Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne
Der Begriff der Moderne ist ein unglaublich normativ aufgeladener. Um die Jahrhundertwende das erste Mal benutzt, kennzeichnete er Entwicklungsprozesse des 19. Jahrhunderts in einer stark eurozentrischen Perspektive. Die Zeitgenossen, allen voran Karl Marx und Max Weber, gingen davon aus, dass es einen bestimmten Weg in die Moderne gebe, der nur temporal versetzt wahrgenommen werde. Er zieht sich über die Industrialisierung hin über die Nationalstaatsbildung zu einer gesellschaftlichen Modernisierung. Diese These ist mittlerweile überholt. Bereits zu Webers Lebzeiten fiel Sombart auf, dass die USA nicht über eine sozialistische Bewegung verfügten, wie sie für Europa so typisch war. Über das 20. Jahrhundert zeigte sich, dass weder der Prozess der Nationalstaatsbildung noch die Modernisierung in anderen Teilen der Welt dem europäischen oder amerikanischen Vorbild folgen mochte. Stattdessen gibt es eine Vielfalt von Modernisierungen, die Komparativ untersucht werden müssen. Um die Jahrtausendwende unternahm Shmuel Eisenstadt in einer viel beachteten Vorlesungen, die er später in das vorliegende Buch umwandelte, Genau diesen Versuch.
Der erste Abschnitt beginnt mit Eisenstadts Verfolgung der ideengeschichtlichen Grundlagen der Moderne bis zurück ins Mittelalter - Und darüber hinaus. Den Anfangspunkt sieht er bei den sogenannten Achsenkulturen, einem Konzept, das 1949 von Karl Jaspers formuliert wurde. Demzufolge hätten zwischen 800 und 200 v. Chr. weltweit vier voneinander unabhängige Kulturräume gleichzeitig zentrale philosophische und technische Fortschritte gemacht. Diese in China, Indien, dem Orient und dem antiken Griechenland entworfenen Ideen prägten den Großteil der Menschheit bis heute. Natürlich machte er Veränderungen durch. Genau diese Veränderungen sieht Eisenstadt als die Grundlage der Modernisierung: es entstünden Spannungen, die zu Konflikten führen und deren Auflösung gewissermaßen Fortschritt definiere.
Unsere Modernisierung, die ihren Ursprung im 18. Jahrhundert besitzt, lebe vor allem von mehreren zentralen Widersprüchen: totalisierende und pluralisierende Konzeptionen, Reflexion und aktive Gestaltung von Natur und Gesellschaft, unterschiedliche Bewertungen von Gefühl und Vernunft, der Widerspruch von Kontrolle und Autonomie und der von Disziplin und Freiheit.
Die Modernisierung trägt damit inhärent auch immer die Idee einer Entfremdung von der Natur in sich, deren aktive Gestaltung, ermöglicht durch die Herrschaft der Vernunft, Diese Bedingungen quasi selbst erschafft. Diese Spannungen bringen Moralvorstellungen empor, zwischen deren Polen sich zahlreiche Konflikte entwickeln. Den Kern dieser Spannungen sieht Eisenstadt im Pluralismus. Die modernste Ideologie überhaupt bezeichnete er als Jakobinismus, den totalitären Versuch der kompletten Umgestaltung einer Gesellschaft. Pluralistische Ideen dagegen habe es schon immer gegeben, wenngleich sie natürlich in dieser Periode deutlichen Auftrieb erlebten.
Das sich so ergebende Programm der Moderne brachte Widerstand und Protest hervor. Das war neu: politische Partizipation durch Protest war noch im Mittelalter undenkbar gewesen; die Peripherie war dem Zentrum stets untergeordnet. Jetzt wurden politische Kämpfe über die Abgrenzungen von Kollektiven, die Legitimationsgrundlage des Staates und die Abgrenzung zwischen privater und öffentlicher Sphäre geführt. Dadurch wurden zahlreiche Konflikte politisiert und überhaupt erst als solche denkbar, ein radikaler Bruch mit der bisherigen Menschheitsgeschichte.
Diese Protestbewegungen unterscheidet Eisenstadt in mehrere Gruppen: solche, die auf das Zentrum orientiert sind und eine komplette Umgestaltung der Gesellschaft anstreben, solche wie etwa religiöse Gruppen, die nur einige Aspekte verändern wollen und zuletzt solche wie die Anarchisten, die das System als solches ablehnen. Die Bedeutung dieser verschiedenen Typen schwankt dabei von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit. Sie stellen aber einen zentralen Bestandteil der Dynamik und des Diskurses der Moderne dar, auch wenn sie miteinander meist in Konflikt standen.
Die europäische Moderne hat für Eisenstadt einige spezifische Charakteristika. Die christliche Prägung des Kontinents sorgte für eine Spannung zwischen Hierarchie und Gleichheit komme der Zugang verschiedener Gruppen und Schichten zu religiöser und politischer Ordnung und der Anspruch der Kirche, dazwischen zu vermitteln. Die beständigen Proteste und Reaktionen darauf so rückten zudem zu einer beständigen Umformung von Zentren und Kollektiven. Kein Zentrum erreichte dabei jemals die Dominanz, stattdessen formten sich komplexe Hierarchien heraus. Die resultierenden Kämpfe um Dominanz im Zentrum waren hoch ideologisch.
