Mittwoch, 8. November 2023

Was ist mit der Schule los?, Teil 2: Stellungnahme

 

Teil 1 hier.

In Teil 1 nannte ich die Faktoren, die von den verschiedensten Seiten als Gründe für die Schulmisere genannt werden. Einige dieser Gründe schließen sich gegenseitig ein wenig aus, andere sind problemlos komplementär; manche sind eher sekundär, andere ursächlich. Ich will versuchen, meine eigene Einschätzung zu geben, inwieweit das alles zutreffend ist oder auch nicht.

1) Grundschulen

Hier habe ich gleich zu Beginn die wohl unbefriedigendste Antwort: ich habe keine Ahnung. Ich bin kein Grundschullehrer, und von Grundschuldidaktik verstehe ich nur unwesentlich mehr als die Durchschnittsdeutschen, wohl gerade so viel mehr, dass ich mir kein Urteil anmaße. Ich kann nur sagen, dass die "schreib wie du es hörst"-Panik genau das ist: eine Panik. Wenn das überhaupt je so gemacht wurde (was ich nicht sicher weiß) kann ich nur sagen, dass es seit mindestens sechs Jahren - nämlich seit meine eigenen Kids durch das Schulsystem laufen - nicht mehr gemacht wird, und den Aussagen befreundeter Grundschullehrkräfte nach ist das Thema schon lang durch und eigentlich nur noch ein medialer Dauerbrenner. Was auch immer in den Grundschulen läuft, DAS ist es nicht. Denn die im IQB-Test so furchtbar aufgefallenen Jahrgänge hatten diese Didaktik nicht.

Eine Vermutung habe ich aber, weil sich das mit dem deckt, was wir im Gymnasium immer wieder thematisieren: die Grundschulen laufen wesentlich weniger lehrkraftzentriert und haben offenere Strukturen, als dies an den weiterführenden Schulen der Fall ist. Die Primarstufe und die Sekundarstufe I laufen daher wesentlich weniger in Tandem als früher, die Grundschule bereitet schlechter auf die weiterführende Schule vor. Allerdings ist die Schuldzuweisung hier nicht ganz so einfach: man kann genausogut das Argument bringen, dass die weiterführenden Schulen hier Reformen verschlafen haben, die die Grundschulen bereits umgesetzt haben. Wir werden auf diese Idee zurückkommen.

Gleichzeitig steht auch zweifelsfrei fest (da gibt es nun wahrlich genug Tests und Studien), dass die Formalkenntnisse (Rechtschreibung, Grammatik, Grundrechenarten etc.) tatsächlich schlechter sind als noch vor einigen Jahrzehnten. Die andere Seite dieser Medaille - abgesehen von den anderen Faktoren, die ich unten besprechen will - ist aber, dass gleichzeitig andere Fähigkeiten, etwa Ausdrucksfähigkeit, Analysefähigkeit und Kreativität bei Problemlösungen - stärker ausgeprägt sind. Ich habe darüber bereits 2013 geschrieben, wen das interessiert.

2) Migration

Ich halte das für einen ziemlichen No-Brainer. Der Influx von Kindern mit einem Hintergrund von Deutsch als Zweitsprache und oft auch traumatischen Fluchtbiografien muss zwangsläufig zu einem durchschnittlichen Leistungsabfall führen. Das allerdings ist ein statistisches Artefakt; es sagt uns recht wenig über die Qualität des Schulsystems, sondern erklärt allenfalls den Abfall im Durchschnitt. Die Integration dieser Kinder und Jugendlichen ins Schulsystem und die Bekämpfung der Defizite ist ungemein wichtig, erfordert aber zielgerichtete Programme und ist daher ein eher integrations- als bildungspolitisches Problem, auch, weil es der Natur der Sache nach temporär sein müsste.

