Donnerstag, 18. August 2022

Die Lust zu strafen

 

"Strafe muss sein", sagt der Volksmund. Nichts mögen Menschen so sehr, wie andere für echte oder vermeintliche Normenverstöße zu bestrafen, außer vielleicht, anderen genau das vorzuwerfen (ob Reichtum, ob Armut, irgendwas wird ja immer bestraft). Eine komplette Untersektion unseres Rechtssystems nennt sich bereits "Strafrecht", in Abgrenzung von solchem Recht, das der Lösung von Konflikten dient. Ich habe zu wenig psychologische Kenntnisse um verlässlich herausarbeiten zu können, warum das Bestrafen uns Menschen so wichtig ist, aber es lässt sich verlässlich durch die Geschichte verfolgen, solange uns unsere Aufzeichnungen tragen. Wir sind dabei im historischen Vergleich milde geworden. Nicht umsonst sind "drakonische" oder "mittelalterliche" Strafen mittlerweile verpönt. Die Vorstellung, dass Verbrechen durch öffentliche Verstümmelungen gesühnt würden, ist glücklicherweise auf dem großen Misthaufen der Geschichte verschwunden (wenngleich sie dort nicht bleiben muss; Robert Heinlein hat ihre triumphale Rückkehr in seinen Science-Fiction-Vorstellungen verarbeitet). Trotzdem bleibt es uns eine Notwendigkeit, Strafen auszugeben. Wo das nicht geschieht, ist unser Rechtsempfinden gestört, gleich ob es sich um vergessene Hausaufgaben, Handtaschendiebstahl oder Mord handelt. Dabei wäre es an der Zeit, diese Lust am Strafen zu reflektieren und abzulegen. Sie ist nämlich für unser Gemeinwesen mehr als schädlich.

Das meint natürlich nicht, dass ab sofort keine Strafen für Mord mehr ausgegeben werden sollten. Aber lassen wir das Strafrecht erst einmal beiseite. Wir strafen nämlich nicht nur für das, was das Gesetz als Verbrechen definiert. Wir strafen auch für Verstöße gegen Erwartungen und Normen in der Gesellschaft.

Politik und Meinung

Verstöße gegen die herrschende Meinung waren schon immer durch Strafen bewehrt. Historisch gesehen durch staatliche und kirchliche Autoritäten, die direkte Maßnahmen ergriffen, aber immer schon durch soziale Strafen der jeweiligen Gemeinschaften. Wer gegen herrschende Normenvorstellungen verstieß, wurde sozial ausgeschlossen, entweder auf Zeit oder permanent. Das kann man auch in heutigen Debatten noch sehen. Die soziale Vernichtung von Gegner*innen ist leider ein permanentes Fixtum öffentlicher Diskurse.

Die Diskussion um "Cancel Culture" etwa entsprach, bevor die Rechte den Begriff jeglicher Bedeutung entkleidete, genau diesem Problem. Studierende, die rassistische Lieder grölten, sollten von der Uni geworfen werden. Menschen, die hetzerische Facebook-Posts verfassten, sollten ihren Job verlieren. Und so weiter.

Auch gegnerische politische Gruppen werden oft bestraft. So ist es kein Zufall, dass Linke praktisch jede Politik mit der Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes verbinden. Genauso wenig ist die Vorstellung von Konservativen, dass man Transferempfänger*innen das Leben möglichst unangenehm machen müsste oder die Ablehnung von Angestellten des Öffentlichen Diensts und Beamt*innen durch Liberale zu nennen. Eine der größten Normenverstöße aber ist die Armut.