Daraus erwuchs ab dem 16. Jahrhundert die dominante Organisationsform des Staates, der neue Typen von kollektiven und kollektive Identität mit sich brachte. Die Wichtigste war wohl die Bindung der Identität ans Territorium, was große Verpflichtungen gegenüber dem Zentrum mit sich brachte. Der Zugang zu eben diesem Zentrum wurde zu einem zentralen Konflikt der Politik. Daneben bedeutend war die Herausbildung der Marktwirtschaft mit ihrer Betonung des Privateigentums, die ihrerseits dem Entstehen der Zivilgesellschaft den Weg bereitete. Diese erlaubte die Herausbildung verschiedener Formen der Moderne in Europa, die nebeneinander her existierten. Die Verwerfungen durch die Marktkräfte taten ihr Übriges.
Eisenstadt warnt allerdings davor, die europäische Moderne als eine Art Blaupause zu begreifen, der Rest der Welt zu folgen habe, wie dies in der Forschung langem (auch von ihm selbst) angenommen worden war. Stattdessen war Europa einfach nur der erste Ort, der in die Moderne eintrat. Mit zwei großen Studien möchte Eisenstadt sich davon unterscheidende Formen der Moderne untersuchen: die USA und Japan.
Im zweiten Abschnitt untersucht Eisenstadt die amerikanische Herangehensweise an die Moderne. Gleich zu Beginn machte Eisenstadt deutlich, dass die Pluralität der Moderne in Europa eine Entsprechung in den Amerikas besitzt: Kanadas Entwicklung etwa unterscheidet sich signifikant von der der USA, die wiederum wenig mit der Lateinamerikas gemein hat.
Die USA wurden durch eine revolutionäre, ideologische und moralische Revolution gegründet. Protest war in ihrer Genese angelegt und wurde zu einem dauernden Bestandteil der politischen Szene. Er unterschied sich allerdings vom europäischen Protest in seiner geringen Radikalität, die sich beispielhaft am Fehlen einer sozialistischen Bewegung in den USA erkennen lässt. In den USA fehlen zudem nationale oder nationalistische Bewegungen. Keiner nationalen Gruppe oder Ethnizität gelang es jemals, die politische Bühne der USA zu besetzen. Sämtliche Bewegungen stellten niemals die Prämissen des Zentrums und der kollektiven Identität infrage, in deutlichem Gegensatz zu Europa. Eisenstadt macht zudem eine ideologische Tendenz zur Reinigung des Zentrums von durch die jeweilige Protestbewegung wahrgenommenen Abweichungen von seiner wahren Natur aus. Diese sahen sich jeweils als Träger einer unverfälschten amerikanischen Vision, weswegen ihr Protest hochmoralisch und messianisch aufgeladen war.
Strukturelle Gründe dafür sieht Eisenstadt unter anderem im Fehlen einer feudalen Aristokratie und der Existenz der Frontier. Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist die große Einwanderung, die die demographische Zusammensetzung der USA permanent änderte und damit die Bündnisse und Austragungsarten der Konflikte beständig veränderte.
Die erwähnten Prämissen des Zentrums, die von diesen Bewegungen niemals infrage gestellt wurden, waren etwa die Konstruktion der USA als eine komplett neue Nation: sie stellte sich nicht in eine lange geschichtliche Tradition, sondern war eine Neuschöpfung, losgelöst von territorialen Strukturen - was gleichwohl nicht verhinderte, dass man sich als gelobtes Land in einer sehr christlich-messianischen Ausrichtung verstand. Die so resultierende kollektive Identität bestand aus der Bundesidee der Puritaner, den Prämissen des Naturrechts und des Common Law, der englischen Aufklärung und dem Commonwealth-Gedanken. Daraus entstand die spezifische amerikanische Zivilreligion mit einem Gründungsmythos von individueller Erfüllung und allgemeiner Gleichheit. Dass dieser niemals vollständige Realität war, passt zu den Reinigungsbestrebungen der verschiedenen Protestbewegungen.
Die Betonung des Individuums erlaubte diesem eine Teilnahme am politischen Prozess, die weitgehend von anderen kollektiven losgelöst waren. Daraus entstand auf der einen Seite eine rauer und vulgäre Umgangston (zumindest aus Sicht europäischer Beobachter) und zum anderen eine große Distanz zum Staat, die sich im klassischen Misstrauen der Amerikaner diesem gegenüber Bahn brach.
Die Zivilreligion wurde zusätzlich mit einem Sendungsbewusstsein aufgeladen, das zu der Vorstellung führte, man sei ein Vorbild oder Leuchtturm für den Rest der Welt. Die eigene Struktur war stark religiös geprägt, vor allem von der protestantischen Idee eines Bundes, und spiegelte sich in der Ausgestaltung der amerikanischen Institutionen. Überhaupt betont Eisenstadt die Rolle der Religion für das amerikanische Selbstverständnis. Das zentrale Paradox hierbei ist die Trennung von Staat und Kirche in den USA, der keinesfalls eine Trennung von Politik und Religion entspricht. Stattdessen gehört Religion elementar zum American Way of Life.