Wesentlich problematischer sind diejenigen Schüler*innen mit Migrationshintergrund, die aus den so genannten "bildungsfernen" Schichten kommen. Um einen populären Vergleich zu bemühen: die ebenfalls als Geflüchtete ins Land gekommenen "Boat People" in den 1980er Jahren integrierten sich wesentlich besser und überperformten im Schulsystem, und das liegt sicher weder an den Vorkenntnissen der vietnamesischen Landschulen noch an den großen Ähnlichkeiten von Deusch und Vietnamesisch. Es ist gerade in linkeren Kreisen eine schmerzhafte Erkenntnis, aber einige Milieus sind aus kultureller Prägung heraus bildungsfern und bilden ein Präkariat, das seine Defizite nie wieder aufholen werden kann. Das ist sicher zum Teil auch ein soziales Problem (siehe 9)), aber eben nicht primär. Das wird man natürlich auch nicht mit Appellen an die deutsche Leitkultur, dem christlich-konservativ moralisierend erhobenen Zeigefinger oder Strafen lösen, aber sicher auch nicht mit Romantisierung und Ignorieren.

3) Ausstattung

Was soll man dazu noch sagen? Die Ausstattung der deutschen Schulen ist erbärmlich, die Digitalisierung komplett verschlafen worden. Gerade beginnt ein langsames Nachrüsten (viel zu wenig Geld, viel zu bürokratische Prozesse). Nur wenige Bereiche würden so sehr von Entbürokratisierung profitieren wie dieser. Der Mangel an Ausstattung ist jedoch in meinen Augen eher ein Symptom, seine Beseitigung eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung zur Lösung der Probleme. Denn wie wir in 10)) noch diskutieren werden helfen alle iPads dieser Welt nichts, wenn damit derselbe alte Stiefel gefahren wird.

4) Lehrkräftemangel

Auch dieser Faktor läuft wie 3) unter der Überschrift "hilft nicht, ist aber nicht ursächlich". Wir werden das Problem nicht beseitigen können, solange eklatanter Personalmangel herrscht, aber die Wurzel des Problems sitzt viel tiefer und kommt aus einer Zeit, in der eher Lehrkräfteüberschuss herrschte. Es ist eher die falsche Verwendung von Personal, seine Ausbildung, seine Weiterbildung etc., die das eigentliche Problem darstellt. Das lässt sich natürlich nur reformieren, wenn man mehr Personal einstellt, aber wie bei den iPads hilft es wenig, wenn man mehr Mathelehrkräfte einstellt, die dann aber den gleichen Mist machen, der die Misere überhaupt erst produziert hat. Dieser Fachkräftemangel ist übrigens nicht auf Schulen beschränkt; in den Kitas ist er noch viel schlimmer, und wenn man die Bedeutung frühkindlicher Bildung bedenkt - besonders angesichts der höheren Erwerbsquoten - ist das auch ein völlig unterschätzter Faktor der ganzen Misere.

5) Verkrustete Strukturen

Ich habe kein Problem mit dem Beamtenstatus für Lehrkräfte (surprise!), ich sehe das Problem eher bei den umgebenden Strukturen. Die Schulleitungen haben viel zu wenig Entscheidungskompetenzen und viel zu wenig Spielräume. Gleiches gilt für die Lehrkräfte selbst. Die zentralen Vorgaben aus den Kultusministerien, die inzwischen ohnehin über die Kultusminister*innenkonferenz in vielen Bundesländern im Konsens geschlossen und damit zwar nicht bundesweit, aber doch zumindest über große Teile des Landes gültig sind und auf Jahre hinaus binden (und wegen genau dieses Konsens' den kleinsten gemeinsamen Nenner befördern und Reformen verunmöglichen, die EU lässt grüßen), engen alle Beteiligten ein, ersticken jede Eigeninitiative (die auch Beamt*innen durchaus haben können, wenn man sie denn ließe!) und erleichtern das tödliche "haben wir schon immer so gemacht", das der Feind jeder Problemlösungsstrategie ist.

