Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.
Fundstücke
Die nordrhein-westfälische FDP hatte nämlich vor der Landtagwahl (die sie dann allerdings krachend verlor und aus der Landesregierung flog) erklärt, sie möchte die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung in der Landesverfassung verankern. „Ein Meister muss genauso viel wert sein wie ein Master“, sagte der FDP-Landesparteichef und damalige Jugendminister Joachim Stamp. Vorbild für diese Initiative sei die schweizerische Bundesverfassung. [...] Die FDP wolle aber darüber hinaus gehen und mittlere Bildungsabschlüsse grundsätzlich aufwerten, erläuterte Stamp. [...] „Wir sind bereit, die Ausbildungskapazitäten hochzufahren“, sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. „Das Problem liegt woanders: Unsere Betriebe bieten schon seit Jahren Tausende Ausbildungsplätze und damit Ausbildungschancen an, die aber nicht genutzt werden. Wir brauchen Bewerberinnen und Bewerber dafür. Das ist das Problem. Von daher fordern wie die Politik auf, sich unsere Forderung nach einer Bildungswende zu eigen zu machen.“ Die Crux des Ansinnens: Gesamtgesellschaftlich besteht überhaupt kein Bedarf an einer „Bildungswende“ – unter Akademikern herrscht praktisch Vollbeschäftigung. [...] Vorbild Schweiz? Weil zu wenige Akademiker dort die Hochschulen verlassen, muss das Land entsprechend qualifizierten Nachwuchs – übrigens auch Lehrkräfte – im Ausland anwerben. (News4Teachers)
Grundsätzlich teile ich die Auffassung, dass eine Aufwertung der handwerklichen Berufe einerseits und von Nicht-Abiturabschlüssen andererseits gut ist, aber ich lehne die hier angedachten Mittel ab. Gerade der hier im Artikel besprochene Vergleich mit der Schweiz macht das Problem dieser Ansätze deutlich: ihre Proponenten betrachten die Bildungslandschaft als Nullsummenspiel. Deswegen hätten solche Vorstöße wie hier von der NRW-FDP auch meinen Widerstand, obwohl ich die grundsätzlichen Ziele teile.
Die Idee ist immer dieselbe und gehört in die gleiche Ecke wie diese unsägliche Debatte zum "Niveau" und den Noten: Die Zahl der Abiturient*innen soll reduziert werden, wodurch automatisch die Exklusivität des Abitur steigt und damit eine Aufwertung der anderen Abschlüsse stattfindet (analog zu ihrer vorherigen Abwertung durch die Zunahme der Abitursabschlüsse). Aber das birgt zwei Probleme.
Problem Nummer 1 ist, dass die Politik nicht in der Lage ist, zielgesteuert eine Reduktion zu erreichen. Schließlich wäre die Idee ja, dass diejenigen, für die ein Studium ohnehin nicht das Richtige ist, Abschlüsse wie die Fachhochschulreife oder die Mittlere Reife machen und dann Ausbildungen beginnen. Allein, diese Leute wissen das ja oft selbst nicht, wie also soll die Politik das steuern? Und das führt zu Problem Nummer 2, nämlich dass jede Erhöhung der Exklusivität des Abitur zu einer sozialen Auslese führen wird, in der dann der sozioökonomische Stand der Eltern NOCH mehr über den Bildungsweg entscheidet als das in Deutschland ohnehin der Fall ist. Dieses Problem ist nur in wenigen europäischen Ländern schlimmer als hier - und die Schweiz gehört dazu.