Eine weitere Besonderheit des amerikanischen Systems ist die Rolle der Judikative. Das Rechtssystem steht für Eisenstadt in der Mitte der politischen Arena. Er folgt darin Hegel, der die Behauptung aufstellte, dass die USA eigentlich gar keinen Staat hätten, sondern nur eine bürgerliche Gesellschaft. Dementsprechend ist es auch wenig überraschend, dass das Justizsystem eine zentrale Rolle bei der Austragung politischer Konflikte spielt. Das große Misstrauen gegenüber jeglicher staatlicher Autorität und die Betonung des Individuums führen zu einer ständigen Spannung zwischen pragmatischer Politik einerseits und eine moralische Überhöhung derselben andererseits, die in einer großen Scheinheiligkeit resultieren. Huntington spricht hier von einer Disharmonieverheißung. Diese Spannung zwischen Idealismus und Pragmatismus findet ihren für Nicht-Amerikaner*innen deutlichsten Ausdruck auf dem Feld der Außenpolitik, wo Kriege eigentlich nur als gerechte Kriege vorstellbar sind, die einen bösen Feind für das eigene Gute erfordern, aber gleichzeitig eine lange Tradition der harschen Kritik der eigenen Regierung und von unbeliebten Kriegen als "unamerikanisch" mit sich bringen.
Anders als in vielen Ländern Europas, die der mittelalterlichen Idee anhängen, dass das Recht gewissermaßen göttlich gesetzt und von den Menschen nur entdeckt sei, war für die Amerikaner von Anfang an klar, dass es eine menschliche Schöpfung und als solches im politischen Prozess veränderlich ist. Verfassungsdiskussionen gehören deswegen seit jeher zentral zum amerikanischen politischen Prozess.
Ein weiteres Spannungsfeld ist das zwischen Inklusion und Ausschluss. Die Natur der USA als Einwanderungsland erlauben prinzipiell allen Personen den gleichrangigen Zugang zum Zentrum. Gleichwohl haben rassistische Praktiken und die Sklaverei immer für eine klaffende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit gesorgt. Dieser Widerspruch wurde häufig dadurch aufgelöst, dass der Individualismus religiös und mit einem bürgerlichen Status verbunden wurde. Auf diese Art und Weise entstanden „natürliche“ Rangunterschiede, die mit der Ideologie vereinbar waren. Am stärksten fanden sich diese natürlich in den Südstaaten und in der Ära von McCarthy.
Da die ausschließenden Tendenzen des amerikanischen Systems bei aller un Vereinbarkeit mit seiner offiziellen Ideologie aber immer individueller Natur waren und nie auf einer territorialen oder ethnologischen Organisationsform fußten, war ihre Bekämpfung innerhalb des rechtlichen und politischen Systems stets möglich und wurde auch so wahrgenommen. Der Spielraum für Toleranz innerhalb der amerikanischen Gesellschaft blieb daher stets wesentlich grösser als in den meisten europäischen Ländern.
Als Nächstes wendet sich Eisenstadt der Grundlegung der amerikanischen Institutionen in der Jackson Ära zu. In dieser Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts bildeten sich die meisten der von ihm beschriebenen Strömungen heraus. Der große Unterschied zwischen der Jacksonian Ära und der vorangegangenen republikanischen liegt für Eisenstadt vor allem im Expansionsstreben der USA. Nicht nur breitete sich das Land geographisch und territorial aus, sondern es begann durch eine breitere Einwanderung auch eine Art demographische Expansion.
Die amerikanische Elitenbildung unterschied (und unterscheidet) sich stark von der europäischen: es gibt keine klaren Pfade zum Zugang zu Elite. Selbst die Universitäten der Ivy League es sind nur für den Zutritt zu bestimmten Teilen der Elite relevant. Ihre verhältnismäßig große Durchlässigkeit hat die krasse Ungleichheit in den USA schon immer wenigstens teilweise mitigiert. Diese Entwicklung wurde schnell durch die anwachsende Ungleichheit abgebremst, die diese soziale Durchlässigkeit stark begrenzte, hält sich aber als identitätsstiftender Mythos bis heute. Dazu gehört auch die Gleichstellung (und gleichzeitige Konfrontation) von Produktion und Handel/Gewerbe, die erst im späteren 20. Jahrhundert als Konflikt unter dem Dach der "Mittelschicht" neutralisiert wurde, das breit genug war, allen Strömungen ein ideologisches Zuhause zu bieten.
Das traf auch auf die - wie Eisenstadt bereits gezeigt hat: bedeutsame - religiöse Dimension zu. Der amerikanische Protestantismus spaltete sich in Denominationen, die nicht so strikt wie Amtskirchen, aber weniger geschlossen als Sekten waren und zu einem starken religiösen Pluralismus in den USA beitrugen, dem sich selbst die katholische Kirche unterwerfen musste. Dieser war einzigartig in der westlichen Welt.