Das betrifft auch die Ausbildungs- und Einstellungsprozesse, die mittlerweile maßgeblich zum Lehrkräftemangel beitragen. Die völlig willkürlichen und intransparenten Prozesse bei der Ausbildung und Einstellung sind im besten Fall ungeheuer frustrierend und im schlimmsten Fall karrierebeendend, während umgekehrt die Schulleitungen nur wenig Einfluss darauf haben, für welches Personal sie überhaupt ausschreiben und wen sie einstellen dürfen. Ein Artikel mit der Überschrift „Ein echter Paradigmenwechsel“: Weil die Länder keine Lehrkräfte mehr finden, bekommen Schulen nun – Geld zeigt bereits deutlich, wo das Problem hängt: den Schulen die Mittel für die Einstellungen selbst zu geben, anstatt sie einer überbordenden Bürokratie zu überlassen, die zudem viel zu wenig Personal hat (ja, das ist ein innerer Widerspruch, der nicht eben hilfreich ist), wäre ein Schritt in die richtige Richtung, vorausgesetzt, die Schulen dürfen dann auch die entsprechenden Verwaltungsstrukturen aufbauen.

Gleiches gilt dann für den Umgang mit schlechten Lehrkräften. Der Umgang mit schlechten Lehrkräften bleibt, wie man in diesem Podcast von SWR2 Wissen nachhören kann,  ein ungelöstes Problem. Das liegt übrigens auch nicht am Beamt*innenstatus; die Natur des Schuljahres macht Einstellungen abseits der Sommerferien sehr schwer, weil der Bewerber*innenmarkt logischerweise immer für einen Elfmonatszeitraum gebunden ist. Unterrichtsentbindungen unter dem Schuljahr sind fast unmöglich; dazu kommt der Lehrkräftemangel, der es aktuell auch verunmöglicht, angestellte Lehrkräfte loszuwerden. Eine Lösung für dieses Problem steht noch aus. Aber: schlechte Lehrkräfte gab es schon immer, und in keinem Unternehmen arbeiten nur Spitzenperformer*innen. Diese Leute sind schädlich, aber nicht ursächlich für die aktuelle Krise.

6) Covid

Die Folgen der Pandemie sind merkwürdig unterschätzt und unterdiskutiert. Während ihrer Dauer gab es zahlreiche Diskussionen über die Effekte auf Kinder und Jugendliche und ihre Schulleistungen, aber seit dem offiziellen Ende der Pandemie spielt sie keine Rolle mehr, als wolle man sie verdrängen. Dieser Effekt erstreckt sich auch auf die Schule. Aber es ist mittlerweile ziemlich Konsens, dass die Pandemie negative Auswirkungen hatte, aus drei Gründen. Die Schulschließungen haben sich als Fehler herausgestellt, weil der Fernunterricht in zu vielen Fällen schlecht war und den Präsenzunterricht nicht ersetzen konnte; nicht, weil Fernunterricht generell nichts taugen würde, sondern weil die Didaktik aus dem Präsenzunterricht (die, wir in 10) noch sehen werden, ohnehin problematisch ist) häufig 1:1 übertragen wurde. Das traurige Resultat ist dann, dass viele Leute die Schlussfolgerung zogen, dass Fernunterricht (oder noch allgemeiner digitale Methoden) nichts taugen würden, was allerdings falsch ist und die verbundenen Probleme eher verschärft.

Die Schließungen und Einschränkungen schlugen allerdings hart auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen durch, denen in ihrer formativen Phase die Sozialkontakte wegbrachen. Ohne diese Entwicklungsschritte aber tun sie sich im Klassenraum und auch beim Arbeiten zuhause schwerer. Diese methodischen und sozialen Lücken sind gegenüber den auch vorhandenen inhaltlichen Lücken viel schwerwiegender und haben Kaskadeneffekte auf folgende Jahre. Die gute Nachricht hier ist, dass in neun bis elf Jahren das Problem aus dem Bildungssystem herausgewachsen sein wird - bis zur nächsten Pandemie, in die wir wieder ohne jedes Konzept, aber mit einer Menge Ressentiments hineinschlittern werden.