2) The Philosophical And Moral Incoherence of “How Dare You Walk Out Of My Speech”
Mr. Silverglate and Mr. Kennedy seem to embrace just that hubris. Here’s what they say: The lessons taught by this sad tale are sobering. One is that it is apparently acceptable for students to signal their disagreement with a speaker by walking out of an assembly rather than subjecting his or her ideas to the testing that vigorous dialogue allows. What fatuous self-pity. Let us pass, quickly, the embarrassing notion that Mr. Silverglate — Harvard Law professor, ACLU board member, lifelong skilled advocate — is complaining, Ben-Shapiro-like, that Those High School Kids Won’t Debate Me. The students didn’t shout Mr. Silverlake down. They didn’t prevent anyone else from hearing him. They didn’t demand he be censored. They walked out. Walking out is a time-honored method of student protest. It’s historically resonant, evocative, and effective at attracting attention and provoking discussion. It’s a classic form of dissent and protest that’s available to people, like students, with less power in the face of people, like Mr. Silverglate, with more power. Mr. Silverglate knows that. He was a member of the board of the Massachusetts chapter of the ACLU, and the ACLU — including his own chapter — has repeatedly addressed the First Amendment limits on public school punishment of walkouts. [...] One senses that the authors believe their role is to dispense wisdom and the role of the students of Milton Academy is to sit there and take it. (Ken White, The Popehat Report)
Der Text bietet eine sehr gute Kritik eines absoluten Auswuchses der Cancel-Culture-Hysterie (siehe auch Fundstück 8). Wenn Leute mit allen Kommunikationsmöglichkeiten sich selbst als Opfer stilisieren, weil man ihnen nicht zuhören will, dann hat der Begriff einfach jedwede Bedeutung verloren. Dieses "Wolf schreien" ist das eine Problem an dieser Attitüde, abgesehen davon, wie enervierend sie ist. Das andere Thema ist die Mentalität, die hier deutlich wird, nämlich die eines stark hierarchisierten Kommunikationsprozesses. Hier bestätigen diese Leute unwillentlich die Kritik der Progressiven, dass Privilegien und Hierarchien in Frage gestellt werden und dass die ganze Cancel-Culture-Hysterie weitgehend als eine beleidigte Reaktion dieses Einebnungsprozesses verstanden werden muss.
3) Das Ticket zu einer noch größeren sozialen Schieflage
In Wirklichkeit aber wäre eine solche Lösung nicht nur die Kapitulation der Berliner Bildungspolitik vor der selbstverursachten Misere. Es wäre das Ticket zu einer noch größeren sozialen Schieflage – und, vielleicht am schlimmsten, die Normalisierung des Unnormalen. [...] Politisch opportun insofern, weil bei Umsetzung der Stundentafel-Kürzung der politische Druck abnehmen würde, den Lehrermangel mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es liefe ja dann scheinbar wieder runder, man bekäme nicht ständig die fehlenden Stellen vorgehalten, und billiger für den Landeshaushalt wäre eine solche Lösung auch. Die Normalisierung des Unnormalen? Die Wahrheit ist so bitter wie befreiend. Bitter: Es gibt keine schnelle Lösung, die Bildungspolitik wird weiter händeringend nach Quer- und Seiteneinsteigern suchen, so viele Lücken wie möglich stopfen und gleichzeitig den verständlichen Frust von Schülern, Eltern und Lehrkräften spüren. [...] In ein paar Jahren wird sich das Blatt wenden, die Zahl der Junglehrer wird spürbar steigen. Bis dahin heißt es: Finger weg von den Stundentafeln. (Jan-Martin Wiarda)
Ich halte zwar die Stundentafeln generell für überbewertet, also vor allem die Fokussierung auf die Inhalte der Bildungspläne und die vermittelten Inhalte. Aber als Lösung für Lehrkräftemangel ist das mit Sicherheit vor allem ein Offenbarungseid. Was ich so spannend finde: wir haben bereits seit Längerem einen eklatanten Lehrkräftemangel, unterschiedlich je nach Fach und Bundesland. Dabei sind Lehrkräfte angeblich so überbezahlt und haben so bequeme Jobs. Offensichtlich passt da etwas nicht zusammen. Hier ist eine gute Antwort mit Lösungsvorschlägen.