Er basierte im 19. Jahrhundert auf einem immer stärker werdenden Nationalstaat, in dem die ersten modernen Parteien große Anhängerschaften mobilisierten und sich zum Massenparteien entwickelten. Dies sieht Eisenstadt als erste politische Stütze der amerikanischen Moderne. Die zweite besteht in der großen Rolle und der starken institutionellen Ausdifferenzierung des Rechtsystems. Die Grundrechte wurden von allen politischen Seiten als unglaublich wichtig definiert, von Links als Gestaltungs-, von rechts als Abwehrrechte gegen den Staat. Daran änderte auch der tiefe Konflikt über die Sklaverei nichts.
All dies rief zahlreiche Protestbewegungen hervor, die beispielsweise jene Sklaverei kritisierten, andererseits aber auch einen überbordenden Individualismus und Egoismus, ein Dauerthema amerikanischer Protestkultur. Ein weiteres solches Dauerthema war die durch Konzentration von Macht und Reichtum erzielte Ungleichheit. Gleichwohl stellt Eisenstadt fest, dass letzteres Thema immer sehr ambivalent auftrat, weil großer Reichtum und Ungleichheit nie per se abgelehnt, sondern stets nur in ihren Exzessen bekämpft wurden. Die amerikanischen Protestbewegungen teilten somit die kulturellen Prämissen ihres Landes. In dem einen Fall, in dem sie dies nicht taten, löste dies einen erbitterten Bürgerkrieg aus.
Der dritte Abschnitt nimmt als zweite große Vergleichsstudie das moderne Japan heran. Eisenstadt betrachtet es als das andere Extrem gegenüber den USA. Japan war das einzige Land mit einem eigenständigen Pfad in die Moderne im 19. Jahrhundert, das keine Achsenkultur war oder einer entstammte. Die größte Gemeinsamkeit Japans mit den USA sieht Eisenstadt in der Reichhaltigkeit der Protestkulturen, die die Prämissen des Zentrums gleichzeitig nicht infrage stellten. So gab es zwar zahlreiche Protestbewegungen für eine stärkere Liberalisierung der verkrusteten Institutionen oder mehr für Arbeiter*innenrechte (die einen Sozialismus in Japan zumindest möglich erscheinen ließen), während dem 20. Jahrhundert Frauen-, Umwelt- und andere Protestbewegungen auftraten.
Eisenstadt konstatiert eine Serie des Scheiterns sämtlicher Protestbewegungen, vor allem der sozialistischen, politische Räume nachhaltig umzugestalten und in sie einzudringen. Die Dauerherrschaft der liberalen LDP stellt dem ein eindrucksvolles Zeugnis aus. Stattdessen seien die Erfolge dieser Protestbewegungen auf der Schaffung sozialer und kultureller Räume zu suchen. Dadurch entstand eine politische Protestdynamik, die sich deutlich von europäischen Verhältnissen unterschied und eben nicht auf eine Umgestaltung des Zentrums oder der Grenzen des Kollektivs zielte. Dies lag anders als in den USA laut Eisenstadt allerdings am Fehlen starker utopischer Orientierungen.
Stattdessen dominierten sowohl in der Politik als auch in der ihr entgegengesetzten Protestkultur Netzwerke. Diese überlagerten sich wechselseitig, wodurch die Politik die Anliegen der Protestbewegung häufig bereits aufnahm, bevor diese sich weitreichend artikulieren konnten. Dies wird von Forscher*innen als „formierter Pluralismus“ bezeichnet und führte zu einem vergleichsweise schwachen Staat, der nicht kommentiert, sondern auf ständiger Beratung mit verschiedenen Gruppen beruht und in dem beratende Gremien eine entscheidende Rolle spielen. Somit konnten die Protestgruppen im Kleinen viel verändern, im Großen allerdings niemals mächtigen Einfluss erreichen. Das erhielt die Netzwerke und die hierarchischen Problemlösungsstrategien.
Ein anderes japanisches Merkmal, die Bedeutung der Neuen Religionen, passt hier ebenso ins Bild, weil ihnen jegliche utopische Orientierung abging. Sie fügten sich in einen großen nationalen Konsens ein, der, und das ist die Kehrseite, sehr leicht zur Ausgrenzung von Gruppen aus der nationalen Gemeinschaft führte. Ähnlich wie in den USA herrsche auch in Japan eine "Disharmonieverheißung", die allerdings eine andere Art der Konfrontation mit dem Zentrum hervorbrachte.
Um diese zu erklären, geht Eisenstadt in die Zeit der Meiji-Restauration im 19. Jahrhundert zurück. Dieser Prozess begann in der Bürokratie und der Oligarchie, die quasi die Basis der Meiji-Gesellschaft formten. Relativ schnell allerdings wurden weitere Gruppen, wenngleich ohne volle politische Rechte, in den Prozess einbezogen. Das neue Regime erfand eine komplett neue Ethik der Loyalität zum Staatswesen, das zwar auf bestehenden Systemen aufbaute, diese aber mit konfuzianischer Ethik übergoss und für seine eigenen Zwecke anpasste. Das Resultat war ein künstliches, neu geschaffenes Ethiksystem, das sich allerdings dadurch legitimierte, dass es behauptete, sich aus einer jahrtausendealten Geschichte abzuleiten, quasi eine Rückkehr zu den Wurzeln.
