In der SZ ist ein Interview mit Oettinger zum Thema Mindestlohn erschienen. Oettinger redet dabei so einen Unsinn zusammen, dass es zumindest in Ausschnitten kommentiert sein will. Zuerst lässt er sich allgemein über den Post-Mindestlohn aus, plappert wie ein dressierter Papagei die Phrasen von Springer, PIN und TNT nach: Wettbewerb werde verhindert, und Wettbewerb ist toll. Außerdem würden ja Arbeitsplätze vernichtet (was eine unhaltbare Aussage ist). Interessant wird erst der zweite Teil des Interviews:
Der Rest dieses Absatzes ist dagegen schlicht und ergreifend Unsinn: Vernichtung und Verlagerung von Arbeitsplätzen entsteht durch Mindestlöhne nicht, das ist praktisch bewiesen, nicht nur durch die aktuelle Studie, sondern auch durch das Beispiel zahlreicher Nachbarländer oder auch der USA. Wachsende Automation ist keine Lohnfrage. Es ist eine Frage der Innovation und gehört zur Wirtschaft seit spätestens der Industriellen Revolution. Dadurch wird es nur zu einem weiteren, bedrohlich wirkenden Satzbaustein in Oettingers Untergangsszenario. Die Schattenwirtschaft schließlich bringt wieder ein reales Problem auf. Auch hier ist der Zusammenhang mit den Mindestlöhnen allerdings oberflächlich. Viele Unternehmen könnten mit Schattenwirtschaft kaum operieren, sie bliebe ein gefährliches Phänomen der Randbereiche der Ökonomie, besonders des vielgepriesenen Dienstleistungssektors. Hier allerdings muss die Politik durch Kontrolle und Bestrafung ansetzen. Die Probleme der unterbezahlten Schattenwirtschaft hat schon Wallraff in den 1980er Jahren beschrieben; daran ändert auch ein Mindestlohn nichts.
sueddeutsche.de: Sie [Merkel] hat aber deutlich die Löhne der Zeitarbeitsbranche im Fokus.Die Zahl der Zeitarbeiter, die tatsächlich fest übernommen werden, lässt sich an wenigen Händen abzählen. Die Unternehmen sehen in Zeitarbeitern schließlich kein Reservoir, aus dem dann die talentiertesten ausgewählt werden, um sie mit einer Festanstellung zu beglücken - sie sind eine beliebig austauschbare, schnell anwerb- und kündbare Truppe für Zeiten der Spitzenproduktion. Zeitarbeit vernichtet reguläre sozialversicherungspflichtige Jobs, sie schafft sie nicht.
Günther Oettinger: Ich halte die Zeitarbeit in keinem Fall geeignet für einen Mindestlohn. Die Zeitarbeit muss ein Instrument bleiben, mit dem Arbeitslose in Beschäftigung kommen und mit dem Zeitarbeiter eine Chance auf Festübernahme in dem Betrieb bekommen, in dem sie eingesetzt werden. Für mich wäre die Zeitarbeit die Branche, bei der ich massiv gegen einen Mindestlohn eintreten würde.
sueddeutsche.de: Es gibt auch Unionspolitiker die sagen, es könne nicht sein, dass etwa in einzelnen Industriekonzernen 40 Prozent der Mitarbeiter Zeitarbeiter sind.Jetzt kommt die Oettinger-Taktik, er wiederholt sie mehrfach. Zeitarbeit ist toll, weil sie niedrigqualifizierte zu Dumpinglöhnen in Arbeit bringt, was besser sei als Arbeitslosigkeit. So weit, so Meinung. Nun aber fängt Oettinger plötzlich mit dem Fachkräftemangel an. Natürlich gibt es keine Fachkraftleiharbeiter, das hat ja damit auch gar nichts zu tun! Aber durch diese Bemerkung hat er geschickt von dem Skandal der 40% abgelenkt.
Günther Oettinger: Wichtige Branchen der industriellen Fertigung wie der Fahrzeugbau haben einen großen Mangel an Fachkräften. Da finden Sie gar keine geeigneten Zeitarbeiter. Dort mache ich mir nicht die Sorgen.
sueddeutsche.de: Was ist dann Ihre Sorge?Natürlich wird die Zeitarbeit überflüssig, wenn der "viel zu starre" Kündigungsschutz aufgelöst wird. Dann gibt es nämlich praktisch nur noch Zeitarbeit, und spezialisierte Unternehmen wären überflüssig. Da würden sich Adecco und Clement aber freuen! Wie üblich propagiert Oettinger hier einfach einen gewaltigen Arbeitsplatzschub durch die Lockerung des Kündigungsschutzes, der aber jeder Grundlage entbehrt - inzwischen auch wissenschaftlich bewiesen, was aber einen Oettinger nicht stören muss.