Armut

Armut ist ein Verstoß gegen Erwartungen der Gesellschaft. Menschen sollen in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, ohne anderen zur Last zu fallen. Tun sie das nicht, wird das als moralische Verfehlung gewertet. Diese Sicht gewann mit der Reformation (Stichwort calvinistische Erwerbsethik) deutlich an Gewicht, aber bereits vorher hatten arme Menschen deutlich weniger Rechte. In vielen Gesellschaften wurden sie in den Status der Unmündigkeit gestoßen. Mit der Aufklärung endeten solche Praktiken, um "aufgeklärten" Maßnahmen Platz zu machen, etwa den Armenhäusern, wo die Menschen unter erbärmlichen Zuständen zwanghaft gehalten und ausgebeutet wurden. Die Zustände waren bewusst furchtbar, um "Anreize" zu bieten, nicht mehr arm zu sein. Diese Logik findet sich, wenngleich natürlich stark abgefedert, auch in unserem heutigen Sozialstaat: Hartz-IV arbeitet ebenfalls explizit mit der Prämisse, dass arme Menschen einen Anreiz bräuchten, nicht arm zu sein, und drangsaliert diese, um ihnen die nötige Motivation zu geben.

Das Hartz-IV-Sanktionsregime ist sehr populär, wie übrigens alle solchen Spielarten. Es ist gleichzeitig völlig ineffizient und kontraproduktiv. Das "means testing" in den USA etwa schafft Monsterbürokratien und kostet wesentlich mehr Geld als es potenziell sparen könnte, aber praktisch keine Mehrheit für eine Sozialmaßnahme ist ohne eine eingehende Prüfung der finanziellen Verhältnisse der Empfänger*innen vorstellbar. Armen Menschen werden entwürdigende Maßnahmen aufgebürdet und ihr Recht auf Privatsphäre wird praktisch aufgehoben, nicht weil es sinnvolle Politik wäre, sondern weil die Gesellschaft möchte, dass der Empfang dieser Leistungen mit einem Preis verbunden ist, einer Strafe.

Grundlage dafür sind zahlreiche Vorurteile und Mythen. Besonders hartnäckig hält sich der, dass Arbeitslose nicht engagiert nach Arbeit suchen. Das aber ist nachweislich nicht der Fall. Gleiches gilt für die Idee der "sozialen Hängematte"; in der gesellschaftlichen Imagination sind die Sozialleistungen immer absurd hoch und bequem. Dieser stets unterstellten staatlichen Bereitschaft, den Ärmsten auf Kosten der fleißigen Mehrheit ein schönes Leben zu machen (besonders absurd eingedenk dessen, dass arme Menschen praktisch nicht wählen) führt denn auch dazu, dass die meisten Sozialleistungen gar nicht den Armen zugute kommen. Und wenn, dann werden sie möglichst schnell wieder abgeschafft, wie das bei den Corona-Maßnahmen der Fall war.

Man sieht den Bedarf, Arme für die erhaltenen Leistungen zu bestrafen und zu kontrollieren, nirgendwo so deutlich wie in der Natur der Leistungen. Studie um Studie belegt, dass die effektivste Art, Armut zu bekämpfen, in möglichst direkten Geldtransfers besteht. Gleichzeitig sorgen die meisten Sozialsysteme dafür, dass die Transfers so indirekt und kompliziert wie möglich sind, am schlimmsten in den USA (ich sage nur: Foodstamps), am wenigsten schlimm in den skandinavischen Staaten. Aber gegen direkte Transfers regt sich immer massiver Widerstand. Sie müssen immer an Prüfungen, Durchleuchtungen, Offenlegungen und Bedingungen geknüpft sein, selbst wenn diese kontraproduktiv bei der Bekämpfung der Armut sind. Jüngst sah man das am Child Tax Credit in den USA. Die Ergebnisse waren überwältigend und brachten einen fast zehnfachen "return of investment". Keine Corona-Hilfsmaßnahme war so erfolgreich, und keine wurde so schnell wieder abgeschafft: Direkttransfers an arme Menschen darf es nicht geben.