Dies wurde mit neuen bürgerlichen Tugenden wie Patriotismus Gehorsam gegenüber den allgemeinen Gesetzen und ähnlichem kombiniert. Diese neuen Werte wurden durch einen „Schulmeister“-Staat der Bevölkerung vermittelt, in einem stark hierarchischen System. Im Zentrum des Ganzen stand der Kaiser, der in einer merkwürdig ambivalenten Rolle war: einerseits war er ein ewiges, auf Jahrtausenden der Tradition beruhendes Wesen, andererseits hing seine Autorität in einem gewissen Grad vom Volke ab und leitete sich aus seiner Popularität her. Die liberale Verfassung war dadurch ein Geschenk des Kaisers an sein Volk, das allerdings den Kaiser selbst teilweise entmachtete.
In diesem Zusammenhang erklärt Eisenstadt einen zentralen Unterschied zwischen der nationalen und der politischen Struktur. Die nationale Struktur (kokutai) ist sakrosankt und ideologisch überhöht, die politische Struktur (seitai) profan und gegenüber Kritik und alltäglichen Wirken offen. Der Kaiser selbst repräsentierte dabei die nationale Struktur, war aber den Buchstaben der Verfassung nach die wichtigste Figur in der politischen Struktur. Diese merkwürdige Ambivalenz prägte die japanische Struktur bis zum Zweiten Weltkrieg und spielt selbst heute noch eine wichtige Rolle.
Diese Ideologie – oder, in den Worten Eisenstadts, Ziviltheologie - war grundsätzlich staatsfern, als dass sie sich in der Nationsidee ausdrückte. Sie schaffte überhaupt erst den modernen Japaner. Diese nationalstaatliche Identität, ausgebildet in einer Zivilreligion, kennen wir auch aus Frankreich oder der Sowjetunion; in Japan allerdings geht sie wesentlich stärker von einem Kollektiv aus, dass sich Nationalstaatlich ausdrückt und legitimiert. Die überbordende Kaisersymbolik bildete hier die verbindende Klammer.
Dadurch entstand paradoxerweise die Situation, dass der Kaiser außerhalb des Staats stand und die Gesamtheit der Nation, nicht aber das Staatswesen repräsentierte. Er repräsentierte also den Willen der Allgemeinheit, während der politische Prozess Partikularinteressen und alltägliche Meinungsstreits abbildete. Eine weitere Folge dieser ideologischen Positionierung war, dass sich die Bürokratie als ein Machtzentrum des Staates entwickeln konnte, das unabhängig von politischen Prozessen war und sich als Verkörperung der Nation betrachten konnte. Dem lag ein großes Misstrauen gegenüber der Politik zugrunde, das mich ziemlich an das deutsche Kaiserreich erinnert.
Die Bürokratie konnte sich so als vom politischen Prozess losgelöst und nur vom Kaiser legitimiert darstellen, was gleichzeitig eine große Betonung von Bildung und Kompetenz innerhalb ihrer Ränge und damit zu einer Aufstiegsmöglichkeit für breitere Schichten sowie einem Ethos von Bildung innerhalb der Elite führte. Das einzige Machtzentrum, das mit der Bürokratie konkurrieren konnte, war die Armee, die ihre Stellung ebenfalls vom direkten Zugang zum Kaiser ableitete.
Das sich entwickelnde kollektive Bewusstsein jener Zeit basierte stark auf der Idee der Einzigartigkeit Japans, eine Nation unter dem Schutz der Gottheiten. Die Japaner definierten sich stets in Abgrenzung anderer Kulturen, vor allem der koreanischen und chinesischen, denen sie zwar ihre eigene Berechtigung zugestanden, denen sie aber entschieden absprachen, selbst die alleinigen Träger jener Werte zu sein, die sie in Japan in einzigartiger Weise verwirklicht sahen. So entstand eine beinahe fanatische Strömung von Nationalismus, der auf der einen Seite die unvergleichliche Einzigartigkeit Japans betonte, auf der anderen Seite aber kein Problem darin sah, in der eigenen Identität die Verkörperung universeller Menschheitswerte zu sehen. Ein zweiter Bestandteil dieser kollektiven Identität war die Höflichkeit, ihren größten Ausdruck in der Treue gegenüber den jeweiligen Herren fand. An der Spitze dieses Treuesystems stand natürlich der Kaiser.