Günther Oettinger: Die Zeitarbeit ist im heutigen Ausmaß nur durch den unflexiblen Kündigungsschutz möglich geworden. Wer also beim Kündigungsschutz nicht flexibler wird, der wird die Zeitarbeit nicht stoppen können. Insoweit ist die Zeitarbeit ein Ventil auf einem zu starren Arbeitsmarkt, das wir genau deshalb dringend brauchen.
sueddeutsche.de: Sie haben sich auf dem Parteitag sehr engagiert gegen den Mindestlohn geäußert. Woran liegt es, dass Sie da kaum Unterstützer an Ihrer Seite hatten?Jetzt kommt zum ersten Mal etwas Substanz in Oettingers Rede. Denn die Argumentationsproblematik besteht durchaus, da hat er Recht. Sie speist sich aber auch aus der moralischen Unterlegenheit der Mindestlohngegner.
Günther Oettinger: Ich bekomme von vielen Delegierten Zustimmung. Aber die Mindestlohnfrage ist rechtlich und ökonomisch eine schwierige Angelegenheit. Im Wahlkampf ist es wirklich schön, einen Mindestlohn zu fordern. Und für den, der einen Arbeitsplatz hat, bringt das Sicherheit und Lohnsteigerung.
Aber die mittelfristigen Wirkungen für den Arbeitsmarkt und die Volkswirtschaft werden kaum gesehen, nämlich die Vernichtung und Verlagerung von Arbeitsplätzen, die zunehmende Automation, wachsende Schattenwirtschaft. Wenn wir Mindestlöhne differenziert und distanziert sehen, dann, das gestehe ich zu, haben wir ein Problem in der Argumentation: Man braucht einen Satz, um für Mindestlohn zu sein. Man braucht aber zehn Sätze, um dagegen zu argumentieren.
Der Rest dieses Absatzes ist dagegen schlicht und ergreifend Unsinn: Vernichtung und Verlagerung von Arbeitsplätzen entsteht durch Mindestlöhne nicht, das ist praktisch bewiesen, nicht nur durch die aktuelle Studie, sondern auch durch das Beispiel zahlreicher Nachbarländer oder auch der USA. Wachsende Automation ist keine Lohnfrage. Es ist eine Frage der Innovation und gehört zur Wirtschaft seit spätestens der Industriellen Revolution. Dadurch wird es nur zu einem weiteren, bedrohlich wirkenden Satzbaustein in Oettingers Untergangsszenario. Die Schattenwirtschaft schließlich bringt wieder ein reales Problem auf. Auch hier ist der Zusammenhang mit den Mindestlöhnen allerdings oberflächlich. Viele Unternehmen könnten mit Schattenwirtschaft kaum operieren, sie bliebe ein gefährliches Phänomen der Randbereiche der Ökonomie, besonders des vielgepriesenen Dienstleistungssektors. Hier allerdings muss die Politik durch Kontrolle und Bestrafung ansetzen. Die Probleme der unterbezahlten Schattenwirtschaft hat schon Wallraff in den 1980er Jahren beschrieben; daran ändert auch ein Mindestlohn nichts.
sueddeutsche.de: Sie lehnen also Mindestlöhne generell und auf ganzer Linie ab?Dieser Absatz ist wichtig für den folgenden, widerlegt wurde die Argumentation oft genug.
Günther Oettinger: Mindestlohn führt ganz rasch dazu, dass wichtige Beschäftigungsverhältnisse gar nicht mehr entstehen. Der Langzeitarbeitslose, der Schulabbrecher oder derjenige ohne Berufsausbildung wird kaum noch in den Arbeitsmarkt zu integrieren sein. Wir haben in Deutschland weit über eine Millionen Aufstocker. Diese Menschen hätten gar keine Arbeit, gäbe es nicht die Finanzierung über den Arbeitslohn und einen staatlichen Zuschuss. Der Erfolg der Aufstocker zeigt, dass der Mindestlohn der falsche Weg ist. Ein Mindestlohn von 9,80 sprengt die Regeln der Marktwirtschaft und richtet mehr Schäden an, als dass er Nutzen bringt.
