es sogar durch seine Themensetzung, den bisher unerreichten Markt für junge Frauen zu erschließen und sie in die Arkaden zu locken. Es gelang der Industrie dadurch auch, das schlechte Image aus der Pinballzeit loszuwerden und sich als Orte für die Familie zu etablieren. Spielautomaten eroberten die neuen Malls und erlebten eine wahre Investmentblase, bei der selbst Friseure die Maschinen bei sich aufstellten, ohne realistische Chance, das Investment je zurückzuerwerben.
Kein Boom kommt jemals ohne Backlash aus. Kapitel 8, "Devillish Contraptions", zeigt die erste große moral panic über Videospiele, ausgelöst (unbeabsichtigt) durch den damaligen Surgeon General, der in einem Interview beiläufig erwähnte, dass er wenig von den Spielen halte und dann als Kronzeuge für ihre angeblich gesundheitsschädliche Wirkung herangezogen wurde. Seine Versuche, deutlich zu machen, dass er dies so nie gesagt oder gemeint habe, blieben in der aufgeheizten Atmosphäre selbstverständlich ohne Wirkung.
Doch auch jenseits der Tugendwächter*innen geriet die Branche in Schwierigkeiten. Die Blase musste irgendwann platzen, und Anfang der 1980er Jahre tat sie das mit Gewalt. Eine Ursache dafür war die unglaublich schlechte Qualität der damaligen Spiele, weil zahlreiche Drittanbieter Schrottprodukte für die Atarikonsole produzierten. Die Firma hatte nie erwartet, dass jemand außer ihnen spiele für ihr Gerät herstellen würde und deswegen keinen Schutz eingebaut. Aber auch die Spiele der Firma selbst waren unter dem Druck Warners wesentlich schlechter geworden. Legendär war hier das in wenigen Wochen zusammengeklöppelte „ET“, das versuchte, von der Filmlizenz zu leben und den Ruf der Firma und des Mediums nachhaltig ruinierte. Aber selbst bessere Spiele gerieten an die Grenzen der Technologie: zu wenig Arbeitsspeicher und die schlechten Bildschirme des Fernsehers sorgten für sehr repetitives und primitives Gameplay.
Dazu kam die Konkurrenz von einer ganz neuen Technologie, den Videorekorder. Er führte zu einer wahren Renaissance des Films, weil er es den Jugendlichen erlaubte, ihre Lieblingsfilme zu jedem beliebigen Zeitpunkt anzusehen. Damit war eine Konkurrenz für die Bildschirmzeit entstanden, die wesentlich mehr zu bieten hatte als die immer gleichen schlechten Videospiele. Der Konsolenmarkt crashte und würde sich lange Zeit nicht davon erholen. Spiele kehrten in ihre Rolle als Nischenprodukt auf Computern zurück.
In Kapitel 9, "Uncle Clive", wirft Donovan den Blick auf die Industrien Großbritanniens und Spaniens. Der britische Markt litt von Anfang an darunter, dass es keine europäischen (geschweige denn britische) Hersteller von Computern gab, die amerikanische Computertechnologie war weit voraus. Erst der Erfinder Clive Sinclair erfand billige Elektronik für den Massenmarkt, die britischen Spieleentwicklern - zu denen er auch selbst gehörte - einen eigenen Markt erlaubte. Die britische Spieleindustrie fiel vor allem durch surreale Spiele auf, die eine ganz eigene Art von Humor hatten und nicht eben weltweit vermarktbar waren. In Spanien dagegen entstand in jenen Jahren zwar eine leidlich erfolgreiche Firma, die jedoch im großen Crash mit untergingen und ohne Reserven keine Überlebenschance hatte. Damit endete der kleine spanische Markt effektiv komplett.
Die französische Computerspieleindustrie indessen, die in Kapitel 10, "The French Touch", beschrieben wird, fiel durch "anspruchsvolle" Spiele auf. Das spezifisch Französische war ihre Betonung des Historischen gegenüber dem Fantastischen, was das Genre anbelangte. Weltweit führend waren die Franzosen allerdings in der Grafik, weswegen sie von amerikanischen Unternehmen immer wieder angeheuert wurden, um den titelgebenden „French Touch“ Anspiele anzubringen.
Anders als in Spanien gelang es der kleinen Spieleindustrie in Italien, die Periode zu überleben und Spiele für den italienischen Markt zu produzieren. Diese erreichten jedoch nie eine Bekanntheit über die Halbinsel hinaus und blieben daher weitgehend unrezipiert.
Der letzte Blick des Kapitels wendet sich auf den deutschen Markt, der zwar größenmäßig durchaus relevant war, jedoch durch einen eigenen Genre-Schwerpunkt auffiel: die Aversion gegen Gewalt in der deutschen Öffentlichkeit sorgte für eine starke Betonung von Aufbauelementen, die sich auch in Brettspielen findet und die bis heute ein Merkmal des deutschen Marktes darstellt. Der geradezu inquisitorische Eifer der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sorgte zudem dafür, dass zahlreiche Spiele in Deutschland überhaupt nicht erhältlich waren.
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