7) Verweichlichung

Es gehört zu den häufig geäußerten Kritiken, dass die Schüler*innen heute weniger leistungsbereit, leistungsfähig und resilient seien, als dies früher noch der Fall war. Ich halte das grundsätzlich für zutreffend. Damit bildet die Schule einen generellen Trend in unserer Gesellschaft nach, der zu mehr Wertschätzung, Teilhabe und Kooperation läuft. Beides bedingt einander. Die Schule heute ist offener und weniger normiert, als dies früher der Fall war, was Einheitlichkeit in abgefragten Leistungen etc. wenn nicht unmöglich macht, so zumindest doch deutlich erschwert. Aufgaben, deren Zweck vor allem das Einüben von Arbeitsabläufen war - Auswendiglernen von Gedichten, um mal einen Klassiker zu nennen - sind gegenüber komplexeren, fordernderen Formaten in den Hintergrund gedrängt worden. Entsprechend ist die Fähigkeit, längerfristig an monotonen Aufgaben zu arbeiten, schwächer ausgeprägt als früher.

Dasselbe gilt für den Bereich "Disziplin": Die Öffnung des Systems und die Betonung von Teilhabe und Partizipation führten zusammen mit dem gesamtgesellschaftlich deutlich geschwundenen automatischen Respekt für Autoritätspersonen dazu, dass klassische Disziplin - leises Stillsitzen über längere Perioden, das man nicht mit Aufmerksamkeit oder Arbeit verwechseln darf - deutlich weniger gefragt ist und sich wesentlich weniger durchsetzen lässt als früher. Rügen und Strafmaßnahmen durch Lehrkräfte werden viel mehr hinterfragt und kritisiert (besonders von Elternseite!).

Das führt auch zum berühmten Thema "Helikoptereltern": ein immer noch weithin unterschätzter Aspekt ist das Sichern der Kinder und Jugendlichen durch ihre Eltern. Bekommen sie wegen Fehlverhaltens einen Eintrag, haben sie eine schlechte Note oder müssen zum Nachsitzen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass mindestens eine kritische Nachfrage, oft aber auch harsche Kritik bis zu offener Verweigerung folgen. Nur eine Anekdote zum Thema: vor einigen Jahren verteilte ich einen Nachsitzentermin, zu dem die Schülerin nicht erschien. Entsprechend verdoppelte ich ihn als Sanktion. Ich hatte bald einen wütenden Vater am Telefon, der mich gerade anbrüllte, ich habe nicht über die Freizeit seiner Tochter zu entscheiden. Disziplin ohne die Kooperation der Eltern auf punitivem Weg durchzuführen ist aber unmöglich.

Zuletzt sei noch auf den Wettbewerbsgedanken eingegangen, der üblicherweise mit dem Sportunterricht verknüpft wird. Die Debatte um die Bundesjugendspiele steht glaube ich stellvertretend dafür. Zur Erinnerung: der Streit drehte sich um die Abschaffung der bisherigen Sieger- und Ehrenurkunden zugunsten eines Fokus auf dem Wettkampf der Klassen untereinander und generell der Bewegung (auch wenn letzterer Aspekt gerne zugunsten dem Pflegen von Ressentiments vernachlässigt wurde). Die Idee, die auch auf den Sportunterricht übertragen wird, ist eine Schwächung des Wettbewerbsgedankens. Ich sehe das durchaus, halte den Sportunterricht damit aber für eher verspätet dran: die Idee, dass im Rahmen des Unterrichts Wettkämpfe ausgetragen werden, finde ich ziemlich daneben. Solche Wettkämpfe prüfen gerade im Sport effektiv nur bereits vorhandene Fähigkeiten ab. Es ist wesentlich sinnvoller, freiwillige Wettbewerbe unter Interessierten durchzuführen. Von denen gibt es übrigens auch massenhaft: vom Schüler*innenwettbewerg Mathematik zu Jugend debattiert zu einer Myriade verschiedener Sportwettkämpfe auf Landes- und Bundesebene mangelt es daran nicht. Ich halte das daher für eine Schimäre und ein Relikt eines völlig verqueren Verständnisses dessen, was Prüfungen und Noten leisten sollen und begrüße diese Abschaffungen.