4) Die Energiewende benötigt kein Wunder – sondern 62 Billionen Dollar
Laut den Studienautoren kann in jedem der 145 Länder mit heute existierenden Technologien die Energiewende geschafft werden. Es sind dafür weltweit Investitionen im Wert von 62 Billionen nötig. Was auf den ersten Blick nach einem enormen Betrag aussieht, stellt sich bei genauerer Betrachtung als erstaunlich kostengünstig heraus. Elektrifizierung bedeutet in der Regel eine Effizienzsteigerung. In vielen zentralen Bereichen ist die elektrische Variante ungleich effizienter als ihr Pendant, das mit fossilen Brennstoffen angetrieben wird: bei Motoren, der Heizung (mit Wärmepumpen) und der Industrie zum Beispiel. Ausserdem fallen bei einem rein elektrischen System die Kosten für die Beschaffung und den Transport fossiler Energieträger weg. Alles in allem erwarten die Autoren von einem vollelektrischen System – sie nennen es «WWS» – eine Kostenreduktion von 63 Prozent. Weiter entlastend wirken bei WWS Kostehneinsparungen im Gesundheitswesen aufgrund sauberer Luft und geringere Folgeschäden aufgrund eines gebremsten Klimawandels. Die Autoren kommen so zum Schluss, dass ein vollelektrisches System mit rein erneuerbaren Energien weltweit jährlich Einsparungen von 11 Billionen generiert. Die Investition von 62 Billionen wäre demnach in sechs Jahren amortisiert. (Patrick Toggweiler, Watson.ch)
Es ist natürlich völlig unrealistisch, dass das passiert. Aber für mich zeigt diese Studie vor allem eines: wir könnten die Klimakrise aufhalten, wenn wir wöllten. Aber wir wollen nicht. Es gibt alle möglichen Gründe. Andere Prioritäten, liebgewonnene ideologische Versatzstücke, Befürchtungen von Nebenwirkungen. Manche sind berechtigter als andere, sicherlich, aber letztlich ist es eine kolletive Frage des Wollens. Und daran mangelt es schlichtweg. Das wird sich ändern, wenn die Krise stärker durchschlägt. Nur wird es dann für Viele zu spät sein.
5) Understanding Deplatforming (III): Blurred Lines
In theory and practice, platforms are sowing the seeds of irresolution: not only between standards and rules, but between guidelines and policies, principles and practices, front-end PR and back-end OS. [...] Twitter keeps the casualties of deplatforming in a Kafkian state of darkness, unaware of which rule was violated and, therefore, unaware of which violation to appeal. [...] For mainstream creators, the blurriness of the line poses little existential risk: firstly, because such “repairable lapses” tend to occur along the “slack” at the margins; and secondly, because the potential downsides of deplatforming—blacklisting, suspending, demonetizing, shadowbanning, banning, et cetera—are often weatherable storms, financially speaking. For marginal creators, however, who need to follow the rules so as to rise out or stay out of creator poverty, navigating the various ToS patchworks has become a four-dimensional tightrope: for rules (and repercussions) of deplatforming not only ripple forwards and sideways, but backwards. [...] As loosely-defined ‘best practices’ concretize into ad hoc categories like “Rules and Policies” or “Community Guidelines,” platforms become part of the societal furniture: seamless and seen less. Ambiguity functions as a form of corporate camouflage, which surrounds the infrastructural core in wet cement: always drying, but never dry. [...] For platforms, who would prefer neither the margins nor the masses come to “understand how either law or sausages comes to be made,” deplatforming has become a meal best served silently. In a leaked speech from 2015, however, Dick Costolo, the CEO of Twitter, said the quiet part out loud: “We’re going to start kicking these people off right and left and making sure that when they issue their ridiculous attacks, nobody hears them” [Italics added]. (Dylano, A4 squared)
Ich hab schon vor zehn Jahren gesagt, dass die Sozialen Medien öffentlicher Raum sind und so betrachtet gehören. So zu tun, als wären die Räume, in denen die Menschen mittlerweile mehrere Stunden täglich verbringen, dasselbe wie die Verkaufsfläche von H&M ist einfach absurd. Die ständigen Probleme mit Hetze, Meinungsäußerung, Zensur und so weiter, die in den Sozialen Medien auftreten, können nicht privatwirtschaftlich arbeitenden Strukturen überlassen werden. Dafür sind sie einfach zu wichtig. Wie die obigen Erläuterungen zeigen, ist das Moderationssystem der Unternehmen selbst eine Vollkatastrophe, und das betrifft nur den Westen. Facebook in Myanmar oder Indien etwa ist noch einmal eine ganz andere Dimension.