Obdachlosigkeit

Eine verschärfte Form der Armut ist die Obdachlosigkeit. In Deutschland hält sie sich als Phänomen glücklicherweise noch halbwegs in Grenzen, aber etwa in Großbritannien ist sie ein ständig sichtbares Phänomen:

Ich kann Simon beruhigen: das kann sehr richtig sein. Die Obdachlosen im UK sind selbst in den Touristengebieten der Städte ein alltäglicher Anblick. Natürlich tut die Stadt etwas dagegen: so werden vor Geschäften spitze Metallkegel installiert, werden Parkbänke mit metallenen Trennern versehen damit man sich nicht darauf legen kann oder laute Musik gespielt, damit die Obdachlosen nicht schlafen können. Was weniger gemacht wird ist, den Obdachlosen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen.

Die Regel von bestehenden Obdachlosenunterkünften, in denen viele Menschen unter erbärmlichen Zuständen in einem Raum schlafen, ist, dass sie morgens verlassen werden müssen und dass man nicht mehrere Nächte hintereinander in derselben Unterkunft verbringen darf. Das zwingt die Menschen zu ständiger Wanderschaft und in prekäre Umstände, ohne irgendetwas an ihrer Situation zu ändern. Dabei gibt es eine ziemlich erfolgreiche Maßnahme, um die Obdachlosigkeit zu bekämpfen: den Menschen Wohnraum zu geben.

Das Problem ist dasselbe wie oben bei Armut bereits beschrieben: der direkte Transfer ist nachweislich die beste Methode, um Wohnungsnot zu bekämpfen. Nichts bringt Menschen nachhaltiger in eigenen (!) Wohnraum wie ihnen einfach ohne jede Bedingung welchen zur Verfügung zu stellen. Aber genau das passiert nicht. Stattdessen überbieten sich die Systeme gegenseitig dabei, möglichst viele möglichst ineffiziente Programme aufzulegen, um ja das einfachste und effizienteste nicht tun zu müssen. San Francisco etwa baut keine Häuser, sondern Container. Billiger ist das nicht, aber dafür hat man sicher den Obdachlosen keine vernünftige Bleibe gegeben.

Kriminalität

Ein ähnliches Thema begegnet uns übrigens auch in der Drogenpolitik. Obwohl seit mittlerweile fast 30 Jahren genügend Belege vorliegen, dass die kontrollierte und beaufsichtigte Abgabe von geprüften Drogen für einen langsamen Entzug das beste Mittel ist, blockieren Regierende weltweit solche Umsetzungen immer wieder. Die Gründe sind stets die Gleichen: ein tiefsitzendes Unbehagen mit der Idee, illegale Rauschmittel an Kriminelle abzugeben (was sie effektiv sind). Obwohl die Maßnahme wesentlich bessere Ergebnisse erzielt als alle anderen, ist sie noch immer nicht über das Stadium von Feldversuchen hinausgekommen - vor allem, weil die Gesellschaft nicht bereit ist zu akzeptieren, dass Kriminelle für ihr Tun nicht bestraft werden, sondern dass man ihnen hilft.

Dasselbe gilt für die Strafen, die üblicherweise von Gerichten für Kriminalität vergeben werden. Sie dienen weitgehend dem "öffentlichen Interesse an Strafverfolgung", also der Vorstellung, dass die Öffentlichkeit ein Interesse daran hat, dass es zu einer Bestrafung kommt. Wo Staatsanwält*innen dieses Interesse nicht sehen, können sie auf Strafverfolgung verzichten. Diese Strafen dienen denn zwei eigentlichen Zwecken: der Sühne und der Abschreckung. Was sie nicht leisten, ist nachhaltige Heilungsprozesse einzuleiten; häufig schaffen sie auch kein Unrechtsbewusstsein bei Täter*innen. Hier verspricht der Schwenk zur "restorative justice" einen Paradigmenwechsel.