8) Diversifizierung

Die prominent von Stephen Anpalagan und Aladin El-Mafaalani (hier im Thread auf Bluesky und im Interview erklärte) vertretene These von einer größeren Diversität der Schüler*innen scheint mir schwer von der Hand zu weisen. Allein durch die Migrationswellen der letzten Jahre hat sich die Diversität innerhalb dieser Gruppen deutlich vergrößert; die Zeiten, in denen "Migrationshintergrund" letztlich ein Code für "türkisch" war, sind lange vorbei. Dementsprechend funktioniert das auf der Annahme der Homogenität der Schüler*innengruppen basierende System immer schlechter. Gleiches gilt für deutlich breitere Konzeptionen von Geschlechterrollen oder von Sexualität, die alle ihre spezifischen Zugänge und Herausforderungen mit sich bringen.

Ebenfalls auffällig ist die starke Zunahme psychischer Probleme in der Schüler*innenschaft. Ein Teil davon ist auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, die zu einem drastischen Anstieg von Depressionen und anderen Problemen geführt hat. Wenig überraschend ist die Selbsteinschätzung der psychischen Gesundheit der Schüler*innen auch deutlich nach unten gegangen; wie dieser Podcast zu Problemen in der Schule von SWR2 Wissen zeigt, haben wir auch empirisch feststellbar eine deutliche Zunahme an solchen Problemen.

Ich bin mir immer etwas unsicher, wie viel davon vor allem eine stärkere Sichtbarkeit ist. Haben wir mehr depressive Schüler*innen, oder diagnostizieren wir entsprechende Krankheitsbilder besser? Haben mehr Kinder als früher eine Lese-Rechtschreib-Schwäche, oder diagnostizieren und behandeln wir diese nun nur mehr und besser? Ich gehe davon aus, dass es sowohl zu einer Zunahme psychischer Probleme und Schwächen kam als auch zu einer wesentlich besseren Diagnostik, mit einem Schwerpunkt auf Letzterem. Ich habe allerdings keinerlei Expertise dafür, woher diese Zunahme kommt. So oder so aber erfordert die Behandlung solcher Probleme mehr Ressourcen als früher, die logischerweise nicht für andere Zwecke zur Verfügung stehen.

9) Soziale Stratifizierung

Ein Dauerbrenner seit PISA 2000 ist die Feststellung, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland massive Effekte auf den Bildungserfolg hat. Daran hat sich beschämenderweise immer noch nichts geändert. Liest man etwa diesen absolut erschütternden Bericht eines Quereinsteigers an der Brennpunktschule, bekommt man ein Gefühl dafür, mit was da zu kämpfen ist. In solchen Momenten falle ich vor Dankbarkeit auf die Knie, ein Mittelschichtenklientel im Speckgürtel Stuttgarts unterrichten zu dürfen. Ich weiß gar nicht, was man hier noch groß kommentieren soll. Die Probleme sind sattsam bekannt, ihre Effekte hinreichend erforscht; eigentlich besteht Konsens.