Auffällig im Vergleich zu China ist die Rolle des Konfuzianismus. Dieser führte nie zu einer Identität mit dem Beamtensystem oder dem Staat, sondern befand sich in einer ständigen Diskussion mit dem Buddhismus. Es entstand so keine Klasse konfuzianisch gebildeter Personen wie in China; stattdessen wurde das Bildungsideal auf die Aristokratie übertragen, die sich zu bilden gedachte und dadurch die bürokratische und organisatorische Grundlage des Staates bildete und bilden konnte. Die große Rolle der Familie im japanischen System ging eine Partnerschaft mit dem Buddhismus ein und sorgte für Klüngel politischer Macht, dir auch vererbbar waren. Konfuzianismus und Buddhismus überformten so theologisch die in Japan ohnehin angelegte Treue gegenüber dem Zentrum und der gemeinsamen nationalen Identität und heiligten so die japanische Identität.
Dadurch waren die konfuzianischen und buddhistischen Ideen in Japan nie unabhängig und formten nie eigene Strukturen, sondern waren stets in bestehende Machtverhältnisse eingebettet. Der Versuch von konfuzianischen Gelehrten, Orthodoxien in Japan aufzubauen, scheiterte, was Eisenstadt unter anderem darauf zurückführt, dass Japan eben keine typische Achsenkultur sei.
Als Nächstes wendet sich Eisenstadt den historischen Wurzeln der Meiji-Restauration zu. Sie ähnelt für ihn den klassischen westlichen Revolutionen, weil ein bestehender Herrscher vollständig abgesetzt wird. Gleichzeitig benötigte sie eine Legitimation wegen ihres zutiefst gesellschaftsverändernden Programms. Dieses war seiner Natur nach modern und versuchte Japan für die Moderne bereit zu machen und dem Land einen Rang in der Welt einzuräumen. Die neue Ideologie ich liebe dich betonte deswegen die Gleichheit aller Japaner. Dieser gleichheitsbegriff unterschied sich allerdings vom westlichen und war „funktional egalitär“, indem er es allen ermöglichte, die Pflichten der Samurai zu erfüllen. Theologische und sakrale Elemente fanden dagegen praktisch keinen Einfluss. Stattdessen wurde der Nationalstaat stark ethnisch definiert. Das japanische Kollektiv wurde dabei als unvergleichlich und einzigartig definiert, weil sie meine Veranlagung zum Rassismus gab, 27. Jahrhundert mörderische Folgen haben würde. Stets aber gehörte die Idee, dass das Land mit der Zeit gehen müsse, was Technologien und ähnliche Veränderungen anbelangte, mit zu dieser neuen Ideologie. Mein versuchte, eine Zweckrationalität auf der einen Seite von einer Werttraditionalität auf der anderen Seite zu trennen.
Eine Konsequenz dieser Tendenz war das Zusammenfallen von Staat und Gesellschaft, wobei der Staat als eigentliche Größe eher schwach ist. Seine Regierungen werden eher mit Orchesterdirigenten verglichen, die eine steuernde Funktion einnehmen und über gesellschaftliche Kräfte Einfluss auszuüben versuchen. Deswegen sei auch die Zivilgesellschaft in Japan vergleichsweise schwach entwickelt. Was aus westlicher Sicht ist diese Kombination eines stabilen konstitutionellen und demokratischen Regimes mit einer schwachen Zivilgesellschaft was paradox.
Sowohl Japan als auch die Vereinigten Staaten erkannten von Beginn an die komplette Gleichheit aller Staatsbürger an, zumindest sofern diese in die ethnische Definition passten. Eisenstadt sieht hierin einen wichtigen Grund dafür, dass in keinem der beiden Länder eine sozialistische Bewegung Aussicht auf Erfolg hatte. Während sich in Europa Protestbewegungen auf die Umgestaltung des Zentrums richtete, blieben solche Bestrebungen in Japan schwach und eher auf das Öffnen neuer sozialer Räume beschränkt. Diese Unterschiede sieht Eisenstadt als zentrale Belege für seine These von der Vielfalt der Moderne.
Im vierten Abschnitt wendet er sich nun dem Fundamentalismus als moderner Bewegung gegen die Moderne zu.
Das klassische Beispiel einer von sozialen Bewegungen geschaffenen Variante der Moderne ist für ihn das kommunistische beziehungsweise sowjetisches System das er, wie alle solchen Bewegungen, als jakobinisch bezeichnet. Es bestritt die Hegemonie der westlichen Moderne unter Berufung auf deren eigene Prämissen und sah sich als wahren Erben der Aufklärung. Zahlreiche Revolutionen hätten sich auf die Werte der Aufklärung berufen und sich gegen starke Zentren gerichtet, diese radikal umzugestalten gedachten, auch etwa die säkularen nationalistischen Bewegungen. In vielen Staaten, in denen solche Revolutionen stattfanden, beeinflussten sich Zentrum und Peripherie nur sehr wenig, gab es keine starke Zivilgesellschaft und war die Vorstellung eines gleichen Zugangs zum Zentrum für alle Bevölkerungsteile kaum verbreitet. Wenig überraschend führten sie demnach auch nicht zu größerer Partizipation.
Ein Paradox erkennt Eisenstadt jedoch in den religiösen Fundamentalismen, die scheinbar antimodern waren, aber dennoch Merkmale der Moderne entwickelten. Das kennzeichnende Merkmal seien für sie alle die jakobinischen, totalitären Tendenzen.