Überhaupt, Urteile. Wir sind bereits sehr weit gekommen, was die Haltung zu Verbrechen und Strafe angeht. Wegweisend war die Strafrechtsreform der 1960er und 1970er Jahre, die rhetorisch einen Schwenk von der Sühne als Hauptziel des Justizwesens hin zur Resozialisierung vollzog. Doch die Resozialisierung bleibt in vielen Fällen eine Worthülse. Es fehlt an Personal und an Einrichtungen, so dass häufig die Gefängnisrealität doch die einer Verwahrungsanstalt bleibt.

Den Grund dafür sehen wir in einem Kommentar von Thorsten Haupts zu einer Diskussion just zu diesem Thema in einem anderen Blogbeitrag hier: "Der reine Versuch, unsere nicht sonderlich strengen [Gefängnisstrafen, Anmerkung d. Autors] NOCH weiter zu reduzieren, wird eine Steilvorlage für Rechtspopulisten. Und clasht frontal mit dem Gerechtigkeitsverständnis der Bevölkerungsmehrheit." Haupts hat sicherluch Recht. Das Gerechtigkeitsverständnis der Bevölkerungsmehrheit ist, dass Strafe im Zentrum steht. Es ist die titelgebende Lust zu strafen. Und Rechtspopulisten haben sie sich schon immer zunutze gemacht. Bei praktisch jeder Wahl fischt die CDU in diesen Gewässern. "Tough on crime" ist in den USA eine feststehende Redewendung (hierzulande vor allem "Recht und Ordnung").

Es gibt praktisch kein Limit in der Diskussion, wenn es um Verschärfungen von Strafen geht. Man nehme ein besonders eindrückliches Beispiel: Kinderpornografie. Obwohl hinreichend bekannt ist, dass Pädophilie eine Krankheit ist, die die Betroffenen selbst mit unendlicher Willenskraft nicht ausschalten können und obwohl bewiesen ist, dass höhere Strafen nicht abschrecken (wohl aber die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden), ist die erste Reaktion, wann immer das Thema wieder in die Schlagzeilen kommt (wozu leider immer Anlass besteht), die Strafen zu erhöhen. Dass (angeblich) Pädophile im Gefängnis von ihren Mitinsassen drangsaliert werden, ruft meist ein Gefühl tiefer, moralischer Befriedigung hervor. Und so weiter.

Dabei gibt es, genauso wie bei der kontrollierten Drogenabgabe, längst Gegenbeispiele. Man nehmen diesen Bericht eines Gefängnis' in Norwegen, das Schwerverbrecher unterbringt und dennoch vor allem auf die Rehabilitation Wert legt, mit beeindruckenden Ergebnissen. Die Wächter dort laufen unbewaffnet herum. Notwendig dafür ist eine völlige Umstrukturierung: Gefängnisse dienen der Strafe, dienen dazu, möglichst viele Menschen auf möglichst engem Raum möglichst effektiv wegzusperren. Dieses Ziel steht aber Resozialisierung genauso entgegen wie das Verbringen von möglichst vielen Kindern in möglichst normierten, kleinen Zimmern, damit sie dort Denken lernen. Was uns zum nächsten Thema bringt.

Schule

Die Schule ist ein Ort, an dem Strafen in mehrerlei Hinsicht eine hervorgehobene Rolle spielen. Einmal ist das beim Erziehungsauftrag zu beobachten. Schulgesetz Paragraf 90 (in Baden-Württemberg) regelt "Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen", also Verstöße gegen die Verhaltens-Norm. Gesetzlich geregelt sind zwei Strafen: Nachsitzen und Schulausschluss. Alles andere liegt im pädagogischen Ermessensspielraum (oder ist ausgeschlossen, etwa die Prügelstrafe). Explizit verboten ist übrigens auch das Bestrafen von Verhalten mit schlechten Noten, was leider zahlreiche Kolleg*innen nicht davon abhält, es trotzdem zu tun.