6) Spanien führt Übergewinnsteuer ein - und finanziert damit kostenlosen ÖPNV
Die „fortschrittliche Regierung“ werde „alles tun, um die Mittelklasse und die Arbeiter in Schutz zu nehmen“, fügte Sánchez hinzu. Pro Jahr werde der Staat so rund zwei Milliarden Euro einnehmen - der Standard kommt mit seiner Rechnung sogar auf 3,5 Milliarden. Demnach wolle Sánchez rund eine Million Schüler:innen und Studierende, die ein Stipendium zwischen 2200 und 2900 Euro bekommen, mit zusätzlichen 100 Euro pro Monat unterstützen. Der ÖPNV wird im Nah- und Regionalverkehr kostenlos sein. Außerdem werden Haushalte entlastet. Es wird eine Obergrenze für Mietsteigerungen geben, die Mehrwertsteuer für Strom sinkt von zehn auf fünf Prozent, Niedrigrenten werden um 15 Prozent angehoben. Auch der Mindestlohn steigt. [...] „Man kann das für bestimmte Sparten festschreiben, etwa für Mineralöl- und Energiekonzerne. Das könnte ich mir vorstellen“. „Am Ende braucht es beides: eine Übergewinnsteuer und die Prüfung des Kartellamtes“, erklärte die Bundesvorsitzende der Grünen. Ob die Ampelkoalition noch eine Einigung findet, ist indes offen. Dafür müsste die FDP von ihrer ablehnenden Haltung abweichen. Das Beispiel Spanien zeigt, dass eine Übergewinnsteuer möglich ist. (Moritz Serif, FR)
Was so alles geht, wenn man nur will. Während in Deutschland unisono behauptet wird, eine Übergewinnsteuer sei völlig unmöglich, beweisen zahlreiche europäischen Länder, dass es sehr wohl möglich ist. Die Erhebung einer solchen Steuer halte ich aus zwei Gründen für zentral. Der erste ist das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Angesichts der zu erwartenden erheblichen Belastungen durch die Gaspreise ist es einfach pervers, gleichzeitig den Unternehmen Steuergeld in den Rachen zu schaufeln und sie die Gewinne alle behalten zu lassen. Das zweite ist, dass es inflationsdämpfend wirkt, weil man dieses Geld dann für die Linderung der Teuerungen einsetzen kann. Auf diese Art nimmt der Staat nicht mehr ein (Lindners große Furcht) und kann die Preise dämpfen - und damit die Inflation. Anstatt das auf FDP-Art mit der Gießkanne und ineffizient zu tun, wäre es wesentlich zielgerichteter möglich.