Die ersten modernen fundamentalistischen Bewegungen entstanden in den Vereinigten Staaten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihre Wurzeln allerdings fänden sich bereits in den protestantischen Siedlungskolonien. Diese fundamentalistischen Protestanten begannen um die Wende des 20. Jahrhunderts in die Gesellschaft einzusickern und gewannen ab dem Zweiten Weltkrieg zunehmend an Einfluss. Etwa gleichzeitig entwickelte sich ein jüdischer Fundamentalismus, der in Israel ab den 1970er Jahren politischen Einfluss gewann. Er lehnte Israel als Staat grundsätzlich ab und sprach ihm auch die Legitimation ab. Dies liegt an der Berufung auf eine angeblich traditionelle Auslegung des heiligen Textes (ein Muster, das alle fundamentalistischen Bewegungen eint), während der israelische Staat das Judentum grundsätzlich weiterentwickeln und verändern will.
Der islamische Fundamentalismus schließlich, der sicher nicht zufällig zur gleichen Seite entstand, was hat er an den Auseinandersetzungen der islamischen Welt mit dem Westen permanent Anteil und gewann in diesem Rahmen auch an Einfluss, der wie bei seinen christlichen und jüdischen Cousins gegen Ende des 20. Jahrhunderts stark zunahm. Im islamischen Fall entwickelte sich der Fundamentalismus auch stark in der Diaspora der muslimischen Migrantengemeinden.
Auffällig sei bereits an dieser Stelle eine große Heterogenität fundamentalistischer Bewegungen, die sich ständig in Interaktion und im Fluss befänden. An dieser Stelle versucht sich Eisenstadt an einer Synthese: Hauptmerkmale der modernen fundamentalistischen Bewegungen bestünden in ihrer utopischen Ausrichtung und messianischen Erwartungshaltung, in einer klaren, sektiererischen Trennung zwischen Innen und außen und folgend einem klaren Feindbild. Die modernen Aspekte an all diesen fundamentalistischen Bewegungen sind der Gebrauch moderner Kommunikations- und Propagandatechniken so wie ihr Fokus auf Organisation und Disziplin. Zwar werden Teile des aufklärerischen Programms abgestritten, etwa die Betonung von Vernunft und Souveränität, gleichzeitig aber andere Teile, wie partizipatorische, totalitäre und egalitäre (gleichwohl meist auf Männer beschränkt) stark betont. So entsteht eine innere Spannung, weil die fundamentalistischen Bewegungen die bewusste moralische Entscheidung zu Beitritt und Zugehörigkeit zur Bewegung voraussetzen, was einer impliziten Anerkennung der Autonomie menschlichen Willens gleichkommt. Deswegen müssen ständig neue Mitglieder rekrutiert werden. Diese Mobilisierung von Anhängern und der Kampf gegen die Übel der Moderne kennzeichnen zwar viele Bewegungen, würden aber von den fundamentalistischen am stärksten akzentuiert.
Die potenziell totalitären und jakobinischen Komponenten macht Eisenstadt in mehreren Dimensionen aus: zum einen Erstrebten sie alle die Umgestaltung der Gesellschaft und heben dabei den Unterschied zwischen Zentrum und Peripherie auf. Intermediäre Akteure wie Zivilgesellschaften werden abgelehnt. Zum anderen lehnen sie primordiale Elemente der kollektiven Identität ab und überhöhen universalistische Aspekte. Nicht alle fundamentalistischen Bewegungen wollen dabei die Welt umgestalten. Manche protestantischen Fundamentalisten etwa haben als Ziel eher einen Rückzug aus der Welt in eine eigene Enklave. Generell variieren Art und Intensität des politischen Handelns stark und hängen von zahlreichen umgebenden Faktoren ab.
Die Notwendigkeit zur Mobilisierung führt zu einem oft paradoxen Verhältnis zu Frauen. Diese werden als Trägerinnen des fundamentalistischen Regimes oft gebraucht, sind aber gleichzeitig üblicherweise zweitrangig. Solche Regime bedienen sich manchmal moderne Formen wie allgemeiner Wahlen und Parlamenten, Bei denen dann auch zumindest nominell Frauen zugelassen sind. Dieses Spannungsverhältnis findet sich etwa im Iran. Da die fundamentalistischen Regime alle unterschiedliche Einstellungen haben, entstehen oft Konflikte innerhalb der Bewegungen, so etwa im Kampf der iranischen Fundamentalisten gegen die Taliban.
So stellt das Verhältnis zu Innovation auch einen Zankapfel innerhalb aller Bewegungen dar: die meisten lehnen jegliche Veränderung einer selbstverständlich konstruierten Tradition kategorisch ab, dies gilt allerdings nicht für alle. Gleichwohl beziehen sie sich alle auf einen heiligen Text, für den sie die einzig korrekte Interpretation beanspruchen. Auf diese Art und Weise entsteht der Anspruch einer Orthodoxie, der aber in einem paradoxen Verhältnis zu der realen Heterogenität des Fundamentalismus steht.