Diese Bestrafungen sind beliebt. Für mich als Lehrkraft ist es wesentlich einfacher, eine Strafe zu verhängen (vor allem, wenn es institutionalisierte Nachsitzen-Termine gibt, so dass der Aufwand für mich gleich null ist) als Maßnahmen zu ergreifen, die tatsächlich zu einer Verhaltensänderung führen könnten (oder, Schockschwerenot, zu der Einsicht, dass der Fehler vielleicht hinter statt vor dem Pult sitzt). Zu strafen befriedigt im Moment (Eltern können da ein Lied davon singen, siehe unten), hat aber meist keine dauerhafte Wirkung. Oft genug kommt man damit in eine Spirale. Da die letzte Strafe keine Wirkung zeigte, wird eine neue, harschere verhängt, die ebenfalls keine Wirkung zeigt (weil sie das zugrundeliegende Problem nicht löst). Die auch rechtlich vorgeschriebene "Eskalationsleiter" wird so mit deprimierender Vorhersagbarkeit bis zum Schulausschluss durchgegangen.

Das heißt nicht, dass die Strafen nicht wirken KÖNNEN. Gerade bei solchen Schüler*innen, die intakte Elternhäuser haben UND anfällig gegenüber Strafen sind, weil das Fehlverhalten eine Ausnahme, einen Fehltritt, darstellt, können durch den "Schuss vor den Bug" durchaus wieder in die rechte Bahn gelenkt werden. Aber wenn das nicht der Fall ist, müssen andere Mittel her, und viel zu oft ist das nicht der Fall.

Ein gänzlich anderer Bereich, in dem die Schule so systematisch und lustvoll straft, dass es uns schon gar nicht mehr auffällt, ist das Benotungswesen. Natürlich würden hier alle den Vorwurf entrüstet von sich weisen: Noten dienen der Leistungsmessung, nicht der Bestrafung! Allein, das ist nicht wahr, wie die jüngste Debatte um das "Leistungsprinzip" zeigt. Der Präsident des so genannten "Lehrerverbands" hatte gefordert, dass dieses "wieder" Einzug in den Schulen halten müsse, was impliziert, dass es gerade nicht gilt (eine ganz eigene Debatte). Aber was er eigentlich fordert ist, mehr schlechte Noten zu vergeben:

"Was wir an unseren Schulen brauchen, und was gar nichts kosten würde, ist die klare Ausrichtung: "Leistung muss sich wieder lohnen" [...] "Schule ist ohnehin immer ein Schonraum, auch mit diesem Leistungsprinzip. Aber sie darf nicht zu einem alleinigen Schonraum verkommen," so der Chef des Lehrerverbands, der gymnasiale Lehrkräfte vertritt. "In viel zu vielen Schulen ist das Leistungsprinzip mittlerweile tabu!" [...] "Vielmehr ist seit einem guten Jahrzehnt 'das Nicht-Beschämen der Schüler' das Prinzip, an dem sich viel zu viele Lehrkräfte orientieren." [...] "Maximierung des Wohlfühlens der Kinder auf Kosten des Lernfortschritts." [...] "Die Orientierung an anspruchsvollen Bildungszielen ist uns aber weitgehend verloren gegangen, sowohl für den Hauptschulabschluss wie für die Mittlere Reife und das Abitur", schreibt Scholl. [...] "Die Vergabe von vielen wertlosen Zeugnissen ist aber gerade kein Kennzeichen einer guten Schule oder eines guten Schulsystems!" Auch Gymnasien seien nicht von der Tendenz zu immer besseren Noten verschont: "Das letztjährige Corona-Abitur hatte den besten Abi-Durchschnitt im Ländle, den es jemals gab", legt der Verbandschef dar. (Quelle)

Das ist die Definition von "Leistungsprinzip" bei Scholl. Einige wenige haben gute Noten, und die müssen sich dadurch abheben, dass es viele schlechte Noten gibt. Dahinter steckt das Verständnis von einer Notengebung als Belohnung und Bestrafung für "Leistung" (was auch immer das genau sein soll). Es ist aber auch, wie PDrewes das treffend formuliert, dass "Wohlbefinden und Lernfortschritte nicht zusammen gedacht werden dürfen". Die Qualität der Lehre zeigt sich quasi dadurch, dass viele scheitern. Diese Idee ist besonders in manchen Studiengängen an den Universitäten verbreitet, wo "herausgeprüft" wird und Quoten von Durchzufallenden festgesetzt werden, was wohl die größte Perversion des "Leistungsprinzips" überhaupt ist.