7) Wie Schlesinger einen Manager kaltstellte
Der rbb bezahlt seit vier Jahren einen Medienmanager, der faktisch freigestellt ist. Bis 31. August 2026 soll der Mann insgesamt mehr als 700.000 Euro erhalten. Davon hat der Sender ihm seit seinem Ausscheiden bereits mehr als 300.000 Euro ausgezahlt. [...] Allerdings leitete sie dem rbb-Rechercheteam – anscheinend aus Versehen – den E-Mail-Verkehr zur internen Abstimmung ihrer Abteilung weiter. Aus diesem geht hervor, dass eine Mitarbeiterin von Lange im Justiziariat damals, also 2018, Bedenken zu einem Compliance-Verfahren geäußert hatte. [...] Offenbar haben die rbb-Intendantin und die Nachfolgerin des abservierten Managers seither Freundschaft geschlossen. Im Juni 2022 machten Kraft und Schlesinger noch gemeinsam Urlaub in Ostafrika. Ein Foto, das die deutsche Botschaft in Ruanda auf Twitter veröffentlichte, zeigt die beiden als Teil einer Reisegruppe, zu der auch Schlesingers Ehemann Gerhard Spörl gehörte. Kurz nach Schlesingers Rückkehr nach Deutschland wurden erste Details über die rbb-Affäre bekannt. Gegenstand der Berichterstattung war auch ein im Oktober 2020 geschlossener Vertrag eines Beraters mit der rbb media, die durch den Abgang des Managers derzeit von der Schlesinger-Vertrauten Edda Kraft geführt wird. (
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Ich will diese Recherche hier vor allem deswegen hervorgeben, weil man sehr gut sehen kann, wie viel besser die Öffentlich-Rechtlichen in objektiver Recherche sind als die Privaten. Man vergleiche nur den Umgang des RBB mit seinen eigenen geschassten Führungsfiguren mit dem des Springerverlags. Die Aufarbeitung kommt hier aus dem betroffenen Haus selbst, im anderen Fall verteidigte es den gestürzten Chefredakteur.
8) Ron DeSantis’s Florida Is Where Free Speech Goes to Die
And while I do not think the rise of post-liberal progressivism represents anything close to the biggest problem facing America, I do believe it is a problem that has anathematized dissent at many elite universities, private schools, media and entertainment organizations, nonprofits, and other progressive spaces. If you have serious concerns about the spread of these illiberal norms and feel tempted to vote Republican as a corrective measure, you should ask yourself a question: Does electing Republicans make this problem better or worse? [...] The Republican Party’s strategy is precisely the opposite. Where Biden seeks to conciliate, the Republicans revel in stoking cultural conflict. The Republican method is the mirror image of the far left’s: to define the terms of the debate as a binary choice between extremes and, thus, to negate the possibility of any moderate position between them. [...] If you listen to even his own account of his agenda, it is clear DeSantis’s method is not to depoliticize the schools but to replace what he sees as left-wing propaganda with right-wing propaganda. [...] DeSantis is perfectly open about his intention to use school instruction to inculcate children in his own partisan conception of the ideological divide. [...] DeSantis has no principled objection to blacklisting, censorship, or propagandistic indoctrination. All he wants is for the whip to be in his own hand. (Jonathan Chait, New York Magazine)
DeSantis' Gesetz heißt das "Anti-Woke-Gesetz". Da wird nicht einmal der Versuch unternommen so zu tun, als würde man nicht mit massiver Staatsgewalt die eigene Ideologie durchsetzen und die gegnerische zensieren. Auffällig ist für mich, dass die Linke anders als die Rechte einen Selbstreinigungsmechanismus besitzt, auch wenn der natürlich nicht übermäßig stark ist. Aber Chait, Yglesias und viele andere sind Beispiele dafür, dass übermäßiger woker Aktivismus auf heftige Kritik trifft, innerhalb des eigenen Lagers. Das ist bei der amerikanischen Rechten nicht-existent.
Chait spricht hier aber letztlich ein echtes Dilemma an. Denn gerade dieser Mangel an einem republikanischen Äquivalent für solche lagerinterne Kritik (eine Situation, die in Deutschland komplett anders ist, man denke an die Merz-Kritik aus dem letzten Vermischten!) sorgt dafür, dass die Kritik innerhalb des linken Lagers diesem einseitig schadet. Jedes Mal, wenn Chait sich gegen die Zustände an amerikanischen Universitäten wendet (was er seit Jahren konsistent tut), stärkt er damit, ob er es will oder nicht, die Rechtsextremisten. Aus diesem Dilemma gibt es keinen Ausweg, und ich glaube dass es eine nicht unerhebliche Rolle bei der Radikalisierung der amerikanischen Linken spielt.