Eisenstadt sieht es deswegen auch nicht als Paradox an, dass ausgerechnet religiöse fundamentalistische Bewegungen so viele Merkmale der extremsten säkularen modernen Vision, dem Jakobinertum, aufweisen.
Zum Abschluss vergleicht er fundamentalistische und kommunistische Regimes. Was beide Zielen auf eine Umgestaltung der real existierenden Welt und nicht nur und exklusiv auf ein Jenseits. Gleichwohl legitimiert sich der Kommunismus ausschließlich aus der Bevölkerung, die zu repräsentieren seine Eliten behaupten, während der religiöse Fundamentalismus sich immer aus der doppelten Legitimationsquelle von Gott und Bevölkerung speist und seine Eliten immer auch religiös legitimiert, was ihnen zumindest vordergründig mehr Stabilität verleiht. Für das kommunistische Regime bildete dies eine Achillesferse, da er sich permanent in der wirklichen Welt beweisen musste und gegen seine realen Erfolge gemessen werden konnte.
Eine letzte Kategorie fundamentalistische Bewegungen sind die nationalen und nationalistischen, unter ihnen vor allem Faschismus und Nationalsozialismus. Sie lehnten die Moderne und Aufklärung mit Besonderem, geradezu missionarischem Eifer ab, betonten allerdings trotzdem Teile genau diese Aufklärung, vor allem dem Primat der Autonomie des menschlichen Willens. Gleichzeitig lehnten sie die Idee der Vernunft ab. Zum Abschluss wirft er noch einen Blick auf indische Bewegungen.
In einem den Schlussstein bildenden Ausblick auf die Herausforderung pluralistischer Gesellschaften arbeitet er heraus, dass der Aufstieg von Fundamentalismen mit einer Schwächung der westlichen Hegemonie, etwa mit Wirtschaftskrisen in den 1930er und 1970er Jahren stattfand. Das Ende der Konfrontation mit dem Kommunismus habe zudem ebenfalls eine Schwächung des westlichen Modells bedeutet. Als dritte große Herausforderung sieht er die Globalisierung, als Vierte die mit ihr eingehenden Destabilisierungsprozesse. Zuletzt erkennt er eine starke Tendenz zur globalen kulturellen Vereinheitlichung, die bestehende Identitäten und Traditionen zerstöre und so den Weg für neue Radikalismen öffnen. Sechstens gebe es eine Tendenz für technokratische Politik weltweit, die aber gleichzeitig nicht mit den Problemen fertig werde. Die Verlierer dieser Modernisierungsprozesse seien besonders anfällig gegenüber Fundamentalismen.
Die neuen Protestbewegungen des Westens schließlich fielen auf, dass Sie wenig Interesse an einer Umgestaltung des Zentrums und vielmehr an der Eröffnung neuer Sozialräume hätten. Die abschließende Aufstellung von Herausforderungen der pluralistischen Länder ist logischerweise auf dem Stand des Jahres 2000, in dem das Buch veröffentlicht wurde. Eisenstadt beweist hier eine große Weitsichtigkeit, indem er den zunehmenden Islamismus der Türkei, den Aufstieg Chinas und den Fundamentalismus des Iran thematisiert. Die Taliban dagegen waren für ihn vor allem eine Kuriosität, was ein Jahr später deutlich widerlegt werden sollte.
Eisenstadts Werk ist einer dieser Grundlagentexte, der die moderne Auslegung der Geschichtswissenschaft massiv beeinflusst hat. Die Vorstellung der Moderne war nach Veröffentlichung dieser Vorlesung nicht mehr dieselbe. Inzwischen ist die These von der Vielfalt der Moderne genauso sehr Allgemeingut, wie dass nicht alle in den Ersten Weltkrieg hineingeschlittert sind oder dass die These vom deutschen Sonderweg ein Irrtum war. Für mich ist es auch beruflich relevant, weil es einen Grundlagentext für die Umsetzung des neuen Bildungsplans darstellt, der das Thema „Moderne“ als Leitmotiv der Jahrgangsstufe hat. Genauso wie Osterhammel, Doering-Manteuffel und viele weitere zählt er zum Kanon der Werke, auf denen die Ausrichtung des Bildungsplans basiert. Das ist für mich auch insofern relevant, als dass wir erkennen können, mit welchem zeitlichen Abstand Ideen aus der Geschichtswissenschaft in den Geschichtsunterricht einsickern. Allzu oft bleibt das auch der letzte Punkt, denn die Populärwissenschaft und öffentliche Debatte übernehmen das gerne gar nicht.
Eine leichte Lektüre ist das Buch allerdings nicht. Man merkt ihm seine Genese aus einer Vorlesung durchaus an, was nicht nur an der geballten Verwendung teilweise exotischer Fremdwörter und Soziologenslang liegt, sondern auch an der verdichteten Darstellung, die eine hohe Konzentration erfordert. Zudem wird ein großer Grad Vorwissens benötigt, weil Eisenstadt sich nicht eben damit aufhält, die Grundkonzepte zu erläutern, sondern sie schlicht voraussetzt. Wer bereit ist, diese Arbeit auf sich zu nehmen, wird aber mit einem sehr stimulierenden Text belohnt.
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