Vielleicht so viel: der von Thorsten genannte Aspekt ("Grob vereinfacht - Kinder aus Bildungshaushalten beginnen die Grundschule mit einem Wortschatz von 5.000, Kinder aus entgegengesetzten Haushalten mit einem Wortschatz von 1.500 Worten. Game over, bevor es begonnen hat - das Kernproblem der deutschen Bildungsmisere liegt im Kindergartenalter") wird in der Diskussion gerne übersehen, weil die Betrachtung der Bildungserfolge gerne erst in der Grundschule (beziehungsweise ihrem Ende) liegt und die frükindliche Bildung ausblendet, obwohl auch hier mittlerweile eine erkleckliche Zahl Studien mit hinreichender Kraft belegt hat, dass hier Weichen gestellt werden.

Die gute Nachricht ist, dass die frühkindliche Bildung massiv aufholt. Nicht nur wurden die Anforderungen für den Erzieher*innenberuf massiv nach oben geschraubt und ein System frükindlicher Didaktik installiert, das noch zu meiner Kindergartenzeit völlig undenkbar gewesen wäre und Lichtjahre von der Qualität von vor 30 Jahren entfernt ist. Auch die Bezahlung wurde deutlich verbessert. Gleichwohl sorgten unabhängig davon gesellschaftliche Trends für einen massiv gestiegenen Bedarf, der nicht gedeckt werden kann, weswegen überall Fachkräftemangel herrscht und mit Quereinstiegen und Schnellbleichen die schlimmsten Lücken aufgefüllt werden müssen. Hier ist noch viel zu tun. Zudem wurde die Arbeit der Erzieher*innen sowohl durch die veränderten Eltern als auch die in 8) genannte Diversifizierung und die in 2) genannten Migrationshintergründe erschwert, was einen Teil der Gewinne auffrisst.

10) Veraltete Methoden

Ironischerweise liegt glaube ich gerade in dieser Kritik einer der Gründe für den in 1) so häufig beklagten Paradigmenwechsel in der Grundschuldidaktik; die ist von allen Schularten am weitesten auf dem Weg zu den sonst so gelobten skandinavischen Verhältnissen; es ist die Anknüpfung an die weiterführenden Schulen, die als Dinosaurier und Anker wirken, die hier das eigentlich viel größere Problem darstellt. Was meine ich damit? Wir wissen eigentlich aus der Unterrichtsforschung, dass das deutsche Standardmodell homogenen, lehrkraftzentrierten Unterrichts nicht besonders gut ist. Die Grundschulen diversifizieren am meisten, entfernen sich am meisten von diesen veralteten Modellen. Da die Kinder aber danach auf Schulformen gehen, die daran nicht anknüpfen, sondern vielmehr immer noch am Alten festhalten, sind die in der Grundschule erlernten Methoden und Arbeitsformen häufig nicht kompatibel mit der Arbeit an weiterführenden Schulen, die zu allem Überfluss auch noch in arrogantem Standesdünkel der Ansicht sind, ihr Weg sei der Bessere und man müsse deswegen den Kindern "die Flausen austreiben". So arbeiten die Primar- und Sekundarstufe gegen- statt miteinander.

Auch ansonsten fällt der Unterricht durch eine vergleichsweise verkrustete Struktur auf. So etwa sind Schulbücher immer noch der Goldstandard des Unterrichtsmaterials, obwohl sie teuer und homogenisierend sind (siehe auch: Fremdsprachen-Unterricht ohne Schulbuch? Geht besser, als so mancher denkt). Immer noch ist Unterricht wesentlich zu lehrkraftzentriert, fächergebunden, methodisch rückständig und so weiter. Die Vermittlung von Stoff (oder besser, die Simulation seiner Vermittlung) nehmen viel zu großen Raum ein, und so weiter.

Soweit meine Stellungnahme zu den häufigsten Ursachen, die die öffentliche Debatte dominieren. Es gibt aber auch Punkte, die in dieser Debatte praktisch nicht vorkommen - und, was beinahe noch wichtiger ist, auch gute Nachrichten.

Weiter geht's in Teil 3.

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