Das klingt ziemlich gewaltig, alternativlos eben. Aber eigentlich ist es schlicht falsch, Habeck weiß das natürlich selbst. Es gäbe andere Wege, die Energiekonzerne zu unterstützen, damit sie wegen der ausfallenden Lieferungen aus Russland nicht pleitegehen. Mit Steuergeld zum Beispiel. Doch die Bundesregierung hat sich dafür entschieden, die Mehrkosten für die Konzerne per Umlage auf alle Gasverbraucher zu verteilen. Man kann das so machen, es ist ein Weg, für den sich gute Argumente finden lassen. Auch ohne Polit-Budenzauber. Das Problem ist nur, dass es bei der Umsetzung an allen Ecken und Enden hakt. Der Grüne Habeck und sein Ministerium, die in den vergangenen Monaten für ihr eifriges Krisenmanagement oft hochgelobt wurden, haben diesmal ein Instrument geschaffen, mit dem niemand so richtig zufrieden ist. Auch sie selbst nicht. Die Gasumlage, so hart formuliert es ein Vertreter der von ihr betroffenen Stadtwerke, ist in Teilen schlicht Murks.(J. Bebermeier/A. Leister/F. Reinbold, t-online)
Was man hier sehen kann sind meiner Meinung nach vor allem ampelkoalitionäre Dynamiken. Direkte Unterstützungen der betroffenen Unternehmen waren aus unterschiedlichen Gründen nicht zu machen - Grüne und SPD sind kein Fan, weil es nach bailout aussieht, die FDP, weil sie staatlichen Einfluss fürchtet -, also schafft man das Verantwortung diffundierende Bürokratiemonster Energieumlage, nur um dann festzustellen, dass das ja die Leute massiv belastet, woraufhin man aber wieder nicht zielgestützt entlasten kann, weil die FDP das nicht mitmachen würde, weswegen erneut die Gießkanne ausgepackt wird und die Mehrwertsteuer gesenkt wird, was sich in seiner Wirkung rechtlich nicht binden und schon gar nicht vernünftig kontrollieren lässt. Klar ist das Murks. Aber es ist völlig klar, woher das kommt, und einmal mehr ein Beleg dafür, dass man weder bei Wurst noch bei Gesetzen zu genau auf den Herstellungsprozess schauen sollte.
10) Kubicki verbreitet Putins Lügen – und macht sich zu seinem nützlichen Helfer
Mit seiner Forderung, Nord Stream 2 zu öffnen, macht sich Kubicki nicht nur lächerlich, er macht sich zum Büttel von Putins Propaganda und reiht sich ein in die illustre Riege aus Gazprom-Schröder, AfD-Chrupalla und Linken-Wagenknecht. [...] Kubicki ist nicht dumm, man muss annehmen, dass er das alles sehr wohl versteht. Umso verwerflicher ist dieses Spiel mit einer Propaganda-Lüge, die ohnehin schon gefährlich gut in der deutschen Öffentlichkeit verfängt. Populismus liegt Kubicki häufig nicht fern, doch bei diesem Thema ist er brandgefährlich. Es kommen harte Monate auf das Land zu, viele werden nicht wissen, wie sie die massiv gestiegenen Rechnungen für Strom und Gas bezahlen sollen. Die Sehnsucht nach scheinbar einfachen Antworten ist entsprechend groß. Kubicki sollte sich schämen, zu behaupten, es gäbe diese einfachen Lösungen. Er weiß es besser. (Philip Vetter, Welt)
Kubicki war schon immer so. Der Mann hat sich kein bisschen verändert. Diese FAZ-Kritik zeigte schon 2018, dass es wie bei Schröder sichtbar, wenn man es sehen wollte. Kubicki schrieb 2018 zusammen mit Wagenknecht und anderen Putin-Fans ein mit Verschwörungsmythen getränktes Buch, er profitiert wie Schröder massiv persönlich vom Gasgeschäft. Das war nie ein Problem, weil der politische Wind in andere Richtungen wehte. Und jetzt pinkelt Kubicki halt nicht mehr als Maverick den Größen der eigenen Partei zur Unterhaltung aller ans Bein und verkündet freudestrahlend, dass er lieber Menschen im Krankenhaus sieht als eine Maske zu tragen oder lieber den Planet brennen lässt als kürzer zu duschen, sondern pisst in den rapide gedrehten, ihm harsch ins Gesicht stehenden Wind. Und jeder weiß, was dann passiert. Es ist dasselbe, was ich vor einiger Zeit bezüglich Habecks ach so großartigen Kommunikationskünsten sagte: Politiker*innen haben nicht unter Kontrolle, wie sie medial und damit öffentlich ewahrgenommen werden. Durch Ereignisse außerhalb von Kubickis Kontrolle hat sich das Umfeld radikal geändert. Und er macht dasselbe wie vorher, nur dass er plötzlich harsch aus dem eigenen Lager kritisiert wird. Völlig zurecht natürlich, aber die gleiche Kritik war schon vor 20 Jahren berechtigt. Der Typ war schon immer, wer er ist.