Erziehung

Der letzte Bereich, wo Strafen eine Rolle spielen - wahrscheinlich sogar die größte im Leben überhaupt - ist die elterliche Erziehung in der Kindheit. Hier hat glücklicherweise in der letzten Zeit ein massives Umdenken stattgefunden, das glaube ich in seiner Bedeutung noch weitgehend unterschätzt wird. Die Strafe war über Jahrtausende das ubiquitäre Erziehungsinstrument. Prügel und andere Körperstrafen; Stubenarrest; Entzug von Liebe, Nahrung oder sonstigen Dingen - sie bestimmten den Alltag von Kindern und wurden als völlig normal Generation um Generation reproduziert. Erst im 19. Jahrhundert fand ein langsames Umdenken statt, das vor allem am physischen Kindeswohl ausgerichtet war - Strafen mit physischen Langzeitfolgen fielen aus der Mode. Aber erst gegen Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts begann sich etwas Grundsätzliches in der Mentalität zu ändern.

Körperstrafen wurden bis zur Jahrtausendwende verpönt. Weiterhin war es zwar normal, dass Eltern "die Hand ausrutscht", aber richtig organisiertes Verprügeln wurde tabu und war nun den Bösewichten von Kindergeschichten vorbehalten. Zog der Vater den Gürtel aus, war das ein klares Zeichen, dass er böse war. Die rot-grüne Regierung war es dann, die 2000 das Schlagen von Kindern generell kriminalisierte - gegen heftigen konservativen Protest. Es dauerte natürlich, bis sich diese Haltung auch wirklich in der Gesellschaft durchsetzte. Aber heute ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung weithin akzeptiert und wenigstens öffentliches Schlagen von Kindern stark tabuisiert.

Das gilt nicht für andere Formen von Gewalt. Hier findet in den letzten Jahren allerdings ebenfalls ein massives Umdenken statt, das Strafen generell als Gewalt betrachtett und aus dem Erziehungswerkzeugkasten verbannt. Dies folgt einer generellen Umdefinierung dessen, was "Gewalt" eigentlich bedeutet. Wir sind weggekommen von einem rein körperlichen Verständnis, so dass psychische Gewalt mittlerweile in vielen Formen ebenfalls tabuisiert ist. Das Beschämen, Mobben oder Isolieren von Kindern, die bis vor Kurzem noch anerkannte Erziehungsmittel waren, gelten mittlerweile als verachtenswert.

Fazit

Ich glaube, dass der Wandel weg vom alten Strafenregime in der Erziehung auch deswegen so weit fortgeschritten ist, weil wir zu unseren Kindern am einfachsten ein emotionales Band knüpfen können, das diesen Wandel eingängig und nachvollziehbar macht. Es ist wenig verwunderlich, dass nach der privaten Erziehung die Schulen am weitesten fortgeschritten sind, während die zunehmende Entfernung von den Täter*innen - Universitäten und andere höhere Bildungseinrichtungen, Arbeitswelt, Politik, Kriminalität - umso bereitet macht, zu Strafen zu greifen. Da wir aber als Gesellschaft immer empathischer werden steht zu hoffen, dass wir in den kommenden Dekaden unser Mitgefühl auch auf Menschen ausweiten werden, mit denen wir nicht in direktem Kontakt stehen.

Linksammlung:

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