sueddeutsche.de: Das Gegenargument ist, dass die Unternehmen immer niedrigere Löhne zahlen, wenn der Staat den Rest oben drauf legt. Wie wollen Sie das verhindern?Und wieder die Oettinger-Taktik. Der Mindestlohn ist für Fachkräfte überhaupt nicht von Belang, da ihre Löhne ohnehin über dem Mindestniveau liegen (sollten). Der blinde Glaube an die Gesetze des Marktes, den Oettinger hier mit der Unbelehrbarkeit eines Kirchenprälaten der Aufklärung vorträgt, ist schlicht Unsinn. Warum sollte ein Unternehmen sechs Euro zahlen, wenn es auch drei zahlen kann? Für Oettinger als Verfechter des Kombilohns ist die Rechnung klar, der Staat zahlt den Rest drauf, was in diesem Fall gut, beim ALG aber böse ist - dem Weltbild eines Oettinger zufolge zumindest. Die Vermischung von Fachkräften und Unqualifizierten verwirrt Zuhörer häufig, spaltet die Arbeiter (da die "Fachkräfte", von denen Oettinger spricht, nicht genauer spezifiziert werden) und sichert somit seine Position, weil er nicht wirklich angreifbar wird.
Günther Oettinger: Wir werden in den nächsten Jahren einen immer größeren Fachkräftemangel haben. Wenn ein Unternehmen drei Euro bietet, wird es keine Leute finden, weil andere sechs Euro bieten. Aber eben nur sechs Euro, aber nicht zehn Euro, weil sie so viel nicht kalkulieren können. Ich vertraue auf die Regeln des Marktes. Wir können aber gerne darüber reden, was sittenwidrige Löhne sind. Die sind schon jetzt nicht erlaubt. Wir können schon heute dagegen vorgehen, wenn Löhne gezahlt werden, die deutlich von dem nach unten abweichen, was in der Branche üblich ist.
Die Argumentation vieler Politiker und Lobbyisten hört sich seit vielen Jahren für mich eh schon an wie eine Endlosschleife aus sich immer wiederholenden Phrasen.
AntwortenLöschenDass Zeitarbeit Menschen die Rückkehr in die 'regulären' Arbeitsmarkt eröffnet , ist da auch wieder nur eine weitere leere Worthülse. Und über den Unsinn dieser Idee ist ja schon genug geschrieben worden.
Erschreckend finde ich auch , wenn man mittlerweile so Kommentare lesen kann , wie " Die Politik muss sich von dem Gedanken lösen , dass der Lohn zum Überleben reicht"
Fehlt eigentlich nur noch der Zusatz"Sozial ist , was Arbeit schafft"
Na dann gut Nacht...
1. Die Zeitarbeit braucht imho keinen fixen Mindestlohn, sondern einfach nur den Lohn, der an eine fest angestellte Vollzeitarbeitskraft im jeweiligen (einem Mindestlohn unterliegenden) Unternehmen gezahlt wird plus 10%. Und das Verbot, dass ein Leiharbeitsunternehmen auftragsbezogen einstellt, also nicht nur für einen bestimmten Auftrag/ einen einzelnen Auftraggeber. Ergebnis: Leiharbeit zur Produktionsspitzen bleibt kalkulierbar. Leiharbeit als Alternative für Vollzeitangestellte wird unattraktiv.
AntwortenLöschen2. Ihr macht das alles zu kompliziert. Du und der Oettinger. Wir schlagen einfach in der Bibel der sozialen Marktwirtschaft nach, dem Vater von Ludwig Erhard und hauen die dem Oettinger um die Ohren. Alfred Müller-Armack: "Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft". Zitat: "Es ist marktwirtschaftlich durchaus unproblematisch, als sogenannte Ordnungstaxe eine staatliche Mindesthöhe zu normieren, die sich im wesentlichen in der Höhe des Gleichgewichtslohns hält, um willkürliche Einzellohnsenkungen zu vermeiden."
Und auf Seite 93 lesen wir: "[Die Martkwirtschaft] ist nur ein überaus zweckmäßiges Organisationsmittel ... und es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, der Automatik des Marktes die Aufgabe zuzumuten, eine ... soziale Ordnung zu schaffen und die Notwendigkeiten des staatlichen und kulturellen Lebens von sich aus zu berücksichtigen."
Oettinger, 100x abschreiben.^^