Resterampe
a) Dilettantismus verhindert bessere Brettspielkritiken. Sicher nur ein Nischenthema, aber völlig korrekt. Ich will aber explizit auf No Pun Included und Shut Up And Sit Down hinweisen, die beide sehr gute Arbeit auf dem Feld machen.
b) Erschütternde Recherche über Trumps family seperation policy. Es gibt echt keine Tiefen, in die dieses Geschmeiß nicht absinken würde.
d) Thread zur Abschaffung der kalten Progression.
e) Zwei gute Beispiele dafür, dass die ÖR besser darin sind ihre eigenen Skandale aufzuarbeiten als private Medien. Beides Fall Schlesinger.
f) Elon Musk ist einfach so ein Arschloch, das so massiven Schaden anrichtet - Milliardäre sollten nicht existieren.
g) Großbritannien schaltet aus Sicherheitsgründen drei Atomkraftwerke ab. Doch nicht nur Frankreich....
h) Die Summen der "Klimastiftung" in Meck-Pomm sind schon echt der Wahnsinn.
i) Deutschland und die Schweiz (wir hatten es letzthin) sind Spitze, wenn es um die massiven Wohlstandsverluste junger Mütter geht. Katastrophale Strukturen.
j) Spanien zeigt, wie man Energie sparen tatsächlich politisch unterfüttern kann.
k) Prognose in der NZZ, dass die Russische Föderation auseinanderbrechen wird. Keine Ahnung, wie realistisch das ist, ich kenne mich nicht genug aus.
l) Interview mit Sunstein und Thaler zum Refolg des Nudging, gut ein Jahrzehnt später.
m) Diese massive Kritik am Selbstbestimmungsgesetz klingt soweit nachvollziehbar.
n) Sehr guter Text über Woodstock1999.
o) Wir hatten es letzthin von linksradikalem Unsinn; hier ein super Beispiel.
p) Großartiger Thread darüber, warum Revolutionen immer so beknackt unwahrscheinliche Ereignisse sind.
q) Why does everything on Netflix look like this?
r) Michael Grunwald denkt über sein eigenes Versagen beim Berichten über die Klimakrise nach.
s) Und da haben wir jemand von SPÖ, der Windräder ablehnt, weil sie "hässlich" sind. Normalitarismus am Limit.
t) Die Verbotspartei ist wieder mal dran, abweichende Meinungen zu canceln und Sprechverbote aufzuerlegen.
u) Lesenswertes Interview mit Karl Lauterbach.
v) Sehr guter gender-kritischer Artikel.
w) Sehr guter Hintergrundartikel zur Politik der US-Geheimdienste und US-Diplomatie kurz vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
x) Perspektiven auf den Medienwandel.
y) Sehr schöner Artikel zur Rezeption Spartas.
z) Absolut zutreffend, diese furchtbare Geschichtsklitterei ist eine Katastrophe.
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